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GEGENWIND/873: Für einige eine Lösung - Bleiberecht für "gut integrierte Jugendliche"


Gegenwind Nr. 380 - Mai 2020
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein & Hamburg

Einwanderung
Bleiberecht für "gut integrierte Jugendliche"
Für einige eine Lösung

von Reinhard Pohl


Der § 25a im Aufenthaltsgesetz

Wenn Familien abgeschoben werden, gibt es oft Proteste von Freunden und Nachbarn: Die Tochter war doch so gut in der Schule! Der Sohn war doch so beliebt im Handball-Verein. Die Mutter half doch immer in der Kirchengemeinde! Der Vater hat doch ordentlich gearbeitet! Darauf hat die Politik in den letzten zehn Jahren systematischer reagiert als in den Jahren vorher.

In den 90er Jahren und dann noch bis 2011 gab es eine Reihe von humanitären Lösungen. Danach bekam eine bestimmte Gruppe abgelehnter Asylbewerber oder ehemaliger Kriegsflüchtlinge ein Bleiberecht, wenn sie bestimmte Bedingungen erfüllten. Sie mussten zu einem bestimmten Stichtag eingereist sein, bestimmte Bedingungen wie Wohnung, Arbeit oder Deutschkenntnisse erfüllen. Und dann gab es immer wenige, die in die Bedingungen reinpassten, viele andere nicht.

2011 schaffte der Gesetzgeber es endlich, solch eine humanitäre Lösung auch ins Aufenthaltsgesetz zu schreiben. Alle Regelungen wurden bis heute mehrfach geändert, teils ein Dutzend mal. In diesem Artikel geht es um das Bleiberecht für gut integrierte Jugendliche, also Schülerinnen und Schüler.

Grundsätzliche Regelung

Jugendliche und Heranwachsende können unabhängig von den Eltern ein Bleiberecht erhalten. Jugendliche sind alle, die 14 bis 17 Jahre alt sind. Heranwachsende sind alle, die 18 bis 20 Jahre alt sind. Mit dem 21. Geburtstag endet das Recht, den Antrag zu stellen.

Die Jugendlichen oder Heranwachsenden müssen vier Jahre lang ununterbrochen in Deutschland leben. Sie müssen in dieser Zeit entweder zur Schule gegangen sein, und zwar erfolgreich. Oder sie sind eine beliebige Zeit zur Schule gegangen, haben aber einen Abschluss erreicht.

Die Eltern eines Jugendlichen können in bestimmten Fällen auch einen Aufenthaltstitel erhalten. Erhalten sie eine Aufenthaltserlaubnis, bekommen auch die minderjährigen Geschwister des Stammberechtigten (so nennt man dann den Jugendlichen) eine Aufenthaltserlaubnis erhalten.

Die Ehepartner und Kinder eines Heranwachsenden, der die Aufenthaltserlaubnis bekommt, bekommt auch eine Aufenthaltserlaubnis. Bei Heranwachsenden können Eltern und Kinder nicht vom Bleiberecht profitieren.

Die Bedingungen

Der Antrag muss vor dem 21. Geburtstag gestellt werden. Manchmal stößt man in der Beratung auf Jugendliche oder Heranwachsende, deren Geburtstag mit dem "1.1." angegeben ist. Falls es Belege dafür gibt, dass damit nur das Geburtsjahr eingetragen werden sollte, weil die übrigen Angaben fehlten, kann man es manchmal ändern lassen. Dadurch werden für die Antragstellung ein paar Monate gewonnen.

Der Jugendliche oder Heranwachsende muss sich vier Jahre erlaubt oder geduldet und ununterbrochen in Deutschland aufgehalten haben. Beratungsbedarf gibt es immer, wenn der Aufenthalt ein paar Tage unterbrochen war, zum Beispiel durch einen unerlaubten Besuch im Ausland. Die Zeiten mit einer BüMA werden als "gestattet" angerechnet. Falls es Zeiten gibt, in denen der Aufenthalt geduldet wurde, aber keine Duldung ausgestellt wurde, muss man nachweisen, dass man hier gelebt hat. Falls der Aufenthalt unterbrochen wurde, muss die Zeit nach der Wiedereinreise vier Jahre betragen.

