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GLEICHHEIT/2718: FDP - Die Stimme der Wirtschaftsverbände


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

FDP: Die Stimme der Wirtschaftsverbände

Von Dietmar Henning
3. Oktober 2009


Am kommenden Montag, nur eine Woche nach der Bundestagswahl, nehmen CDU/CSU und FDP in Berlin die Koalitionsgespräche zur Bildung der neuen Regierung auf. Die Union hat erklärt, sie wolle bereits in fünf bis sechs Wochen ein neues Regierungsprogramm vorstellen.

In den vergangenen Tagen haben führende FDP-Politiker, allen voran der Parteivorsitzende Guido Westerwelle, klar gemacht, wie dieses Regierungsprogramm aussehen soll. Es wird bislang kaum vorstellbare Einschnitte bei sozialen Leistungen und Rechten, eine weitere Begünstigung der Wirtschaft und der Besserverdienenden sowie eine aggressive nationalistische Außenpolitik beinhalten.

Aufgrund des Wahlergebnisses ist die FDP in der neuen Regierung weit stärker vertreten als in der Regierung Helmut Kohls (CDU), die 1998 abgewählt wurde. Das Handelsblatt schrieb am 1. Oktober in einem Kommentar: "Es lag vor allem an Angela Merkels Reformschwäche, dass Unternehmer und Selbstständige in Scharen zu den Liberalen übergelaufen sind. Es war für viele die Hoffnung, eine dynamische FDP könnte eine sozialdemokratisierte Union wieder zur Vernunft bringen."

Die FDP tritt dementsprechend auf. Auf Aussagen von CDU-Sozialpolitikern, Themen wie der Kündigungsschutz würden nicht Gegenstand der Verhandlungen sein, antworteten FDP-Führer brüsk. Der stellvertretende FDP-Vorsitzende Andreas Pinkwart warnte die Union in der Bild -Zeitung: "Die Union kann nicht von vorneherein ganze Politikfelder ausschließen und für nicht verhandelbar erklären. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Union sollten verbal abrüsten."

Westerwelle erklärte: "Unser Kompass in den Verhandlungen wird unser Programm sein." Davon wolle die FDP so viel wie möglich umsetzen.

Das Programm der FDP, "Deutschlandprogramm" genannt, ist ein Aufruf, alles abzuschaffen, was die Arbeiterbewegung in den letzten 150 Jahren erkämpft hat.

Mit einem "einfachen" Lohn- und Einkommenssteuermodell sollen vor allem die Besserverdienenden entlastet werden. Es soll nur noch Stufen von 10 und 25 Prozent sowie einen Spitzensteuersatz von 35 Prozent geben. Derzeit liegt der Spitzensteuersatz bei 42 Prozent, bzw. bei 45 Prozent für Einkommensbestandteile über 250.000 Euro (Singles) und 500.000 Euro (Verheiratete). Vor Amtsantritt der Regierung Schröder (SPD) lag er noch bei 53 Prozent.

Die Wirtschaft soll ebenfalls mit Entlastungen beglückt werden. Die Gewerbesteuer, eine wichtige Einnahme der Kommunen, soll abgeschafft werden. Verluste von Risiko-Kapital-Investoren sollen wieder "voll geltend gemacht werden können".

Der Kündigungsschutz soll weitestgehend abgeschafft werden. Er soll nur für Betriebe mit mehr als 20 Beschäftigten und nach einer Beschäftigungsdauer von zwei Jahren gelten. Bereits bei Vertragsschluss sollen zudem Arbeiter anstatt des gesetzlichen Kündigungsschutzes im Falle von betriebsbedingter Kündigung "eine Abfindung, beziehungsweise den Anspruch auf eine vom Arbeitgeber zu finanzierende Weiterbildung vereinbaren können". Es ist klar, dass Arbeiter, die einen Job suchen, vor Vertragsabschluss keine Wahl haben werden.

