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GLEICHHEIT/4213: Neuwahlen in Griechenland


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Neuwahlen in Griechenland

Von Christoph Dreier
17.‍ ‍Mai 2012



Am Mittwoch einigten sich die Vorsitzenden aller im griechischen Parlament vertretenen Parteien mit Ausnahme der Faschisten auf Neuwahlen am 17. Juni. Bis dahin wird der höchste Richter des Verwaltungsgerichtshofes, Panagiotis Pikramenos, eine Übergangsregierung leiten. Diese hat laut Verfassung keine Möglichkeit, neue Gesetze zu verabschieden. Sie soll vor allem den geregelten Ablauf der Wahlen gewährleisten.

Mit dem Scheitern der Bemühungen, nach den Wahlen vom 6. Mai eine regierungsfähige Mehrheit zu bilden, hat sich die Krise in Europa weiter verschärft. Nicht nur die griechischen und europäischen Börsen reagierten nervös, auch die Vermögenden in Griechenland zeigten sich besorgt über die Zukunft des Landes und hoben in erhöhtem Maße Geld von den Banken ab. Es gebe keine Panik, aber es gebe eine große Angst, die sich zu einer Panik entwickeln könne, sagte der Chef der griechischen Notenbank.

Bei den Wahlen am 6. Mai hatte sich eine überwältigende Mehrheit gegen die Kürzungspolitik der Europäischen Union ausgesprochen. Davon profitierte insbesondere die Koalition der Radikalen Linken (SYRIZA), die sich im Wahlkampf gegen weitere Einsparungen gewandt hatte und mit 17‍ ‍Prozent als zweitstärkste Partei aus den Wahlen hervorging.

Dieses Votum hat die griechische und europäische Politik destabilisiert. Es gab in der Folge heftige Debatten darüber, wie mit der Opposition gegen das Spardiktat der EU und mit der Verschärfung der Eurokrise umgegangen werden soll.

Die Wiederholung der Wahl wurde notwendig, weil es in den vergangenen anderthalb Wochen nicht gelang, eine Regierungskoalition zu bilden. SYRIZA weigerte sich, mit den bisherigen Regierungsparteien Nea Dimokratia (ND) und PASOK zusammenzuarbeiten, solange sich diese nicht von der bisherigen Kürzungspolitik lossagen.

Zwar hätte auch eine Koalition aus ND, die als stärkste Partei 50 zusätzliche Parlamentssitze erhielt, und PASOK sowie der kleinen SYRIZA-Abspaltung Demokratische Linke (DIMAR) eine Mehrheit gehabt. Doch sowohl der Vorsitzende der ND, Antonis Samaras, als auch DIMAR-Chef Fotis Kouvelis erachteten eine Einbeziehung SYRIZAs für notwendig, um die Opposition gegen die Sparmaßnahmen in den Griff zu bekommen. Sie wollten keine Koalition ohne SYRIZA bilden.

Auch ein Angebot der rechtspopulistischen ND-Abspaltung Unabhängige Griechen, sich an einer Regierung zu beteiligen, wurde ausgeschlagen. Deren Vorsitzender Panos Kammenos hatte anscheinend einen Brief an die Vorsitzenden der anderen Fraktionen geschrieben, in dem er eine Not-Koalition der nationalen Einheit unter der Voraussetzung anbot, dass seine Partei das Verteidigungsministerium übernehmen könne. Spätere Dementis Kammenos', einen solchen Brief verfasst zu haben, erscheinen wenig glaubwürdig.

Vertreter der EU reagierten auf das Scheitern der Koalitionsgespräche, indem sie den Druck auf Griechenland erhöhten. Der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble erklärte im Deutschlandfunk explizit, er werde die von SYRIZA geforderte Neuverhandlung nicht akzeptieren. "Man kann den Kuchen nicht haben und ihn gleichzeitig essen", sagte er. Wenn Griechenland in der Eurozone bleiben wolle, müsse es die bisherigen Vereinbarungen akzeptieren. Dies erfordere eine "handlungsfähige Regierung, die bereit ist, diesen Weg zu gehen".

