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GEGENWIND/661: Von Jagel bis Garding - Politisches Engagement in ländlichen Regionen


Gegenwind Nr. 332 - Mai 2016
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein

Von Jagel bis Garding
Politisches Engagement in ländlichen Regionen

Von Klaus Peters


Wer möchte, kann sich in fast allen Regionen zumindest wöchentlich an politischen Aktionen beteiligen. Die Voraussetzungen für den Bezug von Informationen, den Austausch und die Vernetzung haben sich durch das Internet enorm verbessert. Dennoch ist es nicht ganz einfach, aus der zunehmenden Zahl von Informations- und Aktionsangeboten die richtige Auswahl zu treffen. Trotz einer zunehmenden Zahl von Nichtregierungsorganisationen (NROs) und deren Aktivitäten sind die bisherigen Erfolge immer noch recht bescheiden.


Die unzureichende Wirksamkeit der NROs hat verschiedene Gründe. Trotz der Bemühungen um Vernetzung ist es gerade auch wegen der zunehmenden Zahl von Herausforderungen und der damit einhergehenden Zunahme der Zahl zivilgesellschaftlicher Gruppen, nicht einfacher geworden, Erfolge zu erringen. Also konzentrieren sich die Gruppen und einige Einzelkämpfer auf ihre spezifische emotionale oder konkrete Betroffenheit, auf ihre Interessen oder Spezialkenntnisse. Sonderfälle sind diejenigen Gruppen, die rein oder überwiegend berufliche, kommerzielle oder private (kleinbürgerliche) Interessen vertreten, Nicht immer ist es ganz einfach, die wahren Interessen zu erkennen und eine richtige Trennung vorzunehmen.

Die meisten Gruppen sind entweder als Bürgerinitiative oder Verein organisiert, haben also auch bestimmte Ziele zu vertreten. Problematisch kann es werden, wenn eine Gemeinnützigkeit angestrebt wird. Dann sind politische (und auch kommerzielle Interessen) unerwünscht bzw. weitgehend ausgeschlossen. Organisationen wie Attac oder der Frauenverband Courage sind mit entsprechenden Problemen konfrontiert worden.

Es gibt also tatsächliche oder auch nur befürchtete Einschränkungen des politischen Engagements von Nichtregierungsorganisationen. Eine Alternative wäre in jedem Fall die zusätzliche Mitgliedschaft oder das Engagement dieser Gruppen oder ihrer Vertreter in gesellschaftspolitisch breiter aufgestellten Organisationen.

An zwei Beispielen soll versucht werden aufzuzeigen, wie ein breiteres Engagement konkretisiert wird oder werden könnte. Vorweg noch einige Anmerkungen aus der eigenen politischen Werkstatt. Es gibt einige Termine, die wahrgenommen werden müssen, andere, die eher der Kategorie "Kür" zuzuordnen sind. Gleiches gilt für die Lektüre. An einem Tag im April standen neben der Schlussfassung eines Stellungnahme zu einem Gutachten zur Ausweisung von "Charakteristischen Landschaften" und den Folgen für die Regionalplanung, Teilfortschreibung Windenergie, die Durchsicht diverser E-Mails mit ultimativen neuen (technokratischen) Ansätzen zur Energie- und Klimapolitik eines Aktivisten der Ökologischen Plattform und eine Mitteilung zu bevorstehenden Treffen der Umweltgewerkschaft mit Vorschlägen zum Programmentwurf auf der Agenda. Im Postfach eine Mitteilung der BI gegen Fracking, die sich nicht grundsätzlich mit der Energiepolitik auseinandersetzen will - es steht so nicht in der Satzung, ein paar andere Gründe gibt es wohl auch noch. In einem Kommentar der Neuen Züricher Zeitung (NZZ), der kurz vor Ostern erschien, war zu lesen, dass die jährlichen Subventionen gemäß dem EE-Gesetz in Deutschland jetzt rund 25 Milliarden Euro betragen, die Betreiber der Anlagen liefern dafür Strom im Wert von rund 1,5 Milliarden Euro.

Auf dem Tisch lagen auch der Aufruf der Deutschen Friedensgesellschaft - Vereinigte Kriegsdienstgegnerlnnen (DFG-VK) zu einer Kundgebung am Flugplatz Jagel und die Einladung zur Jahreshauptversammlung des Fördervereins Kunst und Kultur Eiderstedt (FKE) in Garding. Dann gibt es noch die Auseinandersetzung über den richtigen Weg der Linken zwischen Freidenkern und der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) einerseits und einer Gruppe um die Antikapitalistische Linke (AKL) und Sarah Wagenknecht anderseits. In Lübeck haben Fraktionsmitglieder der Grünen und eine Linke Konsequenzen gezogen. Es gibt eine neue GAL. Es bleibt abzuwarten, was daraus wird. Darüber eventuell in einem späteren Beitrag mehr.

