Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE

GLEICHHEIT/4425: Merkel in Athen


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Merkel in Athen

Von Christoph Dreier
10. Oktober 2012



Die Szenen, die sich während des Staatsbesuchs der deutschen Kanzlerin Angela Merkel in Griechenland auf dem Syntagmaplatz abspielten, zeichnen ein deutliches Bild der Klassenkonfrontation in Europa. 7.000 Polizisten waren aus dem ganzen Land zusammengezogen worden, um Proteste und Demonstrationen zu verhindern und die Wut der griechischen Arbeiter zu unterdrücken. Trotzdem versammelten sich Zehntausende vor dem Parlamentsgebäude.

Schon im Vorfeld der Demonstration hatten Polizisten wie zu Zeiten der Obristen-Diktatur wahllos Leute verhaftet, die ihnen verdächtig erschienen. Immer wieder kam es zu Personenkontrollen. Während auf den Dächern rund um den Platz Scharfschützen positioniert waren, provozierten Einsatzkräfte wiederholt Demonstranten und griffen sie mit Blendgranaten, Tränengas und Gummiknüppeln an. Berichten zufolge wurden mindestens 193 Menschen festgenommen. Eigentlich wollte die Polizei sämtliche Menschenansammlungen im Stadtzentrum verhindern, genehmigte schließlich aber doch eine Demonstration auf dem Syntagmaplatz.

Demonstranten trugen Schilder mit Aufschriften wie "Nein zum Vierten Reich", "Sie sind nicht willkommen, Imperialisten raus" oder "EU und IWF raus". Einige trugen Wehrmachtsuniformen oder verbrannten Hakenkreuzfahnen. Viele Schilder richteten sich direkt gegen den Sparkurs der griechischen Regierung.

Demgegenüber demonstrierten der griechische Regierungschef Andonis Samaras (ND) und Merkel auf der gemeinsamen Pressekonferenz Einigkeit. "Ich möchte mich für den freundlichen Empfang bedanken", sagte Merkel zu Beginn. "Wir sind Partner und wir sind Freunde." Sie lobte den Premier für die Fortschritte bei den Sparbemühungen, machte aber auch klar, dass sie die vollständige Umsetzung des Kürzungsdiktats der EU fordere. Zynisch versprach sie, bereits verabschiedete EU-Strukturhilfen in Höhe von 30 Millionen Euro auf den Weg zu bringen.

Schon am Montag hatten die Finanzminister der Eurozone der griechischen Regierung ein Ultimatum gestellt: sollte das Kabinett die im März ausgehandelten Kürzungen nicht bis zum 18. Oktober umsetzen, werde die nächste Tranche an Hilfskrediten über 31,5 Milliarden Euro nicht ausgezahlt und das Land so in den Bankrott getrieben. Die Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF) Christine Lagarde erklärte: "Handeln heißt handeln - nicht reden."

Konkret fordern Vertreter der Troika aus Europäischer Zentralbank (EZB), IWF und EU-Kommission, dass die griechische Regierung weitere Kürzungen bei Renten, Löhnen und Sozialausgaben in Höhe von 14,5 Milliarden durchsetzt. Die sogenannten Hilfskredite werden hingegen ausschließlich den griechischen und internationalen Banken und Spekulanten zugute kommen.

Sowohl bei der Ausarbeitung des EU-Diktats als auch bei dessen konkreter Umsetzung spielt die Bundesregierung eine zentrale Rolle. Mit Klaus Masuch für die EZB und Matthias Mors für die EU-Kommission sind zwei der drei Troika-Vertreter in Athen Deutsche mit direkter Verbindung zum Kanzleramt. Es gibt zahlreiche Hinweise, dass die Bundesregierung mehrfach direkt intervenierte, um Entscheidungen der Troika zu korrigieren.

Auf der Pressekonferenz forderte Merkel, wie schon die deutschen Troika-Vertreter in den Wochen zuvor, nicht nur Einsparungen, sondern auch sogenannte Strukturreformen umzusetzen. Gemeint sind damit neue Arbeitsgesetze, die niedrigere Löhne, längere Arbeitszeiten, kürzere Pausen und den Abbau von Arbeitnehmerrechten ermöglichen. Auf diese Weise werden ausländische und griechische Unternehmen in die Lage versetzt, sich auf dem Rücken der griechischen Arbeiter weiter zu bereichern. Zudem dienen die schlechteren Arbeitsbedingungen in Griechenland als Hebel zur Zerschlagung der sozialen Standards in ganz Europa. Am Nachmittag traf sich Merkel mit Vertretern der griechischen und deutschen Wirtschaft, um konkrete Pläne in dieser Richtung zu besprechen.

Die Maßnahmen, die in den letzten zwei Jahren in Griechenland von EU und Regierung durchgesetzt wurden, haben bereits zu einer beispiellosen sozialen Katastrophe geführt. Während Löhne und Renten um bis zu 60 Prozent gekürzt wurden, stieg die Arbeitslosigkeit auf über 24 Prozent, unter Jugendlichen sogar auf 55 Prozent. Die Wirtschaftsleistung brach in den letzten vier Jahren um etwa 20 Prozent ein, und für dieses Jahr wurde die erwartete Rezession erst am Montag auf 7,1 Prozent nach oben korrigiert.

Wie Merkel nutze auch Samaras die Pressekonferenz, um diese Klassenpolitik zu verteidigen und voranzutreiben. "Wir erreichen immer mehr Ziele, und das werden wir auch weiterhin tun", sagte der Premier. In devoter Haltung versicherte er dann: "Wir verlangen nicht mehr Geld, auch keine besonderen Zugeständnisse." Wichtig sei nur, dass das Ziele erreicht werde, Griechenland wieder wettbewerbsfähig zu machen.

