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GEGENWIND/666: Woher kommen die Flüchtlinge?


Gegenwind Nr. 333 - Juni 2016
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein

Zweisprachige Veranstaltungen
Woher kommen die Flüchtlinge?

Von Reinhard Pohl


Vorstellung der Herkunftsländer - Gruppenberatung zum Asylverfahren

"Willkommenskultur" und "Integration vom ersten Tag an" sind die Schlagworte des Jahres 2015, was die Aufnahme von Flüchtlingen betrifft. 35.076 Asylsuchende wurden 2015 in Schleswig-Holstein aufgenommen, und auch 2016 waren es schon mehr als 5.000. Wurden im letzten Jahr bereits 28.849 auf die Kreise und Kommunen verteilt, kamen in diesem Jahr bis Ende April schon 8.376 Flüchtlinge dort an.Vielerorts wurde weit mehr als in den vergangenen Jahren versucht, den "Neuen" Informationen in der Muttersprache zu geben. Das ging vom Wohnen und der Kontoeröffnung über die Mülltrennung bis zum Asylverfahren. Es gab mehrsprachige Faltblätter, Integrationslotsen und die zur Zeit sechssprachige "Willkommenswebseite" der Landesregierung. Dennoch bleiben viele Informationsdefizite.


Im Herbst 2015 haben wir damit begonnen, zweisprachige Veranstaltungen anzubieten. Die beiden ersten kamen im Kreis Plön Zustände: Auf Deutsch und Tigrinya stellten wir Eritrea und das Asylverfahren vor, auf Deutsch und Albanisch die Herkunftsländer Albanien und Kosova sowie die Regelungen für "sichere Herkunftsländer".

Albanien und Kosova

Ende Oktober 2015 wurden die Regelungen für "sichere Herkunftsländer" verschärft. In den letzten 25 Jahren betrafen die Regelungen "nur" Ghana und Senegal, kaum jemand hatte damit konkret zu tun. Jetzt wurden die sechs Länder des Westbalkan, fünf ehemalige Republiken Jugoslawiens und Albanien, zu "sicheren Herkunftsländern" erklärt. Das geschah nicht, weil sich dort für die Flüchtlinge etwas zum Besseren geändert hat, die EU-Fortschrittsberichte sehen eher Stillstand auf dem Gebiet des Minderheitsschutzes und dem Kampf gegen Diskriminierung. Es geschah, weil durch die Visumfreiheit "zu viele" Flüchtlinge es schafften, den Verhältnissen zu entkommen.

Gleichzeitig trat eine Regelung in Kraft, die den Betroffenen ab dem 1. Januar 2016 die Möglichkeit gab, ein Visum für "jede Beschäftigung" zu beantragen. Zuvor müssen sie einen Arbeitsplatz finden und die Arbeitserlaubnis erhalten, bei der zuvor geprüft wird, ob es bevorrechtigte Arbeitslose gibt.

Für alle, die Ende Oktober im Asylverfahren waren, gab es in diesem Zusammenhang Druck: Sie mussten, um ab 2016 ein Visum zum Arbeiten beantragen zu dürfen, ihr Asylverfahren abbrechen und "unverzüglich" ausreisen. Eine Sicherheit, nach der Ausreise auch das Visum zu erhalten, gab es nicht. Umgekehrt gibt es aber im Gesetz einen Ausschluss: Wer sich Ende Oktober 2015 entschloss, das Asylverfahren weiter zu betreiben, oder wer danach einen neuen Asylantrag stellte, muss in diesem Jahr nach der Ausreise 24 Monate warten, bis das neue Visum zum Arbeiten beantragt werden darf. Wer zusätzlich noch auf die Ablehnung wartete, wie in 995 bis 1000 von 1000 Fällen die Entscheidung ist, bekommt seit Oktober 2015 zusätzlich eine Wiedereinreisesperre für ganz Europa für ein Jahr.

Diese Regelung erläuterten wir auf Veranstaltungen in Plön, Itzehoe, Lübeck und Kiel. Im ersten Teil stellten wir die Situation in Albanien und Kosova vor. Das alles geschah zweisprachig, wobei ich den Part des Referats übernahm und Bahtije Berisha ins Albanische dolmetschte.

Serbien und Mazedonien

Für diese beiden Länder des Balkan-Stabilitätspaktes, dessen Mitglieder auch über einen Beitritt zur EU verhandeln, ging es bei Veranstaltungen in Lübeck und Kiel. Dabei wurde die Lübecker Veranstaltung von Merima Bentka ins Serbische gedolmetscht, die Veranstaltung in Kiel von Alija Serifovic in Romanes.

