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GLEICHHEIT/5894: USA - Verizon-Beschäftigte diskutieren über politische Fragen im Streik


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Verizon-Beschäftigte diskutieren über politische Fragen im Streik

"Es geht nicht nur um uns, sondern auch um andere Arbeiter"

Von unseren Reportern
16. April 2016


Mehr als 39.000 Beschäftigte des Telekommunikationsunternehmens Verizon befinden sich seit vier Tagen im Streik gegen die Forderungen des Unternehmens nach Kürzungen ihrer Gesundheitsleistung und Renten und der Möglichkeit, Beschäftigte unangekündigt in weit entfernte Landesteile verlegen zu können.

Die Gewerkschaft Communications Workers of America (CWA) hatte am Mittwoch zum Streik aufgerufen, nachdem sie die Verizon-Beschäftigten zuvor gezwungen hatten, mehr als acht Monate ohne Tarifvertrag zu arbeiten. In dieser Zeit wurden viele von ihnen Opfer willkürlicher Schikanen und Abstrafungen. Viele Streikende äußerten die Sorge, die CWA könnte ihren Verrat von 2011 wiederholen. Damals hatte sie die Arbeiter während der zweiten Streikwoche ohne einen Tarifvertrag an die Arbeit zurückgeschickt. Danach zwang sie ihnen einen Tarifvertrag auf, der die Gesundheitsleistungen halbierte und im Falle eines weiteren Streiks weitere Schikanen für angebliche Verstöße der Streikenden ermöglichte.

In der Bevölkerung herrscht große Sympathie für die streikenden Arbeiter, da sie gegen Probleme kämpfen, mit denen Millionen Arbeiter in der Industrie, dem Dienstleistungsgewerbe und dem öffentlichen Dienst konfrontiert sind. Doch anstatt für die Mobilisierung der Stärke der Arbeiterklasse gegen den Angriff der Konzerne und der Regierung auf ihre Arbeitsplätze und ihren Lebensstandard zu kämpfen, tun die Gewerkschaften alles, um die einzelnen Teile der Arbeiterklasse voneinander zu isolieren.

Die CWA unterstützt offiziell den Präsidentschaftswahlkampf des Demokraten Bernie Sanders. Sie versucht, den Streik zu schwächen und als Gelegenheit zu benutzen, Illusionen in die Demokratische Partei zu schüren. Diese ist jedoch ebenso ein Feind der Arbeiterklasse wie die Republikaner. Sanders und Clinton haben Streikposten besucht, um sich als Unterstützer des Streiks zu inszenieren. Am Donnerstagabend organisierte die CWA einen Marsch über die Brooklyn Bridge, der zeitlich auf die Debatte zwischen den Präsidentschaftskandidaten im Brooklyn Navy Yard abgestimmt war.

Die CWA setzte Arbeiter für diverse PR-Aktionen für die Demokraten ein, u.a. zu Streikposten vor McDonald's-Fillialen zur Unterstützung der Forderung nach fünfzehn Dollar Mindestlohn. Die CWA propagiert zudem die Behauptung, die Demokraten könnten Verizon dazu zwingen, das Fios-Glasfasersystem auszuweiten, das bisher auf besonders profitable Märkte beschränkt ist.

Hillary Clintons Ehemann Bill Clinton hatte 1996 als amerikanischer Präsident den Telecommunications Act unterzeichnet, der die Konsolidierung der Branche in den Händen von Monopolen wie Verizon begünstigte. Sie selbst hat zudem hunderttausende Dollar Gagen für Reden von Verizon angenommen. Und der selbst ernannte "demokratische Sozialist" Sanders vertuscht vorsätzlich die Rolle der CWA-Bürokratie, die die Verizon-Arbeiter immer wieder verraten hat. Zudem teilt er den Wirtschaftsnationalismus der Gewerkschaften, die behaupten, mexikanische und philippinische Arbeiter würden den amerikanischen Arbeitern "die Arbeitsplätze wegnehmen".

Anhänger der WSWS verteilten den Artikel "Die politischen Fragen im Streik bei Verizon" [1] und sprachen mit Arbeitern über ihren Kampf.

