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GLEICHHEIT/4525: Anhörung zu Bradley Mannings Untersuchungshaft beendet


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Anhörung zu Bradley Mannings Untersuchungshaft beendet

Von Naomi Spencer
22. Dezember 2012



Am Dienstag endete die Anhörung vor dem US Militärgericht zur Untersuchungshaft des angeklagten Whistleblowers Bradley Manning mit den Schlussplädoyers der Verteidigung und der Anklage. Der vierundzwanzigjährige Armeegefreite ist seit 928 Tage ohne Gerichtsverfahren inhaftiert.

Manning wurde 26. Mai 2010 festgenommen und beschuldigt, während seiner Arbeit als Geheimdienstanalyst im Irak den größten Geheimnisverrat von militärischen und regierungsamtlichen Verschlusssachen in der Geschichte begangen zu haben. Hunderttausende von Dateien, von denen viele amerikanische Kriegsverbrechen dokumentierten, wurden von der Whistleblower-Organisation WikiLeaks veröffentlicht.

Die neueste Serie von Anhörungen in Fort Meade in Maryland erstreckte sich über zehn Tage. Neben Psychiatern [1] des Militärs, Gefängniswärtern und Gefängnisbeamten [2] trat der Gefreite Manning selbst in den Zeugenstand [3], um zu seiner langen Einzelhaft im Quantico Marine Gefängnis in Virginia auszusagen. Mannings Anwalt David Coombs argumentierte, dass Offiziere in Quantico, die im Auftrag der Obama-Regierung handelten, den jungen Soldaten unter erniedrigenden Bedingungen festhielten, um ihn angeblich davor zu schützen, sich selbst Schaden zuzufügen. Dabei ignorierten sie psychiatrische Empfehlungen, dass Manning weniger streng behandelt werden sollte.

Im Abschlussplädoyer vom Dienstag wiederholte Coombs seine Argumentation. Die Verteidigung behauptete, dass die Misshandlung, die weithin als Folter verurteilt wurde, eine vorgezogene rechtswidrige Bestrafung darstellte und forderte, die Anklagen zurückzuweisen. Die Verteidigung hat auch vorgeschlagen, Mannings Strafe für jeden der 258 Tage, die er in Einzelhaft verbrachte, um zehn Tage zu verkürzen.

"Was hier passiert ist... ist ein schwerer Verstoß gegen die Art und Weise, wie das System funktionieren sollte", stellte Coombs fest. Auf Mannings Haltung bei den Anhörungen verweisend fügte Coombs hinzu "Die Tatsache, dass PFC [Private First Class, unterster Mannschaftsdienstgrad] Mannings geistiger Widerstand nicht gebrochen wurde ist eigentlich höchst verwunderlich". Seine Gelassenheit, die er sich trotz der unmenschlichen Behandlung bewahrte, widerlegt die Behauptung der Regierung, Manning sei psychisch labil.

Die Staatsanwälte der Regierung beharrten darauf, dass das Militär Manning unter strengen Bedingungen inhaftiert habe, weil er selbstmordgefährdet war. Psychiatrische Gutachten standen im starken Widerspruch zu den Behauptungen der Befehlshaber. Im Schlussplädoyer deutete der Chefankläger Major Ashden Fein an, Manning sei möglicherweise an einer gewissen Anzahl Tagen unzulässigerweise als selbstmordgefährdet eingeschätzt worden. Diese könnten vielleicht als je sieben verbüßte Hafttage angerechnet werden. Aber danach erklärte Fein, dass die Regierung eine solche Strafanrechnung anfechten werde.

Am Dienstag erklärte Coombs, einige der Militärvertreter hätten Meineide geleistet. Als Militärrichterin Colonel Denise Lind den Verteidiger aufforderte, das genauer zu erklären, und Coombs bestimmte Aussagen zitierte, nickte Lind angeblich zustimmend.

Manning werden 22 Einzeltatbestände nach dem Spionagegesetz vorgeworfen, darunter "Kollaboration mit dem Feind". Im Falle seiner Verurteilung droht ihm lebenslange Haft.

