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GLEICHHEIT/3580: Ägyptischen Arbeitern droht Konterrevolution


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Ägyptischen Arbeitern droht Konterrevolution

Von Bill Van Auken
26. März 2011


Das vom Militär kontrollierte Regime in Ägypten hat in dieser Woche ein Dekret verkündet, das Streiks und Proteste verbietet. Dies zeigt den wirklichen Charakter des Regimes, das den Diktator Hosni Mubarak ablöste.

AhramOnline zufolge "kriminalisiert das Dekret Streiks, Proteste, Demonstrationen und Sit-ins, die private oder staatliche Geschäftstätigkeit stören oder in irgendeiner Weise nachteilige Folgen für die Wirtschaft haben. Das Dekret belegt jeden mit schweren Strafen, der zu solchen Aktionen auffordert oder sie anstachelt. Die Höchststrafe beträgt ein Jahr Gefängnis und Geldstrafen bis zu einer halben Million ägyptische Pfund" (60.000 Euro).

Mit anderen Worten versucht das Regime genau die Methoden zu verbieten und zu kriminalisieren, mit denen Millionen Ägypter gegen Mubarak gekämpft und ihn am 11. Februar nach achtzehntägigen Massendemonstrationen vertrieben haben.

Darüber hinaus schafft das Dekret vor allem das juristische Instrumentarium, um den heroischen Kampf der ägyptischen Arbeiterklasse zu unterdrücken, der sich in den vier Jahren vor den Massenprotesten auf dem Tahrir Platz ständig ausgeweitet hat.

Nach dem Sturz Mubaraks sind Arbeiter im ganzen Land in die Offensive gegangen und haben sich für höhere Löhne, Arbeitsplätze und volle demokratische Rechte eingesetzt, wie auch dafür, dass Manager und Gewerkschaftsbürokraten, die der Diktatur gedient hatten, entlassen werden.

In den vergangenen Wochen haben Eisenbahner, Apotheker, Ärzte, Verkäufer, Medien-Beschäftigte, Rentner und sogar Polizisten gestreikt; sie haben protestiert und Sitzstreiks durchgeführt - alles Kampfformen, die nach dem neuen Dekret verboten wären. Nur Tage vor der Bekanntgabe des Dekrets organisierten mehr als tausend Leiharbeiter der Suez Petroleum Company Petrojet einen Massensitzstreik, um gegen Entlassungen zu protestieren und ihre Festanstellung durchzusetzen.

Die Arbeiterklasse verstand die erfolgreiche Vertreibung eines Diktators, der das Land mehr als dreißig Jahre lang regiert hatte, als einen Sieg, der ihnen die Erfüllung ihrer gerechten Forderungen bringen sollte.

"Wir hatten wirklich gehofft, dass die neue Regierung uns unterstützen und unsere Forderungen wohlwollend in Betracht ziehen würde", sagte Ali Fotouh, ein Fahrer bei den öffentlichen Verkehrsbetrieben, zu AhramOnline. "Wir hatten erwartet, dass sie sagen würden: 'Eure berechtigten Forderungen liegen bei uns auf dem Schreibtisch, und wir werden ein oder zwei Monate brauchen, um sie abzuarbeiten'... Das ist nicht fair. Warum erfüllt ihr unsere Forderungen nicht, damit wir nicht in den Streik treten müssen. Dieser Ton erinnert mich an die alten Mubarak-Tage, mit Drohungen und Unterdrückung."

Mubaraks Nachfolger im Obersten Rat der Streitkräfte haben völlig entgegen gesetzte Schlussfolgerungen gezogen. An ihrer Spitze steht Feldmarschall Mohammed Hussein Tantawi, der zwanzig Jahre lang Verteidigungsminister des Diktators war. Das Militärkommando ist untrennbar mit der korrupten, reichen Elite Ägyptens verbunden. Sie ist ein Teil von ihr. Für sie ist der Sturz des Diktators das Signal, das Regime unter dem Schutzschirm des Sicherheitsapparats, der noch fest im Sattel sitzt, wieder zu konsolidieren. Sie bedienen sich dabei der bürgerlichen "Opposition", von den Muslimbrüdern bis zu Mohammed ElBaradei und Amre Mussa, um sich ein demokratisches Deckmäntelchen umzuhängen.

In den letzten Wochen sind die konterrevolutionären Ziele und Methoden des Regimes unter Feldmarschall Tantawi immer deutlicher hervorgetreten und richten sich immer direkter gegen die Kämpfe der Arbeiterklasse.

Am 9. März haben bewaffnete Truppen und Zivilpolizisten den Tahrir Platz in Kairo geräumt. Sie haben Metallrohre, Knüppel und Elektrokabel geschwungen und Demonstranten verprügelt, die dort seit dem 28. Januar ausgeharrt hatten. Hunderte wurden zu einem ad hoc errichteten Sammellager geschafft, wo sie mit Elektroschocks gefoltert, geschlagen und misshandelt wurden

Ähnliche Gewalt wurde gegen koptische Christen angewandt, die vor dem Fernseh- und Radiogebäude gegen das Niederbrennen einer Kirche protestierten. Es gibt immer mehr Hinweise, dass das Regime religiöse Konflikte anstachelt, um von sozialen Kämpfen abzulenken.

Diese Woche setzte das Regime Verfassungszusätze durch, die von einer vom Obersten Militärrat eingesetzten Kommission erarbeitet und in einem hastig anberaumten Referendum gebilligt wurden. Die neuen, vorläufigen Regeln lassen offen, wann oder in welcher Weise letztendlich Wahlen durchgeführt werden. Aber sie stellen nicht den Ausnahmezustand in Frage, der schon seit der Ermordung Anwar Sadats 1981 gilt, und verlängern die absoluten Vollmachten des Präsidenten, die die verfassungsmäßige Grundlage des Mubarak-Regimes bildeten.

