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GLEICHHEIT/3632: Aussöhnung zwischen Fatah und Hamas - Folge von Ägyptens strategischer Umorientierung


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Aussöhnung zwischen Fatah und Hamas - Folge von Ägyptens strategischer Umorientierung

Von Jean Shaoul
3. Mai 2011


Am Mittwoch gab Ägypten bekannt, dass die rivalisierenden palästinensischen Parteien Fatah und Hamas sich auf ein "Versöhnungsabkommen" geeinigt hätten. Wie es heißt, wollen sie eine gemeinsame Interimsregierung bilden und nach weiteren Gesprächen in Kairo ein Datum für Wahlen festlegen.

Ägypten versucht schon seit längerem, ein Abkommen zu vermitteln, aber dass dies gerade jetzt gelingt, hat mit der außenpolitischen Umorientierung der neuen, vom Militär abhängigen Regierung und ihren Beziehungen zum Iran zu tun. Kairos unmittelbares Ziel ist die Stärkung seiner Position gegenüber Israel mithilfe der Palästinenser, aber die Kehrtwendung droht die Beziehungen nicht nur zu Israel zu beschädigen, sondern auch zu den Vereinigten Staaten und den Golfmonarchien.

Die Ankündigung wurde in Tel Aviv und in Washington mit offener Feindseligkeit aufgenommen.

Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu weigerte sich, die Hamas als Gesprächspartner zu akzeptieren, und verlangte von Abbas, er müsse sich "zwischen Frieden mit Israel und Frieden mit der Hamas" entscheiden. "Frieden mit beiden ist nicht möglich", sagte Netanjahu. "Das Abkommen entlarvt die Schwäche der Autonomiebehörde."

Außenminister Avigdor Lieberman sagte, das Abkommen "überschreitet eine rote Linie".

"Wir verfügen über ein großes Arsenal von Instrumenten wie den Entzug des VIP-Status für Abbas und Premierminister Salam Fajad, die sich dann nicht mehr frei im Westjordanland bewegen könnten", drohte er. "Wir könnten auch die Weiterleitung der Steuern einfrieren, die Israel für die Autonomiebehörde einzieht."

Das Weiße Haus schloss sich Israels Haltung an und betonte, Hamas sei eine "Terrororganisation".

Der Übereinkunft zufolge werden Fatah und Hamas, die im Westjordanland bzw. im Gazastreifen regieren, eine Interimsregierung aus "unabhängigen" Politikern bilden, die beide Seiten jeweils wählen werden. Innerhalb eines Jahres soll ein Wahltermin festgesetzt werden, um einen Präsidenten und ein Parlament zu wählen. Die Palästinensische Befreiungsorganisation soll so umstrukturiert werden, dass auch die Hamas Mitglied werden kann. Alle politischen Gefangenen werden auf beiden Seiten frei gelassen.

Der Vertragsentwurf wurde von Mussa Abu Marsuk, dem stellvertretenden Vorsitzenden des Hamas-Politbüros, und von Azzam al-Ahmad, einem Mitglied des Fatah-Zentralkomitees, ausgearbeitet. Das endgültige Abkommen soll nächste Woche in Kairo von beiden Seiten in Anwesenheit von Mahmud Abbas von der Fatah, dem amtierenden Präsidenten der Autonomiebehörde, und von Chalid Maschal, dem in Damaskus lebenden Führer der Hamas, unterzeichnet werden.

Abbas gab zu, er sei von der Zustimmung der Hamas überrascht worden. Viele Details müssten noch geklärt werden. Tatsächlich gibt es bei aller Freude über "Versöhnung" schon jetzt unterschiedliche Auffassungen darüber, was genau vereinbart worden ist. Die Beziehungen zwischen beiden Parteien bleiben gespannt.

Tel Aviv, Washington und die Europäische Union hatten drei Bedingungen gestellt: die Annahme der Abkommen von Oslo, die Absage an Gewalt gegen Israel und die Anerkennung des Existenzrechts Israels. Die Beteiligung der Hamas an der Übergangsregierung hängt zwar nicht von ihrer Anerkennung dieser Bedingungen ab, doch Abbas betonte, die Hamas werde selbst nicht in der Regierung sitzen: "Es werden unabhängige Leute sein, Technokraten, die mit keiner Fraktion zu tun haben, weder mit Fatah noch mit Hamas."