Der Ausgang des Verfahrens wird gravierende Folgen für die zukünftige Strafverfolgung von Whistleblowern und auf die Behandlung von Medien und Einzelpersonen haben, die vertrauliches Material veröffentlichen. WikiLeaks und sein Gründer Julian Assange sind nach Manning die nächsten Ziele. Die Regierung war nicht in der Lage, ihre Behauptung zu untermauern, dass die Veröffentlichung der durchgesickerten Dokumente zur Stärkung von Al Qaida oder anderer erklärter Feinde der USA geführt oder amerikanische Soldaten das Leben gekostet hätte.

Es wird nicht erwartet, dass Lind noch in dieser Woche ein Urteil fällt und es kann sein, dass sie es erst bei der nächsten Anhörung verkündet. Die eigentliche Verhandlung vor dem Kriegsgericht wurde vom Februar auf den März verschoben.

Die Zeugenaussagen der letzten Tage erbrachten einen weiteren Beweis für die Verfolgung Mannings durch das Militär. Obwohl Gutachten von Psychiatern Manning immer wieder eine gesunde geistige Verfassung attestierten und vorschlugen, ihn aus dem sogenannten Beobachtungsprogramm zur "Vermeidung von Verletzungen" zu nehmen, setzte sich ein Gremium aus drei Quantico Offizieren über ihre Beurteilungen hinweg. Das Gremium trat monatlich in einem "Klassifizierungs- und Zuordnungsausschuss" zusammen, um angeblich die medizinischen Berichte zu überprüfen. Die Zeugenbefragung deckte auf, dass die Beamten das Formular schon im Vorfeld der Sitzungen ausfüllten.

Chief Warrant Officer Denise Barnes sagte aus, dass Mannings ausgedehnte Einzelhaft die Folge seiner eigenen Sturheit gewesen sei. "Er hat mir gegenüber nicht klar gesagt, 'Ich will mich nicht umbringen'", sagte sie. "Wir hatten nicht die Absicht, PFC. Manning zu bestrafen."

Coombs verwies auf die kafkaeske Situation, in die Manning gebracht worden war, und erklärte, "Es ist klar, dass Manning das einzig Vernünftige tat und nicht mehr mit diesen Leuten sprach, weil alles was er sagte, gegen ihn verwendet wurde."

Barnes war die Offizierin, die persönlich anordnete, dass Manning jeden Abend nackt ausgezogen wurde, nachdem er mit einer Erklärung gegen die Absurdität der "Beobachtung zur Vermeidung von Verletzungen" protestiert hatte. Nachdem ihm solche essentiellen Dinge wie Toilettenpapier, ein Kissen und eine Decke verweigert worden waren, sagte Manning, wenn er wirklich selbstmordgefährdet sei, könnte er auch versuchen, sich mit dem Gummiband seiner Unterwäsche das Leben zu nehmen.

"Ich war ein wenig erregt", erklärte Manning bei seiner Zeugenaussage am 29. November. Er erzählte, er habe zu den Wächtern gesagt, "Wenn ich mir wirklich etwas antun wollte, würde ich nicht einfach die Dinge benutzen, die jetzt hier sind, die Unterwäsche, die Flip-Flops? Sie könnten theoretisch auch benutzt werden, um sich selbst oder anderen Schaden zuzufügen. Wo soll das enden? Mit dem Entfernen der Wände? Mit dem Polstermaterial? Endet es mit der Zwangsjacke?"

Barnes erklärte, nachdem sie angeordnet hatte, Manning zur Nacktheit zu zwingen, sei ihr gesagt worden, für zukünftige Änderungen seiner Behandlung werde die Genehmigung eines Drei-Sterne-Generals benötigt. Die Detail-Festlegungen von Mannings Bedingungen wurden auf hochrangige Militärs übertragen, weil seine Misshandlung auf breite Kritik stieß und das Pentagon und das Weißen Haus befürchteten, der Fall könnte zu öffentlicher Empörung führen.

