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GEGENWIND/749: Brauchen wir eine "linke AFD", um den Rechten das Wasser abzugraben?


Gegenwind Nr. 355 - April 2018
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein & Hamburg

Buchvorstellung
Brauchen wir eine "linke AFD", um den Rechten das Wasser abzugraben?

von Günther Stamer


Andreas Nölke, Politik-Professor an der Goethe-Uni in Frankfurt und Polit-Kommentator des öffentlich-rechtlichen Senders "Phoenix" hat unter dem Eindruck der Bundestagswahl ein Buch veröffentlicht, das versucht, die aktuelle Stimmungslage der bundesdeutschen Wahl-Bevölkerung zu analysieren und "linkspopuläre" Alternativen zu entwickeln unter dem Motto: "Vorwärts handeln statt rückwärts denken", um damit dem "Rechtsruck" entgegen zu wirken. Ein anspruchsvolles Vorhaben hat sich der Autor da für sein 240 Seiten starkes Buch vorgenommen. Und der Verlag hat es geschafft, all diese Slogans auch gut sichtbar auf das Cover zu plazieren.

Der linksgestrickte Leser durchlebt beim Lesen ein Wechselbad der Gefühle. Binnen weniger Seite schlagen Zustimmung (z.B. Darstellung der sozialen Schieflage) in Befremden um - vor allem, wenn Nölke sich in Lage und Denken "der besorgten Bürger" hineinzuversetzen sucht und seitenweise gute Gründe für den Aufstieg der AFD darlegt.

linkspopulär versus linkspopulistisch

Kernaussage des Buches ist, dass es in der deutschen Parteienlandschaft eine "linkspopulistische" Lücke gibt, die zu füllen gilt. "Die erfolgreiche Etablierung einer linkspopulären Position in der deutschen Politik wäre damit nicht nur ein wichtiger Beitrag zur politischen Reaktivierung der wirtschaftlich Marginalisierten, sondern würde zudem auch den weiteren Aufstieg der AFD verhindern." (S. 100)

Der Autor grenzt sich mit dem von ihm gewählten Begriff "linkspopulär" entschieden von gängigen Zuschreibungen zum Begriff "Populismus" ab, der seiner Auffassung nach zu einem pauschalen Kampfbegriff geworden ist, der gegen alles ins Feld geführt wird, was vom neoliberalen Konsens der etablierten Parteien abweicht. Er versteht im Gegensatz zu "linkspopulistisch" z.B., dass statt Dauerkritik, Scheinlösungen, Vereinfachungen und Slogans eine linkspopuläre Position potentiell realisierbare Lösungen vorlegen muss.

Armut und Abstiegssorgen in Deutschland und wahlpolitischer Rechtsruck

Nölke beginnt sein Plädoyer für eine linkspopuläre Strategie in dem mit "Armut und Abstiegssorgen in Deutschland" betitelten Eingangskapitel. "Ausgangspunkt einer linkspopulären Position sind Sorgen um den weniger privilegierten Teil der deutschen Gesellschaft. Arme und Benachteiligte hat es in Deutschland immer schon gegeben, aber selten hatte man den Eindruck, dass ein Teil der Gesellschaft so gründlich abgehängt wurde und dass sich die Schere zwischen Arm und Reich so weit geöffnet hat wie heute. Die soziale Frage ist zurück auf der politischen Agenda. Nicht nur harte sozioökonomische Fakten in Bezug auf Armut und Ungleichheit sind hier zu nennen, sondern auch subjektive Abstiegsängste" (S. 9). Im Folgenden werden aktuelle Daten zur sozialen Spaltung der deutschen Gesellschaft in komprimierter Form referiert (so u.a. aus dem Armuts- und Reichtumsbericht 2017 der Bundesregierung sowie aus Erhebungen der Hans-Böckler-Stiftung).

Darauf fußend, nimmt sich Nölke dann - insbesondere unter dem Eindruck der "Flüchtlingskrise - den "Abstiegsängsten der Abgehängten und besorgten Menschen" an und konstatiert eine "Krise progressiver Politik."

"Eigentlich sollte man annehmen, dass das im ersten Kapitel geschilderte Armutsproblem, die gravierende Ungleichheit und die zunehmenden sozialen Abstiegsängste dazu führen, dass progressive Parteien wie die Linkspartei einen Wahlsieg nach dem anderen einfahren. Das ist aber nicht so. Im Gegenteil, wir sehen mit dem Aufstieg der AFD und den Wahlniederlagen von SPD und Linkspartei de facto einen Rechtsruck in der deutschen Parteienlandschaft. Während die Parteien links der Union (Linkspartei, SPD und Grüne) im alten Bundestag noch eine knappe Mehrheit der Mandate besaßen (320 von 630), ist ihr Anteil im neuen Bundestag auf gut vierzig Prozent gesunken (289 von 709)" (S. 41).

Als Kern der Krise der Wahlergebnisse des "Linksblocks" wird "die Wahlabstinenz (...) und die Apathie der untersten Gruppen der Bevölkerung, die nicht mehr gegen ihr Schicksal aufbegehren, sondern sich eher aus der Politik völlig zurückziehen, ausgemacht" (S. 42) und Nölke prophezeit, dass damit die politische Basis für progressive Politik auch langfristig gravierend geschwächt werden wird.