Er versuchte, Israel damit zu beruhigen, dass die Autonomiebehörde Hamas-Gefangene, die wegen Gewaltdelikten eingesperrt sind, nicht entlassen werde. Sie werde den Hamas-Milizen nicht erlauben, auf der Westbank zu operieren.

Die PLO will ihre Rolle als alleiniger Unterhändler mit Israel behalten. Auf einer Pressekonferenz in Ramallah machte Abbas klar, dass allein die PLO für die Verhandlungen und ihre politische Ausrichtung zuständig sein werde, wenn nächstes Jahr "Friedensgespräche" mit Israel stattfinden sollten, und nicht die Übergangsregierung.

"Diese Regierung hat nur zwei Aufgaben: Die Festsetzung eines Termins für Wahlen und den Wiederaufbau von Gaza. Für die Politik ist die PLO zuständig und wir werden meine Politik fortsetzen", sagte er.

Mahmud Zahar, ein hoher Hamas-Vertreter, sagte, seine Partei habe zwar nicht die Absicht, mit Israel zu verhandeln, sie werde Abbas und Fatah aber nicht daran hindern. Er sagte zu AFP in Kairo: "Wenn Fatah die Verantwortung dafür tragen will, über Unsinn zu verhandeln, dann soll sie es tun. Wenn es ihnen gelingt, einen Staat zu bekommen, dann gut für sie."

Hamas und Fatah sind seit Jahren erbitterte politische Rivalen und haben mehr als einmal vor offenem Bürgerkrieg gestanden. Hamas weigert sich, Israel anzuerkennen. Als Hamas die palästinensischen Wahlen im Januar 2006 gewann, wurde sie von Tel Aviv und Washington als Terrororganisation gebrandmarkt und mit Wirtschaftssanktionen belegt. Im Juni 2007 übernahm sie die gesamte Macht im Gazastreifen, um einem von der Fatah geführten und von Israel und den USA geplanten Putsch zuvorzukommen.

Aber die Perspektive der Hamas für einen islamischen kapitalistischen Staat ist nicht lebensfähiger, geschweige denn progressiver, als der säkulare kapitalistische Staat, den die Fatah anstrebt.

Ein solcher Staat wäre vollständig von Unterstützung von außen abhängig, von Saudi-Arabien, Ägypten, Jordanien und heute dem Iran und Syrien. Das steht letztendlich hinter ihrer erneuten Hinwendung zum Abbas-Regime auf der Westbank.

Die durchgesickerten Palästina-Papiere enthüllen, dass Fatahs "Herrschaft des Rechts" mit der Eliminierung der Hamas und aller oppositionellen Kräfte gegen Israel gleichzusetzen war, und dass Fatah bereit war, dafür alle mutmaßlichen Hamas-Anhänger zu verhaften und zu foltern. Fatah unterstützte praktisch Israels mörderischen Angriff auf Gaza im Dezember 2008 mit dem Ziel, die Hamas auszulöschen.

Aber Fatahs Unterwürfigkeit brachte ihr von Washington und Tel Aviv nur Verachtung ein. Sie hatten keine Absicht, einen palästinensischen Staat zu schaffen. Die Enthüllungen entlarvten auch die letzte noch verbliebene Glaubwürdigkeit Abbas' und Fatahs. Dadurch wurden sie für die diplomatische Initiative Ägyptens empfänglich. Im vergangenen Monat erklärte Abbas seine Bereitschaft, nach Gaza zu reisen und Hamas-Führer Ismail Hanija zu treffen, der schon vorher Einheitsgespräche gefordert hatte.