Richterin Lind befragte Barnes zu der Anweisung, Manning die Unterwäsche abzunehmen. Haben andere Militärgefängnisse bei anderen Häftlingen ähnliche Entscheidungen zur Prävention von Verletzungen getroffen? Wurden andere Häftlinge zur Nacktheit gezwungen? Barnes antwortete, dass ihr davon nichts bekannt sei.

Coombs fragte Barnes, ob Manning für dreiundzwanzig Stunden am Tag in seiner Zelle eingesperrt worden sei. Kevin Gosztola zufolge, einem Reporter von Firedoglakes, der bei der Gerichtsverhandlung anwesend war, reagierte Barnes feindselig auf den Verteidigter: "Sie sagte 'nein'". Er fragte dann, wie viele Stunden denn? Sie reagierte frustriert darauf, dass man sie zwang zu sagen, ob es wirklich 22,5 Stunden waren oder nicht, weil sie es nicht wusste.

"Hatte die Zelle Fenster? Nein, sagte sie, 'das liegt daran, wie das Gefängnis gebaut ist'." Barnes bestand auch darauf, dass es überhaupt keine " Einzelhaft" gebe, und stellte angeblich fest: "Die Definition von Einzelhaft bedeutet 'keine Kommunikation in einer Zelle' und die gibt es natürlich nicht."

Auch andere Fälle von Misshandlung kamen zur Sprache. Coombs präsentiert einen E-Mail Verkehr zwischen Oberfeldwebel Craig Blenis und Barnes, in dem Blenis schrieb, dass ein Geburtstagspaket für Manning nicht zugestellt wurde, weil "wir uns wie ein paar Schnüffler vorkamen".

Die Ankläger argumentierten, dass die Gefängnisleitung ihre Entscheidungen nur zum Schutz Mannings getroffen habe, und seine Behandlung nicht so schlimm war, wie die Verteidigung es ihr vorwerfe. Zum Beispiel bestand Staatsanwalt Fein darauf, dass Manning zwischen der Rund-um-die-Uhr-Überwachung im fünf Minuten Takt einige Minuten an "potentieller Privatsphäre" zugestanden worden seien.

Am Montag sagte Army Captain Joseph Casamatta, ein Kompaniechef Mannings beim Militär, zu seinen regelmäßigen Besuchen in Quantico aus. Er erzählte dem Gericht, dass ihm bei seinen zehn Besuchen im Gefängnis nie gesagt worden sei, dass Psychiater des Militärs empfohlen hätten, Manning aus dem Überwachungsprogramm zur Vermeidung von Verletzungen herauszunehmen. Casamatta sagte, dass die Besuche in einer unterteilten Kabine stattgefunden hätten. Manning wurde zu der Kabine geleitet und musste während des Besuchs Fußfesseln tragen.

Obwohl er zunächst nicht sehr gesprächig gewesen sei, sei Manning ihm nie zurückgezogen oder reserviert vorgekommen, sagte Casamatta. Sie hätten einen "guten Draht" zueinander gehabt. Manning habe gerne über Familie, Sport und andere persönliche Interessen gesprochen. Als er von der erzwungenen Nacktheit erfahren habe, sagte Casamatta, habe er deren Notwendigkeit nicht verstanden. Er sagte aus, Manning sei eine "intelligente und wortgewandte Person ... Ich glaube, er hätte solche Gedanken, sich mit seiner Unterwäsche umzubringen, einfach nicht gehabt".

Anmerkungen:
[1] http://wsws.org/articles/2012/nov2012/psyc-n30.shtml
[2] http://www.wsws.org/de/articles/2012/nov2012/mann-n29.shtml
[3] http://wsws.org/articles/2012/dec2012/mann-d01.shtml

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Quelle:
World Socialist Web Site, 22.12.2012
Anhörung zu Bradley Mannings Untersuchungshaft beendet
http://www.wsws.org/de/articles/2012/dez2012/mann-d22.shtml
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Dezember 2012