New York erklärte Rohan, ein Feldrollenwechseler aus der Glasfaser- und Kupferleitungssparte: "Wir streiken, um zu behalten, was wir haben. Verizon will uns Leistungen wegnehmen, für die wir gekämpft haben. 2011 sind wir zurück an die Arbeit, ohne dass das Unternehmen seine Forderungen nach Zugeständnissen wiederrufen hätte. Wir waren gezwungen, Abstriche hinzunehmen. Ich habe zu Hause eine junge Familie, und ich will kein Vermögen für meine Krankenversicherung zahlen. Ich bin noch jung, aber ich will eine Rente.

"Vielleicht hätten wir schon früher streiken sollen, aber irgendwann mussten wir. Wir Arbeiter kommen an einen Punkt, wo wir uns sagen, wir halten es nicht mehr aus."

Der Kundendienstmitarbeiter Mike erklärte: "Seit dem Verizon-Streik 2011 hat sich das soziale Umfeld verändert. Die Öffentlichkeit interessiert sich jetzt dafür, was wir wollen. Die Amerikaner beginnen zu erkennen, dass wir alle Arbeitsplätze verlieren. Gestern kamen Studenten von der [städtischen Universität New York], um unsere Streikposten zu unterstützen." r Feldtechniker Orlando sagte: "Der Konzern sitzt auf dem Geld. Die Gewerkschaften knicken ein. Es ist wirklich gut, dass jetzt alle da sind. Die Gewerkschaft und das Unternehmen haben zehn Monate lang verhandelt. Dieser Tarifvertrag würde meinen Kündigungsschutz einschränken. Ich würde bald arbeitslos sein. Ich habe noch fünfzehn Jahre. Ich arbeite hart. Ich habe es mir verdient. Wir müssen zusammenstehen und der Firma sagen: genug ist genug."

Will erklärte bei der Überquerung der Brooklyn Bridge: "Die wichtigsten Dinge sind ein dauerhafter Job, die gleiche oder sogar eine bessere Krankenversicherung, und dass sie die Renten in Ruhe lassen. 2012 war das letzte Mal, dass sie Renten angeboten haben. Sie wollen auch nichts mehr zu den Ruhestandskonten beitragen, in die an der Börse investiert wird. Diese Situation besteht, weil sie den Hals nicht voll genug kriegen. Selbst als das Verhandlungsteam der Gewerkschaft Zugeständnisse angeboten hat, haben sie nein gesagt."

"Sie wollen den Sonntag zum normalen Arbeitstag machen und uns von unseren Familien wegholen. Die Firma will den Einsatz von Zeitarbeit ausweiten, damit sie flexiblere Arbeiter hat, denen sie keine Zuschläge zahlen muss. Was die Leute nicht verstehen, ist, dass man ohne Festnetzleitungen kein Drahtlosnetzwerk haben kann. Das gehört zur Infrastruktur."

In Nord-Virginia erklärte Tony, ein Leitungstechniker mit mehr als neunzehn Jahren Berufserfahrung, wie sich Verizon in seiner Zeit dort zum Schlechteren verändert hat. "Als ich dort angefangen habe, war das ein ganz anderes Unternehmen. Man merkte unterm Strich, dass sie sich wirklich um einen gekümmert haben. Ich war stolz, sagen zu können, dass ich für Bell Atlantic gearbeitet habe, das beste Unternehmen, für das man arbeiten konnte. Aber jetzt ist es nur ein Job, es geht der Firma nur ums Geld."

Tony erklärte, für die streikenden Arbeiter sei das wichtigste Anliegen der Schutz der Krankenversicherung und der Renten.

"Es darf nicht sein, dass man nach dreißig Jahren in Rente geht und dann kommt die Firma und sagt, dass sie eine Obergrenze für die Rente einführt; das ist einfach nicht richtig. Am meisten schmerzt mich, dass ich meine Arbeit gerne mache, aber solche Sachen [Verizons Forderung nach Zugeständnissen] finde ich wirklich entmutigend. Wir wollen ja unsere Arbeit machen, aber wir fühlen uns nicht gewürdigt. Niemand wird sein Bestes für ein Unternehmen geben, das sich so benimmt. Und deshalb fragen sich viele, ob es sich überhaupt lohnt, weiterzuarbeiten. Für die meisten ist es eine rote Linie, wenn sie die Renten begrenzen. Für Leute wie mich ist es schwer, die Firma zu verlassen, weil wir bereits so lange hier sind."

