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GLEICHHEIT/4631: Zypern - Sturm auf Banken nach EU-Gipfel


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Zypern: Sturm auf Banken nach EU-Gipfel

Von Stefan Steinberg und Chris Marsden
19. März 2013



Erst am Samstagmorgen einigte sich der EU-Gipfel auf ein stark verkleinertes Rettungspaket für die zypriotischen Banken. Zypern ist damit nach Griechenland, Irland, Portugal und Spanien das fünfte Land, das Hilfe von der Europäischen Union anfordert.

Nur wenige Stunden nach der Entscheidung, eine Steuer auf zypriotische Bankeinlagen zu erheben, um für das Rettungspaket zu bezahlen, zogen Anleger in erheblichem Umfang Geld von den Banken des Landes ab.

Die EU beabsichtigt, durch eine einmalige Steuer von zehn Prozent auf Einlagen von über 100.000 Euro und eine Steuer von 6,75 Prozent für Kleinanleger sechs Milliarden Euro einzunehmen. Wichtige Anleihenbesitzer und Investoren von zypriotischen Staatsschulden werden davon ausgenommen sein.

Das Wirtschaftsmagazin Forbes reagierte darauf mit wütender Kritik an der "Gruppe von EU-Funktionären unter Führung Deutschlands", die "die wohl unerklärlichste und verantwortungsloseste Entscheidung im Bereich der Bankenaufsicht der Industrieländer seit den 1930ern" gefällt habe. Ein weiterer Forbes-Kolumnist gab seinem Kommentar die Überschrift: "Willkommen in der neuen Großen Depression." Business Insider wies auf "zahlreiche Berichte hin, die darauf hindeuteten, dass Deutschland Zypern gesagt hat: 'Beschlagnahmt das Geld Eurer Anleger oder verlasst die Eurozone. Das ist eine schreckliche politische Dynamik, und zeigt genau wie Italien die schlechte politische Gesamtsituation."

Der Gipfel war der erste nach den Wahlen in Italien, in denen die Wähler entschieden gegen den Sparkurs gestimmt hatten, den die Technokratenregierung von Mario Monti und der EU verhängt hatte.

Während es in Italien keine regierungsfähige Mehrheit gibt, appellierte Monti, der weiterhin übergangsweise Staatschef ist, an die EU-Führung, ihren Sparkurs abzumildern, andernfalls würde ihnen das gleiche Schicksal drohen. In einem Brief an den Gipfel erklärte er, das Wahlergebnis zeige, dass die Zustimmung der Bevölkerung zu Reformen und, noch schlimmer, der Europäischen Union, stark abnimmt." Dieser Trend sei, "auch in vielen anderen Mitgliedsstaaten der EU sichtbar."

Jean-Claude Juncker, der Ministerpräsident Präsident von Luxemburg und ehemalige Chef der Euro-Gruppe, warnte zu Beginn des Gipfels: "Ich mache mir große Sorgen um die aktuellen wirtschaftlichen Entwicklungen. Ich schließe nicht aus, dass eine soziale Revolution oder Rebellion droht."

Der französische Präsident Francois Hollande, dessen Popularität durch strenge haushaltspolitische Maßnahmen in beispielloser Geschwindigkeit eingebrochen ist, forderte Nachsicht für Frankreich, nachdem Finanzminister Pierre Moscovici gewarnt hatte, das Vorgehen der EU führe möglicherweise zu "einem Verlust des Vertrauens in Gesellschaft und Politik in ganz Europa."

Aber vor allem Deutschland lehnte jede Veränderung ab. Bundesbank-Chef Jens Weidmann erklärte: "Die Defizitstaaten müssen handeln. Sie müssen etwas gegen ihre Strukturschwäche tun. Sie müssen wettbewerbsfähiger werden und ihre Exporte erhöhen."

Auch der Vorsitzende der Europäischen Zentralbank Mario Draghi sprach sich gegen eine Kursänderung aus. Am Donnerstag wandte er sich in zwei getrennten Reden an die 27 Staatschefs der EU und der siebzehn Mitglieder der Eurozone. Er sprach von der Notwendigkeit einer weiteren Senkung der Produktionskosten und einer Steigerung der Produktivität. Bundeskanzlerin Angela Merkel erklärte, Draghis "hochinteressante" Berichte hätten klargemacht, dass "die mangelnde Produktivität und zu hohe Löhne in einer Reihe von Ländern für die aktuelle hohe Arbeitslosigkeit verantwortlich sind."

Der Internationale Währungsfonds (IWF) schaltete sich ein, um festzustellen, dass nicht weniger Austerität für die Arbeiterklasse nötig sei, sondern mehr Geld für die Banken. Er veröffentlichte am zweiten Tag des Gipfels einen 69-seitigen Bericht, in dem er davor warnte, dass in den Büchern der europäischen Banken noch immer hunderte Milliarden toxische Anleihen liegen würden, und dass weiteres Handeln erforderlich sei, um Europas Finanzsektor zu stärken.

Im Bericht des IWF, der von der EU in Auftrag gegeben worden war, hieß es, dass es Priorität haben sollte, "die Banken und Staaten gleichzeitig in Sicherheit zu bringen."

