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GLEICHHEIT/3204: Moskau erstickt, während Flächenbrände andauern


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Moskau erstickt, während Flächenbrände andauern

Von Andrea Peters
11. August 2010


Moskau liegt weiterhin unter einer Decke von schwerem Rauch, der durch die Flächenbrände in der Umgebung erzeugt wird und die elf Millionen Einwohner der Stadt zwingt, Atemschutzmasken zu tragen und ihre Fenster mit feuchten Tüchern abzudecken, um ihre Lungen vor der verseuchten Luft zu schützen. Wie der Chef der Moskauer Gesundheitsbehörde, Andrei Seltsowski, am Montag bekannt gab, hat sich die Sterberate in der russischen Hauptstadt im Juli fast verdoppelt. Die Leichenhallen haben die Grenzen ihrer Aufnahmekapazität erreicht.

"An normalen Tagen sterben 360 bis 380 Menschen. Gegenwärtig sind es etwa 700", erklärte Seltsowski.

Russlands Ministerium für Gesundheit und soziale Entwicklung teilte mit, der starke Anstieg der Sterblichkeitsziffer sei "rätselhaft". Die Agentur weigerte sich, die Zahlen zu bestätigen und wies darauf hin, dass offizielle Statistiken für den Juli erst Ende August verfügbar seien.

Trotz der Weigerung von hohen Regierungsbeamten, das Ausmaß der Krise in Moskaus öffentlicher Gesundheit anzuerkennen, berichten Ärzte von einer Steigerung der Zahl von Hitzeschlägen und rauchbedingten Erkrankungen, die auf die sengende Hitze und die kaum einzuatmende Luft zurückzuführen sind.

Am Montag erklärte Alexander Frolow, Chef des staatlichen Wetterdienstes, der Nachrichtenagentur Interfax, dass die gegenwärtige Hitzewelle die schlimmste in der eintausendjährigen Wetteraufzeichnung sei. Es wird nicht damit gerechnet, dass die Temperaturen, die bis zu 14 Grad über dem Normalwert für diese Jahreszeit liegen, vor Donnerstag unter 35 Grad Celsius sinken.

Senioren und Menschen mit Herz- und Atemwegserkrankungen sind am schwersten betroffen, doch Experten haben bereits festgestellt, dass die extremen Wetterbedingungen bereits so lange andauern, dass jetzt sogar gesunde Menschen gefährdet sind.

Kohlenmonoxide und giftige Gase haben in Moskau das Dreifache des Wertes erreicht, der für Menschen bei wochenlanger Exposition als vertretbar gilt. Am vergangenen Wochenende erreichten sie ein Rekordhoch von fast dem Siebenfachen des empfohlenen Grenzwertes. Nach einem Bericht der Itar-Tass-Nachrichtenagentur entspricht "das Einatmen dieser Luft dem Konsum von 2 bis 3 Packungen Zigaretten innerhalb weniger Stunden".

In einem Artikel vom 5. August schreibt Andrej Serenko, Kolumnist der Nezavisimaia Gazeta, dass Menschen, die in den von Hitze und Flächenbränden betroffenen Städten Zentralrusslands im Beerdigungsgewerbe arbeiten, mit schwarzem Humor von dem unglaublich produktiven Sommer und dem Auftauchen immer neuer Gräber auf den Friedhöfen berichten."

Die Rekordzahl von 104.000 Menschen verließ Moskau am Wochenende auf dem Luftweg. Die meisten Menschen jedoch können der beißenden Luft nicht entkommen. Selbst die Moskauer Metro, eines der weltgrößten U-Bahn-Systeme, ist voll von Rauch.

Die zahlenmäßig riesige Arbeiterklasse und die verarmte alte Bevölkerung der Stadt, die ohne Klimaanlagen leben und weder die finanziellen Mittel besitzen, um zu flüchten, noch irgendeinen Unterschlupf haben, bleiben zurück und müssen fast ersticken.

