Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE

GLEICHHEIT/3181: Kriegsverbrechen aktenkundig


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Kriegsverbrechen aktenkundig

Von Bill Van Auken
28. Juli 2010
aus dem Englischen (27. Juli 2010)


Zehntausende am Sonntag auf WikiLeaks veröffentlichte Dokumente kommen einer detaillierten, scharfen Anklage gegen einen kriminellen Kolonialkrieg gleich, den die Obama-Regierung zu ihrem Krieg gemacht hat.

Der schiere Umfang des so genannten afghanischen Kriegstagebuchs - 90.000 Dokumente mit 200.000 Seiten - lässt keinen Zweifel mehr daran, dass das amerikanische Militär seit fast neun Jahren eine Terrorkampagne und tödliche Gewalt gegen das afghanische Volk entfesselt hat.

Die Dokumente, die aus Kampfberichten von amerikanischen Soldaten und Offizieren bestehen, belegen den Tod von Zivilisten durch Luftschläge gegen ihre Häuser. Sie dokumentieren, wie schießwütige Soldaten an den Straßensperren Afghanen auf Motorrädern, in Autos und Bussen töten.

Sie lüften den Schleier über den Operationen der Task Force 373, einer geheimen "schwarzen" Einheit, die aus Spezialkräften besteht und den Auftrag hat, angebliche Führer der Taliban und al-Qaidas zu jagen und zu töten. Die Einheit arbeitet eine Liste von mindestens 2.000 Personen ab, die vom Pentagon und der CIA ohne Anklage und Prozess zum Tode verurteilt wurden. Die Spezialkräfte treten Türen ein, fordern Luftschläge gegen ihre Zielobjekte an und töten dabei zahllose unschuldige Männer, Frauen und Kinder.

Außerdem wird der zunehmende Einsatz von unbemannten Drohnen belegt, die ihre Opfer aus einer Entfernung von 15.000 Metern angreifen und ohne Warnung Tod und Zerstörung über wehrlose Zivilisten bringen.

Weiter legen die Dokumente die systematische Verschleierung von Gräueltaten amerikanischer Militärs offen. In vielen Dokumenten geht es um zivile Opfer, über die niemals berichtet wurde. In anderen Fällen wurden die zivilen Opfer als Aufständische bezeichnet.

Dieser mörderische Charakter des Kriegs und die systematischen Lügen des Militärkommandos wurden am Tag nach der WikiLeaks-Veröffentlichung erneut bestätigt, als eins der schlimmsten Massaker des neunjährigen Kriegs bekannt wurde. Die Regierung von Präsident Hamid Karzai verurteilte öffentlich einen Raketenangriff von amerikanischen Nato-Truppen auf Zivilisten in der Provinz Helmand. Dabei wurden am Freitag bis zu 52 Personen getötet, hauptsächlich Frauen und Kinder. Ganze Familien wurden ausgelöscht. Mehrere Nachrichtenagenturen konnten die Leichen photographieren und mit Bewohnern der Gegend sprechen, die ihre Familien begraben und Verwundete ins Krankenhaus gefahren hatten. Ein Sprecher der Besatzungstruppen erklärte, es gebe "keinen Hinweis auf zivile Opfer".

Julien Assange, der Gründer von WikiLeaks, sagte auf einer Pressekonferenz am Montag in London, die Dokumente enthielten "Tausende" ähnliche Zwischenfälle, die Kriegsverbrechen seien. Sie müssten untersucht und verfolgt werden.

Die Dokumente belegen außerdem die wichtige Tatsache, dass die Militärs vor Ort das Marionettenregime Karzais unterstützen. Sie zeigen Fälle von grotesker Korruption und sadistischer Gewalt von Warlords, Drogendealern und Killern, die zu den Stützen des afghanischen Staates zählen und beim afghanischen Volk verhasst sind.

Das Weiße Haus reagierte auf die Veröffentlichung mit dem Versprechen, den Afghanistankrieg weiterzuführen. Es beklagte, dass die Veröffentlichung geheimen Materials das Leben von Soldaten und die "nationale Sicherheit" gefährde.

Die Klassifizierung dieses Materials diente aber nicht dem Schutz amerikanischer Soldaten, sondern sollte das Blutbad in Afghanistan vor den Augen der amerikanischen Bevölkerung verbergen, die diesem inzwischen längsten amerikanischen Krieg immer ablehnender gegenübersteht.

Die Enthüllungen auf WikiLeaks werden schon mit den Pentagon Papers verglichen, die vor fast vierzig Jahren die Lügen entlarvten, mit denen die amerikanische Intervention in Vietnam begründet wurde.

Aber noch auffälliger sind vielleicht die Unterschiede. Als Daniel Ellsberg damals vertrauliche Dokumente veröffentlichte, waren Mitglieder des US-Senats bereit, sich der Regierung entgegenzustellen, während die New York Times die Geschichte entschlossen aufgriff und die Veröffentlichung des Materials gegen gerichtliche Verfügungen durchsetzte.