John, ein Leitungstechniker mit sechzehn Jahren Erfahrung, erklärte, Verizon-Arbeiter müssten regelmäßig unter zermürbendem Druck arbeiten, weil das Management zu wenig Leute einstellt. "Wenn ein großer Sturm gewütet hat, kann man sich auf sechs oder sieben Tage am Stück und 80 Stunden pro Woche einstellen. Überstunden machen mir nichts aus, wenn Arbeit getan werden muss. Aber manchmal zwingt einen das Management zu Überstunden, obwohl keine Arbeit da ist, sie sind einfach unterbesetzt."

Er erklärte: "Das Unternehmen behandelt uns, als seien wir wertlos. Das obere Management zwingt uns zu Überstunden, ohne es zu rechtfertigen, als würde unser Privatleben nichts bedeuten und als bräuchten wir keine freien Tage. Diese Forderungen kommen immer vom oberen Management; unsere unmittelbaren Vorgesetzten müssen auch viel arbeiten, aber sie haben keine Gewerkschaft und sind deshalb gezwungen, die Befehle von weiter oben auszuführen." John erklärte weiter, dass Verizon-Vorstandschef Lowell McAdam fast 30 Millionen Dollar pro Jahr verdient.

Scott, ein Techniker mit ebenfalls sechzehn Jahren Erfahrung, erinnert sich an die bitteren Erfahrungen und den Verrat des Verizon-Streiks 2011. Er erklärte: "Ich werde das nie vergessen. Wir hatten die Firma, wo wir sie haben wollten, ein Hurrikan kam, es hätte zu riesigen Stromausfällen [an der ganzen Ostküste] kommen können. Und dann hat uns die CWA an die Arbeit zurückbeordert, weil sie sagten, Verizon wolle 'ernsthaft' verhandeln. Dann vergingen vierzehn Monate und wir bekamen einen Tarifvertrag, der unsere Gesundheitsleistungen um die Hälfte gekürzt hat."

Auf die Frage, warum sich die Gewerkschaft so verhalten hat, antwortete Scott zuerst, es wäre schlechtes Urteilsvermögen gewesen. Danach erklärte er, er fürchte, die Gewerkschaft arbeite mit dem Management zusammen. "Es geht nur noch ums Geld. Die Gewerkschaft ist wie ein Unternehmen. Ich zahle jede Woche zwanzig Dollar Beiträge, die anderen auch. Das sind tausende Dollar pro Woche, die die Gewerkschaft von ihren Mitgliedern bekommt, und wir erhalten nur 200 Dollar Streikgeld pro Woche."

Scott erinnerte sich an die Fusion der Telekommunikationsfirmen von 1996, die vom demokratischen Präsidenten Bill Clinton organisiert wurde. "Bell Atlantic war ein gutes Unternehmen, dann hat sich alles geändert, und wir haben Clinton dafür zu danken." Scott brachte seine Abscheu gegenüber der demokratischen Spitzenkandidatin Hillary Clinton zum Ausdruck und erklärte: "Hillary ist eine Lügnerin, ihre ganze Familie lügt."

Darren, ein jüngerer Arbeiter, äußerte Unterstützung für den angeblich "sozialistischen" Kandidaten Bernie Sanders, und fügte hinzu, dass in Amerika momentan ein "rückwärts gerichteter Sozialismus" herrsche: die Reichen leben von der Verarmung der Armen. Darren zeigte sich aufgeschlossen, als ihm erklärt wurde, dass Sozialismus die internationale Vereinigung der Arbeiterklasse auf der Grundlage eines politischen Programms gegen den Kapitalismus bedeutet, und nicht das wirtschaftsnationalistische Programm, das die Gewerkschaften und Sanders vertreten.

In Scranton, Pennsylvania, sprachen Reporter der World Socialist Web Site mit etwa einem Dutzend streikenden Arbeitern des Verizon-Kundendienstzentrums in der Innenstadt. Die meisten von ihnen hatten bereits den Streik von 2011 mitgemacht.

Julie, eine Callcenter-Beschäftigte, erklärte, das Hauptthema für sie sei die Gefahr für die Arbeitsplätze. "Der Tarifvertrag, den sie durchsetzen wollen, wird zu Stellenabbau führen. Sie können Arbeitsplätze ins Ausland oder in Teile des Landes verlagern, wo es keine Gewerkschaften gibt."

Joe sagte, der letzte Tarifvertrag sei für die Arbeiter ein schlechtes Geschäft gewesen, und jetzt wolle sich Verizon "holen, was sie beim letzten Streik noch nicht bekommen haben."