Auch Mindestlöhne lehnt die FDP ab: "Die Tarifautonomie muss vor staatlichen Lohndiktaten geschützt werden." Der FDP schwebt sogar die Schaffung von Sonderwirtschaftszonen (sie nennt das Modellregionen) vor, in denen Landesregierungen die Aussetzung von Gesetzen und Regelungen bestimmen können. Schon 1990 hatte sie gefordert, die ehemalige DDR zu einer Sonderwirtschaftszone zu erklären.

Zudem soll die Bevölkerung mit der Privatisierung der Sozialversicherungen für die Senkung der Steuern für die Reichen und die Wirtschaft bezahlen. "Ein Konzept für eine gerechte Steuer muss mit der Konsolidierung der Staatsfinanzen verbunden sein", heißt es im FDP-Wahlprogramm. Die FDP fordert ein Neuverschuldungsverbot für Bund, Länder und Gemeinden, was drastische Einschnitte bei der Bildung sowie die Einstellung vieler sozialer Dienste und öffentlicher Einrichtungen wie Schwimmbäder, Sportplätze, Bibliotheken usw. bedeuten würde.

Die gesetzlichen Sozialversicherungen werden, wenn es nach dem Willen der FDP geht, privatisiert. Die Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung sollen auf ein "kapitalgedecktes" Privatmodell überführt werden, in dem die Versicherten je nach Geldbeutel "selbst entscheiden können", was und wie sie etwas versichern. "Unbürokratisch ausgestaltete Selbstbeteiligungen sind für ein kosten- und gesundheitsbewusstes Verhalten unerlässlich."

Die Arbeitslosenversicherung soll vollständig umgebaut und stark reduziert werden. Die Ausgaben für das Arbeitslosengeld I sollen gekürzt werden, indem die Staffelung der Bezugsdauer nach der vorhergegangenen Beschäftigungsdauer abgeschafft wird.

Langzeitarbeitslose sollen ein "Bürgergeld" erhalten. Darin sollen das Arbeitslosengeld II, Leistungen für Wohnen und Heizung, das Sozialgeld, die Grundsicherung im Alter, der Kinderzuschlag und das Wohngeld zusammengefasst werden. "Die Leistungen werden beim Bürgergeld grundsätzlich pauschaliert gewährt und von einer einzigen Behörde, dem Finanzamt, verwaltet", so das Programm. Ein Arbeitsloser ohne Kinder soll dann nur noch 662 Euro pro Monat erhalten und davon alles selbst bezahlen. "Bei Ablehnung einer zumutbaren angebotenen Arbeit wird das Bürgergeld gekürzt."

Wenn der Arbeitslose dann seine Miete nicht zahlen kann, ist er seinem Vermieter schutzlos ausgeliefert. Denn: "Asymmetrische Kündigungsfristen, überlange Verfahrensdauern bei Zahlungs- und Räumungsklagen sowie Schonfristen für säumige Mieter sind abzuschaffen."

Das Beschwören der "bürgerlichen Freiheitsrechte" durch die FDP - wie sie es auch in diesem Bundestagswahlkampf wieder getan hat - war faktisch stets ein Ablenkungsmanöver. Der so genannte "liberale Flügel" war stets in der Minderheit. Die Bürgerrechte fielen dann für gewöhnlich dem "Druck" des Koalitionspartners zum Opfer. Dies wird in der kommenden Koalitionsvereinbarung nicht anders sein. Die Union hat klar gemacht, dass sie den durch die letzten beiden Bundesregierungen beschlossenen Abbau demokratischer Rechte genauso wenig zurücknehmen wird wie die staatlichen Überwachungsmaßnahmen.

Ein Kompromiss könnte dann folgendermaßen aussehen: CDU/CSU werden sich beim Abbau demokratischer Rechte und dem Ausbau der "Sicherheitsmaßnahmen" durchsetzen, die FDP beim Sozialabbau und der Begünstigung der Reichen und Konzerne.

Einige Medien und Verbände haben sich inzwischen dafür ausgesprochen, dass FDP-Chef Westerwelle das Amt eines so genannten Superministers für Finanzen und Wirtschaft übernimmt. Der Präsident des Bundes der Steuerzahler, Karl Heinz Däke, betonte, so könne Westerwelle "viel besser seinen steuer- und finanzpolitischen Sachverstand einbringen". Für gewöhnlich erhält der kleinere Koalitionspartner das Amt des Außenministers, das mit dem Amt des Vizekanzlers verbunden wird.