Die Erfahrungen bei allen diesen Veranstaltungen waren ähnlich: Die anwesenden Unterstützerinnen und Unterstützer waren interessiert an den Informationen über die Zustände in den Herkunftsländern, während die anwesenden Flüchtlinge, deutlich in der Mehrheit, teils ungeduldig auf den zweiten Teil warteten. Einige nutzten aber auch die Gelegenheit, die Informationen über die Herkunftsländer aus eigenen Erfahrungen zu ergänzen oder zu korrigieren.

Bei den Informationen über das Asylverfahren und das Visumverfahren (neuer § 26, Absatz 2 der Beschäftigungsverordnung, vgl. Gegenwind 328, Seite 13) zeigte sich, dass teils richtige, teils falsche Gerüchte kursierten. Insbesondere über die Fristen, die einzuhalten sind, existierten teils völlig falsche Vorstellungen. Insgesamt sagten viele der Geflohenen am Ende der jeweiligen Veranstaltungen, dass sie lange auf verständliche Informationen, also Informationen in der eigenen Sprache gewartet hatten. Auch diejenigen, die auf den Veranstaltungen deutsch sprachen, benötigten für die doch recht komplizierten aufenthaltsrechtlichen Regelungen eine präzise Dolmetschung, um sie wirklich zu verstehen.

Afghanistan

Anders stellten sich die Veranstaltungen zu Afghanistan dar. Auch hier habe ich das Referat übernommen, zunächst über das Herkunftsland informiert, danach über den Ablauf des Asylverfahrens. Rayana Fakhri dolmetschte in Dari, der östlichen Variante des Persischen.

Hier ging es sehr viel konkreter um die einzelnen Schritte im Asylverfahren. Hier wirkt insbesondere die öffentliche Diskussion über kommende Abschiebungen, angestoßen vom Innenminister Thomas de Maizière selbst, teils für ganz persönliche Panik. Auch der pressewirksam gestartete Rückkehrer-Flug Mitte Februar aus Frankfurt, in dem sowohl freiwillige Zurückkehrende wie auch von Ausländerbehörden falsch Beratene saßen, die bei richtiger Beratung nie mitgeflogen wären, sorgte für Panik. Viele der anwesenden afghanischen Flüchtlinge hatten nämlich von einer "Massenabschiebung" gehört und sahen sich selbst schon in Handschellen im Flugzeug sitzen.

Teilweise konnten die konkreten Informationen beruhigen: Die Zahl der positiven Entscheidungen im Asylverfahren liegt, wenn man die formellen Entscheidungen rausnimmt, im Jahre 2015 bei 77,6%, nachdem sie 2012 noch bei nur 44,2 % gelegen hatte. Damals" wurde also über die Hälfte aller Asylanträge aus Afghanistan abgelehnt. Jetzt, nach dem Abzug der internationalen Kampftruppen, hat sich die Zahl der getöteten und verletzten Zivilisten mehr als verdoppelt - und die Zahl der Ablehnungen von Asylanträgen ist von über der Hälfte auf weniger als ein Viertel, im letzten Jahr 22,4 % zurück gegangen.

Enttäuschend waren manch andere Informationen. So konnten von 150.000 Flüchtlingen aus Afghanistan, die im letzten Jahr nach Deutschland kamen, nur rund 30.000 einen Asylantrag stellen, die übrigen bekamen schlicht keinen Termin bei der zuständigen Behörde, dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Auch die Zahl der Dublin-III-Verfahren, das meint das zurückschicken in andere europäische Länder, ist mehr als 16-mal so hoch wie bei syrischen Flüchtlinge, obwohl sie auf den gleichen Routen nach Deutschland kommen. Hier nehmen die Behörden die Abschiebungen vor, die die Regierung der Bevölkerung und der AfD-Wählerschaft versprochen hat, die aber nach Afghanistan nicht möglich sind. 2015 wurde nur alle zwei Monate eine Person nach Afghanistan abgeschoben, 2014 waren es noch neun Personen im Jahr.

Die erste Veranstaltung dazu in Lübeck war total überfüllt. Die Aula der Volkshochschule in Lübeck hat rund 150 Sitzplätze, wenn man die Empore mitrechnet, es kamen aber geschätzt über 200 Interessierte. Nach 90 Minuten Referat und 90 Minuten Fragen dazu waren noch immer rund 30 Wortmeldungen nicht aufgerufen worden, die meisten aber sehr erschöpft So wurde von den Veranstalterinnen und Veranstaltern zugesagt, eine zweite Veranstaltung noch vor den Sommerferien zu organisieren, was inzwischen auch geschehen ist.

