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GLEICHHEIT/2753: Rumänien - Regierung Boc nach Mißtrauensvotum am Ende


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Rumänien: Regierung Boc nach Misstrauensvotum am Ende

Von Markus Salzmann
27. Oktober 2009


Fünf Wochen vor der Präsidentenwahl ist Rumäniens Regierung unter dem liberal-konservativen Premierminister Emil Boc über ein Misstrauensvotum im Parlament gestürzt. Für den Antrag der oppositionellen Nationalliberalen und der Partei der ungarischen Minderheit stimmten 258 Abgeordnete, dagegen 176.

Die heftigen Konflikte, die sich nun bei der Bildung einer neuen Regierung abspielen, sind symptomatisch für das Hauen und Stechen der verschiedenen Cliquen der rumänischen Elite und den Kampf um Macht, Einfluss und Gelder. Eine Mehrheit im Parlament votierte diese Woche dafür, dass Präsident Traian Basescu den deutschstämmigen Klaus Johannis, Bürgermeister von Sibiu, mit der Regierungsbildung beauftragt. Dies lehnte Basescu aber umgehend ab.

Stattdessen nominierte er den parteilosen Nationalbank-Berater Lucian Croitoru. Dieser sei besser für Verhandlungen mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) geeignet, erklärte Basescu, wohlwissend, dass Croitoru keine Chance auf eine Mehrheit im Parlament hat. Dadurch will Basescu die Bildung einer neuen Regierung bis nach den Präsidentschaftswahlen hinauszögern.

Prinzipielle Unterschiede bestehen zwischen Croitoru und Johannis ohnehin kaum. Egal wer von ihnen neuer Premierminister Rumäniens wird, er wird einer so genannten Expertenregierung vorstehen, in der parteiunabhängige Minister den politischen Kurs bestimmen.

Dass eine solche Regierung mehr als nur eine Übergangslösung sein könnte, wird derzeit in Tschechien deutlich. Dort hat eine Expertenregierung unter Premier Jan Fischer ihr Mandat bis zum Frühjahr 2010 verlängert, nachdem sie zuerst nur für zwei Monate im Amt sein sollte.

Gleich wer die Regierung führt, sie wird die drastischen Angriffe auf die Bevölkerung fortsetzen, die die Regierung Boc eingeleitet hat. Dazu gehören unter anderem massive Lohnsenkungen im Öffentlichen Dienst und Steuererhöhungen. Der Internationale Währungsfonds (IWF) übt entsprechenden Druck auf die politische Führung in Bukarest aus. Vom 28. Oktober bis zum 9. November werden IWF-Vertreter das Land besuchen und die "Fortschritte" bei der Konsolidierung des Haushalts und den Reformen bewerten.

Rumänien konnte nur durch Milliardenkredite vor dem Bankrott bewahrt werden. Das gesamte Paket, finanziert vom IWF, der EU und der Weltbank, beträgt 20 Milliarden Euro. Fünf Milliarden wurden bereits mit Mai ausgezahlt, weitere zwei Mitte September, da die Vorgaben bis Juni eingehalten wurden. Die restlichen Raten sollen schrittweise bis Mai 2011 folgen, je nachdem ob Rumänien die Bedingungen erfüllt.

"Angesichts der gegenwärtigen politischen Entwicklung wird eine weitere Mission notwendig sein, um auch mit der neuen Regierung Gespräche zu führen", erklärte Jeffrey Franks vom IWF. Dabei machte er deutlich, dass der IWF die bislang eingeleiteten Maßnahmen nicht für ausreichend erachtet. Er forderte weitere Sparmaßnahmen, um das Haushaltsdefizit unter sechs Prozent zu drücken. Gegenwärtig liegt es bei 7,4 Prozent und hat sich gegenüber dem vorigen Jahr fast verdoppelt.

Sämtliche Parlamentsparteien sind sich einig, dass weitere Sparmaßnahmen nötig sind. Dabei leiden große Teile der Bevölkerung schon jetzt unter den heftigen Kürzungen, die mit steigender Arbeitslosigkeit und zunehmender Armut infolge der andauernden Wirtschaftskrise einhergehen.

Die Arbeitslosenrate hat sich seit September des Vorjahres von 3,9 auf 6,9 Prozent fast verdoppelt. Der IWF erwartet in seiner Prognose fürs Jahresende ein weiteres Ansteigen auf 9,6 Prozent. 2010 sollen es sogar zehn Prozent werden, was einer Million Arbeitslosen entsprechen würde. Dabei sind die offiziellen Zahlen weit von der Realität entfernt. Hunderttausende Rumänen sind in den Statistiken überhaupt nicht erfasst. In den ländlichen Gebieten an der Grenze zur Ukraine oder Moldawien sind bis zu 50 Prozent ohne Arbeit.

