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GLEICHHEIT/2752: Washington drängt Pakistan an den Rand des Abgrunds


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Washington drängt Pakistan an den Rand des Abgrunds

Von Keith Jones
27. Oktober 2009
aus dem Englischen (23 Oktober 2009)


Unter dem massiven Druck der Obama Regierung führt Pakistan jetzt einen totalen Krieg in Süd-Waziristan. Seit dem 17. Oktober haben 28.000 pakistanische Soldaten, unterstützt von F-16 Kampfflugzeugen und Kampfhubschraubern, eine Drei-Fronten-Offensive in der Paschtunisch-sprachigen Stammesregion begonnen.

Ihr Angriffsziel ist die Tehrik-i-Taliban, eine Allianz aus Milizen der Stammesverbände, die gegen die Besetzung Afghanistans durch die USA kämpft. Sie bekämpft auch die pakistanische Regierung, die der Besatzungsmacht wichtige logistische Unterstützung gewährt. Das begann unter General Pervez Musharraf, der von den USA unterstützt wurde, und wird seit März 2008 unter der Regierungskoalition fortgesetzt, die von der pakistanischen Volkspartei angeführt wird.

Die führende Rolle der USA innerhalb der pakistanischen Offensive wurde besonders deutlich durch die plötzliche Landung von General Stanley McChrystal und General David Petraeus in Islamabad am Anfang der Woche. McChrystal ist Obamas Oberbefehlshaber im Afghanistankrieg und Petraeus der Chef des amerikanischen Zentralkommandos.

Nach dem Vorbild von Weißem Haus, Kongress und dem Verteidigungsministerium, quollen die amerikanischen Medien von Kommentaren, die die Ausweitung des Bürgerkriegs in Pakistan lobten, nur so über. Typisch war ein Beitrag in der Washington Post von David Ignatius unter der Überschrift "Pakistan schlägt zurück: Die Offensive in Süd-Waziristan ist das jüngste Anzeichen dafür, dass es die Taliban endlich ernst nimmt."

Es ist ihnen egal, dass die pakistanische Armee diese Offensive, mit der sie die USA bei der Verfolgung ihrer geopolitischen Ziele unterstützt, mit gefühlloser Gleichgültigkeit gegenüber dem Leben und den Lebensgrundlagen der einfachen Pakistaner führt.

So wie schon bei der letzten Frühjahrsoffensive im Swat-Tal und den angrenzen Distrikten der nordwestlichen Grenzregionen Pakistans, werden Wohnhäuser und Schulen durch Bomben und Artillerie dem Erdboden gleich gemacht und Tausende zur Flucht um ihr Leben gezwungen.

Süd Waziristan und die zu ihm gehörenden Stammesgebiete unter Bundesverwaltung (FATA), bilden Pakistans sozio-ökonomisch am stärksten benachteiligte Region. Sechzig Prozent der Bevölkerung leben von weniger, als in der offiziellen Armutsgrenze als lebensnotwendig festgelegt ist.

Islamabad hat die FATA in der Vergangenheit wie ein quasi-koloniales, abhängiges Gebiet behandelt. So erhielt sie wesentlich weniger pro Kopf Hilfe als anderen Regionen und bis vor etwas weniger als zehn Jahren wurde der übergroßen Mehrheit das Wahlrecht verweigert. Bei dem Versuch, die Unterstützung für den Aufstand in Afghanistan und gegen die von Großbritannien aufgezwungene Durand-Linie, durch die Paschtunen von Afghanistan und Pakistan getrennt werden, zu unterdrücken, haben die pakistanischen Behörden regelmäßig Verordnungen der britischen Kolonialherrschaft über den indischen Subkontinent angewendet, die kollektive Stammesstrafen erlaubten. Die Durand-Linie teilt die Regionen der Paschtunen, die sich auf beiden Seiten der Grenze zwischen Afghanistan und Pakistan befinden.

Die Gewalt in der FATA - einschließlich der wiederholten, von US-Drohnen geführten Raketenangriffe - haben mehr als eine Million Menschen bzw. nahezu ein Drittel der 3.5 Millionen Einwohner der Region in die Flucht getrieben.

Die Begeisterung in Washington für das Blutvergießen in Süd-Waziristan ist ein Beispiel für die blutige Einstellung, die innerhalb der herrschenden Elite Amerikas herrscht. Und es spricht für ihre Kurzsichtigkeit und Rücksichtslosigkeit.

