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GLEICHHEIT/2586: Opelarbeiter kämpfen gegen Streichung des Urlaubsgelds


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Opelarbeiter kämpfen gegen Streichung des Urlaubsgelds

Von Ulrich Rippert
14. Juli 2009


Im Opelwerk Bochum wächst der Widerstand gegen immer weitere Lohnsenkungen, den Abbau von Tarifleistungen und andere Verschlechterungen. Auf einer Betriebsversammlung im RuhrCongress Bochum stießen die Pläne der Opel-Geschäftsführung, das Urlaubsgeld "auf Eis" zu legen, auf heftige Opposition.

Die Rede von Personalchef Holger Kimmes wurde mehrmals durch Buh-Rufe und laute Pfeifkonzerte unterbrochen. Kimmes berichtete, die Unternehmensleitung habe in Absprache mit dem Gesamtbetriebsrat die Auszahlung des diesjährigen Urlaubsgelds für alle 25.000 Opelbeschäftigte an deutschen Standorten gestoppt. Diese Maßnahme sei Teil des "Opel-Rettungsplans", der auch von der IG Metall und den Betriebsräten unterstützt werde.

Über zwei Dutzend Beschäftigte, weit mehr als sonst, ergriffen daraufhin am Saalmikrophon das Wort und betonten, dass diese Entscheidung nicht zu akzeptieren sei. Das Urlaubsgeld mache bei einem dreiwöchigen Urlaub 500 Euro aus und sei fest eingeplant. Mehrere Redner sagten, die Nichtauszahlung der zweiten Stufe der Tariferhöhung von 1,2 Prozent, die im Februar durchgesetzt worden war, sei bereits schmerzhaft gewesen. Dazu kämen Monat für Monat Lohnverluste von mehreren hundert Euro durch die nun schon seit langem anhaltende Kurzarbeit.

Als der Personalchef antwortete, die Alternative zur Einfrierung des Urlaubsgelds sei ja bekannt, löste er ein weiteres Pfeifkonzert aus. Zwei Tage später versammelten sich 200 Beschäftigte auf mehreren Schichten in den Bochumer Opelwerken und veranstalteten spontane Protestaktionen mit selbst gemalten Schildern "Wir lassen uns nicht erpressen!" Vor allem die Tatsache, dass der Vorsitzende des Gesamtbetriebsrats Klaus Franz bereits Mitte Juni in einem Info-Brief des Betriebsrats das Einfrieren des Urlaubsgelds unterstützt hatte, verärgerte viele Beschäftigte.

Angesichts des wachsenden Widerstands sah sich der Betriebsrat in Bochum gezwungen, gemeinsam mit der IG-Metall-Verwaltungsstelle eine eigene Erklärung herauszugeben. Darin heißt es, die Urlaubsgeld-Entscheidung sei eine "eigenständige Maßnahme der Geschäftsleitung". Die IGM-Bochum und der Betriebsrat im Werk Bochum hätten "keinerlei Vereinbarung" über die Aussetzung der Auszahlung des Urlaubsgeldes getroffen. Das Vorgehen der Geschäftsleitung sei "nicht zu akzeptieren". Der Anspruch auf Urlaubsgeld sei "tariflich gesichert".

Parallel zu diesem Schreiben leitete der Betriebsrat in Bochum ein juristisches Verfahren ein, um eine Einstweilige Verfügung gegen die Geschäftsführung zu erwirken. Am vergangenen Freitag lehnte das Bochumer Arbeitsgericht den Erlass einer Einstweiligen Verfügung ab. Laut Gerichtsbeschluss ist der Betriebsrat vor Gericht nicht vertretungsberechtigt. Jeder betroffene Opel-Beschäftigte, dessen Urlaubsgeld nicht ausbezahlt werde, müsse selbst klagen.

Die Gewerkschaft bot ihren Mitgliedern daraufhin Rechtsschutz an, doch ihr Rechtsanwalt Michael Dornieden machte deutlich, dass derartige Klagen nur sehr wenig Aussicht auf Erfolg haben. Gegenüber der Presse betonte er, jeder einzelne Opel-Mitarbeiter müsste dann vor dem Arbeitsgericht darlegen, dass er finanziell keine Möglichkeit - noch nicht einmal durch die Aufnahme eines Kredits - habe, einen gebuchten Urlaub zu bezahlen.


Das zynische Doppelspiel von Gewerkschaft und Betriebsrat

Das Verhalten des Betriebsrats in Bochum - wie auch an allen anderen Standorten - zielt vor allem darauf ab, die Beschäftigten unter Kontrolle zu halten und jede selbstständige Regung der Arbeiter zu verhindern. Angesichts des wachsenden Widerstands schlägt er etwas radikalere Töne an. Vor Gericht trat Betriebsratschef Rainer Einenkel betont kämpferisch auf, wohl wissend, dass sein Antrag wenig Aussicht auf Erfolg hat. Anwalt Dornieden sagte später, die Gerichtsentscheidung sei nicht unerwartet gewesen, denn jede andere Entscheidung hätte "juristisches Neuland" bedeutet.

