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GLEICHHEIT/2738: Dollarabwertung und Arbeiterklasse


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Dollarabwertung und Arbeiterklasse

Von Barry Grey
16. Oktober 2009
aus dem Englischen (13. Oktober 2009)


Immer mehr Anzeichen deuten auf größere Verschiebungen in der Weltwährungsarchitektur hin. Seit März befindet sich der Dollar in ständigem Verfall und hat seitdem 13,3 Prozent an Wert verloren. Vergangene Woche beschleunigte sich sein Niedergang und trieb den Goldpreis auf rekordverdächtige Höhen. Mehrere asiatische Zentralbanken intervenierten daraufhin auf den Währungsmärkten, um das Sinken des Dollars zu verlangsamen.

Dennoch unterlassen es prominente Finanzzeitungen und Wirtschaftskommentatoren, vor den Folgen dieser Erosion des Wertes der wichtigsten Handels- und Reservewährung zu warnen. Stattdessen argumentieren sie, der Trend sei zu begrüßen. Es müsse zugelassen werden, dass der Dollar langfristig weiter sinkt.

Am Samstag veröffentlichte die Londoner Financial Times einen Leitartikel unter dem Titel "Starke USA brauchen schwächeren Dollar". Die Zeitung schrieb: "Dieser Wertverfall sollte keine Angst einjagen und nicht behindert werden, auch wenn er schwerwiegend ist.... Es wäre sogar durchaus hilfreich, wenn der Dollar noch schwächer würde. ... Ein schwächerer Dollar würde den amerikanischen Exporteuren helfen und Importe in die USA teurer machen.

"Das brauchen die USA - und die Welt. Mittelfristig, so drückte es Mr. Summers [Obamas Chefberater in Wirtschaftsfragen] Anfang des Jahres aus 'muss die reorganisierte amerikanische Wirtschaft mehr exportorientiert, und sie muss weniger konsumorientiert sein'. Kurz gesagt, die USA müssen lernen, nicht über ihre Verhältnisse zu leben, und die übrige Welt muss aufhören, sich auf diese Verschwendung zu stützen."

Die Financial Times vom Montag bringt einen Artikel des Wirtschaftskolumnisten Wolfgang Münchau unter der Überschrift "Das Argument für einen schwächeren Dollar". Er setzt sich für ein neues Ausbalancieren der Weltwirtschaft ein, in der das amerikanische Zahlungsbilanzdefizit stark reduziert wäre, der Überschuss Asiens zurückgefahren würde und das Defizit der Eurozone "etwas größer" wäre.

"Längerfristig", schreibt er, "würde eine solche Welt wichtige Reformen des internationalen Währungssystems erfordern. Kurzfristig würde der Verfall des Wechselkurses des Dollars dazu beitragen, dass wir dahin kommen."

Er meint, die Versprechungen von US-Vertretern, "sich für einen starken Dollar einzusetzen", seien unaufrichtig. In Wirklichkeit begünstigten die USA den Dollarverfall als Teil ihrer Export gestützten Erholungsstrategie.

Münchau schreibt weiter, die notwendige langfristige Reform des internationalen Währungssystems beinhalte eine permanent verringerte globale Rolle des Dollars. Er nimmt an, dass die Welt sich "auf ein duales System zu bewegt, in dem der Dollar und der Euro faktisch als Reservewährungen fungieren".

Diese und ähnliche Kommentare schweigen sich über die enormen Risiken aus, die eine dauerhafte Abwertung des Dollars und die Verwässerung seines Status' als Reservewährung mit sich brächten. Ein solches Projekt enthält den Keim einer Fragmentierung des Weltmarkts. Die Annahme, dass diese Veränderung auf geordnete Weise erreicht werden könne, ohne z.B. konkurrierende Abwertungen in Europa und Asien, die Bildung von Währungs- und Handelsblöcken, das Ausbrechen von Handelskrieg und letztlich auch militärischen Konflikten zwischen den Großmächten, ist höchst spekulativ.

Einer der seichtesten Kommentare zu Gunsten eines schwächeren Dollar stammt von dem amerikanischen Ökonomen und Kolumnisten der New York Times, Paul Krugman. In einem Gastkommentar vom Montag, tut er die Bedenken wegen der langfristigen Folgen eines Dollar-Niedergangs als ziemlich kauzig ab.

Ohne Berücksichtigung der internationalen Folgen eines weiteren Dollarverfalls oder seiner Konsequenzen für die sozialen Beziehungen in den USA kommentiert er den "gegenwärtigen Aufschrei" über den sinkenden Dollar mit folgenden Worten: "In Wahrheit ist das Sinken des Dollar eine gute Nachricht."

Ein niedrigerer Dollar ist "gut für US-Exporteure", schreibt Krugman. "Er hilft uns beim Übergang von einem riesigen Handelsdefizit zu einer vernünftigeren internationalen Position." Er spricht sich dafür aus, den Leitzins, der im Moment praktisch bei Null Prozent liegt, "für etwa zwei Jahre so zu belassen". Er sagt nichts zu den Folgen eines abgewerteten Dollars für den Status der US-Währung als Weltreservewährung.

Sicher ist allerdings, dass es verheerende Auswirkungen auf das Leben der amerikanischen Arbeiterklasse hat, wenn der Dollar seinen Status als unbestrittene Weltreservewährung verliert.

