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GEGENWIND/665: Bürger, Parteien und die Landtagswahl 2017


Gegenwind Nr. 333 - Juni 2016
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein

Wahl 2017
Bürger, Parteien und die Landtagswahl 2017

Von Klaus Peters


Nach den für den 7. Mai 2017 vorgesehenen Landtagswahlen in Schleswig-Holstein steht im Herbst die Bundestagswahl bevor, im Frühjahr 2018 werden dann in Schleswig-Holstein Kommunalwahlen durchgeführt. Die nächsten Landtagswahlen führt Mecklenburg-Vorpommern bereits im Herbst dieses Jahres durch, danach folgen Landtagswahlen in Niedersachsen und Wahlen in Berlin. Im Februar 2017 wird zunächst die Bundesversammlung einen neuen Bundespräsidenten wählen und unmittelbar vor den Wahlen in Schleswig-Holstein wird im Saarland ein neuer Landtag gewählt.


Nach den in diesem Jahr in drei Bundesländern durchgeführten Wahlen und auch nach den Entwicklungen in den Kreistagen des Landes Schleswig-Holstein - in einigen Regionen haben sich neue Koalitionen gebildet -, wird sich das Parteien- und Bündnisspektrum vermutlich nochmals erweitern. Sicher scheint zu sein, dass die Alternative für Deutschland (AfD) in den Landtag einziehen wird. Auf Kreis- und Gemeindeebene wird die AfD ebenfalls vertreten sein.

Die Bilanz der Politik der letzten Legislaturperiode des Schleswig-Holsteinischen Landtags ist, wie nach anderen Wahlen auf den verschiedenen Ebenen, ziemlich ernüchternd und je nach Anspruch auch deprimierend. Es ist naheliegend, auch für die geringe Wahlbeteiligung und das Auftreten von Protestparteien auf die schlechten Ergebnisse der Politik zurückzuführen. Zunächst waren es die Grünen, dann die WASG, Die Linke, die Piraten, zuletzt die AfD, die sich als Protestparteien gründeten und zumindest bis zum Auftreten einer neuen Protestpartei auch als solche verstanden werden wollten.

Diese Protestparteien hatten durchaus Einfluss auf die politische Entwicklung, insbesondere dadurch, dass die etablierten Parteien Programmpunkte der neuen Konkurrenten aufnahmen. Dies erfolgte meistens dann, wenn die Protestparteien eine gewisse Stärke erreichten oder eine solche prognostiziert worden war. Der Einfluss von Nichtregierungsorganisationen (NRO) ist vermutlich gestiegen, wird jedoch von den in den Parlamenten vertretenen Parteien grundsätzlich als weniger bedeutsam betrachtet, vor allem deshalb, weil sie Mandate, Jobs und finanzielle Zuwendungen an die Parteien unmittelbar weniger gefährden.

Welche Themen könnten wahlentscheidend sein?

Wahlentscheidend, bis hin zu den Kommunalwahlen, können größere politische Entscheidungen, Ereignisse oder Entwicklungen sein, wie die Agenda 2010 der rot-grünen Bundesregierung, die Banken- und Finanzkrise 2007/2008, die Reaktorkatastrophe von Fukushima 2011 oder die Flüchtlingsströme der letzten Monate. In Schleswig-Holstein gibt es nicht unerhebliche Auseinandersetzungen über die Energiepolitik und insbesondere über den exzessiven Ausbau der Windenergie. Welche Fragen und Antworten zur Wahl entscheidend sein werden, lässt sich natürlich nicht mit Sicherheit vorhersagen. Das Themenspektrum ist breit, soziale Gerechtigkeit müsste eigentlich immer ein Schwerpunkt sein, doch die Landesebene hat hier wie in anderen Politikbereichen, nur einen begrenzten Einfluss. Die Themen Flüchtlinge und Migration sind noch aktuell, maßgebend sind aber Entscheidungen auf Bundesebene. Ähnliches gilt für das Thema Friedenspolitik. Die Gesundheit-, Energie-, Verkehrs- und Landwirtschaftspolitik ist ebenfalls stark von Entscheidungen auf der Bundesebene abhängig, die Zukunft Landbewirtschaftung auch von Entscheidungen auf EU-Ebene. Hinzu kommen mögliche Einflüsse durch Freihandelsabkommen, wie TTIP.