Erneute Kundgebung in Jagel

Mitglieder der DFG-VK aus Flensburg und Bad Oldesloe sind verstärkt aktiv geworden, seit bekannt ist, dass die elektronische Kampfführung (Elo-Ka) der Bundeswehr und der NATO eine immer größere Rolle spielt. In Bramstedtlund, wenige Kilometer von Ladelund und von der deutsch-dänischen Grenze entfernt, besteht seit vielen Jahren eine Antennenanlage (größte Wullenweveranlage Europas, auch "Kastagnette" genannt), die eine wichtige Voraussetzung der elektronische Kampfführung für Bundeswehr und NATO darstellt. Der Flugplatz Jagel, wenige Kilometer von der Stadt Schleswig entfernt gelegen und Standort für Kampfflugzeuge verschiedener Art, soll jetzt auch Ausbildungs- und Steuerungszentrale von Aufklärung- und Kampfdrohnen werden. Nach einer Kundgebung mit einem Fahrradkorso Mitte 2015, einer Informationsveranstaltung in Kiel, ebenfalls 2015, einer Vortragsveranstaltung mit Lühr Henken (Bundesausschuss Friedensratschlag) im Februar in Jagel, dem Ostermarsch von Ladelund, mit Informationen über das ehemalige Konzentrationslager in Ladelund, nach Bramstedtlund und dem Ostermarsch in Flensburg, fand Anfang April eine weitere Kundgebung vor dem Flugplatz in Jagel statt.

In Jagel wurde nochmals deutlich gemacht, welche zentrale Bedeutung. der Widerstand gegen die Elektronische Kampfführung und die Ächtung des Einsatzes von Drohnen hat, da militärische Einsätze damit leichter zu führen sind, die Protestdemonstrationen, Mahnwachen oder Kundgebungen sollen in Jagel zukünftig regelmäßig stattfinden. Diese Aktionen sollen ausdrücklich auch dem Kennenlernen, dem Austausch und der Vernetzung der Aktivisten dienen. Zweifel gab es an der Wirksamkeit von Diskussionen mit Bundeswehrangehörigen. Diskussionen an Informationsständen, beispielsweise in Schleswig, hatten bei den Beteiligten dennoch Hoffnungen geweckt.

Zweifellos erkennen die Aktivisten der DFK-VK und ihre Anhänger auch die Notwendigkeit, nicht nur die militärischen, sondern auch die wirtschaftlichen Ursachen der Flüchtlingsströme zu bekämpfen. Gleiches gilt für die sozialen und ökologischen Folgen von Aufrüstung, Kriegen und Militäreinsätzen, sowohl in den betroffenen Ländern als auch im Inland. Diese Ursachen und Folgen sind immer auch klar zu benennen. In einem Flugblatt zum Ostermarsch nach Bramstedtlund ist dies auch eindrucksvoll geschehen. Zitat (Auszug): "Sozialabbau überall, die Gesundheit ist nichts wert. Geld kann nur einmal ausgegeben werden, entweder für größenwahnsinnige Rüstungsprojekte oder der Daseinsvorsorge der Bevölkerung. Überall im Lande werden Krankenhäuser, außerhalb großer Städte auch Arztpraxen, aber auch Schulen und Sportanlagen geschlossen, öffentliche Verkehrsverbindungen stillgelegt, das Schienennetz hat heute weniger Verbindungen als vor einhundert Jahren. Mit zunehmendem technischen und wirtschaftlichen Fortschritt haben wir nicht mehr Krankenhausbetten, sondern weniger...


Aktuelle Krankenhausschließung in Tönning

Am 23. März haben die Blockparteien im Kreistag des Kreise Nordfriesland, CDU/SPD/Grüne/SSW/FDP/WGNF gegen die Stimmen der Freien Sozialen Demokraten (FSD), der zwei Abgeordnete der Kreisverbandes Die Linke NF angehören, die Schließung des Krankenhauses in der ehemaligen Kreisstadt Tönning durchgesetzt. Das Krankenhaus ist Bestandteil der gemeinnützigen Klinikums Nordfriesland, zu dem Häuser in Husum, Niebüll und Wyk auf Föhr gehören. Eine vor längerer Zeit geplante Privatisierung konnte durch Initiativen von Fördervereinen verhindert werden. Wie lange das Haus Niebüll unter den derzeitigen Voraussetzungen noch gehalten werden kann, ist unklar. Das Tönninger Haus war in den letzten Jahren durch Verlagerungen von Leistungen nach Husum bereits geschwächt worden. Für das Wyker Haus stellt die Landesregierung einen Sicherungszuschlag zur Verfügung. Angedacht ist ein zentraler Neubau im Raum Bredstedt. Die Finanzierung von Investitionen hat gemäß Gesetzeslage im Wesentlichen das jeweilige Bundesland zu übernehmen. Grundsätzliche Probleme ergeben sich bereits jetzt durch die langen Rettungsfahrzeiten. In Tönning gibt es in unmittelbarer Nähe des bestehenden Krankenhauses sogar noch einen halbwegs intakten Bahnhof.