Jahrelang hatte der ägyptische Ex-Präsident Hosni Mubarak alles getan, um Hamas, den Ableger der Muslimbruderschaft, klein zu halten. Gleichzeitig spielte er eine Schlüsselrolle bei der Durchsetzung der israelischen Blockade des Gazastreifens und unterstützte die gezielte Ermordung von Hamas-Führern und die Bombenangriffe auf die wehrlose palästinensische Bevölkerung. Als Bestandteil dieser Haltung versuchte er, einen Handel zu vermitteln, der Hamas der Fatah unterordnen sollte.

Die neue ägyptische Regierung versucht sich hingegen von der unpopulären Politik Mubaraks zu distanzieren, besonders von seiner Unterordnung gegenüber Washington in der Israel- und Palästinenserfrage. Sie versucht, ihre Glaubwürdigkeit im Inland wiederzugewinnen und die Position Ägyptens in der Region wiederherzustellen, um ihre eigenen Interessen effektiver vertreten zu können. Aus diesem Grund hat sie sich auch schon mit der Muslimbruderschaft verständigt und vollzieht jetzt diese Umorientierung auch in Bezug auf die Hamas, und was noch wichtiger ist, auf den Iran.

Menha Bakhum, Sprecherin des Außenministeriums, erklärte: "Wir schlagen eine neue Seite auf. Ägypten nimmt die Rolle wieder auf, die es früher zu spielen pflegte."

Die diplomatischen Beziehungen zum Iran, die 1979 abgebrochen wurden, als Ägypten dem Schah Zuflucht bot, sollen wieder aufgenommen werden. Die Regierung hat den iranischen Außenminister nach Kairo eingeladen, während der Iran darüber nachdenkt, seine Botschaft in Kairo wieder zu eröffnen. Vor ein paar Wochen erlaubte Kairo zwei iranischen Kriegsschiffen die Durchfahrt durch den Suezkanal. Tel Aviv und Washington waren empört. Teheran erklärte, beide Länder würden nun den Tourismus gegenseitig ausbauen.

"Alle Welt hat diplomatische Beziehungen mit dem Iran mit der Ausnahme der Vereinigten Staaten und Israels", sagte Bakhum. "Wir sehen den Iran als Nachbarn in der Region, mit dem wir normale Beziehungen unterhalten sollten. Wir sehen den Iran nicht als Feind und nicht als Freund."

Nach der Rehabilitierung der Muslimbruderschaft war der Weg auch für bessere Beziehungen zur Hamas frei, die von Teheran und Damaskus finanziert wird. Die neue Regierung lud Hamas zu Treffen mit führenden Vertretern ein, um sie an Bord zu holen.

Die Hamas steht unter dem gleichen gesellschaftlichen Druck, der Ben Ali in Tunesien und Mubarak in Ägypten hinweggespült hat. In Gaza kam es schon zu Demonstrationen von Tausenden, die gewaltsam unterdrückt wurden. Einige dieser Demonstrationen hatten sich für die Einheit mit der PLO eingesetzt. Angesichts der Proteste und des internationalen Drucks gegen das Assad-Regime in Syrien, dem Verbündeten und Financier der Hamas, war diese froh über ein Abkommen mit der Fatah im Gegenzug für bessere Beziehungen zu Ägypten.

Das Militärregime in Kairo sieht die Chance, seine Verhandlungsposition gegenüber Israel zu stärken. Bakhum sagte, Ägypten werde alle Verpflichtungen honorieren, auch das Camp David Abkommen mit Israel von 1979, es werde aber auch seine Grenze zum Gazastreifen "völlig" öffnen. Die Sprecherin fügte hinzu, Israels Blockade und die Unterstützung Ägyptens sei "eine Schande" gewesen.

Der iranische Außenminister Ali Akbar Salehi sagte, er begrüße das Abkommen, und lobte die ägyptische Regierung für ihren Beitrag zur Annäherung der beiden Länder. "Dies ist der erste Triumph des großen ägyptischen Volkes hinsichtlich Palästinas nach der jüngsten Entwicklung in Ägypten. Die Bemühungen der ägyptischen Regierung verdienen Anerkennung", sagte er.


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Quelle:
World Socialist Web Site, 03.05.2011
Aussöhnung zwischen Fatah und Hamas - Folge von Ägyptens strategischer Umorientierung
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Mai 2011