Beispiel Windenergieplanung

Es zeichnet sich auch schon auf Landesebene ein Einfluss von AfD-Forderungen und von NRO ab. Die CDU hatte im April einen Antrag in den Landtag eingebracht, mit dem eine Vergrößerung der Abstände von Windenergieanlagen zu Wohngebäuden und Siedlungen gefordert wird. Obgleich nur eine geringfügige Vergrößerung von 400 auf 500 bzw. von 800 auf 1200 Meter gefordert, worden war, stellte sich die Regierungskoalition geschlossen dagegen. In ihrem Wahlprogramm fordert die AfD in Mecklenburg-Vorpommern Abstände, wie sie die CSU in Bayern bereits durchgesetzt hat. Die Abstände sollen das Zehnfache der Anlagenhöhe betragen [1]. Inzwischen ist die Akzeptanz von immer größer werdenden Windenergieanlagen auch in Schleswig-Holstein stark gesunken. Nach Umfragen sollen nur noch etwa die Hälfte der Bürger Windenergieanlagen akzeptieren. Dabei ist zu berücksichtigen, dass vor allem die Bürger in den Städten eigentlich überhaupt nicht betroffen sind. In vielen Dörfern haben Windenergieanlagen die Bevölkerung dagegen regelrecht gespalten. Ja, Umfragen sind auch zu hinterfragen und richtig zu interpretieren. Die Energiepolitik, die sogenannte Energiewende, die die Bundesregierung mit Unterstützung der Bundesländer über das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) umsetzen will, hat zu neuen extremen Ungerechtigkeiten geführt. Äußerst problematisch, wenn auch Teile der Linken dies weitgehend ignorieren.

Die Landesregierung des Landes Schleswig-Holstein hat den Ausbau der Windenergie wie kaum ein anderes Bundesland, unter Missachtung des Verhältnismäßigkeitsprinzips, und wie das Oberverwaltungsgericht in Schleswig in seinem Urteil von Anfang 2015 feststellt, damit rechtswidrig, vorangetrieben. Eine kontinuierliche Stromabnahme ist schon seit Jahren nicht möglich, der überschüssige Strom muss trotzdem vergütet werden. Im Schnellverfahren ist dann in den letzten Jahren der Bau neuer Höchstspannungstrassen auf den Weg gebracht worden. Inzwischen wird klar, dass eine Speicherung des Stroms und der Aufbau bzw. die Stärkung regionaler Wirtschaftskreisläufe die einzige vernünftige Lösung wäre [2]. Die sogenannten Dialogveranstaltungen haben interessierten Bürgern viel Zeit gekostet, herausgekommen ist für die Bürger kaum etwas. Die entscheidende Forderung, Stromleitungen als Erdkabel zu verlegen, ist abgelehnt worden. Wenn der Widerstand und die Einsicht nicht weiter wachsen, könnten Einwender gegen die Windenergieplanung ein ähnliches Desaster erleben.

Inzwischen ist die Abhängigkeit von Arbeitnehmern, von einigen spezialisierten Unternehmen und vor allem von regionaler Banken, so groß geworden, dass mit allen Mittel versucht wird, die chaotische Entwicklung weiter voranzutreiben, obgleich der Widerstand gewachsen ist und weiterhin nicht unerhebliche rechtliche Unsicherheiten bestehen. Schließlich ist die zur Verfügung stehende Fläche in jedem Fall begrenzt, insofern wäre es notwendig, die Betroffenen auf ein Ende des "Windgeldrausches" vorzubereiten. Verantwortliche Politiker, Investoren und der Fachverband versuchen aber aus purem Eigeninteresse und auch, weil sie unwillig oder unfähig sind, die Bürger aufzuklären, diese zu täuschen, indem sie immer wieder entweder unmittelbar bevorstehende Katastrophenszenarien und damit auch Angst zu Verbreiten oder die negativen Folgen des exzessiven Windenergieanlagenbaus und der verfehlten Energiepolitik herunterspielen. Neuerdings wird auch immer häufiger mit Gewöhnungseffekten spekuliert. Verschiedene Versuche, die Bürger finanziell einzubinden, sind nur teilweise gelungen, zumal in verschiedenen Fällen der Verdacht rechtswidriger Einflussnahme auftrat.

"Goldflächen"-Besitzer und Großinvestoren kassieren Renditen, die sonst fast nirgends möglich sind, außer vielleicht in Steueroasen. Die EEG-Umlage wird auch von Stromverbrauchern mitfinanziert, die sich in prekären Arbeits- und Lebensverhältnissen befinden. Immobilienbesitzer in Windenergiegebieten haben entschädigungslos hohe Wertverluste zu tragen. Die Energiepolitik könnte also ein wichtiger Faktor bei der Wahlentscheidung eines nicht unerheblichen Teils der Bürger des Landes sein.

Inzwischen sind auch die NRO stärker geworden, die die Interessen der vom Windenergieboom und von den Stromtrassen negativ Betroffenen vertreten. Es wird in den nächsten Monaten auch ganz wesentlich darauf ankommen, wie sich die Vereine wie Gegenwind S-H e.V., Naturkraft e.V., und die zahlreichen Bürgerinitiativen engagieren. Dies gilt insbesondere auch für den Naturschutzbund Deutschland e.V. (NABU) [3].