Auch der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) belehrte die griechische Bevölkerung, wen sie zu wählen habe. "Die Menschen in Griechenland sind mit den Neuwahlen aufgefordert, die Parteien zu wählen, die sich proeuropäisch positionieren und das Ziel verfolgen, Griechenland wettbewerbsfähiger zu machen", sagte BDI-Präsident Hans-Peter Keitel der Rheinischen Post.

Schon nach der Wahl hatten Vertreter der EU deutlich gemacht, dass sie Griechenland eher aus der Eurozone werfen werden, als Zugeständnisse bezüglich des Spardiktats zu akzeptieren. Der deutsche Außenminister Guido Westerwelle hatte damit gedroht, vereinbarte Hilfszahlungen einzustellen und das Land so in den Bankrott zu treiben, sollte es zu einer Einschränkung der Sparpolitik kommen.

Die Logik dieser Drohungen war eindeutig: Entweder das Land akzeptiert die Kürzungspolitik, die zu Massenelend und Arbeitslosigkeit geführt und das Land ruiniert hat, oder es wird zur Wiedereinführung der Drachme gezwungen, was Hyperinflation und eine entsprechende Entwertung der Löhne und Renten zur Folge hätte.

Samaras griff diese Drohungen für seinen Wahlkampf auf, indem er erklärte, nur die ND könne den Verbleib Griechenlands in der Eurozone gewährleisten, indem sie die Sparpolitik fortsetze. "Die kommenden Wahlen sind ein Kampf zwischen linken Kräften des Nihilismus in Einheit mit opportunistischen Populisten auf der einen und der entschlossenen und starken europäischen Front auf der anderen Seite", sagte er.

Schon in der letzten Woche hatte er die kleineren rechten Parteien, die an der Drei-Prozent-Hürde gescheitert und nicht ins Parlament eingezogen waren, zu einem Bündnis aufgerufen. SYRIZA bescheinigte er eine "unglaubliche Arroganz und unfassbare Verantwortungslosigkeit".

Von diesen erpresserischen Manövern hat bisher SYRIZA profitiert, die in Umfragen mit bis zu 27 Prozent an der Spitze liegt. Ihr Führer Alexis Tsipras erklärte die Bildung einer linken Regierung zum Wahlziel, "die die Sparpolitik abbrechen und das Land aus den Ruinen neu aufbauen wird, die die Parteien der Kürzungen hinterlassen haben".

Tsipras und andere Vertreter der Partei betonen aber auch, dass sie auf keinen Fall aus der Eurozone austreten wollen. Sie verbreiten die Illusion, dass es möglich sei, das Spardiktat der EU zu beenden und trotzdem in der Eurozone zu bleiben.

Sie schüren dabei Hoffnungen in europäische Politiker, die den Stabilitätspakt der EU durch einen "Wachstumspakt" ersetzen wollen. So hat der neue französische Präsidenten Francois Hollande erklärt, er wolle Griechenland "ein Zeichen der Hoffnung" senden. "Die griechische Bevölkerung muss wissen, dass wir Wachstumsmaßnahmen vorbereiten, die ihnen helfen werden, in der Eurozone zu bleiben."

Doch ein solcher "Wachstumspakt" würde am Wesen des europäischen Spardiktats nichts ändern. Er würde die Kürzungen bei den Sozialausgaben lediglich durch sogenannte Strukturreformen zur Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit - d.h. durch niedrigere Löhne und flexiblere Arbeitsbedingungen - sowie durch weitere Geldgeschenke an marode Banken ergänzen. Als Vorbild zitieren Hollande und andere Befürworter eines "Wachstumspakts" immer wieder die Agenda 2010 von SPD-Bundeskanzler Gerhard Schröder (1998-2005), die in Deutschland einen umfassenden Niedriglohnsektor geschaffen hat.

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Quelle:
World Socialist Web Site, 17.05.2012
Neuwahlen in Griechenland
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Mai 2012