Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE

GLEICHHEIT/2340: Ägypten - Empörung über Gazakrieg verbindet sich mit Wut über Mubarak


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Kommitee der Vierten Internationale (IKVI)

Ägypten: Empörung über Gazakrieg verbindet sich mit Wut über Mubarak

Johannes Stern berichtet aus Kairo
23. Januar 2009


Muhammad flucht leise über Präsident Mubarak und steckt sich eine Zigarette an. Der 25-Jährige spricht aus, was viele Ägypter derzeit denken: "Mubarak ist ein Mistkerl, der mit Israel zusammen das 'Gefängnis Gaza' abriegelt und für das Leiden der Palästinenser verantwortlich ist."

Der Student aus Downtown Kairo geht hart mit seiner Regierung ins Gericht. Auch jetzt noch, drei Tage nach dem Beginn des Abzugs der israelischen Truppen aus dem Gazastreifen, ist er wütend und kritisiert die Rolle, die Ägypten im Konflikt um Gaza gespielt hat. "Wahrscheinlich hat Mubarak Livni selbst die Erlaubnis erteilt, die Hamas, die ihm ein Dorn im Auge ist, anzugreifen."

Die israelische Außenministerin Tzipi Livni hatte den ägyptischen Präsidenten Hosni Mubarak zwei Tage vor Beginn des israelischen Angriffs getroffen und laut einem Bericht der israelischen Tageszeitung Haa'retz wusste das ägyptische Außenministerium bereits im Voraus von dem geplanten Angriff.

So wie Muhammad sind auch viele andere Bewohner Kairos derzeit immer noch geschockt und voller Wut. Geschockt ob der Verbrechen, die von Israel während der über zwanzig Tage andauernden Offensive im Gazastreifen begangen wurden, und wütend auf die eigene ägyptische Regierung, die bereits seit dem israelischen Abzug aus Gaza im Jahre 2005 ihre Grenze zum Gazastreifen abriegelt und das Gebiet damit de facto in ein Gefängnis verwandelt.

Dass Mubarak den Grenzübergang Rafah auch während des Dauerbombardements durch Israel nicht geöffnet hat und die Palästinenser ihrem Schicksal überließ, erfüllt viele Ägypter mit genauso viel Hass auf die eigene Regierung wie auf die US-israelische Kriegspolitik.

Auf die Rolle der anderen arabischen Regierungen angesprochen, meint Muhammad: "Am veräterrischsten sind natürlich die Regime, die mehr oder weniger offen mit den USA zusammenarbeiten, also neben Ägypten Jordanien und Saudi-Arabien. Dass Venezuela den israelischen Botschafter aus Protest ausgewiesen hat, nicht aber Ägypten, ist eigentlich eine Schande."

Diese Stimmung gegen den Krieg und die Komplizenschaft der ägyptischen Regierung hatte in den Kriegstagen landesweit wöchentlich Zehntausende zu Protesten auf die Straßen getrieben.

Die größte Demonstration fand dabei am 9. Januar in Alexandria statt, an der sich über 50.000 Menschen beteiligten. Anti-Riot-Einheiten, die die Demo durch ihr brutales Vorgehen zunächst schon im Keim ersticken wollten, mussten sich schließlich auf Grund der Menschenmassen zurückziehen und die Demonstranten gewähren lassen.

Eine weitere große Demonstration mit mehr als 15.000 Teilnehmern fand genau eine Woche später in Mahalla al-Kubra statt, wo Anfang April letzten Jahres auf Grund steigender Lebensmittelpreise und sinkender Löhne schon die größten derartigen Unruhen in Ägypten seit 30 Jahren ausgebrochen waren. Auch hier protestierten die Demonstranten gegen die schrecklichen Kriegsverbrechen im Gazastreifen, verurteilten in Parolen aber genauso die Haltung der arabischen Regierungen und besonders die des eigenen Regimes.

In der Hauptstadt Kairo ist das Stadtbild auch nach dem befristeten Waffenstillstand geprägt von Polizei und schwer bewaffneten Anti-Riot-Einheiten, die an allen größeren Plätzen zu Dutzenden bis Hunderten bereit stehen, um jedem spontanen Protest mit Gewalt zu begegnen.

Tausende Demonstranten, die am Samstag einem Aufruf der Muslimbruderschaft, der größten, aber offiziell verbotenen Oppositionspartei, gefolgt waren und an einer Anti-Kriegs-Demonstration auf dem Ramses-Square teilnehmen wollten, wurden mit Gewalt daran gehindert. Um zu verhindern, dass Demonstrationsteilnehmer den Platz erreichten, wurde selbst die U-Bahn-Haltestelle am Ramsesplatz, die ironischerweise nach dem Präsidenten Hosni Mubarak benannt ist, gesperrt, und U-Bahnen passierten ohne zu halten. Bei Zusammenstößen gab es zahlreiche Festnahmen, darunter auch die eines Journalisten der unabhängigen Tageszeitung al-Masry al-Youm.

