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GEGENWIND/817: 70 Jahre Asylrecht - Wie war das eigentlich damals?


Gegenwind Nr. 370 - Juli 2019
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein & Hamburg

BUCH
70 Jahre Asylrecht: Wie war das eigentlich damals?

von Reinhard Pohl


1948 saßen die Väter und auch wenige Mütter des Grundgesetzes im Parlamentarischen Rat zusammen, um eine Verfassung für Deutschland zu entwerfen. Das Asylrecht war, wie viele andere Fragen auch, umstritten. Viele der Mitglieder des Parlamentarischen Rates hatten Deutschland in der Nazi-Zeit verlassen und versucht, in anderen Ländern Bleiberecht und Schutz zu erhalten - oft mit mangelhaftem Erfolg. Sollte man jetzt die Lehre daraus ziehen, alle aufzunehmen?


Nein, sagten viele. Dann, so der CDU-Abgeordnete Hermann Fecht, müsste man ja auch "Faschisten, die in Italien politisch verfolgt werden, bei uns in unbegrenzter Zahl" ausnehmen. Ministerialbeamte, die einen Entwurf formulieren sollten, entschieden sich dann auch für eine klare Auswahl bei der Aufnahme: "Wer unter Nichtbeachtung der in der Verfassung niedergelegten Grundrechte von einer Stelle außerhalb des Bundes verfolgt wird, wird nicht ausgeliefert." Das heißt also, andere Staaten, die eine ähnliche Verfassung wie Deutschland haben, können keine Flüchtlinge produzieren, die hier geschützt werden, diese werden ausgeliefert. Nur Flüchtlinge aus Diktaturen würden dann aufgenommen.

Letztlich setzte sich dann die einfacher Formulierung "Politisch Verfolgte genießen Asylrecht" durch, die bis 1992 galt. Sie wurde innerhalb der CDU-Anhängerschaft von Konrad Adenauer auch mit dem Argument verteidigt, man müsste auch die Genfer Flüchtlingskonvention unterschreiben, um den guten Ruf Deutschlands wieder herzustellen.

Ein praktisches Problem gab es schon 1952. In den Niederladen saßen niederländische Angehörige der Waffen-SS im Gefängnis, teils zu lebenslanger Haft verurteilt. Sieben von ihnen gelang die Flucht aus dem Zuchthaus Breda, vermutlich auch mit Hilfe einschlägiger Kreise aus Deutschland, und sie kamen Weihnachten 1952 nach Deutschland und beantragten Asyl.

Auch vorher schon waren aus der Haft entkommene Nazis an der Grenze zwischen der Tschechoslowakei und Bayern aufgetaucht, aber Bayern hatte sie umgehend wieder in die Tschechoslawakei abgeschoben, ohne einen Asylantrag anzunehmen. Das war jetzt anders: Die Sieben von Breda wurden in Kleve festgenommen, ein Amtsrichter verurteilte sie zu je 10 Mark Geldstrafe wegen unerlaubten Überschreitens der Grenze, und setzte sie danach auf freien Fuß. Die Niederlande verlangten die Festnahme und Auslieferung, Bundeskanzler Adenauer sagte die wohlwollende Prüfung zu - aber die Polizei gab gleich bekannt, man wüsste ja jetzt überhaupt nicht, wo sie sein könnten, und könnte sie auch nicht finden.

Letztlich ging das Verfahren für die Antragsteller positiv aus. Nach mehreren Gerichtsinstanzen urteile die bundesdeutsche Justiz, nach den Gesetzes des Deutschen Reiches wären die Sieben von Breda mit der Aufnahme in die SS gleichzeitig Deutsche geworden, und Deutsche dürfe man nicht ausliefern - sie könnten aber auch kein Asyl beantragen oder Asyl bekommen. Man ließ sie in Ruhe. Nur die britische Militärpolizei, die an deutsche Rechtsprechung nicht gebunden war, erwischte kurze Zeit später einen der geflohenen Gefangen und übergab ihn postwendend der niederländischen Polizei, wogegen Bundeskanzler Adenauer dann offiziell protestierte.