Wie in der Innenpolitik so vertritt die FDP auch in der Außenpolitik ein Programm, das die Interessen der deutschen Wirtschaft aggressiv verfolgt. Dabei soll sich der deutsche Imperialismus als Vormacht in Europa durchsetzen und sich auf Augenhöhe mit den USA messen.

Das FDP-Programm spricht sich für einen "unverfälschten Wettbewerb" im europäischen Binnenmarkt aus. Die EU-Gelder, die jetzt noch zum Großteil in Agrar- und Strukturfonds und damit in die Taschen der europäischen "Bündnispartner" fließen, sollen umgelenkt werden in "strategische Bereiche europäischer Politik", wie etwa die Sicherung der EU-Außengrenzen und die Außen- und Sicherheitspolitik. "Langfristiges Ziel bleibt für die FDP der Aufbau europäischer Streitkräfte unter gemeinsamem Oberbefehl."

In der NATO will die FDP das "europäische Gewicht erhöhen". "Die FDP strebt eine gleichberechtigte Sicherheitspartnerschaft im Atlantischen Bündnis an. Dafür ist die europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik auszubauen und die Bundeswehr zu stärken."

Auch andere Organisationen seien im Sinne deutscher Interessen zu reformieren. "Deutschland, das wesentlich zur Finanzierung internationaler und europäischer Organisationen beiträgt, muss in diesen endlich auch personell angemessen vertreten sein."

Die FDP setzt sich daher für einen europäischen Sitz im Sicherheitsrat der UN ein. Solange ein Sitz für die EU nicht zustande komme, "wäre ein eigener deutscher Sitz die zweitbeste Lösung".

So gestärkt möchte die FDP "zusammen mit der neuen amerikanischen Regierung daran arbeiten, den Westen als handlungsfähige Gemeinschaft der aufgeklärten, rechtsstaatlichen Demokratien dieser Welt neu zu begründen". Mit Russland will sie im "kritischen Dialog und pragmatischer Zusammenarbeit" stehen.

Im Nahen Osten verfolgt sie eine Politik mit dem Geldbeutel: Die wirtschaftliche Unterstützung aller Länder der Region soll von deren Unterstützung für den "Friedensprozess" abhängig sein.

In Afghanistan hingegen setzt sich die FDP indirekt für eine Aufstockung der Einsatzkräfte ein. Es sei versäumt worden, "den Aufbau effizienter Regierungs-, Verwaltungs- und Sicherheitsapparate voranzutreiben", heißt es im Programm. Dieser Aufbau benötige mehr Personal aus Deutschland, etwa zum Aufbau der afghanischen Polizei.

Im Iran, wo Deutschland als einer der größten Wirtschaftspartner wichtige Interessen verteidigt, unterstützt die FDP den "Weg der Diplomatie".

Was die FDP unter dem "Weg der Diplomatie" versteht, zeigen die weltweiten Aktivitäten der parteinahen Friedrich-Naumann-Stiftung "Für die Freiheit", die mit Millionenbeträgen aus staatlichen Etats subventioniert wird - im Jahr 2007 mit mehr als 36 Millionen Euro.

Die Stiftung greift mit ihrem weltweiten Kontaktnetz aktiv in die innenpolitischen Auseinandersetzungen in anderen Ländern ein und versucht, ethnische und religiöse Konflikte zu schüren. So organisierte sie im Juni in Frankfurt eine Konferenz mit dem Leitthema "Nationalitätenfrage und Demokratie im Iran". Sie hatte die Aufgabe, die Belange ethnischer und religiöser Minderheiten im Iran - "Aseri, Kurden, Araber, Belutschen, Turkmenen, Bahai sowie andere kleinere Völker und religiöse Glaubensgemeinschaften" - "verstärkt in den Fokus der internationalen Öffentlichkeit zu rücken".

