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GLEICHHEIT/4010: Obama unterzeichnet Polizeistaats-Gesetz


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Obama unterzeichnet Polizeistaats-Gesetz

Von Patrick Martin
4. Januar 2012


US-Präsident Obama hat am Silvestertag den National Defense Authorization Act (NDAA) unterzeichnet. Mit diesem Gesetz stellt er der amerikanischen Kriegsmaschinerie den ungeheuren Betrag von 662 Millionen US-Dollar zur Verfügung. Gleichzeitig enthält es nie dagewesene Einschnitte in demokratische Rechte. Das amerikanische Militär darf zukünftig Bürger jeglicher Nationalität irgendwo auf der Welt ergreifen und sie ohne Gerichtsverhandlung auf unbestimmte Zeit inhaftieren.

Demokratische und republikanische Abgeordnete des Kongresses haben den NDAA im November und im Dezember sowohl im Abgeordnetenhaus, als auch im Senat ratifiziert. Alle Bemühungen, die weitreichenden Befugnisse des Präsidenten einzugrenzen, sind zunichte gemacht worden. Wie der republikanische Senator Lindsey Graham während der Kongressdebatte betonte, definiert das neue Gesetz die ganze Welt als Schlachtfeld gegen Al Qaida und macht jeden Menschen auf diesem Planeten zum potenziellen Gefangenen des US-Militärs.

Der NDAA hebt damit praktisch das älteste demokratische Recht auf, den Habeas-Corpus-Akt. Er untersagt willkürliche Verhaftungen und verlangt, dass eine Regierung vor der Festnahme eines Menschen juristisch hieb- und stichfeste Beweise vorlegt. Dieses Recht wurde zuerst in England im Mittelalter gewährt. Die Englische Revolution, die die Machtwillkür der Monarchie zerschlug und die Hoheit des Parlaments etablierte, erhob das Recht im 17. Jahrhundert in den Rang eines Gesetzes.

Unter dem DNAA kann der Präsident der USA Staatsbürger jedes Landes verhaften und lebenslang in Militärgewahrsam nehmen lassen. Das Gesetz definiert "Zielpersonen" folgendermaßen: "Wer Mitglied von Al Qaida, den Taliban oder verbündeten Kräften ist oder Kräfte unterstützt, die sich an feindlichen Akten gegenüber den USA oder ihren Verbündeten beteiligen, einschließlich aller Personen, die kriegerische Akte begangen oder feindlichen Kräften aktiv geholfen oder diese unterstützt haben".

Diese Definition geht weit über die der Terroristen hinaus, die an den Anschlägen vom 11. September beteiligt und erklärtes Ziel der Bush- und der Obama-Regierung in ihrem "Krieg gegen den Terror" waren. Sie gilt für jeden Menschen, der sich in den Augen des Präsidenten "an Feindseligkeiten gegen die USA oder ihre Koalitionspartner beteiligt". Hierzu könnten kurdische Separatisten in der Türkei (als Nato-Verbündetem) gehören, palästinensische Demonstranten in Israel, an der Westbank oder im Gazastreifen oder jeder, der sich den US-Kriegen in Afghanistan, Pakistan, dem Jemen und Somalia oder weiteren von Obama oder seinen Nachfolgern angezettelten Kriegen widersetzt.

Hierzu könnten Jugendliche gehören, die auf dem Tahrir-Platz gegen die ägyptische Militärdiktatur (den zweitgrößten Empfänger von US-Militärhilfe und Schlüsselverbündeten der USA) kämpfen, aber auch Arbeiter, die gegen die Regierungen Griechenlands, Spaniens oder Italiens (alles Nato-Verbündete der USA) streiken. Ebenfalls all jene, die sich der Stationierung von US-Militärkräften irgendwo auf der Welt widersetzen, zum Beispiel in Australien, wo Obama erst kürzlich die Stationierung von 2500 US-Marines angeordnet hat.

Genauso gut könnten amerikanische Gegner von US-Militäraktionen betroffen sein, darunter Bürger, die sich gegen die Repressalien durch militärische Geheimdienste wenden. Sprecher der politischen Rechten haben mehr als einmal versucht, Anti-Kriegs-Gruppen und Occupy-Wall-Street-Demonstranten als Verbündete von Terroristen anzuschwärzen, um sie zu potenziellen Zielen militärischer Inhaftierung zu machen.

Die US-Regierung legt wie ihre Vorgängerin mit voller Unterstützung der Bundesgerichte ziemlich großzügig aus, was sie unter "materieller Unterstützung" von Menschen versteht, deren politische Aktivitäten auf irgendeine Weise mit den Handlungen angeblich "terroristischer" Organisationen in Verbindung stehen. In mehreren Fällen hat die Obama-Regierung Ermittlungen wegen "materieller Hilfe" gegen Menschenrechtsaktivisten aufgenommen, die nationale Befreiungsbewegungen gegen US-gestützte Regierungen in der Frage beraten haben, wie man vom Guerillakrieg zur Politik parlamentarischer Wahlen übergeht.