Die Proteste gegen den Krieg in Gaza haben gezeigt, wie groß die Kluft zwischen den arabischen Massen und den despotisch-korrupten Regierungen in der Region ist. In Ägypten ist diese Spannung mittlerweile so weit fortgeschritten, dass das Mubarak-Regime bei jedem größeren Protest um seine Existenz fürchtet und deshalb immer brutaler den Widerstand aus der Bevölkerung unterdrückt.

Der Widerstand wächst dabei vor allem unter Arbeitern und Studenten, die verschiedenartige Protestaktionen jenseits der Kontrolle etablierter Parteien oder der staatlichen Gewerkschaften organisierten.

Das Egyptian Popular Committee for Solidarity with the Palestinian People organisierte am 10. Januar einen Solidaritätskonvoi mit über hundert Aktivisten, der in Richtung Gaza aufbrach und die vollständige Öffnung des Grenzübergangs Rafah forderte. Der Konvoi wurde nach dem Passieren von drei Checkpoints kurz vor el-Arish, als man sich schon fast am Ziel wähnte, mitten in der Wüste von schwer bewaffneten Sicherheitskräften gestoppt und zur Umkehr gezwungen.

Einen weiteren Hilfskonvoi organisierten Streikführer in Mahalla al-Kubra. Dort haben am 11. Januar ca. 1.000 Textilarbeiter von Masr Spinning and Weaving einen Sit-In-Streik vor dem lokalen Büro der staatlich kontrollierten Gewerkschaft initiiert. Die Arbeiter protestieren gegen die willkürliche Bestrafung von Kollegen, die sich an einem Protest gegen die Privatisierung der Fabrik am 30. Oktober des vergangenen Jahres beteiligt hatten. Das Sit-In dauert bis jetzt an und richtet sich vor allem auch gegen die staatlich kontrollierte Gewerkschaft, der die Arbeiter vorwerfen, mit dem Management zu kooperieren.

Trotz dieser Radikalisierung von Arbeitern und Studenten ist in den Wochen des Protests aber deutlich geworden, dass die meisten großen Demonstrationen hauptsächlich von den Muslimbrüdern organisiert und dominiert wurden. Die Islamisten können sich dabei nur an die Spitze der Proteste stellen, weil in Zeiten einer rasant wachsenden Armut eine fortschrittliche politische Alternative fehlt. Sie verfügen allerdings in keiner Weise über ein soziales und politisches Programm, dass in der Lage wäre, die Klassenwidersprüche in der Region zu lösen und die Unterdrückung der Palästinenser zu beenden.

Die offiziell linke Tagammu'-Partei, ein Sammelbecken von Nasseristen, Stalinisten und "progressiven" Nationalisten, die von Sadat 1976 als Manifestation der linken Strömungen innerhalb der alten nasseristischen Einheitspartei ASU (Arabische Sozialistische Union) ins Leben gerufen worden war, ist durch ihre Rechtswende nicht einmal mehr ansatzweise in der Lage, den Muslimbrüdern Paroli zu bieten und den Protesten insgesamt eine progressive Perspektive zu geben.

Eine solche Perspektive, ist aber notwendig, um das Leiden der Palästinenser und die Unterdrückung der arabischen Massen zu beenden. Ziel muss es deshalb sein, eine politische Bewegung aufzubauen, die die palästinensische, jüdische und arabische Arbeiterklasse im Kampf für eine sozialistische Föderation im Nahen Osten vereint. Diese würde die künstlichen Grenzen beseitigen, mit denen der Imperialismus die Region teilt und kontrolliert. Nur so können die israelische Kriegspolitik beendet und die sozialen, wirtschaftlichen und politischen Bedürfnisse Aller dauerhaft befriedigt werden.


*


Bitte senden Sie Ihren Kommentar an: wsws@gleichheit.de!.

Copyright 1998-2009 World Socialist Web Site - Alle Rechte vorbehalten


*


Quelle:
World Socialist Web Site, 23.01.2009
Ägypten: Empörung über Gazakrieg verbindet sich mit Wut über Mubarak
http://wsws.org/de/2008/jan2009/kair-j23.shtml
Deutschland: Partei für Soziale Gleichheit
Postfach 040144, 10061 Berlin
Tel.: (030) 30 87 24 40, Fax: (030) 30 87 26 20
E-Mail: info@gleichheit.de
Internet: www.wsws.org/de


veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Januar 2009