Bei den Fragen ging es vor allem um die Wartezeiten und Möglichkeiten der Beschleunigung, außerdem um die eigenen Fallkonstellationen. Öffentlich wurde alles beantwortet, was für alle von Interesse war, anderes wurde nach dem offiziellen Schluss der Veranstaltung im kleinen Kreis erläutert.

Die Veranstaltung fand danach auch in Kiel statt, mit ähnlichen Erfahrungen. Nachdem zu Beginn die Stühle bis zum letzten Platz besetzt waren, wurden Tische aus Nebenräumen reingeholt und an den Rand gestellt, um Behelfs-Sitzplätze zu bieten. Viele mussten trotzdem auf dem Boden sitzen, an der Wand lehnen und so weiter. Auch hier konnten längst nicht alle Fragen beantwortet werden.

Bei einer weiteren Veranstaltung in Hamburg wurde gewünscht, nur das Asylverfahren vorzustellen, insbesondere die Anhörung ausführlicher durchzugehen. Hier kamen über sechshundert Flüchtlinge - mit dem Ergebnis, dass die Veranstalter beschlossen, keine Zwischenfragen zuzulassen, denn das hätte die Veranstaltung gesprengt. Über das Asylverfahren selbst hatten die Veranstalter zum Glück Hunderte von Kopien der Erläuterungen in persischer Sprache kopiert, was die Anwesenden ein wenig tröstete. Aber nach Ende des "offiziellen" Teils gab es im Foyer des Bürgerzentrums noch Dutzende, die dann ihre Fragen stellten. Auch hier war es bei Weitem nicht möglich, alle zu Wort kommen zu lassen.

Eritrea

Nach einer Veranstaltung im vorigen Jahr in Schönberg folgte jetzt noch eine Veranstaltung in Elmshorn und eine in Lübeck. Hier war und ist die Situation wiederum anders. Asylanträge aus Eritrea werden fast sicher anerkannt. Es ging also bei der Vorstellung des Herkunftslandes vor allem darum, dass es bei vielen deutschen UnterstützerInnen vergleichsweise unbekannt ist. Insbesondere in Itzehoe gab es eine ganze Reihe zusätzlicher Schilderungen der Verhältnisse dort aus persönlicher Sicht, wobei hier den Flüchtlingen klar ist, dass es Spitzel in der Szene gibt, die für unangenehme Konfrontationen mit der Polizei für zurückgebliebene Familienangehörige sorgen können.

Bei dem Durchgang durch das Asylverfahren ging es einerseits um das Dublin-III-Verfahren, von dem ein Teil der Antragsteller betroffen ist. Zum Verfahren selbst ging es vor allem um die Kenntnis der Pflichten und der Fristen, um Fehler im Formalen zu vermeiden, die die Anerkennung gefährden könnten. Hier ging es also vor allem um das sehr präzise Dolmetschen.

Jemen

Erstmals fand Ende April in Lübeck eine Veranstaltung zum Jemen statt. Seit März 2015 herrscht hier Krieg, nachdem Saudi-Arabien in den bereits vorher seit Jahren andauernden Bürgerkrieg eingegriffen hat, zusammen mit rund einem Dutzend anderer Staaten. Die Flucht ist schwierig, das große Nachbarland ist der Kriegsgegner, und mit kleinen Booten über das Meer zu fliehen hat zwei große Nachteile: Es ist sehr gefährlich, und der Nachbar auf dem anderen Ufer ist Somalia, nicht gerade ein sicheres Zufluchtsland. So kamen im letzten Jahr nur rund 500 Flüchtlinge in Deutschland an, die aber alle nach Schleswig-Holstein geschickt wurden. Nur hier werden die Asylverfahren aufgenommen und die Geflüchteten angehört.

Die Veranstaltung lief wie die anderen in zwei Teilen ab: Zunächst gab es Informationen zum Herkunftsland, wobei die meisten Besucherinnen und Besucher vorher relativ wenig über das Land wussten und deshalb auch im ersten Teil schon viel nachgefragt wurde. Im zweiten Teil wurde das Asylverfahren vorgestellt. Hier zeigte sich, dass die jemenitischen Flüchtlinge kaum Kontakte untereinander hatten, von der hohen Zahl der positiven Entscheidungen überrascht waren. Diejenigen, die anerkannt werden, scheinen das nicht groß weiterzuerzählen. Auch war unter den Betroffenen unbekannt, dass es im letzten Jahr keine einzige Ablehnung gegeben hatte, angesichts der Situation kein Wunder. Die beiden großen Probleme sind die Bearbeitungszeit, die im Durchschnitt bei drei Jahren liegt, und die extrem hohe Zahl der Dublin-III-Verfahren. Damit will sich die deutsche Behörde die Flüchtlinge vom Hals schaffen, die weder abgelehnt noch abgeschoben werden können.

