Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE

GLEICHHEIT/3672: Indien - Wahldebakel für die stalinistische Left-Front bei den Landtagswahlen


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Indien:
Wahldebakel für die stalinistische Left-Front bei den Landtagswahlen

Von Keith Jones
27. Mai 2011


Die stalinistische KPM, die Kommunistische Partei Indiens (Marxisten) und ihre Linke Front haben im April und Anfang Mai in einer Reihen von Wahlen in verschiedenen indischen Bundesstaaten vernichtende Niederlagen erlitten. Am 13. Mai wurden deren Ergebnisse bekannt gegeben.

Die stalinistische Linke Front war in Westbengalen fest verankert und hat dort in den letzten vierunddreißig Jahren regiert. Jetzt hat sie gerade einmal ein Fünftel der Parlamentssitze gewonnen. Der westbengalische Kabinettschef und Politbüromitglied der Kommunistischen Partei Indiens (Marxisten) Buddhadeb Bhattacharjee, Finanzminister Asim Dasgupta und vierundzwanzig weitere Minister aus dem vierunddreißigköpfigen Kabinett der Linken Front verfehlten ihre Wiederwahl. Bei einer Rekordwahlbeteiligung von fast fünfundachtzig Prozent fiel der Anteil der Linken Front gegenüber den Wahlen von 2006 um neun Prozentpunkte.

Im Bundesstaat Kerala, der anderen Wählerhochburg der KPM, wurde die Linke Demokratische Front (der lokale Ableger der Linken Front) nach einer einmaligen, fünfjährigen Amtszeit besiegt.

Nach diesem Umschwung bleiben die KPM und ihre linken Verbündeten in nur einem einzigen Bundesstaat der Indischen Union, dem kleinen Tripura, an der Macht. Vor zwei Jahren widerfuhr der Linken Front ein ähnliches Debakel bei den nationalen Wahlen. Im Lok Sabha, der unteren und bedeutungsvolleren Kammer des indischen Zweikammerparlaments, verlor sie mehr als die Hälfte ihrer Sitze.

Die großen indischen Konzerne begrüßen die Niederlage der Stalinisten. Am Freitag schossen die wichtigsten Aktienindizes Indiens in die Höhe. Es wird erwartet, dass die von der Kongresspartei geführte nationale Regierung verstärkt marktwirtschaftliche Reformen durchführen wird, einschließlich von Privatisierungen und Einschränkungen im Arbeitsrecht, und dass die neue Regierung des Trinamul Kongress (TMC, Gesamtindischer Graswurzel-Kongress) in Westbengalen die kapitalistische Restrukturierung vorantreiben wird, angefangen bei Maßnahmen zur drastischen Reduzierung des Defizits im Staatshaushalt.

Es wird allgemein angenommen, dass der siegreiche Kandidat vom Trinamul Kongress, Amit Mitra, langjähriger Generalsekretär einer der bedeutendsten Wirtschaftslobbyistengruppe, nämlich der indischen Industrie- und Handelskammer, Westbengalens neuer Finanzminister werden wird.

Die Wahlniederlagen der Stalinisten stellen aber keineswegs ein Mandat für eine Rechtswende der Politik dar. Sie sind Ausdruck der breiten Ablehnung ihrer "investorfreundlichen" Politik und ihrer führenden Rolle bei der Umsetzung der Pläne der indischen Bourgeoisie, Indien in einen Lieferanten billiger Arbeitskräfte für den Weltkapitalismus zu verwandeln.

Bei den nationalen Wahlen von 2004 gewann die Linke Front mehr Sitze als je zuvor. Anschließend benutzte sie ihren gewachsenen Einfluss, um der Kongress Partei, der traditionellen Regierungspartei der indischen Bourgeoisie, bei der Bildung einer Koalitionsregierung zu helfen. Vier Jahre lang, vom Mai 2004 bis Juni 2008, unterstützte die Linke die kleinere, von der Kongress Partei gesteuerte United Progressive Alliance (UPA) mit ihrer Parlamentsmehrheit. Dies tat sie sogar dann noch, als sie zugeben musste, dass deren Politik sich nur wenig von der Politik der Vorgängerregierung unterschied, die von der rechtskonservativen, hindunationalistischen Bharatiya Janata Partei (BJP) geführt wurde.

Inzwischen verfolgte die Linke Front in Westbengalen eine Politik, die sie selbst als "investorfreundlich" beschreibt. Dazu gehören auch ein Verbot von Streiks in IT- und IT-nahen Industriezweigen, das Schließen oder Verkaufen von "kranken" Staatsbetrieben und die Vergabe von Zuwendungen an die großen Konzerne in Form von Steuernachlässen. Sie setzte Polizei und gewalttätige Schlägertrupps ein, um den Widerstand der Bauern gegen ihre Zwangsenteignungen zugunsten von Sonderwirtschaftszonen und anderen Projekten der großen Konzerne zu unterdrücken.