Es muss ein "erfolgreicher" Schulbesuch nachgewiesen werden. Dazu reichen normalerweise die Zeugnisse, die Antragstellerin oder der Antragsteller muss jeweils versetzt worden sein. Falls es in der Erstaufnahme keinen Schulunterricht gab oder nach der Verteilung auf einen Kreis die Anmeldung zur Schule nicht gleich möglich war, muss man entweder mit der Ausländerbehörde verhandeln, ob das als "Schulzeit" angerechnet wird, oder den Antrag später stellen, wenn die vier Jahren zweifellos beisammen sind.

Das Gesetz verlangt auch eine "positive Integrationsprognose". Die ist normalerweise gegeben, wenn der Betreffende regelmäßig zur Schule gegangen ist und keine Vorstrafen hat.

Keine Aufenthaltserlaubnis bekommt, wer über seine Identität getäuscht hat, also zum Beispiel einen falschen Namen, ein falsches Geburtsdatum oder eine falsche Staatsangehörigkeit angegeben hat. Falls die Eltern eine falsche Identität angegeben haben, muss die oder der Jugendliche spätestens mit dem 18. Geburtstag die richtige Identität angeben. Man muss auch beachten, dass grundsätzlich eine Passpflicht besteht. Den Pass braucht man spätestens beim Übergang zum unbefristeten Aufenthaltstitel (Niederlassungserlaubnis). Der Pass kann in der Regel nur mit der echten Identität beantragt werden.

Der Lebensunterhalt muss gesichert sein. Das gilt grundsätzlich. Hier gibt es eine Ausnahme: Wer zum Zeitpunkt der Antragstellung zur Schule geht, eine Ausbildung macht oder studiert, ist davon befreit.

Schließlich darf es keine Anhaltspunkte dafür geben, dass die oder der Jugendliche die freiheitlich-demokratische Grundordnung ablehnt. Solche Anhaltspunkte sind relativ selten.

Falls es bei einem oder mehreren Punkten Diskussionen mit der Ausländerbehörde gibt, sollte die Jugendliche oder der Heranwachsende zu einer Beratungsstelle gehen. Dann ist sie oder er nicht allein.

Während des Asylverfahrens ...

ist eine Aufenthaltserlaubnis nicht möglich. Falls eine Betroffene die Aufenthaltserlaubnis will, muss zunächst der Asylantrag zurückgezogen werden. Da ist es auf jeden Fall zu empfehlen, sich beraten zu lassen. Außerdem ist es wichtig, sich erst von der Ausländerbehörde die Aufenthaltserlaubnis zusichern zu lassen, bevor man den Asylantrag zurückzieht. Hat der Asylantrag gute Chancen, sollte man das Asylverfahren erst zuende bringen.

Solch eine Entscheidung sollte man nicht alleine treffen, sondern gemeinsam mit der eigenen Rechtsanwältin oder einer guten Beratungsstelle.

Wenn der Asylantrag "offensichtlich unbegründet" abgelehnt wurde, darf danach ja kein Aufenthaltstitel gegeben werden, erst nach einer Ausreise und Wiedereinreise. Hier gibt es im § 25a eine Ausnahme: Diese Aufenthaltserlaubnis darf trotzdem gegeben werden.

Verlängerung

Für die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis gelten die meisten Bedingungen nicht mehr. Die Mindestzeiten für den Aufenthalt und die Schule hat man ja bei Antragstellung bestätigt bekommen. Für die Verlängerung ist dann das Alter auch egal.

Es gilt allerdings: Für eine Verlängerung muss der Lebensunterhalt gesichert sein, wenn man mit Schule oder Ausbildung oder Studium fertig ist. Ein Pass sollte da sein. Und Vorstrafen können dazu führen, dass die Verlängerung abgelehnt wird.

Profitieren Eltern und Geschwister?

Wenn die Eltern des Jugendlichen den Lebensunterhalt aus Erwerbstätigkeit sichern und nicht hier sind, weil sie durch falsche Angaben eine Abschiebung verhindert oder verzögert haben: ja. Dann bekommen minderjährige Geschwister auch eine Aufenthaltserlaubnis.

Falls es Probleme mit der Definition gibt, sollte man die Unterstützung einer Beratungsstelle suchen. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn Eltern das Sorgerecht verloren haben. Oder wenn es sich nicht um Geschwister, sondern um Halbgeschwister handelt.