Denn der US Imperialismus destabilisiert die gesamte Region und streut die Saat für künftige Kriege indem er seine beiden Ziele verfolgt: Die Sicherung der vorherrschenden US-Präsenz im ölreichen Zentralasien - einer Region, die ihm in der Vergangenheit durch die Existenz der Sowjetunion verschlossen war - und die Kontrolle eines aufsteigenden Chinas.

Iran, China, Russland, Indien und Pakistan grenzen entweder direkt an Afghanistan oder liegen in seiner unmittelbaren Nachbarschaft. Und alle melden - verständlicherweise - ihre Ansprüche und Interessen für die Zeit nach dem Afghanistankrieg an, der sich immer mehr ausweitet.

Dazu kommt noch, dass allen bewusst ist, dass die USA sich unter der Bush Administration verpflichteten, die geopolitische Lage in Asien grundlegend neu zu gestalten, indem sie Indien aggressiv umwarben und ihm sogar eine "globale strategischen Partnerschaft" anboten, um ihm dabei zu helfen, eine "Weltmacht" zu werden.

Zu diesem Zweck sicherten die USA Indien eine einmalige Ausnahmeregelung innerhalb des globalen nuklearen Regulierungssystems. Neu Delhi wurde erlaubt, sich am zivilen Handel mit Nuklearmaterial zu beteiligen, obwohl es den Atomwaffensperrvertrag ignorierte und an der Entwicklung von Nuklearwaffen arbeitete.

Obwohl Pakistan mehrfach protestierte, hat das indo-amerikanische Nuklearabkommen das Gleichgewicht der Kräfte in Asien verändert, indem es dessen Erzrivalen Indien die Mittel gab, sein eigenes Atomprogramm auf die Entwicklung seines Atomwaffenarsenals zu konzentrieren.

Russland und China haben der US-NATO-Intervention in Afghanistan zugearbeitet. Russland erlaubt nun den Transport von Kriegsmaterial durch sein Territorium. Aber Moskau und Peking teilen das Ziel, den amerikanischen Einfluss in Zentralasien ernsthaft einzudämmen. Dieses gemeinsame Interesse fand seinen Ausdruck in der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit. Es zeigte sich aber auch in ihren Versuchen, ihre Reaktionen auf Washingtons Kampagne aufeinander abzustimmen, den Iran wegen seines Atomprogramms zu schikanieren und zu bedrohen.

So wie im Irak, hat der Iran einen wackligen modus vivendi mit den amerikanischen Streitkräften in Afghanistan erreicht. Aber unter Bedingungen, wo Washington dem Iran mit lähmenden Sanktionen, einschließlich eines internationalen Benzinembargos, droht und die Obama-Regierung einen Antrag des Verteidigungsministeriums in Erwägung zieht, die amerikanischen Truppen in Afghanistan auf 100.000 Mann aufzustocken, muss Teheran zwangsläufig besorgt sein.

Teheran hat die Vereinigten Staaten, Großbritannien und bestimmte Kräfte in Pakistan der Komplizenschaft bei zwei Bombenattentaten in der ost-iranischen Provinz Sistan-Belutschistan in der letzten Woche bezichtigt, bei denen mehr als 40 Menschen, einschließlich sechs ranghoher Mitglieder der iranischen Revolutionsgarden, getötet wurden.

Die pakistanische Elite, und insbesondere ihre Armee, haben über Jahrzehnte hinweg auf Kosten der pakistanischen Bevölkerung eine lukrative Verbindung mit dem US Imperialismus gepflegt. Angefangen bei Ayub Khan Mitte der 1950er Jahre und bin hin zu dem erst kürzlich abgesetzten Musharraf, hat Washington den Erfolg einer Reihe äußerst rechter Militärdiktaturen in Pakistan finanziert.

Aber unter den wichtigsten Staaten der Region ist Pakistan derjenige, dessen inneres Gleichgewicht und strategische Interessen durch den US-Eroberungskrieg gegen Afghanistan und den Versuch, Indien eine Schlüsselfunktion bei ihrem Feldzug gegen China zukommen zu lassen, am unmittelbarsten bedroht werden.