Heute gibt es keine bedeutende Persönlichkeit im Senat oder in der Demokratischen Partei, die bereit wäre, Gleiches zu tun. In den Medien gibt es, wenn überhaupt, nur wenig Empörung über das Ausmaß amerikanischer Gewalt gegen die afghanische Bevölkerung. Im Zentrum der Berichterstattung stand meistens die Legalität der Veröffentlichung der Berichte und nicht ihr beunruhigender Inhalt.

Die Times veröffentlichte die Berichte erst, nachdem sie WikiLeaks zur Selbstzensur und zu einer Abstimmung mit dem Weißen Haus gedrängt hatte. Die Zeitung zieht aus den veröffentlichten Dokumenten die Lehre, den Krieg in Afghanistan noch intensiver und aggressiver zu führen und ihn nach Pakistan auszuweiten. Sie versucht, die Bedeutung der Dokumente so hinzudrehen, dass sie einen "blockierten Krieg" zeigen, weil die US-Armee zu vielen Beschränkungen unterliege und zu schlecht ausgerüstet sei. Die Times vertritt diese Linie, obwohl die Fakten ein enormes Ausmaß an Brutalität in Afghanistan zeigen.

Dass alleine WikiLeaks, ein Online-Magazin mit dem Bruchteil an Mitteln der Times, diese Fakten enthüllt, ist eine Anklage gegen die Medien insgesamt. Die Times und andere Medien mit ihren "embedded reporters" kennen garantiert viele der Ereignisse, die jetzt veröffentlicht wurden, haben aber nicht darüber berichtet. Genau wie das Pentagon und das politische Establishment verschleiern sie die Verbrechen gegen das afghanische Volk systematisch.

Obamas Eskalation des Afghanistankriegs - die amerikanischen Truppen erreichen in zwei Wochen ihre volle Stärke von 100.000 Mann plus 50.000 weitere Nato- und ausländische Truppen - wurde durch einen weiteren Umstand erleichtert: Die "Antikriegs"-Bewegung hat nach der Wahl vom November 2008 praktisch ihre Tore geschlossen und ist nach Hause gegangen.

Zuerst haben die diversen liberalen und ex-radikalen Gruppen der Protestbewegung jahrelang die Feindschaft der Bevölkerung gegen die Kriege im Irak und in Afghanistan in sichere Kanäle umgeleitet, d.h. sie haben die Demokratische Partei unterstützt. Sie haben Obamas angeblich progressive Agenda geschluckt und die offizielle Linie weitgehend übernommen, dass der Afghanistankrieg ein "guter Krieg" sei. Es steht nicht zu erwarten, dass die umfangreichen Beweise für das Gegenteil, die diese Woche enthüllt worden sind, ihre Position verändern werden.

Trotz der anhaltenden Massenopposition gegen die Kriege im Irak und in Afghanistan, die sich bei jeder Wahl erneut zeigt, macht sich zweifellos eine gewisse Entmutigung breit, weil es praktisch unmöglich scheint, die Politik der USA zu verändern. Millionen haben 2008 gegen Krieg gestimmt, haben aber eine Obama-Regierung bekommen, die die Terrorkampagne gegen das afghanische Volk nur noch verstärkt und die Besatzung des Irak fortgesetzt hat.

Es ist notwendig, eine wirklich breite Antikriegsbewegung zu organisieren. Einen echten Kampf gegen Krieg kann es nur geben, wenn er Bestandteil einer unabhängigen, politischen Mobilisierung der Arbeiterklasse ist. Diese muss sich gegen das Profitsystem richten, das die Quelle des Militarismus ist. Der Kampf muss sich auch gegen die Demokratische und die Republikanische Partei richten, die das Profitsystem verteidigen. Diese Bewegung muss den sofortigen bedingungslosen Rückzug aller amerikanischen und anderen ausländischen Besatzungstruppen aus Afghanistan und dem Irak fordern. Weiter muss sie fordern, die Schuldigen an diesen Aggressionskriegen, die Regierungen Bush und Obama, zur Verantwortung zu ziehen.


*


Bitte senden Sie Ihren Kommentar an: wsws@gleichheit.de!.

Copyright 1998-2010 World Socialist Web Site - Alle Rechte vorbehalten


*


Quelle:
World Socialist Web Site, 28.07.2010
Kriegsverbrechen aktenkundig
http://wsws.org/de/2010/jul2010/wick-j28.shtml
Deutschland: Partei für Soziale Gleichheit
Postfach 040144, 10061 Berlin
Tel.: (030) 30 87 24 40, Fax: (030) 30 87 26 20
E-Mail: info@gleichheit.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Juli 2010