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GEGENWIND/853: Buchbesprechung - Gilets Jaunes. Anatomie einer ungewöhnlichen Bewegung


Gegenwind Nr. 376, Januar 2020
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein & Hamburg

BUCH
Gelbwesten-Proteste
Gilets Jaunes. Anatomie einer ungewöhnlichen Bewegung

von Klaus Peters


Proteste sind nicht selten, wie die letzten Monate gezeigt haben. Über viele örtliche Kundgebungen und Demonstrationen sind wir nicht einmal informiert. Verlauf und Erfolge von Protestaktionen können höchst unterschiedlich sein. Erfolg oder Misserfolg entscheiden prinzipiell über das Ende von Aktionen. Einige wenige Protestaktionen laufen über einen längeren Zeitraum. Dazu gehören die Aktionen der Gilets Jaunes in Frankreich, die seit über einem Jahr an jedem Sonnabend stattfinden. In dem von Peter Wahl herausgegebenen Buch "Gilets Jaunes. Anatomie einer ungewöhnlichen sozialen Bewegung" analysieren der Herausgeber sowie sechs weitere französische und deutsche Autoren die Gelbwesten-Akteure, ihre Motivation, die Strukturen der Bewegung und die bisherige Entwicklung.

Ihren Ursprung nahm die Bewegung durch das Engagement eines Fernfahrers, durch dessen Aufruf in den sozialen Medien und durch Initiativen weiterer Aktivisten am 17. November 2018 insgesamt fast 300.000 Menschen auf die Straße gingen und dabei auch ca. 2000 Straßensperren einrichteten. Anlass der Proteste waren die von der Regierung angekündigten zusätzlichen Treibstoffabgaben ab dem 1. Januar 2019. Nachdem bereits 2018 ein Preisanstieg zu verzeichnen war, richteten sich die Proteste zunächst hauptsächlich gegen die neue Preiserhöhung. Sehr rasch kamen aber andere Forderungen hinzu: u.a. die Wiedereinführung einer Vermögenssteuer, Erhöhung des Mindestlohns, Erhöhung der kleinen Renten, Kürzung der Diäten für Abgeordnete, ein Bürger-Referendum, und auch der Rücktritt des Präsidenten. Der Widerstand gegen die Erhöhung der Treibstoffpreise war für viele Menschen ein Symbol für die ungerechte Sozialpolitik und für den Kurs des Präsidenten, der nach seinem Amtsantritt eine neue Phase neoliberaler Politik eingeleitet hatte.

Die Autoren beschreiben die neuartige Struktur der Teilnehmer der Proteste, die weitgehend autonom, frei von Parteien- oder Gewerkschaftsdominanz agieren. Anfänglich auch von außen oktroyierte Einflüsse von rechten Kräften konnten, wie gewalttätige Auseinandersetzungen, keine Spaltung der Bewegung bewirken, linke Positionen dominieren. Die Aktionen werden weitgehend dezentral organisiert. Trotz eines vergleichsweise zurückhaltenden Vorgehens der Teilnehmer erfolgen teils massive Polizeieinsätze, die bei einigen Teilnehmern zu schweren Verletzungen führten. Zudem kam es zu zahlreichen Verhaftungen.

Die beabsichtigte Erhöhung der Treibstoffabgaben ist zurückgenommen worden. Der französische Präsident hatte einen Dialog mit den Bürgern über Regionalkonferenzen begonnen. Wie es weiter geht, muss aber abgewartet werden. Die Teilnehmerzahlen sind zwar, abgesehen vom 1. Mai und dem Jahrestag dem am 17. November 2019, deutlich zurückgegangen, doch es steht immer noch ein Großteil der Bürger hinter der Bewegung. In einigen Ländern, auch in Deutschland, hier beispielsweise durch die Bewegung "Aufstehen", gab es Solidaritätsaktionen. Das Buch enthält einen Anhang mit Dokumenten, darunter Berichte über Versammlungen, einen Solidaritätsaufruf französischer Künstler und auch einen nach anfänglicher Zurückhaltung unterstützenden Beschluss des Parteivorstands der Partei Die Linke.


Peter Wahl (Hrsg.): Gilets Jaunes. Anatomie einer ungewöhnlichen Bewegung, PapyRossa-Verlag, Köln 2019, 135 Seiten, 12,90 Euro

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Quelle:
Gegenwind Nr. 376, Januar 2020, Seite 55
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Februar 2020

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