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GLEICHHEIT/4202: Griechenland - Koalitionsverhandlungen unter dem Diktat der EU


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Griechenland: Koalitionsverhandlungen unter dem Diktat der EU

Von Christoph Dreier
10.‍ ‍Mai 2012



Die griechischen Wahlen am vergangenen Sonntag glichen einer Volksabstimmung gegen die von der EU diktierten Sparmaßnahmen. Die beiden Regierungsparteien PASOK und Nea Dimokratia (ND), die im Namen der EU einen rigorosen Sparkurs durchgesetzt hatten, verloren zwei Drittel ihrer Stimmen. Eine überwältigende Mehrheit stimmte für Parteien, die im Wahlkampf die Kürzungspolitik der EU ablehnten. Zudem enthielten sich mit fast 40 Prozent so viele Menschen wie noch nie der Stimme.

Vertreter der EU reagierten auf das Ergebnis extrem aggressiv. Sie machten klar, dass sie eine Neuverhandlung der Sparbeschlüsse nicht zulassen, sondern das Land eher aus der Eurozone werfen werden. "Griechenland muss klar sein, dass es zu diesem vereinbarten Sanierungsprogramm keine Alternative gibt, wenn es Mitglied der Euro-Zone bleiben will", sagte etwa EZB-Direktoriumsmitglied Jörg Asmussen gegenüber dem Handelsblatt.

Auch EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso drohte dem Land mit einer "ungeordneten Staatspleite", wenn es sich den EU-Beschlüssen widersetze. Der Präsident des Europäischen Parlaments, Martin Schulz (SPD), unterstützte ihn: "Die griechischen Parteien sollten bedenken, dass eine stabile Regierung, die sich an die Absprachen hält, Grundvoraussetzung für weitere Unterstützung der Eurozonen-Länder ist."

Informationen der Süddeutschen Zeitung zufolge sagte die Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds ihren für Mitte Mai geplanten Besuch in Athen ab.

Die EU baut eine dramatische Drohkulisse auf und verlangt, dass sich eine neue Regierung, egal aus welchen Parteien sie sich zusammensetzt, dem EU-Diktat aus Brüssel unterwirft. Anderenfalls drohe ein Staatsbankrott mit katastrophalen Folgen. Renten, Löhne und Sozialleistungen könnten nicht mehr ausbezahlt werden und eine Hyperinflation werde die Ersparnisse und Löhne über Nacht vernichten.

Die Art und Weise, in der EU-Vertreter sich über den Wählerwillen und das Wahlergebnis hinwegsetzen, macht den undemokratischen und diktatorischen Charakter der EU deutlich. Doch keine der Parteien, die am Sonntag für ihre EU-Kritik gewählt wurden, ist auch nur ansatzweise bereit, dem Diktat aus Brüssel ernsthaft entgegenzutreten. Stattdessen wird darüber verhandelt, wie doch noch eine stabile Regierung im Sinne der EU und der herrschenden Klasse in Griechenland zustande kommen kann.

Am Montag hatte zunächst der Vorsitzende der konservativen Nea Dimokratia (ND), Antonis Samaras, das Mandat zur Regierungsbildung erhalten. Die ND war bei den Wahlen knapp stärkste Partei geworden. Doch sie stellt aufgrund des undemokratischen Wahlgesetzes, das der stärksten Partei fünfzig zusätzliche Parlamentssitze zuordent, mehr als ein Drittel der Abgeordneten. Zusammen mit dem bisherigen Koalitionspartner PASOK erreicht sie sogar 149 der 300 Sitze.

Trotz dieser komfortablen Position bemühte sich Parteichef Samaras am Montag nicht ernsthaft darum, eine weitere Partei für eine Regierung zu gewinnen. Schon nach wenigen Stunden erklärte er das Vorhaben für gescheitert und bat den Präsidenten, den Zweitplatzierten, Alexis Tsipras von der Koalition der Radikalen Linken (SYRIZA), mit der Regierungsbildung zu beauftragen.

Am Mittwochabend meldeten Medien, auch Tsipras' Bemühungen seien gescheitert, er wolle sein Sondierungsmandat am Donnerstag zurückgeben. Eine offizielle Bestätigung blieb allerdings aus. In diesem Fall - oder spätestens Freitagnachmittag - erhält Evangelos Venizelos (PASOK) als Vorsitzender der drittstärksten Fraktion das Verhandlungsmandat. Gelingt auch ihm keine Regierungsbildung, erfolgen letzte Verhandlungen aller Parteien mit Staatspräsident Karolos Papoulias.

Diesen Verhandlungen käme eine große Bedeutung zu, da im Falle eines Scheiterns die Wahl wiederholt wird. Daran kann die Nea Dimokratia wenig Interesse haben, da bei diesen Neuwahlen die Begünstigung der stärksten Partei mit 50 Extrasitzen wegfällt, was für sie einen hohen Verlust zur Folge hätte.

Dass Tsipras das Verhandlungsmandat überhaupt übernahm, ist bemerkenswert. Er bemühte sich offenbar, einen politischen Mechanismus zu schaffen, um die wachsende Empörung in der Bevölkerung unter Kontrolle zu halten und gleichzeitig die von der EU geforderten Kürzungen durchzusetzen - vielleicht etwas anders verpackt. Darauf deutet auch seine Ankündigung hin, sich noch während der Koalitionsverhandlungen mit dem neuen französischen Präsidenten François Hollande treffen zu wollen, um mit ihm Alternativen zum Fiskalpakt zu diskutieren.