Die Entwicklungen in Ägypten, die blutige Unterdrückung im Jemen, in Bahrain und Syrien, und jetzt der blutige imperialistische Krieg in Libyen machen klar, dass der "arabische Frühling" zu Ende geht. Sie haben alle Illusionen zerstört, dass friedlicher Protest und der Sturz des einen oder anderen verhassten Diktators an sich schon eine wirkliche demokratische und soziale Umgestaltung bedeuten, oder dass die Ziele der Arbeiter und Unterdrückten unter der Fuchtel bürgerlicher Parteien oder Politiker erreicht werden könnten.

Die Vertreibung Mubaraks war unzweifelhaft ein Sieg und eine Demonstration der enormen gesellschaftlichen Stärke der ägyptischen Arbeiterklasse. Mubarak, das Militär, die herrschende Elite Ägyptens und der Hauptsponsor des Regimes in Washington konnten ihre Pläne nicht durchsetzen. Sie hatten einen "geordneten Übergang" geplant, bei dem der Diktator an der Macht geblieben wäre, sodass er selbst unmittelbar das Regime hätte zusammenstellen können, das ihm nachgefolgt wäre. Stattdessen mussten sie einen demütigenden taktischen Rückzug vor der Massenbewegung, den Streiks und Protesten antreten, die Ägypten im Griff hielten.

Aber die Grundfragen, die diese Massenkämpfe hervorbrachten, bleiben ungelöst. Die Revolution, die am 25. Januar begann, ist unvollendet. Die Absetzung Mubaraks ist nur der erste Schritt.

Immer noch herrscht Massenarbeitslosigkeit, besonders unter jungen Ägyptern, und das gleiche gilt auch für den Lebensstandard, der den steigenden Preisen für Waren des Grundbedarfs zum Opfer fällt. Die Kluft zwischen den Dutzenden Millionen, die in Armut leben, und der reichen Elite, die gemeinsam mit dem ausländischen Kapital die Wirtschaft des Landes ausplündert, ist so tief wie eh und je. Und die soziale Lage verschlechtert sich aufgrund der kapitalistischen Weltkrise weiter.

Das Militär, das die Basis des Mubarak-Regimes war, hält die Macht weiter fest in den Händen und wird von Washington gestützt. Es war kein reiner Zufall, dass das Dekret, das Streiks und Proteste verbietet, genau an dem Tag bekannt gegeben wurde, an dem US-Verteidigungsminister Robert Gates in Kairo eintraf und die "konstruktive Rolle" des ägyptischen Militärs bei der Aufrechterhaltung der Stabilität lobte. Er sagte zu, ihre konterrevolutionären Operationen weiterhin mit Milliarden Dollar zu finanzieren.

Die Errungenschaften der Massenkämpfe der ägyptischen Bevölkerung gegen das Mubarak-Regime sind bedroht. Sie können nur mit einer neuen politischen Strategie verteidigt und ausgeweitet werden, die von der Mobilisierung der Arbeiterklasse im Kampf zum Sturz des Militärregimes ausgeht. Das Militär repräsentiert die Interessen des ägyptischen und ausländischen Kapitals. Es muss durch eine Arbeiterregierung ersetzt werden.

Die ägyptischen Ereignisse bestätigen erneut Trotzkis Theorie der Permanenten Revolution, die besagt, dass der Kampf für demokratische Grundrechte und Gleichheit nur auf der Grundlage eines sozialistischen Programms und des Kampfs für die Machteroberung der Arbeiterklasse gewonnen werden kann.

Die ägyptischen Ereignisse haben zwar die ungeheure Kraft der Arbeiterklasse gezeigt, aber sie haben auch bewiesen, dass eine bewusste revolutionäre, sozialistische Führung unbedingt erforderlich ist.

Das Fehlen einer solchen Führung und einer klaren revolutionären Perspektive hat der ägyptischen Bourgeoisie mit Unterstützung des Imperialismus ermöglicht, die Lage zu ihrem Vorteil zu wenden, die Klassenspaltungen in der breiten Bewegung, die um den Tahrir Platz entstanden war, auszunutzen, und sich auf privilegiertere Schichten zu stützen, denen keineswegs daran gelegen ist, die Revolution über die Absetzung Mubaraks hinauszutreiben.

Der Klassencharakter des Kampfs, der sich in Ägypten entfaltet, wir immer deutlicher. Eine neue Führung wird gebraucht, die erklärt, dass die demokratischen und sozialen Forderungen der ägyptischen Arbeiter und Unterdrückten nur mit sozialistischer Politik erfüllt werden können. Weiter muss sie erklären, dass der Sieg der Revolution in Ägypten eine internationale Strategie erfordert, die die ägyptischen Arbeiter mit der internationalen Arbeiterklasse im Kampf gegen die arabische Bourgeoisie, das zionistische Regime in Israel und den amerikanischen und europäischen Imperialismus vereinen kann.

Das erfordert den Aufbau einer neuen Partei der Arbeiterklasse, einer Sektion des Internationalen Komitees der Vierten Internationale, die für diese Perspektive kämpft und so die ägyptische Arbeiterklasse auf die bevorstehenden intensiven Klassenkämpfe vorbereitet.


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Quelle:
World Socialist Web Site, 26.03.2011
Ägyptischen Arbeitern droht Konterrevolution
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. März 2011