Um jegliche Unterstützung für den Aufstand in Afghanistan im Keim zu ersticken, wurde Islamabad z.B. durch finanzielle Anreize und die wiederholte Verletzung seiner Souveränität dazu gedrängt, in weiten Teilen seines Nordwestens Krieg zu führen. Und die USA haben deutlich gemacht, dass sie eine baldige Ausweitung der militärischen Operationen auf die unberechenbare westliche Provinz Belutschistan erwarten.

Frühere militärische Offensiven in Süd Waziristan endeten nicht nur wegen des zähen Widerstands mit einem Fehlschlag, sondern auch weil viele paschtunische Soldaten sich Berichten zufolge weigerten, ihre Brüder zu töten. Es gibt Berichte, dass die pakistanische Armee in der gegenwärtigen Offensive hauptsächlich nicht-paschtunische Truppen einsetzt, aber in einem von ethnisch-sprachlichen und kommunalen Spannungen zerrissenem Land kann so etwas auch leicht zentrifugale Kräfte freisetzen.

Vor weniger als zwei Jahren zerbrach die Dikatur Musharrafs unter der kombinierten Wirkung einer wachsenden Wirtschaftskrise, der weit verbreiteten Ablehnung seiner Unterstützung für die amerikanischen Kriege in Afghanistan und dem Irak und wegen seiner Weigerung, dem Volk elementare demokratische Rechte zu gewähren. Die von der Pakistanischen Volkspartei PPP geführte Regierung, die die Diktatur ablöste, hat Pakistan nur noch tiefer in den Afghanistankrieg verwickelt. Sie war gezwungen einen Reorganisationsplan des IWF anzunehmen und Musharraf und seine Kumpane auf freiem Fuß zu lassen, um sich die Unterstützung des Militärs zu erhalten.

Innerhalb des politischen und militärischen Establishments gibt es enorme Bedenken und Unmut über das Ausmaß, in dem Islamabad gezwungen wird, Pakistans langfristige strategische Interessen zu opfern, um amerikanische Ziele sichern zu helfen - und dies sogar noch, obwohl Washington Indien mit Gefälligkeiten überhäuft.

Die pakistanische Elite ist empört darüber, dass die USA Indien ermutigt hat, eine größere Rolle in Afghanistan zu spielen, besonders weil Indien verlangt, dass Islamabad alle Verbindungen zu den paschtunischen Taliban und ihren islamischen Milizen abzubrechen.

Indien, das seinerseits ängstlich darauf bedacht ist, dass Islamabad die missliche Lage der USA in Afghanistan nicht ausnutzen kann, um mehr Einfluss zu gewinnen, hat Pakistan gegenüber eine harte Line eingeschlagen und verlangt, dass es aufständische Gruppen in Kaschmir mit der gleichen Härte unterdrückt, wie sie im Kampf gegen die pakistanischen Taliban eingesetzt wird.

Die Ängste der pakistanischen Elite über ihre sich rapide verschlechternde geopolitische Lage drückten sich letzte Woche in den Äußerungen von Innenminister Rehman Malik aus. Zuerst machte er geltend, dass Indien hinter den Unruhen in Belutschistan stecke. Später weitete er den Vorwurf aus und sagte, dass Neu Delhi hinter den meisten Anschlägen in Pakistan stecke.

Malik sagte, "Wir haben konkrete Hinweise, [dass] Indien nicht nur in Belutschistan, sondern in fast alle terroristischen Aktivitäten in Pakistan verwickelt ist." Indien, klagte Malik, stoße regelmäßig Drohungen gegenüber Pakistan aus. Dann fügte er hinzu, "Wir sind eine Atommacht und nicht gerade schwach. Wir wissen besser, wie man Vergeltung übt."

Der Versuch der amerikanischen Elite ihren wirtschaftlichen Niedergang durch Angriffskriege wettzumachen, destabilisiert die Politik auf der ganzen Welt und gießt Öl in seit langer Zeit bestehende Konflikte. Wenn der Imperialismus daran gehindert werden soll, die Katastrophen des zwanzigsten Jahrhundert zu wiederholen, muss die internationale Arbeiterklasse gegen den Kapitalismus und das überholte Nationalstaatensystem mobilisiert werden.


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Quelle:
World Socialist Web Site, 27.10.2009
Washington drängt Pakistan an den Rand des Abgrunds
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Oktober 2009