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GLEICHHEIT/3502: Die Ägyptische Revolution und die Linkspartei


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Die Ägyptische Revolution und die Linkspartei

Von Ulrich Rippert
10. Februar 2011


Die Dynamik und Geschwindigkeit der revolutionären Ereignisse, erst in Tunesien und nun in Ägypten, haben alle Parteien und Politiker hierzulande überrascht und erschreckt. Vor allem die tiefen sozialen Ursachen der Bewegung und die Rolle der Arbeiterkasse als treibende Kraft haben einen Schock ausgelöst.

Das betrifft auch die deutsche Linkspartei. Der revolutionäre Sturm im Nahen Osten hat den Funktionären im Karl-Liebknecht-Haus buchstäblich die Sprache verschlagen. Es dauerte eine ganze Woche, bis der Parteivorstand Ende Januar eine knappe Erklärung abgab und die Bundesregierung aufforderte, "ihre Doppelmoral gegenüber den arabischen Staaten aufzugeben". Es sei ein Gebot der Stunde, erklärte die Vorsitzende Gesine Lötzsch, "dass sich die europäischen Staaten und ihre Verbündeten für den demokratischen Wandel einsetzen".

Auch Oskar Lafontaine, der im vergangenen Jahr den Parteivorsitz aus Gesundheitsgründen abgab, aber in der Partei immer noch eine wichtige Rolle spielt, fasste sich auffallend kurz, als er am 4. Februar im Anschluss an eine Betriebsrätekonferenz in Stuttgart vor einigen Anhängern sprach. Er ermahnte die Bundesregierung, die Ereignisse in Ägypten ernst zu nehmen, und distanzierte sich von einigen Vorrednern, die die Politik Israels kritisiert hatten.

Lafontaine betonte, die Linkspartei unterstütze vorbehaltlos das Existenzrecht Israels, und wiederholte damit eine Grundposition der offiziellen deutschen Außenpolitik. Erst vor wenigen Tagen hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel Jerusalem besucht, um der israelischen Regierung diesen Standpunkt zu versichern.

Insgesamt reagiert die Linkspartei auf die Entwicklung der Revolution im Nahen Osten, indem sie enger an die Bundesregierung heranrückt und ihre Unterstützung anbietet. Eine Schlüsselrolle spielt dabei ihr außenpolitischer Sprecher Wolfgang Gehrcke. Am Montag rief Gehrcke eine Sondersitzung des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages ein. Einziger Tagesordnungspunkt: Die aktuelle Lage im Nahen Osten.

Gehrcke berichtete den Ausschussmitgliedern der anderen Parteien, dass er gerade von einer zweiwöchigen Reise durch mehrere Nahoststaaten zurückgekommen sei. "Ich war in Ägypten, Syrien, Jordanien, Israel und Palästina", sagte er in einem anschließenden Gespräch mit dem Neuen Deutschland und fügte hinzu: "Die Region gleicht einem Vulkan, der ausbricht."

Vor den Ausschussmitgliedern erklärte Gehrcke, dass die bisherige Nahostpolitik der Bundesregierung gescheitert sei und dass sich viele führende Politiker darüber im Klaren seien. Allerdings falle es ihnen sehr schwer, dies einzugestehen, offen auszusprechen und eine Veränderung durchzusetzen. "Dieses Dilemma ist der Grund für die hilflose Unentschlossenheit, mit der Merkel, Westerwelle & Co. auf die Entwicklungen in Ägypten reagieren", fasst eine Pressemitteilung der Linkspartei "das Urteil von Wolfgang Gehrcke nach der heute auf Initiative der Fraktion DIE LINKE durchgeführten Sondersitzung des Auswärtigen Ausschusses" zusammen.

Gehrcke gab der Regierung konkrete Ratschläge. Sie müsse endlich "über ihren Schatten springen und den Noch-Staatspräsidenten Ägyptens zum sofortigen Rücktritt auffordern". Nur so könnten eine weitere Ausweitung der Demonstrationen und Streiks verhindert und die Situation stabilisiert werden. Gleichzeitig müssten die Waffenexporte nach Ägypten nicht nur eingefroren, sondern eingestellt und die Zusammenarbeit in der Polizei- und Militärausbildung überprüft werden.

Doch das alleine sei nicht ausreichend, sondern nur der Auftakt zu einer veränderten Nahostpolitik, die sich auf frische, unverbrauchte politische Kräfte stützen müsse. Gehrcke berichtete über eine Vielzahl von "sehr ernsten Gesprächen", die er mit politischen Gruppen und Einzelpersonen in der Region geführt habe.

Zwar habe er Mohammed el-Baradei in Kairo trotz großer Bemühungen nicht treffen können, weil er in diesen Tagen unter Hausarrest stand und die ägyptischen Behörden den Zugang versperrten. Doch es gäbe eine Zivilgesellschaft, die an einer Zusammenarbeit mit Berlin und Brüssel interessiert sei, betonte Gehrcke. Daran bestehe für ihn kein Zweifel. Auch kommunistische und sozialistische Gruppen und Parteien seien kooperativ und stünden für Gespräche zur Verfügung.

Um ein Machtvakuum zu verhindern und das nach jahrzehntelanger Zusammenarbeit mit dem korrupten Mubarak-Regime verlorene Vertrauen wieder zu gewinnen, sei die Regierungen gut beraten, wenn sie sich für ihre Fehler der Vergangenheit in aller Form beim ägyptischen Volk entschuldige.

Der fast 70-jährige Gehrcke ist ein alter und durchtriebener stalinistischer Apparatschik, der schon in vielen kritischen Phasen der westdeutschen Politik eine wichtige Rolle spielte.

