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GLEICHHEIT/4874: Nahostkriege verursachen Flüchtlingsströme und Tote bei Flucht übers Mittelmeer


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Nahostkriege verursachen Flüchtlingsströme und Tote bei Flucht übers Mittelmeer

Von Robert Stevens
17. Oktober 2013



Die Rettungskräfte haben ihre Suche nach den Leichen der Migranten, die bei dem Schiffsuntergang vor Lampedusa am 3. Oktober im Boot starben, beendet. Nur 155 der 545 Menschen, darunter Eritreer, Somalier und Syrer, die an Bord des Schiffes waren, überlebten die Tragödie. Nur 359 Leichen wurden geborgen.

Nach diesen Todesfällen sank am 11. Oktober ein weiteres Boot in maltesischen Gewässern südlich der Insel Lampedusa. Von den mehr als zweihundert syrischen und palästinensischen Männern, Frauen und Kindern an Bord starben mindestens 34. Auf das Boot wurde offenbar von einem Kriegsschiff aus gefeuert, das unter libyscher Flagge fuhr.

Im Gespräch mit dem britischen "Channel 4 News", sagte ein Überlebender: "Sie verfolgten uns eine Stunde lang. Dann forderten sie den Kapitän auf, anzuhalten und fingen dann an, in die Luft zu schießen. Sie versuchten, das Boot zum Kentern zu bringen. Dann fingen sie an, auf das Boot zu schießen. Sie schossen auf den Motor. Dabei verletzten sie auch vier Personen."

Maurizio Molina vom Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen sagte: "Wegen der von den Schüssen stammenden Löcher ... begann Wasser in das Schiff zu laufen, was zu großer Aufregung unter den Syrern führte, die an Bord waren. An einem bestimmten Punkt, waren die, die (unten) waren - ungefähr einhundert Menschen - gezwungen, nach oben zu kommen. Das brachte das Schiff aus dem Gleichgewicht und verursachte am Ende schließlich, dass das Boot kenterte."

Mindestens fünfhundert weitere Migranten mussten am Samstag bei verschiedenen Unglücken in der Nähe der italienischen Insel Sizilien gerettet werden. Bei einem anderen Unfall am Freitag ertranken zwölf Migranten in einem Schiffswrack vor der Küste von Alexandria. Ägyptische staatliche Medien berichteten, dass 116 den Untergang überlebt hätten.

Die Zahl der Toten im Mittelmeer seit dem 3. Oktober ist zu der erschütternden Zahl von 25.000 hinzuzuzählen, die in den letzten zwei Jahrzehnten bei dem Versuch starben, die "Festung Europa" zu erreichen.

Bis Anfang Oktober haben allein in diesem Jahr rund 30.000 Menschen versucht, über das Mittelmeer nach Italien zu kommen. Viele versuchen vor Krieg und Verfolgung in Ländern wie Tunesien, Libyen, Ägypten und Syrien zu fliehen.

Die überwiegende Mehrheit der Flüchtlinge, mehr als 95 Prozent, erreicht Europa nie. Offiziell sind derzeit 1,6 Millionen Syrer auf der Flucht, weit mehr als die eine Million, die von den Vereinten Nationen bis Mitte des Jahres 2013 erwartet wurde.

Der regionale Aktionsplan der UN für Syrien von Dezember 2012 hat errechnet, dass 515.061 syrische Flüchtlinge in den Nachbarländern Jordanien, Libanon, Irak, Türkei und Ägypten angekommen sind. Die Flüchtlingskrise ist in diesem Jahr eskaliert, wobei die UN im Juni bestätigt hat, dass eine Million zusätzlicher Flüchtlinge in diesen Ländern angekommen sind.

Im Januar flohen pro Tag 5000 Syrier und im März wurde ein Durchschnitt von 10.000 erreicht. Der UN-Hochkommissar für Flüchtlinge sagte: "Basierend auf der Entwicklung der Zahlen der Neuankömmlinge seit Anfang des Jahres schätzen wir, dass die Zahl syrischer Flüchtlinge in der Region, die der Hilfe bedürfen, bis Ende 2013 3,45 Millionen erreichen wird. Diese werden in Lagern und zum größten Teil in umliegenden Kommunen untergebracht."

Den neuesten Zahlen zufolge sind weitere fünf Millionen Menschen in Syrien vertrieben worden. Insgesamt mehr als sieben Millionen Syrer wurden aus ihren Häusern vertrieben, rund ein Drittel der 22 Millionen Menschen des Landes. Diese Zahl wird voraussichtlich in kurzer Zeit fünfzig Prozent erreichen.

António Guterres, der zuständige UN-Hochkommissar für Flüchtlinge, erklärte: "Syrien hat sich zu der großen Tragödie dieses Jahrhunderts entwickelt - eine beschämende humanitäre Katastrophe von Leid und Vertreibung, die in der jüngeren Geschichte ohne Beispiel ist."

Was Guterres nicht bestätigen will und kann, ist, dass die Tragödie, die über Millionen Syrer hereingebrochen ist, das Ergebnis eines von den USA, Großbritannien und Frankreich arrangierten Bürgerkriegs ist, wobei ihnen die Türkei und die Golfmonarchien zur Hand gegangen sind.