Die American Civil Liberties Union (ACLU, amerikanische Bürgerrechtsvereinigung) hat Obamas Unterzeichnung des Gesetzes scharf verurteilt. Obama "wird für immer als der Präsident im Gedächtnis bleiben, der ein Gesetz zur unbegrenzten Inhaftierung ohne Anklage oder Prozess unterzeichnet hat", sagte ACLU-Direktor Anthony Romero und fügte hinzu: "Jegliche Hoffnung, die Obama-Regierung werde die verfassungsrechtlichen Exzesse von George Bush im Krieg gegen den Terror zurücknehmen, ist heute erloschen."

Obama hat versucht, die Auswirkungen dieses massiven Angriffes auf demokratische Rechte zu verschleiern, indem er bei der Unterzeichnung des Gesetzes behauptete, er lehne dessen Anwendung ab. Diese nichtssagende Erklärung aus dem Weißen Haus unterstreicht nur die doppelzüngige Strategie der Wiederwahlkampagne Obamas. Er wird nach außen versuchen, pressewirksam auf Jugendliche, Minderheiten und die allgemein verbreitete Anti-Kriegs-Stimmung im Lande einzugehen, während er in Wahrheit eine noch militaristischere und anti-demokratischere Politik als sein Vorgänger Bush verfolgt.

In seiner Erklärung zur Unterzeichnung des Gesetzes behauptete Obama, er habe "ernste Vorbehalte gegen gewisse Regelungen, die Inhaftierung, Verhöre und Verfolgung verdächtiger Terroristen betreffen". Er fuhr fort: "Ich möchte klarstellen, dass meine Regierung die zeitlich unbegrenzte militärische Inhaftierung von US-Bürgern ohne Prozess nicht autorisieren wird. In der Tat glaube ich, dass dies einen Bruch mit unseren wichtigsten Traditionen und Werten als Nation darstellen würde."

Die Worte sind sorgfältig gewählt. Obama gibt zu, dass der NDAA die Zurückweisung demokratischer Traditionen bedeutet, die auf die Amerikanische Revolution und den Bürgerkrieg zurückgehen. Er gibt ein ziemlich eingeschränktes Versprechen - keine Militärhaft ohne Prozess für US-Bürger - das aber für keinen Nachfolger bindend ist und von ihm selbst ebenso leicht gebrochen werden kann wie sein Versprechen, das Konzentrationslager Guantanamo zu schließen.

So bleibt die Tatsache, dass Obama durch seine Unterschrift das Recht erhält, amerikanische Bürger in Zukunft auf unbestimmte Zeit zu inhaftieren und dass auch zukünftige Präsidenten dieses Recht haben werden. Das kommt einem Freibrief zur Abschaffung von habeas corpus gleich, wobei der Bruch demokratischer Rechte einzig und allein von der Willkür der Exekutive abhängt.

Obama hat sich ohnehin schon ein viel weitergehendes Recht zugestanden - das "Recht", jeden amerikanischen Bürger, den er als "Feind im Gefecht" ansieht, ohne Gerichtsverfahren oder Anklage zu ermorden. Das Weiße Haus hat die Drohnen-Hinrichtung von Anwar al-Awlaki vor vier Monaten mit der Behauptung autorisiert, der in den USA geborene Prediger sei ein Al-Qaida-Führer auf der arabischen Halbinsel. Ein paar Wochen später wurde Awlakis sechzehnjähriger Sohn, ebenfalls US-Bürger, auf die gleiche Art und Weise von der CIA umgebracht.

In der Erklärung des Weißen Hauses zur Gesetzesunterzeichnung wurden insbesondere die "Einschränkungen der Exekutive beim Transfer von Gefangenen in ein fremdes Land" kritisiert. Die Obama-Regierung hat die Praxis der "außerrechtlichen Überstellungen" fortgesetzt - die Verlegung von Personen, die durch das US-Militär oder Geheimdienste in Übersee verhaftet wurden, zum Zwecke der Folter und Verhören in Drittländer.

Obama lehnt auch jegliche Behinderungen des US-Militärs bei der Auslieferung afghanischer Gefangener an die afghanische Regierung ab - ein weiterer Fall, bei dem Verhöre und Folter einfach an andere delegiert werden.

Es besteht eine direkte Beziehung zwischen dem Hauptziel der NDAA - der Autorisierung und Finanzierung aller Pentagon-Aktivitäten für 2012 - und den Abschnitten über die militärische Inhaftierung von Gefangenen sowohl innerhalb als auch außerhalb der Vereinigten Staaten. Das Gesetz schließt neue US-Sanktionen gegen den Iran ein, die darauf abzielen, die Ölexporte des Landes abzuwürgen - ein Akt von Handelskrieg. Gleichzeitig werden die weltweiten Aktivitäten des US-Imperialismus finanziert. Das Gesetz zeigt, dass Militarismus und Aggressionskriege nach außen mit autoritärer Herrschaft und Diktatur im Inneren Hand in Hand gehen.


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Quelle:
World Socialist Web Site, 04.01.2012
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Januar 2012