Wer Arbeit hat, ist mit Lohnsenkungen konfrontiert. Zahlreiche Unternehmen, die Kosten senken wollen, schicken die Arbeiter in unbezahlten Urlaub. Den Anfang machte im August die Regierung, die alle 1,4 Millionen Beamten für zehn Tage beurlaubte. Ebenfalls im August kündigte die rumänische ING-Tochter zehn Tage unbezahlten Urlaub für alle 1.000 Beschäftigten an. Und nun hat auch die rumänische Price Waterhouse Coopers angekündigt, ihre 650 Beschäftigten sollten zwischen Oktober und Juni nächsten Jahres 15 Tage daheim bleiben, um Kosten zu senken.

Was die Einkommen betrifft, ist Rumänien noch immer das Schlusslicht in der Europäischen Union. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) je Einwohner liegt laut Eurostat derzeit bei 10.700 Euro. Innerhalb der EU liegt nur noch Bulgarien mit 9.600 Euro niedriger. Der Durchschnitt aller 27 Mitgliedsstaaten beträgt 23.700 Euro. Unter diesen Umständen ist es nicht verwunderlich, dass 2008 nur 17 Prozent der Rumänen angaben, Vertrauen ins Parlament zu haben.


Die Rolle der Gewerkschaften

Anfang des Monats sind rund 800.000 Angestellte des Öffentlichen Dienstes in einen eintägigen Generalstreik getreten, und einige Tage später protestierten erneut etwa 15.000 Beamte und Angestellte in Bukarest und brachten den Verkehr in der Hauptstadt für Stunden zum Erliegen. Zahlreiche öffentlich Bedienstete organisierten "Streikwachen" vor den Hauptquartieren von Sozialdemokraten (PSD) und Liberaldemokraten (PD-L), die für das bereits beschlossene Sparpaket verantwortlich sind.

Die Gewerkschaften, die den Streik und die Protestaktionen organisierten, hatten ursprünglich für den 28. Oktober einen zeitlich unbeschränkten Generalstreik angekündigt. Vergangene Woche gab Sebastian Oprescu, Chef der Gewerkschaft des Öffentlichen Dienstes (SNFP), bekannt, dieser Streik werde auf unbestimmte Zeit verschoben. "Der Zusammenbruch der Regierung Boc nach dem Misstrauensvotum verlangt eine verantwortungsvolle Haltung der SNFP", erklärte der Gewerkschaftsführer. Die Führung der SNFP will sich am 17. und 18. November wieder treffen und entscheiden, ob und in welcher Form die Proteste wieder aufgenommen werden.

Die Absage des Generalstreiks macht deutlich, wie eng die Gewerkschaften mit der politischen Führung verbunden sind. Sämtliche rumänischen Gewerkschaften, gleich ob sie aus der ehemaligen stalinistischen Staatsgewerkschaft entstanden sind oder - wie die meisten im Land - von pro-kapitalistischen rechten Kräften geführt werden, vertreten nicht die Interessen ihrer Mitglieder. Anfang der neunziger Jahre hatten sie eine entscheidende Rolle bei der Einführung marktwirtschaftlicher Verhältnisse gespielt. Sie sind mitverantwortlich für die Privatisierung der ehemaligen staatlichen Betriebe und den damit einhergehenden Arbeitsplatzabbau.

Der gewerkschaftliche Organisationsgrad ist in Rumänien von fast 90 Prozent (1990) über 70 Prozent (1997) und 30 Prozent (2001) auf rund 15 Prozent geschrumpft. Selbst in Branchen mit traditionell hohem gewerkschaftlichen Organisationsgrad, wie dem Bergbau und der Schwerindustrie, ist nur noch jeder Dritte gewerkschaftlich organisiert. Am schwächsten ist ihre Verankerung im öffentlichen Sektor.

Dass sich trotz dem starken Misstrauen gegen die Gewerkschaft aus den Angriffen auf die öffentlich Bediensteten die größten Streiks seit 20 Jahren entwickelten, hat die SNFP nicht nur überrascht, sondern vor allem beunruhigt. Sie sieht ihre Aufgabe darin, die Beschäftigten ruhig zu halten und einer krisengeschüttelten Regierung den Rücken zu stärken.


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Quelle:
World Socialist Web Site, 27.10.2009
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http://wsws.org/de/2009/okt2009/paki-o27.shtml
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Oktober 2009