Zunächst bemühte sich Tsipras um eine so genannte linke Mehrheit aus SYRIZA, dessen rechter Abspaltung Demokratische Linke (DIMAR) und der Kommunistischen Partei (KKE). Um eine Mehrheit zu erlangen, müsste eine solche Koalition aber von der PASOK und den Rechtspopulisten der Unabhängigen Griechen unterstützt werden.

Da die Vorsitzende der Kommunistischen Partei (KKE), Aleka Papariga, bereits am Dienstag erklärte, dass sie zu keiner Koalition mit SYRIZA bereit sei, bleibt Tsipras als einzige Option eine Zusammenarbeit mit der konservativen ND, die sich deutlich zum Sparkurs der EU bekennt und ihn während ihrer Regierungszeit durchgesetzt hatte.

Nach der Absage der KKE unterbreitete Tsipras sowohl der ND als auch PASOK ein Angebot zur Zusammenarbeit. Er forderte sie dazu auf, einen Brief an die EU-Kommission zu schreiben, in dem sie ihre Zustimmung zu den Sparbeschlüssen rückgängig machen. Nur auf dieser Grundlage könnten die Bedingungen neu verhandelt werden.

Außerdem legte er einen Fünf-Punkte-Plan vor, der die Grundlage für die Koalitionsgespräche bilden solle. Sie beinhalten den Stopp bevorstehender Sozialkürzungen und Angriffe auf Tarifverträge, eine Änderung des Wahlrechts, eine öffentliche Überprüfung der griechischen Banken sowie eine Untersuchung der griechischen Staatsschulden, um herauszufinden, welche Anleihen "sittenwidrig" seien.

Dieser Plan zeigt, was Tsipras vorhat. Im Wahlkampf hatte SYRIZA noch angekündigt, alle Kürzungen rückgängig machen zu wollen. Jetzt fordert sie nur noch, zukünftige Kürzungen vorläufig zu stoppen. Vor allem basiert der Plan auf der Anerkennung der EU. Trotz ihrer Kritik an den Sparmaßnahmen hat SYRIZA immer wieder betont, dass sie unter keinen Umständen einen Austritt aus der EU wolle.

Doch die Anerkennung der EU hat ihre eigene Logik und bedeutet die Anerkennung des Diktats der Troika. Während sich die EU-Institutionen über jedes demokratische Votum hinweg setzen und den Abgeordneten offen drohen, will sich Tsipras mit ihnen an einen Tisch setzen. Seine Behauptung, man könne mit ihnen die Bedingungen der Sparmaßnahmen neu verhandeln, ist ein bewusstes Täuschungsmanöver.

Dass Tsipras bereit ist, mit der ND und PASOK über eine Regierungskoalition zu verhandeln, zeigt, dass es ihm vor allem darum geht, eine stabile Regierung zu bilden, die in der Lage ist, die geforderten Kürzungen durchzusetzen. Dabei wird er sich wie zuvor die PASOK auf die Gewerkschaften stützen, mit denen er bereits am Mittwoch Gespräche darüber geführt hat.

Venizelos kann nun Tsipras' Sondierungen nutzen, um eine regierungsfähigen Mehrheit zusammenzubringen. DIMAR hat bereits angedeutet, dass sie zu einer Koalition mit PASOK und ND bereit sei. "Die Situation in Griechenland ist sehr kritisch und ich glaube, dass die Parteien alle Möglichkeiten nutzen sollten, um Neuwahlen zu vermeiden", sagte ihr Sprecher Gerasimos Georgatos.

Scheitert auch Venizelos, kann sich Samaras, dessen ND mit 108 von 300 Parlamentssitzen praktisch eine Sperrminorität hat, in der letzten Verhandlungsrunde auf die Vorarbeit von Tsipras stützen, um eine Regierung zu bilden - mit oder ohne Beteiligung von SYRIZA.

Deren Vorgehen folgt einem bekannten Muster. Die Linkspartei in Deutschland oder Rifondazione Communista in Italien hatten sich ebenfalls an Regierungen beteiligt, die heftige Sozialkürzungen durchsetzten.

Historisch ist SYRIZA aus einer Abspaltung von KKE und Eurokommunisten hervorgegangen und hat sich an zahlreichen Kooperationen und Koalitionen mit PASOK auf regionaler Ebene beteiligt. Sie stützte sich bisher vornehmlich auf bessergestellte, meist akademische Mittelschichten und konnte bei den jüngsten Wahlen breitere Schichten von den Kürzungen betroffener Kleinbürger für sich gewinnen. Laut Süddeutsche Zeitung lag ein Schwerpunkt der Wählerschaft unter Klinikärzten, Apothekern und vor allem Beamten, die bei früheren Wahlen noch der PASOK die Stimme gegeben hatten.

Zweifelsfrei drückt sich in den Stimmenzuwächsen für SYRIZA die tiefe Opposition dieser Schichten und breiter Teile der Bevölkerung gegen die soziale Konterrevolution aus, wie sie in den letzten Jahren von EU und griechischer Elite vorangetrieben wurde. Doch die Anerkennung der EU und die Bereitschaft mit allen anderen Parteien zusammenzuarbeiten macht den rechten bürgerlichen Charakter dieser Partei bereits deutlich.

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Quelle:
World Socialist Web Site, 10.05.2012
Griechenland: Koalitionsverhandlungen unter dem Diktat der EU
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Mai 2012