Bei den sozialen Angriffen der letzten Jahre haben die wechselnden Regierungen in Griechenland eng mit den europäischen Institutionen zusammengearbeitet. Gesteuert von der griechischen Finanzelite setzten sie ein Kürzungsprogramm nach dem anderen durch, die ausschließlich die Armen und Arbeiter trafen, die Wohlhabenden aber vollständig verschonten.

Erst in den letzten Wochen war ans Licht gekommen, dass die Regierung seit Ende 2010 über einen USB-Stick mit Daten von 1.991 Griechen verfügt, die ein Bankkonto bei der Genfer Filiale der HSBC Bank halten. Der Stick war der Regierung von der damaligen französischen Finanzministerin und heutigen IWF-Chefin Christine Lagarde übergeben worden. Diese Liste hätte genutzt werden können, um Steuerhinterziehern auf die Spur zu kommen. Verschiedenen Schätzungen zufolge haben griechische Millionäre bis zu 600 Milliarden Euro auf Schweizer Konten versteckt - eine Summe, die bei weitem die griechischen Staatsschulden übersteigt.

Im Laufe der Affäre sind die engen Verbindungen der politischen Elite Griechenlands mit den Superreichen sichtbar geworden. Denn obwohl die Daten dem Finanzministerium seit zwei Jahren vorliegen, wurden sie nie an die entsprechenden Behörden übergeben. Zeitungen haben jetzt aufgedeckt, dass mindestens 60 Politiker der Regierungsparteien auf dem USB-Stick zu finden sind. Laut der New York Times existiert eine weitere Liste, die die Namen von 54.000 Griechen enthält, die seit Beginn der Krise insgesamt fast 30 Milliarden Euro ins Ausland geschafft haben.

Diese Politik der Bereicherung der Finanzeliten auf Kosten der Arbeiter bildet die Basis für das freundschaftliche Zusammentreffen Merkels mit Samaras. Die Demonstrationsverbote und das brutale Auftreten der Polizei zeigen, dass dieses Vorgehen nicht mehr mit demokratischen Verhältnissen vereinbar ist und dass die europäischen Eliten polizeistaatliche und autoritäre Formen der Herrschaft vorbereiten.

Als am Donnerstag 350 Werftarbeiter vor dem Verteidigungsministerium für neue Aufträge und die Auszahlung ihrer Löhne demonstrierten, griff die Polizei die Arbeiter mit Tränengas und Knüppeln an. Am Sonntag löste die Polizei dann Proteste von Arbeitern der Elektrizitätswerke auf, die sich gegen Steuergeschenke für die Reichen gewandt hatten. 18 Personen wurden festgenommen und inhaftiert.

Der Guardian dokumentierte am Dienstag zudem die Fälle von 15 Demonstranten, die gegen die faschistische Partei Chrysi Avgi demonstriert hatten und anschließend von der Polizei verhaftet und schwer misshandelt worden waren. Schon zuvor war bekannt geworden, dass die griechischen Sicherheitskräfte eng mit den faschistischen Banden zusammenarbeiten, um Arbeiter einzuschüchtern.

Doch das wichtigste Instrument der herrschenden Elite, um den Widerstand der Arbeiter zu brechen, sind zurzeit die Gewerkschaften und pseudolinken Gruppen, die alles daran setzen, die Wut in harmlose Kanäle zu lenken und Illusionen in die EU zu schüren. Diese Organisationen sind in ständigem Kontakt mit Regierungsmitgliedern, um das weitere Vorgehen zu beratschlagen. Zuletzt traf sich am vergangenen Mittwoch die Führung des größten Gewerkschaftsverbandes GSEE mit dem Vorsitzenden der Regierungspartei Demokratisch Linke (DIMAR), Fotis Kouvelis.

Der Vorsitzende der Koalition der Alternativen Linken (SYRIZA), Aleksis Tsipras, beteiligte sich an den Protesten auf dem Syntagmaplatz und forderte lautstark ein Ende der Kürzungen. Zugleich verteidigte er aber die EU, die das wichtigste Instrument der Finanzelite zur Durchsetzung dieser Kürzungen darstellt. In einem Artikel im Guardian forderte er am Montag sogar, dass man die europäischen Institutionen stärken und die EU in eine politische Union verwandeln müsse.

Unterstützt wurde Tsipras vom Vorsitzenden der deutschen Linkspartei, Bernd Riexinger, der sich anlässlich der Einweihung einer Zweigstelle der politischen Stiftung seiner Partei in Athen aufhielt und ebenfalls an der Demonstration teilnahm. Die Linkspartei hat in Deutschland nicht nur die Verabschiedung der Bankenrettungspakete ermöglicht, sondern in Berlin, Brandenburg oder NRW die sozialen Kürzungen selbst gegen die Bevölkerung durchgesetzt. Es verwundert daher nicht, das Riexingers wichtigste Forderung lautete, die deutsche Kanzlerin solle sich auch mit Oppositionsführer Tsipras zu Gesprächen treffen.

*

Bitte senden Sie Ihren Kommentar an: psg[at]gleichheit.de

Copyright 2012 World Socialist Web Site - Alle Rechte vorbehalten

*

Quelle:
World Socialist Web Site, 10.10.2012
Merkel in Athen
http://www.wsws.org/de/2012/okt2012/grie-o10.shtml
Partei für Soziale Gleichheit,
Sektion der Vierten Internationale (PSG)
Postfach 040 144, 10061 Berlin
Telefon: (030) 30 87 27 86, Telefax: (032) 121 31 85 83
E-Mail: psg[at]gleichheit.de
Internet: www.wsws.org


veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Oktober 2012