Anfang dieser Woche gab die Regierung die Öffnung von 120 klimatisierten Anti-Smog-Zentren bekannt. Diese Einrichtungen schließen jedoch am Abend. Außerdem werden denen, die am dringendsten Hilfe benötigen, keinerlei Dienste zuteil.

Mehr als 550 Flächenbrände wüten auch weiterhin in ganz Russland. Dutzende Städte berichten von schwerer Luftverschmutzung und zahlreiche Dörfer sind bis auf den Grund abgebrannt. In Ozersk im Uralgebirge ist eine nukleare Aufbereitungsanlage, die bereits 1957 Schauplatz eines Atomunfalls war, von den Flammen bedroht.

Während die Regierung am Wochenende die Löschung von mehreren hundert Bränden meldete, brachen hunderte weitere aus. Derzeit lodern 557 Feuer auf einem Gebiet von insgesamt 672 Quadratmeilen. Staatliche Behörden geben zu, dass die im Einsatz befindlichen 10.000 Feuerwehrleute nicht annähernd ausreichen, um die Feuer zu bekämpfen, die bereits 52 Menschen getötet und zweitausend Häuser vernichtet haben.

In der Gegend um Moskau sind vor allem brennende Torfmoore der Grund für den erstickenden Rauch in der Stadt. Diese Sumpfgebiete wurden in der Sowjetära trockengelegt, damit der Torf als Brennstoff benutzt und das Land als Ackerland genutzt werden konnte. Seit dem Zusammenbruch der UdSSR sind die Torfmoore nicht mehr bearbeitet oder wegen Feuergefahr überwacht worden. Sobald Torf Feuer fängt, ist er schwierig zu löschen, da das Material lange Zeit unter der Oberfläche schwelt.

Eine Gruppe russischer Wissenschaftler hat vor kurzem scharfe Kritik an der Forstpolitik der Regierung und ihrer Antworten auf Flächenbrände geübt. Nach ihrer Einschätzung ist sogar die Flutung der Torfmoore keine sichere Lösung, da bis zu 25 Prozent des Torfes aus bituminöser Braunkohle besteht. Diese Substanz absorbiert Wasser und brennt weiter.

Die Flächenbrände und die schwere Gesundheitskrise, die sie in der russischen Hauptstadt ausgelöst haben, sind die direkte Folge der Regierungspolitik. 2007 wurde auf Geheiß von Präsident Putin, der im Interesse der mächtigen Holzwirtschaft handelte, ein Gesetz verabschiedet, das Russlands 70.000 Mitarbeiter umfassenden Forstdienst auflöste und die Wälder des Landes zur Hälfte privatisierte.

Nach den neuen Vorschriften geht die Verantwortung für die Unterhaltung des Waldes - einschließlich Brandschutz - an private Unternehmen über, die das Land gepachtet haben. Diese Betriebe sind nur daran interessiert, soviel Geld wie möglich zu machen und tun nichts, um Waldwege instand zu halten, Feuergefahren zu überwachen oder Hilfsmittel für den Notfall zur Verfügung zu stellen. Während die Firmen auf dem Papier der Aufsicht der Regierung unterstehen, werden die Beamten in Wirklichkeit bestochen, damit sie mit beiden Augen wegsehen.

Die Waldgebiete, die nicht verpachtet sind, stehen technisch unter der Kontrolle regionaler Behörden, die auch nichts tun, um den Wald zu erhalten oder gar zu schützen.

Seit dem Ausbruch der gegenwärtigen Flächenbrände hat es diverse Berichte von Feuerwehrleuten gegeben, die auf unpassierbare Wege, verstopfte Wasserleitungen und defekte Einsatzfahrzeuge gestoßen sind.

Unter der Sowjetherrschaft gab es ein entwickeltes System zur Überwachung der Wälder und zur Verhinderung von Flächenbränden, das aus tausenden lokalen Beobachtungsstationen bestand, deren Mitarbeiter in der Früherkennung von Feuern und der sofortigen Alarmierung der Behörden ausgebildet waren. Das Funktionsprinzip des Systems, das enormen personellen Aufwand erforderte, hieß: Je früher ein Feuer erkannt wurde, umso kleiner seine Ausbreitung und umso größer die Wahrscheinlichkeit seiner Eindämmung.