Der stabile Dollar war das Fundament des internationalen kapitalistischen Währungssystems, das am Ende des zweiten Weltkriegs in Bretton Woods eingeführt worden war. Der Dollar war fast sieben Jahrzehnte lang die wichtigste Handels- und Reservewährung der Welt. Die einzigartige und privilegierte Rolle des Dollar, die im Übrigen dem US-Kapital enorme Vorteile brachte, stützte sich auf die unangefochtene ökonomische Vorherrschaft der USA am Ende des Zweiten Weltkriegs. Diese wiederum beruhte auf der globalen Dominanz der amerikanischen Industrie.

Der langfristige Niedergang des amerikanischen Kapitalismus fand seinen Ausdruck vor allem im Zerfall seiner industriellen Basis. Er führte zu massiven globalen Ungleichgewichten zwischen Schuldnernationen, vor allem den USA, und Gläubigernationen wie China, Japan und Deutschland. Diese Ungleichgewichte führten im vergangenen Jahr zur Implosion der Weltwirtschaft. Hinter der Erosion der internationalen Position des Dollar steht letztlich die Umwandlung der USA vom industriellen Weltzentrum in das Zentrum der globalen Finanzspekulation und des Parasitismus.

Den Dollar weiter fallen zu lassen, bedeutet, die Realität des amerikanischen Niedergangs zu anerkennen, sowie die Notwendigkeit, eine Grundlage für ein erneutes Wachstum des Weltkapitalismus zu finden. Im Zentrum einer solchen globalen Neujustierung der Wirtschaft steht eine grundlegende Umstrukturierung der Klassenbeziehungen in den Vereinigten Staaten.

Der Rahmen des Bretton Woods Abkommens verschaffte der amerikanischen Bourgeoisie einen riesigen Vorteil bei der Organisierung der Klassenbeziehungen in den USA. Die herrschende Klasse konnte kreditfinanzierte Ausgaben tätigen und inflationäre Politik betreiben, um den Forderungen der Arbeiterklasse nachgeben zu können, weil die Welt den Dollar unbesehen akzeptierte. Ohne diesen Vorteil müssen die USA sich mühsame fiskalische und geldpolitische Zurückhaltung auferlegen, deren Kosten der Arbeiterklasse aufgehalst werden.

Dieser Prozess hat bereits begonnen. Im Namen der globalen Neujustierung der Wirtschaft und innenpolitischer Reformen versucht die Obama-Regierung, den Konsum der Arbeiterklasse zu beschneiden, die Produktionskosten zu senken und die Exporte zu steigern.

Das läuft darauf hinaus, die amerikanischen Arbeiter einer wirtschaftlichen "Schocktherapie" zu unterziehen, wie sie der IWF in den letzten 25 Jahren häufig verschuldeten Ländern der Dritten Welt aufgezwungen hat. Sie besteht aus Abwertungen, begleitet von einer Senkung der Staatsausgaben im sozialen Bereich und von Massenarbeitslosigkeit. Dadurch werden die Löhne unter Druck gesetzt und die Ausbeutung gesteigert. Das sind die Methoden, die jetzt gegen die amerikanische Arbeiterklasse zum Einsatz kommen.

Die Schließung ganzer Fabriken in den USA und die Verlagerung der Produktion in Niedriglohnparadiese soll rückgängig gemacht werden. Dieser Prozess führt zu einer Abhängigkeit der USA von Krediten aus Überschussländern wie China und Japan, was dauerhaft nicht tragbar sein wird. Die Industrie in den USA soll auf der Grundlage der Zerstörung von Löhnen; Arbeitsbedingungen und des Lebensstandards der Arbeiterklasse wiederbelebt werden.

Die USA sollen zu einem Niedriglohnland werden, das auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig ist. Dazu muss die amerikanische Arbeiterklasse ein Ausmaß an Ausbeutung akzeptieren, wie sie es seit hundert Jahren nicht mehr kennt. Ihre Löhne und ihr Lebensstandard sollen denen der überausgebeuteten Arbeiter in Asien angenähert werden.

Dieses Klassenkriegsprogramm steht hinter dem Angriff Obamas auf die Arbeitsplätze und Löhne der Autoarbeiter, hinter seiner Weigerung, bankrotten Bundesstaaten und Kommunen Hilfe zu gewähren, und hinter den Zielen seiner Gesundheitsreform. Letztere beschneidet die Leistungen für Arbeiter und greift Programme wie Medicare an.

Amerika wird erneut dem Weltkapitalismus ein Beispiel geben und als Modell für ähnliche Angriffe auf Arbeiter in jedem Land dienen.

Die Arbeiterklasse der Vereinigten Staaten hat allerdings nicht die Absicht, sich ihrer Verarmung zu unterwerfen. Das bedeutet, dass die Bühne für ein neues Kapitel der Klassenkämpfe bereitet wird, die in den USA und weltweit gewaltige Ausmaße annehmen werden.

Siehe auch:
G-8-Führer erzielen keine Einigung zu globaler Krise -
China, Frankreich und Russland stellen Rolle des
US-Dollar in Frage (14. Juli 2009)


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Quelle:
World Socialist Web Site, 16.10.2009
Dollarabwertung und Arbeiterklasse
http://wsws.org/de/2009/okt2009/doll-o16.shtml
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Oktober 2009