Dieser Rechtsschwenk bereitete den Boden für den Trinamul Kongress, eine rechte, auf Bengalen beschränkte Abspaltung der Kongresspartei, die auf populistische Weise an die Unzufriedenheit der Bauern und die weit verbreitete Wut über den Mangel an Arbeitsplätzen und die Korruption der Regierung appelliert.

Dieses zynische Manöver wurde von verschiedenen pseudo-sozialistischen Organisationen, darunter der Kommunistischen Partei Indiens (Maoisten) unterstützt. Diese hatte einen Stammesaufstand in den Dschungel- und Hochlandregionen von Ostindien und in Teilen von Westbengalen angeführt. Im Namen des Kampfs gegen die von ihnen als "sozialfaschistisch" bezeichnete KPM akzeptierten diese Organisationen die TMC als "progressiven Verbündeten" bei der Mobilisierung der Bauern gegen die von der Regierung der Linken Front durchgeführten Landenteignungen in Nandigram und Singur. Und sie unterstützten die TMC weiter - die KPI (Maoisten) gingen dabei so weit, die Führerin der TMC Mamata Banerjee zu unterstützen, die Ministerpräsidentin von Westbengalen werden wollte, nachdem die TMC sich der von der UAP geführten Kongresspartei angeschlossen hatte.

Während des gerade zu Ende gegangenen Wahlkampfes spielte die TMC sich als Freund der Armen auf, während sie den großen Konzernen auf jede erdenkliche Weise signalisierte, dass sie die Ausgaben kürzen und eine marktfreundliche Politik durchführen werde, sobald sie an die Regierung kommt.

Der TMC hat nun 184 von 294 westbengalischen Parlamentssitzen inne. Aber kein Zweifel, Banerjee erwartet Widerstand aus der Bevölkerung, wenn erst einmal die wirkliche Agenda der TMC sichtbar wird. Daher hat die TMC Chefin gesagt, sie wünsche, dass die Wahlkampfverbündeten des TMC - die Kongresspartei und das Socialist Unity Centre of India - der Regierung beitreten.

Die Kongresspartei feiert die Landtagswahlergebnisse als Rechtfertigung für ihre Politik. In einer Rede vom Freitag verspottete Pranab Mukherjee, der UPA Finanzminister und eigentliche Chef der Kongress Partei in Westbengalen, die Linke und die offizielle Opposition von der BJP und forderte, sie sollten ihre Anstrengungen zur "Destabilisierung" der UPA Regierung einstellen. Dies war ein Hinweis auf die Initiative für ein Misstrauensvotum wegen steigender Energiepreise, das die Linke im vergangenen Jahr unterstützte, und gegen das die UPA um ihr Überleben kämpfte, sowie auf die jüngsten parlamentarischen Angriff der Oppositionsparteien.

Mukherejee wies darauf hin, dass die BJP weniger als zehn Sitze gewonnen hat. Insgesamt ging es um mehr als achthundert Parlamentssitze bei den Wahlen in den Bundesstaaten Westbengalen, Assam und Kerala und Tamil Nadu, sowie einem Unionsterritorium (Puducherry) in Südindien. Als Partei, die ihre Wurzeln im Hindi Gürtel Nordindiens und im westlichen Indien hat, hat es die BJP nicht geschafft, eine bedeutende Kraft im indischen Süden außerhalb Karnatakas zu werden. In Assam und Westbengalen, dem Bundesstaat mit der viertgrößten Bevölkerung, lief sie schon immer unter ferner liefen.

Wenn der Kongress sich brüsten kann, dann nur wegen der Schwäche seiner wichtigsten landesweiten politischen Gegner.

Die Wahlergebnisse sind weit davon entfernt, für die Kongresspartei und die UPA rundum positiv zu sein.

In Kerala schaffte es die vom Kongress geführte Vereinigte Demokratische Front nur knapp, die Linke zu besiegen. Sie gewann 72 Sitze gegenüber den 68 der Linken Demokratischen Front. Sie erreichte einen Stimmenanteil von 46 Prozent gegenüber 45 Prozent für die Linken.

In Tamil Nadu erlitten die Kongress Partei und ihr UPA Partner, die DMK, eine demütigende Niederlage durch den Erzrivalen der DMK, die mit ihr rivalisierende regionale Partei AIADMK.

Die DMK, die seit 2006 eine Minderheitsregierung mit Unterstützung durch die Kongresspartei stellte, musste den Verlust von mehr als einem Viertel ihrer Parlamentsabgeordneten hinnehmen. Die Kongresspartei ihrerseits gewann nur fünf Sitze in dem 234-köpfigen Parlament Tamil Nadus.