Dörfer im russischen Hinterland verfügten über Feuerwehren und waren für Notfälle mit Feuerwehrautos und Wasservorräten ausgerüstet.

All dies ist im Verlauf der vergangenen zwanzig Jahre im Zuge der Ausweidung der öffentlichen Infrastruktur und der Sozialleistungen zerstört worden. In einem Dorf nach dem anderen, das von den Feuern betroffen ist, berichten Einwohner, dass sie verzweifelt versucht hätten, die Flammen mit Gartenschläuchen zu bekämpfen, weil keine anderen Hilfsmittel mehr zur Verfügung stehen. Viele sind dabei umgekommen oder haben ihre Häuser verloren.

Der Kreml unternimmt gegenwärtig eine massive Öffentlichkeitskampagne, um die eigene Schuld am Tod und der Zerstörung durch die Flächenbrände zu kaschieren.

Präsident Dmitri Medwedew hat die Entlassung verschiedener Staatbeamter angekündigt, um den Kreml aus der Schusslinie zu nehmen und den Eindruck zu vermitteln, die Regierung tue etwas. Premierminister Wladimir Putin ist durch das Land gereist und hat Dorfbewohner, die von den Flächenbränden betroffen sind, getroffen und ihnen Entschädigung zugesagt.

Großes Aufhebens wurde um die Tatsache gemacht, dass Premier Putin freundlich auf den wütenden Blog eines russischen Bürgers reagierte, der die Politik der Regierung verurteilte und auf den Zusammenbruch des Brandschutzes seit der Sowjetära hinwies. Nachdem er der Kritik zunächst vermeintlich zustimmte, gab Putin der Trockenheit die Schuld, die in seinen Augen "unvorhersehbar schlimm" sei. Die Antwort des Premiers zielte darauf ab, ihn als Fürsprecher des "einfachen Volkes" gegen eine korrupte Regierungsbürokratie darzustellen, die er jetzt angeblich zur Rechenschaft ziehen will.

All dies ist blanker Unsinn. Die Zerstörung der russischen Forstwirtschaft ist von Putin eingeleitet worden und liegt in seiner Verantwortung. Seine einzige Sorge ist der Schutz des riesigen Wohlstandes des Großkapitals im Lande und der mächtigen Staatsbürokratie. Als die neue Forstgesetzgebung 2007 verabschiedet wurde, warnten Experten bereits, dass die vorgeschlagenen Änderungen in eine Katastrophe führen würden.

Der stellvertretende Direktor des geographischen Institutes, Arkadi Tischkow, versicherte vor kurzem in einem Interview mit der Nachrichtenagentur Itar-Tass, dass die gegenwärtige Katastrophe nicht auf die extremen Wetterbedingungen zurückzuführen sei.

"Wir sind sehr wohl in der Lage, mit Feuern fertig zu werden und ihr Ausbrechen zu verhindern", sagte er gegenüber Itar-Tass und wies darauf hin, dass Flächenbrände ein vorhersehbares Phänomen in der Fortwirtschaft seien.

Die Luftnot der Moskauer und die Zerstörungen, die Russlands Flächenbrände anrichten, sind das direkte Ergebnis der Unterordnung aller Aspekte sozialen und wirtschaftlichen Lebens im Lande unter das Profitmotiv. Die Auflösung der Sowjetunion öffnete Russlands riesige Ressourcen für die Ausbeutung durch die habgierigsten Teile der Kapitalistenklasse, die sich in unvorstellbarem Maße bereichert haben, während sie offenen Auges zusahen, wie die öffentliche Infrastruktur und die sozialen Dienste vor die Hunde gingen.


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Quelle:
World Socialist Web Site, 11.08.2010
Moskau erstickt, während Flächenbrände andauern
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. August 2010