Auf der Veranstaltung zeigte sich auch, dass die Spaltungen hier in der "Flüchtlingsszene" teils tief sind: So saßen nicht nur die männlichen und weiblichen Flüchtlinge getrennt, sondern auch die aus dem Norden und dem Süden, auch wenn es keine offenen Konflikte gab. Man ließ sich ruhig aussprechen, auch wenn man über die Einheit oder Spaltung des Landes verschiedener Meinung war.

Zweisprachige Veranstaltungen: Information und Gruppenberatung

Wichtig bei zweisprachigen Veranstaltungen ist nicht nur die gleichberechtigte Teilnahme. Das allerdings sollte man nicht unterschätzen: Geflüchtete sind hier nicht die "Fälle" und "Zahlen", die sie sonst im ganzen Asylverfahren sind. Sie können gleichberechtigt teilnehmen, nicht nur alles verstehen, sondern sich selbst in einer Sprache ihrer Wahl, also der Muttersprache oder Deutsch, an der Information und der Diskussion beteiligen.

Es sind aber auch Gruppenberatungen und damit eine große Arbeitserleichterung für die Beratungsstellen. Das sind nicht nur die Stellen der Migrationsberatung, die es in allen Kreisen gibt. Viele Kommunen haben auch Flüchtlingsbeauftragte oder KoordinatorInnen berufen, die ebenfalls mit vielen Fragen konfrontiert sind, außerdem gibt es überall ehrenamtliche Helfer, aber auch Lehrerinnen und Lehrer, die von Flüchtlingen mit der Hoffnung auf Hilfe und Auskunft angesteuert werden. Bei solchen Veranstaltungen kann man 20 bis 50 Geflüchtete an einem Abend mit der Grundinformation über das schwer durchschaubare Verfahren versorgen und sie damit zumindest in den Stand versetzen, in einzelnen Stationen ihres Verfahrens gezielter als bisher Unterstützung zu mobilisieren.

Bisher ist die Erfahrung, dass ehrenamtliche UnterstützerInnen solche Veranstaltung als gute Chance sehen, gemeinsam mit "ihren" Flüchtlingen besuchen und aller Informationen in beiden Sprachen gemeinsam entgegennehmen. Beratungsstellen nutzen nach meiner Beobachtung bisher diese Veranstaltungen zu wenig. Aber überall waren Vertreter der AWO, der Diakonie, der ZBBS und örtlicher Behörden anwesend, insofern wird sich der konkrete Nutzen auch bald rumsprechen.

Mehr Veranstaltungen im Juni

Im Juni wird es mehr zweisprachige Veranstaltungen in Schleswig-Holstein geben, voraussichtlich in der Hälfte aller Kreise. Am meisten werden Veranstaltungen über Afghanistan gewünscht, weil es hier die größte Verunsicherung und die meisten Fragen gibt. Geplant werden aber auch zweisprachige Veranstaltungen zum Iran, Irak und zu Syrien. Die Veranstaltungen zu Eritrea und Jemen werden an anderen Orten wiederholt.


Geplante zweisprachige Veranstaltungen

Iran
2. Juni, 18 Uhr, Elmshorn

Irak
3. Juni, 18 Uhr, Lübeck

Afghanistan
6. Juni, 18 Uhr, Rendsburg

Syrien
9. Juni, 18 Uhr, Elmshorn

Syrien
10. Juni, 18 Uhr, Itzehoe

Afghanistan
16. Juni, 18 Uhr, Elmshorn

Afghanistan
22. Juni, 19.30 Uhr, Norderstedt

Afghanistan
23. Juni, 18 Uhr, Itzehoe

Afghanistan
24. Juni, 18 Uhr, Lübeck

Jemen
30. Juni, 18 Uhr, Elmshorn

Jemen
1. Juli, 18 Uhr, Itzehoe

Irak
14. Juli, 18 Uhr, Elmshorn

Irak
15. Juli, 18 Uhr, Itzehoe

Eritrea
21. Juli, 18 Uhr, Elmshorn

Eritrea
22. Juli, 18 Uhr, Itzehoe

Einladungen und Informationen:
reinhard.pohl@gegenwind.info

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Quelle:
Gegenwind Nr. 333 - Juni 2016, Seite 14 - 17
Herausgeber: Gesellschaft für politische Bildung e.V.
Schweffelstr. 6, 24118 Kiel
Redaktion: Tel.: 0431/56 58 99, Fax: 0431/570 98 82
E-Mail: redaktion@gegenwind.info
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Juni 2016

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