Parteien, denen das Gemeinwohl der Bürger, der Schutz vorhandener Kulturgüter, die Schaffung neuer Kulturgüter, der Erhalt der verbliebenen historischen Kulturlandschaften, der Erhalt und die Ausdehnung von Wäldern, ebenso wie die Sicherung und Schaffung großflächiger Naturlandschaften wichtig ist, sollten sich die Forderungen dieser NRO zu Eigen machen. Eine ebenso zentrale Bedeutung haben die Forderungen des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, die der NRO Seniorenaufstand, die der Friedensbewegung angehörigen Gruppen und die der Organisationen, die sich für eine ökologische Landwirtschaft einsetzen oder die, die sich für die Ertüchtigung der Bahninfrastruktur kämpfen. Nicht zuletzt sollte mensch sich mit den Vorschlägen und Forderungen des Verkehrsclubs Deutschland e.V. befassen, der sich so ziemlich als einzige Bürgerorganisation mit der Straßenverkehrssicherheit auseinandersetzt. Trotz deutschlandweit sogar gestiegener Verkehrsopferzahlen wird dieses Thema und das damit verbundene menschliche Leid immer wieder verdrängt.


Anmerkungen

[1] Vertreter der CDU waren es Ende der neunziger Jahre, die eine Initiative zur Privilegierung der erneuerbaren Energien in das Baugesetzbuch (§ 35 Abs. 1) entwickelten, die dann mit großer Mehrheit umgesetzt worden ist. Die in Verbindung mit dem Erneuerbaren Energiegesetz ausgelösten Folgen, wie die schwere Beeinträchtigung oder gar Zerstörung Jahrhunderte alter Kulturlandschaften und die neuen sozialen Ungerechtigkeiten sind entweder nicht bedacht oder billigend in Kauf genommen worden. Beides wäre unverantwortlich und darf nicht ohne Folgen bleiben.

[2] Experten weisen schon seit Jahren auf die Fehlkonstruktion des EEG hin. Die Betreiber von nicht kontinuierlich Strom produzierenden Anlagen, also Windkraft- oder Photovoltaikanlagen, hätten insbesondere auch verpflichtet werden müssen, vor Inbetriebnahme der Anlagen die notwendige Regelenergie zu beschaffen (siehe hierzu auch: Neue Züricher Zeitung vom 30. April 2016, S. 14).

[3] Der NABU setzt sich, wie auch Teile anderer Natur- und Umweltschutzorganisationen, vorrangig für den Arten- und Landschaftsschutz ein. Ende April veröffentlichte der NABU SH ein Schreiben an die Staatskanzlei des Landes, in dem er in scharfer Form die beabsichtigte Verringerung der Abstände von Windkraftanlagen zu Horststandorten von Großvogelarten kritisierte.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- Bahnstation Lunden, Kreis Dithmarschen. Das Gebäude steht wie viele andere für Bahnreisende nicht mehr zur Verfügung. Trotz umfangreicher Renovierung der Bahnsteige ist ein barrierefreier Übergang von einem zum anderen Bahnsteig nicht möglich. Auf der Strecke St. Peter-Ording - Husum gibt es bisher nur an diesen beiden Bahnstationen barrierefreie Bahnsteige. Von ehemals rund 10 Bahnhofsgebäuden an dieser Strecke, ohne Güterschuppen und Nebengebäude, werden nur nach zwei als Bahnhofsgebäude genutzt. Die meisten Gebäude sind abgerissen worden.

- Die Proteste gegen die verfehlte Energiepolitik, gegen Landschaftszerstörung, Artenverluste, Wertverluste von Gebäuden, gegen gesundheitliche Beeinträchtigungen, Verlust an Lebensqualität und Proteste gegen Profitgier nehmen stark zu.

- Das Herrenhaus Hoyerswort, ein Renaissancebau aus dem 16. Jahrhundert, ist neben den Kirchen das markanteste historische Gebäude auf der Halbinsel Eiderstedt. Der Schutz der Natur- und Kulturlandschaften und der Kulturgüter muss in Schleswig-Holstein in allen Regionen wieder einen höheren Stellenwert erhalten. Die Ausweisung und Sicherung von Schutzgebieten stagniert. Bei den Kulturgütern hat die Politik sich nur auf den Erhalt weniger Einzelobjekte konzentriert, manche sogar veräußert. Es muss vielmehr auch darum gehen, neue Kulturgüter zu schaffen und ehemalige Kulturgüter, jeweils mit großzügigen Umgebungsbereichen, wiederherzustellen.

- TTIP-Proteste in Hannover am 23. April. TTIP beschleunigt die Globalisierung und hemmt damit gleichzeitig die regionale Entwicklung; Drittländer werden noch stärker benachteiligt.

- Der Kreistag Nordfriesland hatte vor wenigen Wochen die Schließung der Klinik in Tönning, einer ehemaligen Kreisstadt, beschlossen. Damit verliert der ehemals selbstständige Kreis Eiderstedt einen wichtigen Bestandteil seiner Infrastruktur und Arbeitsplätze. Das Land hätte sich stärker engagieren müssen, dies ist prinzipiell immer noch möglich.

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Quelle:
Gegenwind Nr. 333 - Juni 2016, Seite 9 - 12
Herausgeber: Gesellschaft für politische Bildung e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Juni 2016

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