Im Wahlkampf warben DMK und der Kongress mit dem jüngsten Wirtschaftswachstum inklusive der deutlichen Ausweitung der Produktion. Aber wie überall in Indien geht das Wirtschaftswachstum mit einer größeren wirtschaftlichen Unsicherheit und ständig wachsender sozialer Ungleichheit einher. Im vergangenen Jahr ging die Landesregierung von der DMK mit polizeilicher Repression und mit ihrer arbeitgeberfreundlichen Arbeiterfront, gegen eine Welle von Streiks vor.

Die Allianz zwischen DMK und der Kongresspartei litt auch unter dem sogenannten 2G Skandal - dem Verkauf von Telekommunikationsfrequenzen zu Schleuderpreisen, in vielen Fällen an Briefkastenfirmen, die sie an andere Unternehmen weiterverkauften. A. Raja, der mittlerweile entlassene Unionsminister für Telekommunikation, dem die Aufsicht über die 2G Verkäufe oblag, gehört zur Führungsriege der DMK. Ebenfalls in den 2G-Skandal verwickelt und jetzt wegen Korruption angeklagt, ist Kanimozhi, eine Abgeordnete der DMK und Tochter des scheidenden DMK Kabinettschefs M. Karunanidhi.

In Puducherrry, einem Gebiet, das aus ehemaligen kolonialen Enklaven Frankreichs im Süden Indiens besteht, wurde die lokale Kongress-Regierung abgelöst durch ein Wahlbündnis der AIADMK mit einer neuen Partei, der "N. Rangasamy Kongress", die von einem abtrünnigen Kongress-Führer ins Leben gerufen wurde.

Abgesehen von Westbengalen, wo sie hauptsächlich Juniorpartner des TMC war, konnte die Kongresspartei ihren Stimmanteil nur in Assam deutlich erhöhen. Dort erhielt die Kongresspartei zum dritten Mal in Folge den Regierungsauftrag. Sie gewann die Mehrheit der Landtagssitze, dieses Mal gegen eine Opposition, die von national-ethnischen, kommunalistischen und dem Kastensystem anhängenden Parteien dominiert wurde.

In Tamil Nadu, haben die stalinistischen parlamentarischen Zwillingsparteien, die KPM und die maoistische Kommunistische Partei Indiens (KPI) eine Handvoll neuer Sitze hinzugewonnen, weil sie sich an den Rockzipfel ihres Wahlpartners und ehemaligen Verbündeten, die rassistische Hindu Partei BJP, die AIADMK, gehängt haben.

Als die AIADMK zum letzten Mal an der Regierung war, ging sie gewaltsam gegen die Arbeiterklasse vor, benutzte Streikbrecher und Massenentlassungen, um einen Streik von 200.000 Arbeitern des öffentlichen Dienstes niederzuschlagen. Die Stalinisten jedoch huldigten der AIADMK als einer "fortschrittlichen Alternative" zur DMK und halfen deren Führer, dem launischen Ex-Filmstar Jayalalitha, sein öffentliches Ansehen wieder aufzupolieren. In den letzten Monaten drängten die Führer der sich an der KPM orientierenden indischen Gewerkschaften (CITU) die Arbeiter wiederholt dazu, von militanten Streiks abzusehen. Dazu verbreiteten sie die Lüge, dass sich die Lage für die Arbeiter nach den Wahlen verbessern werde - das heißt, wenn die AIADMK wieder in die Regierung gewählt würde.

Die KPM hat auf ihre Niederlage in Westbengalen reagiert, indem sie verkündete, sie sei bereit, mit der neuen TMC-geführten Regierung zusammenzuarbeiten. "Wir akzeptieren die Ergebnisse in Demut", erklärte das KPM Politbüromitglied Brinda Karat. "Wir werden eine verantwortungsbewusste Opposition im Land sein".

Die Ankündigung, "Verantwortung zu übernehmen", hat eine ganz bestimmte Bedeutung. Die KPM wird den ihr verbliebenen Einfluss, den sie aufgrund ihrer Parlamentssitze und ihrer Kontrolle über den Gewerkschaftsapparat der CITU behalten hat, benutzen, um den Widerstand gegen die neue rechte Regierung zu unterdrücken, der schon bald in der Arbeiterklasse aufbrechen wird.


*


Bitte senden Sie Ihren Kommentar an: wsws@gleichheit.de!.

Copyright 1998-2011 World Socialist Web Site - Alle Rechte vorbehalten


*


Quelle:
World Socialist Web Site, 27.05.2011
Indien: Wahldebakel für die stalinistische Left-Front bei den Landtagswahlen
http://www.wsws.org/de/2011/mai2011/indi-m27.shtml
Deutschland: Partei für Soziale Gleichheit
Postfach 040144, 10061 Berlin
Tel.: (030) 30 87 24 40, Fax: (030) 30 87 26 20
E-Mail: info@gleichheit.de
Internet: www.wsws.org


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Mai 2011