Dave aus Scranton erklärte, die Arbeiter streikten gegen die jahrelange Verschlechterung der Bedingungen. "Ich habe hier siebzehn Jahre lang gearbeitet, und jeder neue Tarifvertrag war schlechter als der vorherige. Wir lassen es uns nicht mehr bieten."

Ein Korrespondent der WSWS wies darauf hin, dass sich der Angriff auf den Lebensstandard gegen die gesamte Arbeiterklasse richtet, und dass die Gewerkschaften die Arbeiter voneinander isolieren und alleine kämpfen lassen: die Autoarbeiter, die Stahlarbeiter und die Lehrer. Julie fügte hinzu: "Und die Pflegekräfte."

Die Arbeiter in Scranton stimmten zu, dass es notwendig sei, die Arbeiterklasse zu vereinen. Sie äußerten sich zustimmend, als sie gewarnt wurden, die CWA würde sie mit einem schlechten Tarifabkommen an die Arbeit zurückschicken. "Das wird ihnen dieses Mal schwerfallen," sagte einer von ihnen. "Über den letzten Tarifvertrag waren viele unzufrieden."

Auch sie unterstützten den Wahlkampf von Bernie Sanders. Der Korrespondent der WSWS erklärte, Sanders' Aufgabe im Wahlkampf sei es, Arbeiter wieder vor den Karren der Demokratischen Partei zu spannen. Daher sei es notwendig, eine Partei aufzubauen, die die gesamte Arbeiterklasse vereint. Die Arbeiter stimmten zwar zu, erklärten aber weiterhin ihre Unterstützung für Sanders.

Julie sagte: "Er ist mehr für die arbeitende Bevölkerung. Er zwingt die Medien, uns Aufmerksamkeit zu schenken."

Auf die Frage, wie der Streik nach ihrer Meinung laufen werde, äußerte Joe die Befürchtung, er werde wie 2011 der staatlichen Schlichtungsstelle vorgelegt. "Wenn das passiert, sieht es für uns nicht gut aus. Dann werden Lobbyisten und Wirtschaftsinteressen darüber entscheiden."

Er fügte hinzu: "Von diesem Streik hängt vieles ab. Nicht nur für uns, sondern auch für andere Arbeiter."

Ein pensionierter Verizon-Beschäftigter in Pittsburgh, Pennsylvania, der 31 Jahre lang für das Unternehmen gearbeitet hatte, unterstützte den Streik. "Ich habe im technischen Bereich, im Zentralbüro und in der Leitungswartung gearbeitet. Das geht schon lange so. Verizon macht Milliarden um Milliarden. Es ist eine der größten und profitabelsten Firmen der Welt, aber sie wollen immer mehr von den Arbeitern.

"Wir haben ihr Netzwerk aufgebaut, ihre Leitungen und Schaltgeräte installiert, für sie telefoniert und alles am Laufen gehalten, aber sie fordern immer mehr und mehr. Ich bin froh, dass wir angefangen haben, uns zu wehren."

"Arbeitsplätze sind das wichtigste Thema. Was für ein Leben hat ein Mensch, wenn die Firma eines Tages sagt, man soll sich da oder dort melden, und dann muss man zwei Monate in New York oder Massachusetts verbringen? Nach einem großen Sturm müssen wir überall arbeiten, das ist klar. Ich war nach Hurrikan Andrew eine zeitlang in Florida. Aber das ist was anderes. Sie wollen nur in der Lage sein, einen irgendwo hinzuschicken, damit sie keine Leute einstellen müssen. Sie haben bereits zu viele Arbeitsplätze abgebaut.

"Ich glaube, wir müssen uns alle zusammenschließen. Nicht nur Verizon macht Einsparungen, sondern alle Firmen. Man muss sich nur anschauen, wie reich die Reichen nach der Immobilienkrise geworden sind, während Millionen noch immer leiden. Verizon ist ein globales Unternehmen, und wir müssen uns weltweit zusammenschließen."


Anmerkung:
[1] http://www.wsws.org/de/articles/2016/04/15/pers-a15.html

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Quelle:
World Socialist Web Site, 16.04.2016
Verizon-Beschäftigte diskutieren über politische Fragen im Streik
"Es geht nicht nur um uns, sondern auch um andere Arbeiter"
http://www.wsws.org/de/articles/2016/04/16/veri-a16.html
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. April 2016

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