Diese Anekdote aus den Anfängen des Asylrechts zeigt, dass damals wie heute die Grundüberzeugung oder eine klare Humänität fehlte, auch wenn der Artikel im Grundgesetz ausreichend schlicht gehalten war.

Diese fehlende Orientierung ist bis heute das Problem des Asylrechts geblieben. Und das gilt in die eine wie die andere Richtung. In der Zeit der Ost-West-Konfrontation wurden vor allem Flüchtlinge aus dem Ostblock aufgenommen, das betraf 1956 die Flüchtlinge aus Ungarn, 1968 die Flüchtlinge aus der Tschechoslowakei. Sie passten klar in das Schema der Regierung, sie sollten auch aufgenommen werden. Während über die Ungarn-Flüchtlinge noch jede Ausländerbehörde einzeln entschied, kam dann 1965 das erste Ausländergesetz Deutschlands und danach ein geordnetes Asylverfahren über das Bundesamt in Bayern, dort gab es lange Zeit die einzige Aufnahmestelle für Flüchtlinge, die ja auch dort ankamen.

Wie unklar die Situation dennoch war, zeigte sich 1972 bei den Olympischen Spielen in München. Ein palästinensisches Kommando überfiel die Mannsch@aft Israels, um mit einer Geiselnahme die Freilassung von Gefangenen zu erpressen. Die Polizei erschoss fast alle, Geiselnehmer und Geiseln. Im Anschluss begannen dann alle Ausländerbehörden, Araber auszuweisen - Studentinnen und Studenten, Ehefrauen und Ehemänner, tunesisch oder syrisch, einzige Begründung war, "Araber" wären gefährlich. Erst lange juristische Auseinandersetzungen, vor allem angezettelt durch die neu entstandene Gruppe der "mit Ausländern verheirateten Frauen" (später als "IAF" ins Vereinsregister eingetragen), sorgten für Klarheit: In der Bundesrepublik Deutschland dürfen seit entsprechenden höchstrichterlichen Urteilen, die einigen abgeschobenen arabischen Ehemännern die Rückkehr erlaubte, nur diejenigen abgeschoben werden, die persönlich eine Straftat begangen hatten.

Diese Neuerung in der Nachkriegsgesellschaft mit ihren in der Schule gelernten Gewissheiten war schon 1973 durch eine zweite Neuerung flankiert worden: Nach dem Putsch in Chile wurde eine für damalige Verhältnisse große Zahl an chilenischen Flüchtlingen aufgenommen, ungefähr 2400. Der Status war bei vielen unklar, aber 1975 sorgte ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes für Klarheit: Das Grundrecht auf Asyl wurde zu einem Grundrecht für jeden einzelnen Ausländer, und jeder einzelne Ausländer konnte sich jetzt darauf berufen und dieses Grundrecht für sich persönlich einklagen. Es war jetzt nicht mehr eine einsame Entscheidung der örtlichen Behörde oder des Bundesamtes.

1976 stieg die Zahl der aufgenommenen Flüchtlinge in bisher ungeahnte Höhen: Mehr als 10.000 Asylanträge wurden in diesem Jahr registriert und damit nach Meinung einiger Politiker die Aufnahmefähigkeit Deutschlands ernsthaft geprüft. Die Diskussionen führten aber zu nichts, auch weil 1980, schon vier Jahre später, die Marke von 100.000 Anträgen in einem Jahr überschritten wurde. Nur noch ein Viertel kam aus dem Ostblock, die anderen aus Südamerika oder Sri Lanka oder anderen exotischen Ländern.

Es gab damals noch Vemunft in Deutschland: 1975 bekam das Bundesarbeitsministerium den Auftrag, eine Lösung zur Senkung der Sozialhilfekosten zu erarbeiten. Das Ergebnis des Ministers war einfach: Per Erlass erlaubte er allen ankommenden Asylantragstellern die Arbeit ab dem ersten Tag - mit der überraschenden Erklärung: Wer arbeitet, braucht ja keine Sozialhilfe.