FDP-Außenminister Hans-Dietrich Genscher hatte schon Anfang der 1990er Jahre eine wichtige Rolle dabei gespielt, den Bürgerkrieg in Jugoslawien anzufachen. Durch die vorschnelle Anerkennung der Abtrennung Sloweniens und Kroatiens, dessen separatistischen Bestrebungen der deutsche Auslandsgeheimdienst BND seit langem geschürt hatte, stellte er die Weichen zum Bürgerkrieg. Genscher ist heute Ehrenvorsitzender der FDP und hat sich in den letzten Tagen wiederholt mit Westerwelle in der Öffentlichkeit präsentiert, um den Anspruch der FDP auf das Außenministerium zu unterstreichen.

Die Naumann-Stiftung unterhält auch in Lateinamerika Verbindungen zu Regierungsgegnern in Venezuela und Bolivien. In Honduras hat sie auf Seiten der Putschisten gegen die demokratisch gewählte Regierung interveniert. In Tibet unterstützte sie die anti-chinesischen Proteste vom vergangenen Sommer.

An der Spitze der Friedrich-Naumann-Stiftung steht Wolfgang Gerhardt, langjähriger Vorsitzender der FDP (1995 bis 2001) und ihrer Bundestagsfraktion (1998 bis 2006). Vor der Bundestagswahl 2005 war er als Außenminister vorgesehen. Als die FDP in der Opposition blieb, übernahm er den Vorsitz der Parteistiftung, die in der Außenpolitik eine höchst aktive Rolle spielt. Guido Westerwelle, der nun voraussichtlich das Außenministerium übernehmen wird, ist der Stiftung nicht nur über Gerhardt eng verbunden, er ist auch früherer Stipendiat der Friedrich-Naumann-Stiftung.

Die FDP war in der sechzigjährigen Geschichte der Bundesrepublik 42 Jahre lang an der Regierung beteiligt - von 1949 bis 1957, von 1961 bis 1966 und von 1969 bis 1998 - so lange wie keine andere Partei. In der Wirtschafts- und Sozialpolitik stand sie genauso wie in der Außenpolitik seit ihrer Gründung am rechten Rand.

Nach dem Krieg waren viele ehemalige Nazis in der FDP untergekommen, die nationalliberale und selbst deutschnationale Strömungen aus der Weimarer Republik in ihre Reihen eingliederte. Auf ihrem Bundesparteitag 1951 verlangte sie die Freilassung aller "so genannten Kriegsverbrecher". Die Gründung des "Verbands Deutscher Soldaten" aus ehemaligen Wehrmachts- und SS-Angehörigen begrüßte die FDP, um die nationalistischen Kräfte zu integrieren.

Als die FDP 1969 eine Koalitionsregierung mit der SPD bildete, traten diese Rechten in den Hintergrund, blieben aber aktiv in der FDP. Die Selbstdarstellung der FDP als liberale bürgerliche Partei, die für die Rechte und Freiheit der Bürger steht, begründet sich einzig aus ihrer Rolle in der Zeit der sozialliberalen Koalition von 1969 bis 1982. Unter Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) übernahm Walter Scheel 1969 für die FDP das Außenministerium. Dieses sollte bis 1998 29 Jahre lang ununterbrochen in der Hand der FDP bleiben.

Mitte der 1990er Jahre trat zum vorerst letzten Mal ein national-konservativer Kreis um den ehemaligen Generalbundesanwalt Alexander von Stahl und den Berliner Publizisten Rainer Zittelmann in die Öffentlichkeit. 1998 verlor dann Stahl die Wahl zum Vorsitzenden der Berliner FDP. Seitdem haben sich diese Kräfte zurückgehalten.

Doch sie werden innerhalb der FDP angesichts der internationalen Wirtschaftskrise und der wachsenden Konflikte zwischen den imperialistischen Staaten Auftrieb erhalten. Die hartnäckige Weigerung Westerwelles, auf der ersten Pressekonferenz nach der Wahl Englisch zu sprechen, ist nicht seinen mangelnden Englischkenntnissen oder Übernächtigung geschuldet. Die britische Zeitung The Independent traf den Grund genauer: Sie sprach von einem "neuen teutonischen Selbstbewusstsein".


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Quelle:
World Socialist Web Site, 03.10.2009
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Oktober 2009