Letzten Endes konnte Frankreich angeblich für sich selbst und Italien ein Zugeständnis herausholen. In der abschließenden Erklärung des Gipfels hieß es: "Der bestehende Finanzrahmen der EU bietet Möglichkeiten, den Bedarf an staatlichen Investitionen mit dem Ziel der Haushaltsdisziplin im Rahmen des Stabilitäts- und Wachstumspakts auszubalancieren." Die Erklärung fügte jedoch hinzu, dass dieser Freiraum durch die Europäische Kommission und die Mitgliedsstaaten genehmigt werden müsse.

Deutschland trug den Sieg nicht nur deswegen davon, weil es Europas stärkste Wirtschaftsmacht ist, sondern auch, weil sich seine Forderungen eng mit denen der großen Finanzinstitute und internationalen Spekulanten decken.

Wie schon bei all den anderen zahlreichen europäischen Gipfeln, die seit dem Beginn der internationalen Finanzkrise vor fünf Jahren stattfanden, ließen die europäischen Staatschefs auf Druck der Finanzelite hin ihre beschränkten Forderungen nach "Wachstum" fallen oder reduzierten sie auf ein Randthema. Die Unterordnung der EU unter die Banken wurde von EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy zusammengefasst, der erklärte, es sei nicht die Aufgabe einer Regierung, für Arbeitsplätze und Wachstum zu sorgen. "Regierungen können Wachstum und Arbeitsplätze nicht kaufen oder herbeizaubern", erklärte er in seinen abschließenden Bemerkungen.

"Uns ist die Debatte, die wachsende Frustration und sogar die Verzweiflung in der Bevölkerung bewusst", erklärte er vor der Presse. "Wir wissen auch, dass es keine einfachen Antworten gibt. Der einzige Ausweg aus der Krise ist, ihre Wurzeln anzugreifen."

Der Gipfel versprach gehorsam, Maßnahmen durchzuführen, um das europäische Bankensystem zu stärken. In die Abschlusserklärung wurde ein langer Paragraph eingefügt, der einen Zeitplan für Maßnahmen festsetzt, in dem die Rekapitalisierung der Banken zu sichern und ein Sicherheitsnetz für Schuldner zu schaffen sei.

Im Gegensatz dazu ist die einzige konkrete Maßnahme zur Schaffung von Arbeitsplätzen - die Bereitstellung von etwa sechs Milliarden Dollar im Rahmen der Jugendausbildungsinitiative - ein Tropfen auf den heißen Stein - damit werden für jeden jungen Arbeitslosen in der EU etwa 100 Euro bereitgestellt.

Noch vor Beginn des Gipfels warnten mehrere einflussreiche Experten in den internationalen Medien vor einer Katastrophe, sollte es keinen Kurswechsel geben. Peter Speigel fragte in der Financial Times: "Was passiert, wenn eine Wählerschaft sich entscheidet, ihr Staatsoberhaupt abzuwählen, weil sie mit seiner Wirtschaftspolitik nicht übereinstimmen - und dessen Nachfolger gezwungen ist, die gleiche Politik umzusetzen?" Er beschrieb dies als ein "Rezept für eine soziale Explosion."

In Griechenland, Portugal, Spanien und jetzt in Italien haben bereits Millionen gegen Sparmaßnahmen protestiert oder dagegen gestimmt. Dass der EU-Gipfel jetzt die Möglichkeit einer sozialen Explosion in ganz Europa in den Raum stellt, macht sie noch wahrscheinlicher.

Auf dem Gipfel gab es auch verstärkte Spannungen über wichtige außenpolitische Fragen. In der Frage Syrien schloss sich Hollande dem britischen Premierminister David Cameron an und forderte die Aufhebung des EU-Waffenembargos, um die Opposition direkt mit Waffen versorgen zu können. Hollande und Cameron hatten dabei die uneingeschränkte Unterstützung Washingtons. Die Sprecherin des US-Außenministeriums Victoria Nuland erklärte: "Dass Großbritannien und Frankreich die syrische Opposition mit Waffen beliefern wollen, würden wir mit Sicherheit unterstützen... Wir rufen sie dazu auf, diesen Kurs weiter zu verfolgen."

Eine Mehrheit der EU-Staaten, ebenfalls unter Führung Deutschlands, lehnte Hollandes Appell ab. Merkel erklärte: "Die Tatsache, dass zwei Staaten ihre Position geändert haben, bedeutet noch nicht, dass die anderen fünfundzwanzig das ebenfalls tun müssen."

Deutschland wies darauf hin, dass es gefährlich sei, islamische Fundamentalisten zu bewaffnen und einen Krieg in der Region zu schüren. Der Chef des Bundesnachrichtendienstes (BND) Gerhard Schindler, sprach am Samstag von einer Spaltung in der syrischen Opposition und der Anwesenheit zehntausender von Aufständischen, darunter der al-Nusra-Front.

Deutschland unterstützt zwar die Destabilisierung des Regimes des syrischen Präsidenten Bashar al-Assad, konzentriert sich jedoch darauf, Russland in Verhandlungen über eine mögliche Übergangsregierung einzubeziehen, die aus ausgewählten Oppositionellen und Mitgliedern des alten Regimes bestehen würde.

Das Bündnis zwischen Berlin und Moskau zeigte sich bei getrennten Gesprächen über Europas strategische Beziehung zu Russland. Merkel schrieb daraufhin über die Bedeutung der russischen Energiereserven für Europa und erklärte: "Wir sehen Russland als strategischen Partner."

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Quelle:
World Socialist Web Site, 19.03.2013
Zypern: Sturm auf Banken nach EU-Gipfel
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. März 2013