1978 wurden dann die "Anerkennungsausschüsse" des Bundesamtes abgeschafft und durch Einzelentscheider ersetzt. Inzwischen hatte Deutschland es mit einer großen Zahl vietnamesischer Flüchtlinge zu tun. Da zur Rettung dieser "Boat-People" eigens ein deutsches Rettungsschiff, die private "Cap Anamur", ins Chinesische Meer fuhr, war bei einem großen Teil dieser Flüchtlinge aber (damals) völlig klar: Wer von einem privaten deutschen Schiff gerettet wurde, wurde selbstverständlich nach Deutschland gebracht und bekam hier ein Aufenthaltsrecht. Weder zum Prinzip der Seenotrettung noch zur Pflicht zur Aufnahme gab es damals Diskussionen.

Ein neuer Einschnitt ergab sich 1977 aus einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes. Hatte bis dahin die Genfer Flüchtlingskonvention gegolten, nach der ein Flüchtling ist, wer eine "begründete Furcht vor Verfolgung hat", wurde jetzt geurteilt, die Verfolgung selbst, nicht nur die Furcht müsste glaubhaft gemacht werden. Mit diesem Urteil entstand praktisch das heutige Asylverfahren, das sich teils über Jahre hinzieht mit Anhörung, Entscheidung, Klage und Urteil.

In den folgenden Kapiteln stellt der Autor die Entwicklung durch die Grenzöffnung dar, die mehrere hunderttausend Flüchtlinge nach Westdeutschland brachte. Vorher gab es noch ein rückblickend peinliches Abkommen, mit dem die BRD die nicht anerkannte DDR gegen Geldzahlungen dazu verpflichte, nach dem Verbot der Republikflucht für Staatsbürger endlich auch Ausländern das Verlassen des Landes zu verbieten, kamen doch viele Flüchtlinge über den Flughafen Ostberlin nach Westberlin, weil die DDR-Grenzer bis dahin nur eigene Bürger am Verlassen des Landes hinderten. Offiziell behielt die Bundesregierung natürlich die Position bei, dass sie gegen die Strafbarkeit der "Republikflucht" seien, nur war es nach diesem Abkommen nicht mehr so überzeugend. Heute, in Zeiten der Seenotrettungs-Verhinderung auf dem Mittelmeer und der Verträge mit so ziemlich jedem Diktator und jeder Miliz in Afrika versucht die Bundesregierung gar nicht mehr, bei der Glaubwürdigkeit zu punkten.

Die "Fluchtwelle" 1989 bis 1992 wurde dann von CDU und SPD mit der Grundgesetzänderung beantwortet, die zumindest das Asyl faktisch abschaffte - die Genfer Flüchtlingskonvention blieb in Kraft, insofern wurde es für Asylanträge nur komplizierter. Allerdings wirkte sich das nicht auf die Fluchtursachen aus, wie alle derartigen Änderungen, auf den Krieg in Syrien und die Flucht von mehreren Hunderttausend Menschen ab 2014 hatte es natürlich keinen Einfluss, auch wenn das immer wieder in Wahlkämpfen versprochen worden war.

In einem eigenen Kapitel wird die Asylpolitik der DDR 1949 bis 1990 dargestellt, die sich auf wenige Länder und wenige Flüchtlinge bezog, aber immer wieder in große Probleme geriet, gerade weil auch Flüchtlinge aus dem Spanien Francos oder aus Chile eben keineswegs automatisch SED-Anhänger waren, wie es das Asylrecht eigentlich vorsah - nur bei Übereinstimmung mit der DDR-Politik sollte man aufgenommen werden. Flüchtlinge in der DDR hatten natürlich den Vorteil, dass sie lange Zeit frei reisen konnten, weil sie eben keinen DDR-Pass hatten, sondern einen chilenischen oder spanischen Pass.

Alle, die heute Flüchtlingen helfen und vor 1992 noch nicht dabei waren, sollten dieses interessante Buch lesen - auch um zu erkennen, dass die Zeiten heute keineswegs die schwierigsten in der Geschichte des deutschen Asylrechts sind.

Patrice G. Poutrus: Umkämpftes Asyl.
Vom Nachkriegsdeutschland bis in die Gegenwart.

Ch. Links Verlag, Berlin 2019, 247 Seiten, 25 Euro

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Quelle:
Gegenwind Nr. 370 - Juli 2019, Seite 43 - 44
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. August 2019

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