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GLEICHHEIT/3377: Ungarn - Die Folgen der Giftschlammkatastrophe


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Ungarn: Die Folgen der Giftschlammkatastrophe

Von Markus Salzmann
27. November 2010


Am 4. Oktober ereignete sich in Ungarn die schlimmste Umweltkatastrophe in der jüngeren Geschichte des Landes. Knapp zwei Monate danach zeigt sich nun, dass Politik und Wirtschaft keinerlei Verantwortung übernehmen und die Bevölkerung mit den verheerenden Folgen sich selbst überlassen.

Anfang Oktober starben neun Menschen und 120 wurden teils schwer verletzt, als nahe der westungarischen Stadt Ajka das Rückhaltebecken des Aluminiumherstellers MAL brach. In den folgenden Tagen flossen zwischen 1 Million und 1,5 Millionen Kubikmeter mit Schwermetall belasteter Rotschlamm aus und überschwemmten Teile der Ortschaften Kolontar, Devecser und Somlovasrhely.

Der Rotschlamm verbreitete sich insgesamt über eine Fläche von 40 Quadratkilometern und gelangt über die Flüsse Torn und Marcal in die Donau. Am 5. Oktober wurde in den Bezirken Veszprem, Vas und Györ-Moson-Sopron der Notstand ausgerufen. Am 9. Oktober wurde Kolontar vom Katastrophenschutz evakuiert.

Die langfristigen Schäden für Bewohner und Umwelt sind noch nicht vollständig abzusehen. Die Umweltschutzgruppe Greenpeace hat am 5. Oktober in Kolontar Rotschlammproben entnommen und sie beim Wiener Umweltbundesamt untersuchen lassen. Umgerechnet auf die Gesamtmenge des ausgelaufenen Schlamms sind 50 Tonnen Arsen, 300 Tonnen Chrom und 550 Kilogramm Quecksilber ausgetreten. Durch die teils anhaltenden Regenfälle ist ein Teil der Giftstoffe direkt ins Trinkwasser gelangt.

Obwohl sofort klar war, dass das Unglück auf die systematische Vernachlässigung elementarer Sicherheitsstandards zurück zu führen war, erklärte das Unternehmen, alle Vorschriften seien eingehalten worden. Zudem beteuerte die Unternehmensführung, der Rotschlamm enthalte keine Giftstoffe und sei ungefährlich.

Die Maßnahmen, die gegen die Betreiber von MAL ergriffen wurden, dienten lediglich dazu, die aufgebrachte Bevölkerung zu beruhigen. Tatsächlich versuchte die rechte Fidesz-Regierung um Premier Victor Orban von Anfang an, das Unternehmen zu schützen und die Bevölkerung der Region gezielt zu täuschen.

Die Regierung richtete umgehend eine eigene Internetseite ein, doch sie kommentiert darauf weder die hohen Umweltbelastungen, noch geht sie auf die Ursache der Katastrophe ein. Nach wenigen Tagen ordnete Orban an, dass Probenahmen nur noch mit behördlicher Erlaubnis genommen werden dürfen. Damit sollte verhindert werden, dass konkrete Zahlen über die Gefährdung der Bevölkerung an die Öffentlichkeit gelangen.

Am 15. Oktober durfte MAL die Produktion wieder aufnehmen. Zuvor war lediglich ein zweiter provisorischer Damm errichtet worden, der keinen sicheren Schutz vor ähnlichen Vorkommnissen bietet. Gleichzeitig konnten die evakuierten Bewohner wieder in ihre verwüsteten Häuser zurückkehren, obwohl der Notstand offiziell bis Ende des Jahres gilt.

Wie sich zeigte, wurde der Notstand nur so lange verhängt, um Protesten vorzubeugen. Da die Opfer der Katastrophe bislang noch keinen Schadenersatz erhalten haben, wollten einige Tausend Menschen protestieren. Dies wurde von der Polizei mit dem Hinweis untersagt, in dem Gebiet herrsche noch immer der Notstand.

Auf Druck der Regierung, die die öffentlichen Fernseh- und Rundfunksender in der Hand hat, wurde Mitte Oktober auch die tägliche Berichterstattung eingestellt.

Werksdirektor Zoltan Bakonyi wurde zu einer Befragung für kurze Zeit in Polizeigewahrsam genommen, aber bald wieder frei gelassen. Noch ist fraglich, ob es überhaupt zu einem Prozess gegen ihn und das Management von MAL kommen wird, geschweige den zu einer Verurteilung.

Die so genannte Lex MAL, mit der das Parlament die staatliche Verwaltung von MAL anordnete, dient dazu, das Unternehmen aus der Schusslinie zu nehmen und mit staatlicher Hilfe die Profite der Anteilseigner zu sichern.

So unterstützte die Regierung vorbehaltlos die lächerlichen Entschädigungsangebote von MAL. Verteilt auf fünf Jahre sollen rund 5 Millionen Euro an die Geschädigten ausbezahlt werden, obwohl vorsichtige Schätzungen schon jetzt von einem Schaden von rund 70 Millionen Euro ausgehen.

Auch die oppositionellen Sozialisten (MSZP) verteidigten umgehend das Unternehmen. Der Partei-Vorsitzende Attila Mesterhazy erklärte, dass Werk sei ein zu wichtiger Arbeitgeber, um geschlossen zu werden, und verlangte die sofortige Fortführung des Betriebes.

Dies verwundert kaum. Die MSZP ist aus der ehemaligen Kommunistischen Staatspartei Ungarns hervorgegangen. Aus ihr stammen Wendehälse wie Ex-Premier Ferenc Gyurcsany, die rücksichtslos die ehemaligen Staatsbetriebe verscherbelt und sich selbst daran bereichert haben. Auch die Privatisierung von MAL wurde von diesen Kreisen eingefädelt.

Mitte der 90er Jahre war die MSZP an der Regierung und der Vater des jetzigen Werkdirektors, ein enger Freund Gyurcsanys, war Vorsitzender des damals noch staatlichen Betriebs. Bei der Privatisierung erwarben er und Gyurcsany Beteiligungen an dem Aluminiumhersteller.

Dank der engen Verflechtung war es für das Unternehmen dann kein Problem, sich Gutachten zu erkaufen, die eine einwandfreie Betriebsführung attestieren. Auch unter der jetzigen Fidesz-Regierung wurde im September die Lizenz des Werkes verlängert.

Sowohl Fidesz als auch die MSZP sind eng mit führenden Wirtschaftskreisen verbunden, die nach dem Zusammenbruch des stalinistischen Regimes vor zwanzig Jahren ihr Vermögen auf dem Rücken der breiten Bevölkerung gemacht haben. Mit derselben Rücksichtslosigkeit bürden sie heute der Bevölkerung die Folgen der kapitalistischen Politik auf. Weitere Katastrophen wie die in Ajka können nur verhindert werden, wenn es der arbeitenden Bevölkerung gelingt, dieser korrupten und raffgierigen Elite die Macht zu entreißen.


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Quelle:
World Socialist Web Site, 27.11.2010
Ungarn: Die Folgen der Giftschlammkatastrophe
http://www.wsws.org/de/2010/nov2010/unga-n27.shtml
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. November 2010