Vieles deutet darauf hin, dass der Weg zum Arbeitsgericht Teil eines üblen Manövers von Seiten des Betriebsrats war. Nicht die IG Metall als Tarifpartner klagte auf Nichteinhaltung einer vertraglichen Vereinbarung, sondern der Betriebsrat, der in dieser Angelegenheit nicht Vertragspartner ist. Die IG Metall trat nicht als Kläger auf, weil ihre Führungsgremien den Urlaubsgeld-Verzicht unterstützen. Nun nutzt der Betriebsrat das Urteil und die Autorität des Gerichts, um gegenüber den Arbeitern zu erklären: 'Seht her, wir haben alles versucht. Ein kollektiver Widerstand gegen die Streichung des Urlaubsgelds ist nicht möglich und eine individuelle Klage ist wenig erfolgreich.'

Derartige Spiegelfechtereien und Manöver des Bochumer Opelbetriebsrats sind nicht neu. Auf Belegschaftsversammlungen und in persönlichen Gesprächen distanziert sich Einenkel vage von den Entscheidungen des Betriebsrats in Rüsselsheim und versucht den Eindruck zu erwecken, er stimme damit nicht überein. Auf den Sitzungen des Gesamtbetriebsrats stimmt er aber allen wichtigen Entscheidungen zu.

Die Fakten sprechen hier eine eindeutige Sprache: Unwidersprochenen Medienberichten zufolge hat der Gesamtbetriebsrat auf seiner Sitzung am 5. Juni einstimmig die Gründung einer Aktiengesellschaft beschlossen, die eine zehnprozentige "Mitarbeiterkapitalbeteiligung" an der neu zu schaffenden Adam Opel AG verwalten soll.

Das Geld für diese Kapitalbeteiligung soll durch Lohnkürzung, Streichung des Urlaubs- und Weihnachtsgelds und andere Kürzungsmaßnahmen, die alle auf Kosten der Beschäftigten gehen, aufgebracht werden. Auch darüber bestand im Gesamtbetriebsrat Einigkeit.

Die Bochumer-Vertreter im Gesamtbetriebsrat, Rainer Einenkel, Franco Biaggiotti und M. Wilde, haben auch der Wahl eines Vorstands für die neue Aktiengesellschaft zugestimmt. Er besteht aus Klaus Franz und drei gewerkschaftlichen Anwälten,. Der Behauptung von Franz: "Mit diesem Modell einer Mitarbeiterbeteiligung in Form einer Aktiengesellschaft wird in wirtschaftlich schwierigen Zeiten ein neuer Weg beschritten, um Mitarbeiter an der Chance des Neubeginns entsprechend ihrem Sanierungsbeitrag angemessen zu beteiligen", trat im Gesamtbetriebsrat niemand entgegen.

Stattdessen wird Einenkel, gemeinsam mit den Vorsitzenden der Betriebsräte der anderen deutschen Standorte, im Aufsichtsrat der neuen Mitarbeiterkapital-Gesellschaft sitzen.

Die Behauptung, es gehe darum die Mitbestimmungsrechte der Beschäftigten auszudehnen, ist eine bewusste Irreführung. In Wirklichkeit dient diese neue Aktiengesellschaft ausschließlich den Interessen der Kapitaleigner und der Gewerkschaftsfunktionäre, beziehungsweise der Betriebsräte. Sie erfüllt mehrere Funktionen, die sich alle gegen die Beschäftigten richten.

Erstens sollen damit die geplanten Lohnkürzungen, die Streichung von Weihnachts- und Urlaubsgeld und der Abbau von Zulagen durchgesetzt werden.

Zweitens soll der Eindruck erweckt werden, diese für die Beschäftigten schmerzhaften Verluste würden reinvestiert und die Beschäftigten würden damit Unternehmensanteile und Einfluss auf Geschäftsentscheidungen gewinnen. So werden die Beschäftigten enger an das Unternehmen gebunden und können leichter gegen die Belegschaften anderer Standorte im In- und Ausland mobilisiert werden.

Drittens soll ein Teil der Gewerkschaftsfunktionäre und Betriebsräte von Co-Managern zu Miteigentümern aufsteigen. Nicht die Beschäftigten, sondern einige Betriebsräte werden mit Hilfe der von den Arbeitern erpressten Kürzungen zu Kapitaleignern und damit noch mehr als bisher zum Interessensvertreter der Konzernleitung gegen die Beschäftigten.

Als das Bundesarbeitsministerium Anfang des Jahres ein neues "Gesetz zur Förderung von Mitarbeiterkapitalbeteiligung" entwarf, ließ es an seiner Absicht keinen Zweifel. Im Gesetzestext heißt es: "Auf diese Weise kann der Polarisierung der Gesellschaft entgegengewirkt, die Bindung der Beschäftigten an die Betriebe verstärkt und schließlich die Eigenkapitalbasis der Unternehmen verbessert werden."