Schon vor dem Ausbruch des imperialistischen Stellvertreter-Kriegs in Syrien haben Sanktionen gegen das Land verheerende Auswirkungen gehabt. Im Jahr 1979 bezeichneten die USA Syrien als einen den "Terrorismus unterstützenden Staat" und verhängten zahlreiche Wirtschaftssanktionen. Im August 2011 verhängte die Obama-Regierung weitere Sanktionen gegen den Energiesektor Syriens und fror alle Vermögenswerte der syrischen Regierung in den USA ein.

Im vergangenen Monat stellte der britische Independent fest, dass die Sanktionen Syriens "einstmals hervorragendes Impfprogramm für unter fünf Jährige getroffen haben und die MDG [Entwicklungsziele der UN] für die Mütter- und Kindersterblichkeit, die Syrien wahrscheinlich 2015 erreicht hätte, zum Stillstand brachte. Sie haben die Produktion lebenswichtiger Medikamente, die das Land fast autark herstellte, zusammenbrechen lassen. Arzneimittel zur Behandlung von Krebs, Diabetes und Herzerkrankungen, die nicht im Land produziert wurden, stehen nur zu enormen Kosten in den Nachbarländern zur Verfügung. Die Kosten für Lebensmittel, Kochen und Heizöl haben sich um ein Vielfaches erhöht und sind für die breite Masse unbezahlbar, während der von Kriminellen geführte Schmuggel und die Profitgier wachsen. All das kommt zu den tobenden Schrecken des Krieges noch hinzu."

Unmengen von Syrern leben nun in Flüchtlingslagern, in denen ihnen die Grundfreiheiten und die Staatsbürgerschaft verweigert werden. Um die 520.000 Syrer sind jetzt in Jordanien, was eine Erhöhung der Bevölkerungszahl um acht Prozent in zwei Jahren bedeutet. Ein Lager, Zaatari, beherbergt 130.000 Menschen unter entsetzlichen, überfüllten Bedingungen. Als es im Mai 2012 gegründet wurde, gab es dort nur einhundert Familien. Jetzt wächst es mit einer Rate von 2.000 Einwohnern pro Tag. Ein weiteres Lager, Azraq, wird gerade errichtet und wird ebenfalls bis zu 130.000 Menschen aufnehmen können.

Die Türkei erlaubt die Einreise syrischer Flüchtlinge nur, wenn Platz in den Flüchtlingslagern ist.

Die libanesische Regierung erlaubt Syrern die Einreise nur als "Besucher" und nicht als Flüchtlinge. Rund 1,3 Millionen Syrer befinden sich derzeit im Libanon, darunter 780.000, die bei der UN als Flüchtlinge registriert sind.

Weitere Zehntausende kampieren unter gefährlichen Bedingungen an der syrisch-jordanischen Grenze und warten darauf, sie zu überqueren.

Viele der Schiffe mit Flüchtlingen, die versuchen, Europa via Lampedusa zu erreichen, sind gezwungen, sich auf eine gefährliche Reise über libysche Häfen zu begeben. Nach dem imperialistisch-inspirierten "humanitären" Bürgerkrieg des Jahres 2011 zum Sturz des Regimes von Muammar al-Gaddafi, wurde Libyen als Modell für einen Regimewechsel und für "Demokratie" gefeiert, die auch Syrien drohen könnten. Was dabei herausgekommen ist, ist ein kriminelles Regime, dass sich rivalisierende bewaffnete Milizen untereinander aufteilen und in dem Tausende ohne Anklage im Gefängnis sitzen und systematischer Folter unterworfen werden.

Um gegen diese Art der Einreise vorzugehen, arbeitet die Europäische Union mit dem libyschen Regime im Rahmen eines Programms mit dem Namen EUBAM Libyen zusammen, dass einen Finanzhaushalt von dreißig Millionen Euro pro Jahr hat. Im Zentrum wird die Schaffung einer "Strategie für den Grenzschutz" stehen, mit der "der rechtliche und institutionelle Rahmen des Grenzschutzes verbessert werden soll".

Im vergangenen Jahr berichtete Amnesty International, dass Italien im April 2012 ein geheimes Abkommen mit dem damaligen libyschen Nationalen Übergangsrat unterzeichnete, um den "Strom von Migranten zu beschränken". Nicolas Beger von Amnesty kommentierte die Vereinbarung mit den Worten: "Für die EU hat die Sicherung der europäischen Grenzen klar Vorrang vor der Rettung von Menschenleben."

Die 34 Flüchtlinge, die am 11. Oktober ums Leben kamen, weil von einem libyschen Schiff auf sie geschossen wurde, werden nicht die letzten sein, die als Folge geheimer EU Absprachen sterben.

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Quelle:
World Socialist Web Site, 17.10.2013
Nahostkriege verursachen Flüchtlingsströme und Tote bei Flucht übers Mittelmeer
http://www.wsws.org/de/articles/2013/10/17/syri-o17.html
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Oktober 2013