Wichtig ist, dass Eltern und minderjährige Geschwister den Antrag auf eine Aufenthaltserlaubnis stellen, solange der "Stammberechtigte" noch minderjährig ist. Wenn dieser seine eigene Aufenthaltserlaubnis knapp vor dem 18. Geburtstag stellt, kann es für Eltern und Geschwister knapp werden - nach dem 18. Geburtstag sind die Eltern nicht mehr sorgeberechtigt, dann profitieren sie nicht von der Aufenthaltserlaubnis des (ehemaligen) Kindes.

Falls die Jugendliche noch minderjährig ist, die Eltern aber nicht vom Erwerbseinkommen leben können: Dann wird ihre Duldung bis zum 18. Geburtstag der oder des Minderjährigen verlängert, sie dürfen also "provisorisch" bleiben, bis ihr Kind volljährig ist. Das hört sich nicht so toll an, ist es auch nicht. Aber manchmal klappt es, dass das Kind mit 10 Jahren herkommt und mit 14 Jahren die Voraussetzungen für die Aufenthaltserlaubnis erfüllt. Dann ist das Bleiben der ganzen Familie gesichert, hängt allerdings am Bleiberecht dieses einen Kindes. Aber man gewinnt die Zeit bis zum 18. Geburtstag, um für die Eltern und Geschwister eine andere Lösung zu finden. Manchmal gibt es auch jüngere Geschwister, die als "Inhaber einer Aufenthaltserlaubnis" einspringen können, sobald sie selbst 14 Jahre alt sind, dass die Eltern 10 oder 15 Jahre gewinnen.

Wenn die Eltern allerdings arbeiten und über die 17-jährige Tochter eine Aufenthaltserlaubnis bekommen, gilt diese zwei Jahre lang und wird danach verlängert, wenn sie sich immer noch selbst finanzieren - auch wenn die Tochter dann über 18 Jahre alt ist.

Für Heranwachsende ...

gilt entsprechend, dass von einer Aufenthaltserlaubnis Ehefrau, LebenspartnerIn und eigene Kinder profitieren - die Eltern oder Geschwister nicht mehr. Allerdings müssen die Ehepartner auch ihren Lebensunterhalt selbst aus Erwerbstätigkeit sichern.

Familienzusammenführung

Leben noch Mitglieder der Familie im Ausland, gibt es zum Beispiel Geschwister, die bei Verwandten zurückgelassen wurden, dürfen die auch nach Erteilung dieser Aufenthaltserlaubnis nicht so einfach kommen. Das ist nur in Ausnahmefällen aus humanitären Gründen möglich. Ein Recht auf Familiennachzug besteht nur, wenn sich die Stammberechtigten zum unbefristeten Aufenthaltstitel, der Niederlassungserlaubnis, emporgearbeitet haben.

Fazit

Der 2011 ins Aufenthaltsgesetz eingefügte Paragraph 25a, der inzwischen grundlegend verändert wurde, ist eine gute Chance für einige, die hier zur Schule gehen, auch hier zu bleiben. Die Möglichkeit muss allerdings noch bekannter werden.

In einem Erlass vom 16. März 2020 weist die Landesregierung von Schleswig-Holstein (Innenministerium) die Ausländerbehörden darauf hin, dass bei Vorliegen der Voraussetzungen die Aufenthaltserlaubnis auch gegeben werden muss. Bei Zweifeln sollte sie zugunsten der oder des Jugendlichen entscheiden.

Allerdings sollte man bei der Beratung einer Familie im Auge behalten: Hier wird die Verantwortung für das Bleiberecht der Familie auf ein Kind verlagert. Dem Kind wird aufgebürdet, erfolgreich zur Schule zu gehen und sich eine positive Integrationsprognose zu verdienen, damit Eltern und Geschwister bleiben können.

Falls die Eltern ihr Aufenthaltsrecht nicht sichern können, kann es auch zur Trennung der Familie kommen: Mit Volljährigkeit darf die oder der Heranwachsende hier bleiben, für die Eltern wird die Abschiebeandrohung wieder aktiv. Sie müssen dann ausreisen, sie können auch von der Polizei zur Abschiebung abgeholt werden.

Das ist für die Familie eine sehr schwere Entscheidung, insbesondere wenn es um eine Tochter geht, die mit gerade mal 18 Jahren alleine hier zurückgelassen werden soll. Insofern bietet diese Regelung eine Lösung für manche Bleiberechtsprobleme, aber die Lösung ist im Einzelfall oft alles andere als perfekt.

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Quelle:
Gegenwind Nr. 380 - Mai 2020, Seite 11 - 13
Herausgeber: Gesellschaft für politische Bildung e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Mai 2020

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