Traditionelles Links-Rechts-Schema bedarf einer Weiterung

Theoretische Grundlage für Nölkes Projekt einer linkspopulären Politik ist seine Überlegung, dass man der traditionellen Links-Rechts-Dimension in der Politik eine zweite Dimension zur Seite stellen muss, und zwar die Gegenüberstellung von Kosmopolitismus und Kommunitarismus. Er verdeutlicht dies am Beispiel der Migrationsfrage. Für Kosmopoliten sind "offene Grenzen" positiv besetzt, Flüchtlinge werden grundsätzlich als Bereicherung gesehen und nicht als Konkurrenten oder Bedrohung. Kommunitaristische Positionen zeigen dagegen eine ausgesprochene Skepsis gegenüber der Globalisierung und betonen die Bedeutung lokaler und nationaler Demokratie und Solidarität. Letztere könne daher auch gegenüber Migranten nicht grenzenlos sein.

"Im deutschen Parteiensystem fehlt eine Partei, die linke Positionen in der sozialen Frage mit einer kommunitaristischen Haltung kombiniert. Alle Wähler, denen eine kommunitaristische Positionierung wichtig ist, sind bisher durch Abwesenheit einer solchen Parteiposition 'gezwungen', die AFD zu wählen, selbst wenn sie deren Extremismus und die wirtschaftsliberale Positionierung nicht teilen," schlussfolgert der Autor (S. 83). Und er verweist darauf, dass es in anderen europäischen Ländern durchaus Parteien gibt, die linke und kommunitaristische Positionen vertreten wie z.B. Enhedslisten (Dänemark), PTB (Belgien), SP (Niederlande) oder Cinque Stelle (Italien). Es bleibt das Geheimnis des Autors, warum er diese höchst unterschiedlichen Parteien - von der kommunistische PTB bis hin zur neoliberalen Cinque Stellen - in seinen Topf der "Linkspopulären" wirft.

Linkspopuläre Grundprinzipien

In seinem Buch entwickelt Nölke dann Grundprinzipien, die linkspopuläre Politik ausmachen sollten. Dieses sind:

  • Das Primat des Nationalstaates gegenüber EU und supranationalen Zusammenschlüssen.
  • Abstufungen der Solidarität in einer globalisierten Welt. "Deutsche Arme first."
  • Ein binnennachfrageorientierter Umbau der deutschen Wirtschaft.
  • Die Revitalisierung des öffentlichen Sektors in der Wirtschaftspolitik
  • Die Entmachtung der Finanzmärkte. Ein erster Schritt wäre die Einführung einer Transaktionssteuer.
  • Migration: Keine offenen Grenzen - aber Mitmenschlichkeit mit Geflüchteten.
  • Konzentration der Bundeswehr auf defensive Landes- und Bündnisverteidigung. Keine weitere Osterweiterung der NATO und Schluss mit "humanitären Interventionen".

Diese Prinzipien werden von Nölke im zweiten Teil des Buches dann im Einzelnen weiter ausgeführt. Darunter ist viel Bedenkenswertes aber auch viel Fragwürdiges.

Berührungspunkte linkspopulärer Positionen sieht Nölke mit Teilen der SPD und - mit Abstrichen - bei der Linkspartei. "Linkspopuläre Positionen lassen sich auch als 'alt-sozialdemokratische' Positionen bezeichnen, die die Sozialdemokratie vor ihrer wirtschaftsliberal-kosmopolitischen Wende - insbesondere unter Kanzler Schröder - eingenommen hatte" (S. 226). Weniger optimistisch ist er in Bezug auf Die Linke: "Ein großer Teil der politischen Energie der Linkspartei, insbesondere ihres marxistischen Flügels, geht nicht in die Entwicklung konkreter Problemlösungen, (...) sondern eher in eine intellektuelle terminologisch oft hermetische und mitunter auch etwas selbstgerechte Gesellschaftskritik. Hier geht es dann beispielsweise um die Veränderung der Eigentumsverhältnisse" (S. 229). Allein ein kleiner Kreis um Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine sieht er als Verbündete. Und wenn man sich seine Liste der linkspopulären Prinzipien ansieht, ist eine "Seelenverwandtschaft" mit der Familie aus dem Saarland durchaus festzustellen.

AFD wird verharmlost

Was die Bewertung der AFD anbelangt, so beschränkt sich Nölke darauf, sie von ihrer Wählerschaft her zu definieren und blendet vollständig ihre rassistisch-chauvinistische Programmatik, ihr entsprechendes Führungspersonal und vor allem ihre gesellschaftliche Funktion aus. Und wenn man dann noch die rechten und rassistischen Ausfälle der AfD-Funktionäre im Bundestag, in den Landesparlamenten im öffentlichen Raum und im Netz zu Grunde legt, so muss sich Nölke durchaus den Vorwurf gefallen lassen, hier einer Verharmlosung dieser Partei das Wort zu reden.

Zwar ist sicherlich zutreffend, dass nicht alle Personen, die der AfD bei Wahlen ihre Stimme gegeben haben, dies aufgrund eines geschlossenen rassistischen Weltbildes getan haben. Dass sie jedoch nicht wussten, wie die AfD zu sogenannten Minderheiten steht und wie sich führende Funktionsträger zum deutschen Faschismus, dessen Vernichtungsfeldzug und dem industriellen Massenmord an Juden und anderen positionieren, ist jedoch mit Sicherheit auch nicht der Fall.


Andreas Nölke: Linkspopulär.
Vorwärts handeln, statt rückwärts denken.

Westend-Verlag, Frankfurt am Main 2017, 240 Seiten, 18 Euro

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Quelle:
Gegenwind Nr. 355 - April 2018, Seite 60 - 61
Herausgeber: Gesellschaft für politische Bildung e.V.
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Redaktion: Tel.: 0431/56 58 99, Fax: 0431/570 98 82
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Der "Gegenwind" erscheint zwölfmal jährlich.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Mai 2018

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