Widerstand auch in anderen Werken

Nicht nur in Bochum, an mehreren Opel-Standorten nimmt der Widerstand gegen die Betriebsräte und IGM-Funktionäre zu.

So forderte ein Arbeiter von Opel-Eisenach in einem Internet-Forum mehr Informationen vom Betriebsrat. Es heißt dort: "Hallo Harald, wann wollt Ihr endlich einmal die Beschäftigten über die genauen Forderungen von Magna [Magna will Opel übernehmen] aufklären?" Er berichtete, dass in den Produktionshallen große Unruhe herrsche, weil niemand konkrete Informationen habe und viele befürchteten, erst informiert zu werden, wenn bereits alles entschieden sei. Er fügte hinzu: "Wir dürfen uns nicht erpressen lassen!"

Ein Sprecher des Betriebsrats antwortete ausweichend, er könne nicht alleine darüber entscheiden, was bekannt gemacht werde und was nicht. Außerdem sei noch nicht genau abzusehen, was Magna definitiv wolle und was "nur ein Versuchsballon" sei.

Der Arbeiter antwortete wütend: "Du bist ein, von uns gewählter Betriebsrat, und hast einen Wählerauftrag! Und der beinhaltet auch, die Belegschaft über Belange, welche für unsere Zukunft entscheidend sind, zu informieren! Ich weiß nicht, wo das Problem ist, und wen Du erst noch fragen musst, ob Du uns die Wahrheit sagen darfst!"

Daraufhin gab der Betriebsrat einige Informationen preis und fasste einen Teil der Forderungen von Magna mit den Worten zusammen: "Keine tarifliche Sonderzahlungen (also kein Urlaubsgeld und kein Weihnachtsgeld), Nullrunden, Abbau übertariflicher Bestandteile, flächendeckende Eingruppierung nach ERA [Entgeltrahmentarifvertrag der IG Metall], Einzahlungen des Arbeitgebers in die einzelnen Betriebsrentenmodelle werden eingestellt...

Ferner erwartet Magna eine höhere Flexibilität bei der Arbeitszeit, das heißt 6-Tage-Arbeitswoche in 3 Schichten, Zweistundenverlängerung, Arbeitszeitkorridor, bis zu 30 Prozent Leiharbeit, keine Mehrarbeitszuschläge."

Darauf antwortet eine Opelarbeiterin, alleine die Abschaffung des bisherigen Bestandsschutzes bei der Eingruppierung in den neuen Entgeltrahmentarifvertrag der IG Metall habe zu monatlichen Lohneinbußen von etwa 300 Euro geführt. "Dann gehst du heim mit ca. 1.300 Euro in 6 Tage Woche - wenn es läuft. Was das im Fall von Kurzarbeit heißt, kann sich jeder ausrechnen. Ich brauche nicht zu sagen, was ich davon halte: Wir müssen was dagegen tun! Wenn die IGM das unterschreibt, unterschreibt sie ihr Todesurteil! Das darf niemals soweit kommen!"

Nur wenige Tage später, am 9. Juni, stimmte der Europäische Betriebsrat den Forderungen von Magna weitgehend zu. In einem Antwortschreiben an Magna verpflichtete er sich, für eine Einsparung bei den Lohn- und Sozialkosten von 265 Millionen Euro pro Jahr Sorge zu tragen. Die Betriebsräte bestätigten auch, dass diese Einsparungen von den "verbleibenden Mitarbeitern" aufgebracht würden. Mit anderen Worten: Der bereits angekündigte Abbau von 10 bis 12.000 Arbeitsplätzen wird nicht in die Sparmaßnahmen eingerechnet. Bei den verbleibenden etwa 49.000 Beschäftigten an den europäischen Standorten bedeutet das durchschnittliche monatliche Einkommenseinbußen von ca. 450 Euro.

Die Ereignisse bei Opel machen deutlich, dass jeder ernsthafte Kampf zur Verteidigung des Urlaubsgelds, aller Lohnbestandteile sowie aller Arbeitsplätze nur gegen die IG Metall und die Betriebsräte möglich ist. Der Aufbau von unabhängigen Aktionskomitees, die sich nicht an den Profitinteressen von Magna orientieren, sondern für die prinzipielle Verteidigung der Arbeiterrechte kämpfen, wird immer dringender. Während die Betriebsräte sich von Co-Managern zu Kapitaleignern entwickeln und den Beschäftigten mit immer größerer Feindschaft entgegen treten, müssen sich die Arbeiter einer sozialistischen Perspektive zuwenden und einen gemeinsamen Kampf aller Beschäftigten an allen internationalen Standorten vorbereiten.


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Quelle:
World Socialist Web Site, 14.07.2009
Opelarbeiter kämpfen gegen Streichung des Urlaubsgelds
http://wsws.org/de/2009/jul2009/opel-j14.shtml
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Juli 2009