Im Alter von 18 Jahren trat er der damals verbotenen Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) bei und gehörte zu den Gründungsmitgliedern der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend (SDAJ), deren Bundesvorsitz er viele Jahre innehatte. Auf dem Höhepunkt der studentischen Protestbewegung 1968 war er erneut Gründungsmitglied der neu zugelassenen DKP (Deutsche Kommunistische Partei) und später viele Jahre DKP-Bezirkschef in Hamburg. Direkt nach der Wende wechselte Gehrcke von der DKP in die PDS, wurde deren Bundesgeschäftsführer und beteiligte sich vor vier Jahren aktiv an der Bildung der Linkspartei, für die er nun im Bundestag sitzt.

Gehrcke weiß, dass die Bundesregierung wie auch die anderen europäischen Regierungen und die USA in Ägypten und der Nahostregion stark isoliert sind. Weil das Mubarak-Regime jede Opposition unterdrückt hat, verfügen sie über keine Kontakte zu anderen politischen Bewegungen, auf die sie sich stützen können. Die Linkspartei bietet sich nun als Brückenbauer für die imperialistische Politik an, und das wird in Berlin durchaus akzeptiert und honoriert.

Um es möglichst deutlich zu sagen: Der begonnene Aufstand der Arbeiterklasse im Nahen Osten richtet sich gegen den Imperialismus. Präsident Mubarak wird gehasst, weil er ein Agent des US-Imperialismus ist, der auch von allen europäischen Regierungen unterstützt und gehätschelt wurde. Die Unterstützung der Arbeiterklasse im Nahen Osten erfordert daher die Mobilisierung der europäischen und amerikanischen Arbeiter gegen die eigene Regierung auf der Grundlage eines internationalen sozialistischen Programms.

Die Linkspartei tut genau das Gegenteil. Sie bietet sich der Bundesregierung als Vermittlerin an, um den Einfluss und die Kontrolle des Imperialismus im Nahen Osten zu erhalten und zu stärken.

Gehrckes Nahost-Reise diente unter anderem dazu, die alten stalinistischen Organisationen (oder was davon noch übrig ist) wiederzubeleben und zu aktivieren. So kommt es, dass er und andere Linksparteifunktionäre eine Erklärung der "Ägyptischen Kommunistischen Partei" verbreiten. Auf der bereits erwähnten Kundgebung in Stuttgart, auf der auch Lafontaine sprach, las die Linken-Abgeordnete Annette Groth den ganzen Wortlaut dieser Erklärung vor.

Die ägyptische KP tritt darin für ein Übergangsregime ein, das den revolutionären Elan der Massen bremst und die Herrschaft der ägyptischen Bourgeoisie sowie den Einfluss des Imperialismus unangetastet lässt. Sie fordert ein "Abkommen zwischen den verschiedenen Oppositionsparteien zur Gründung eines Wohlfahrtsausschusses" auf der Grundlage der "Forderungen der Volksmassen". Sie schlägt vor, Mubarak durch einen "Präsidialrat für eine zeitlich begrenzte Periode" zu ersetzen, eine "Koalitionsregierung zu bilden, die sich der Führung des Landes während einer Übergangsperiode" annimmt, und eine Verfassungsgebende Versammlung einzuberufen.

Die Linkspartei hofft, dass niemand die verbrecherische Rolle der stalinistischen Partei in Ägypten kennt, an die diese Politik anknüpft.

Entstanden in den frühen Zwanzigerjahren kam die ägyptische KP schnell unter den wachsenden Einfluss Stalins und seiner Anpassung an die nationale Bourgeoisie. Sie befürwortete Stalins "Zwei-Stufen-Theorie", die besagt, dass in kolonialen und halbkolonialen Ländern wie Ägypten der Kampf für den Sozialismus zuerst durch ein Stadium des "demokratischen Kapitalismus" hindurchgehen müsse. Mit dieser Begründung unterdrückten die Stalinisten das revolutionäre Streben der Massen nach sozialistischen Maßnahmen.

Auf dieser Grundlage unterstütze die KP das Regime von Gamal Abdel Nasser in den fünfziger und sechziger Jahren und bezeichneten es als "arabischen Sozialismus". Selbst als Nasser kläglich scheiterte und die Macht von seinem Stellvertreter Anwar Sadat übernommen wurde, beteiligten sich führende Stalinisten wie Fuad Mursi und Ismail Sabri Abd Allah an Sadats Regierung. Erst 1975, als Sadat ein offen neo-liberales Wirtschaftsprogramm annahm, traten sie aus der Regierung aus.

Der Versuch von Wolfgang Gehrcke und der Linkspartei, die Reste der alten stalinistischen Parteien zu aktivieren, um die revolutionäre Bewegung wie in der Vergangenheit in die Sackgasse eines angeblich demokratischen Kapitalismus zu führen, ist nicht nur reaktionär, sondern auch zum Scheitern verurteilt. Denn anders als in den vierziger und fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts können sich diese Parteien nicht mehr auf eine machtvolle stalinistische Bürokratie in der Sowjetunion stützen.

Die Revolution in Ägypten und das Auftreten der Arbeiterklasse hat nicht nur die Herrschenden erschreckt, sondern auch den wahren Charakter aller Parteien und politischen Gruppierungen aufgedeckt. Und so zeigt sich die Linkspartei als das, was sie wirklich ist: als Beraterin und Handlangerin der kapitalistischen Regierung.


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Quelle:
World Socialist Web Site, 10.02.2011
Die Ägyptische Revolution und die Linkspartei
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Februar 2011