Wir haben im nördlichen Schleswig-Holstein die höchste Militärdichte in Deutschland, aber eine ausgedünnte "Krankenhausversorgung. Es sind die Politiker derselben Parteien, die im Bundestag die Aufrüstung mit Kampfdrohnen beschließen und im Kreistag von Nordfriesland Krankenhäuser schließen." Und in einem Redebeitrag hieß es: "Wozu der technische Aufwand, was ist das Ziel? Elektronische Kampfführung ist der Beitrag der Bundeswehr zu neokolonialen Kriegen der NATO. Die Kriegsziele sind dieselben wie in den historischen Kolonialkriegen: Ausbeutung von Mensch, Natur und Rohstoffen dieser Länder, Wir haben die Flüchtlinge aus den arabischen Ländern bekommen, dafür ist der Ölpreis so niedrig wie seit Jahren nicht mehr."


Der Förderverein Kunst und Kultur Eiderstedt (FKE)

Der Förderverein Kunst und Kultur Eiderstedt zeichnet sich nicht gerade durch konkretes politisches Engagement aus, stellt aber eine wichtige Bereicherung dieser Teilregion an der Westküste, des ehemaligen selbständigen Kreises Eiderstedt, dar. Eiderstedt ringt spätestens seit der Auflösung als selbstständiger Kreis um seine Identifikation. Vor der Neugründung des Kreises Nordfriesland war sogar eine Fusion mit dem nördlichen Teil Dithmarschens in der Diskussion. Inzwischen sind ein Amt Eiderstedt, eine gemeinsame Tourismus-Zentrale der Gemeinden und verschiedene Vereine und Bürgergruppen entstanden, die zur Entwicklung beitragen wollen. Dies geschieht allerdings nicht immer abgestimmt und noch nicht nach einem gemeinsamen Leitbild für eine nachhaltige Entwicklung. (Die Stadt Tönning hat kürzlich ein Verfahren zur Aufstellung eines Leitbildes erfolgreich abgeschlossen.) So gab und gibt es Auseinandersetzungen über den Natur- und Landschaftsschutz, speziell über die Ausweisung von Vogelschutzgebieten, über den Ausbau von Straßen einerseits, die Defizite der Bahn und des ÖPNV andererseits, über die Strandbefahrung in St. Peter-Ording, oder über die Aufstellung von Windenergieanlagen und Fotovoltaikanlagen auf Freiflächen in einem potenziellen Landschaftsschutzgebiet.

Während das Eiderstedter Forum, eine seit knapp 10 Jahren bestehende Bürgergruppe, fast alle kritischen Themen in öffentlichen Veranstaltungen aufgegriffen hat, arbeitet der FKE ziemlich erfolgreich im Bereich Kunst und Kultur. Es besteht auch eine durchaus gute Zusammenarbeit mit anderen Vereinen, Kultureinrichtungen, den Gemeinden, dem Amt und der Tourismus-Zentrale. Über den Vorsitzenden und ein weiteres Vorstandsmitglied, die in Dithmarschen wohnen, sind gute Kontakte zur Dithmarscher Kunst- und Kulturszene vorhanden. Neben zahlreichen Ausstellungen, dem Schwerpunkt der Aktivitäten des Vereins, sind in den letzten Jahren Tage der offenen Ateliers und von einem befreundeten Verein relativ aufwendig konzipierte Kulturtouren angeboten worden.

Es ist sicher nicht untypisch, dass sich Vereine, die sich Kunst und Kultur widmen oder deren Mitglieder, sich nicht oder nur selten politisch positionieren. Die Gründe sind zum Teil schon genannt worden. Dennoch gibt es Kunst- und Kulturschaffende, die sich politisch äußern oder ihre Arbeit sogar als politische Arbeit verstanden, beispielsweise Bertolt Brecht, Carl von Ossieztky, Kurt Tucholsky und andere Autoren der "Weltbühne" oder in neuerer Zeit Peter Handke und auch Günter Grass. Zu Grass ist allerdings anzumerken, dass seines Äußerungen nicht völlig frei von Fehleinschätzungen waren. Tatsächlich sind es wohl eher Literaten als Maler oder Bildhauer, die sich politisch engagierten. Der FKE will sich jedenfalls zukünftig auch stärker der Literatur widmen. Für eine Veranstaltung in diesem Jahr ist es sogar gelungen, einen international bekannten Autor, den Schweizer Literaten, Adolf Muschg, der sich auch immer wieder zu politischen Themen geäußert hat, in die Region zu holen.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Abb. S. 18:
Das Krankenhauses Tönning mit dem Eingangsportal. Bei der Präsentation des Gutachtens, das die Schließung des Krankenhauses begründen sollte, zeigten die Verfasser als Titelfoto einen Anbau des Hauses.

Abb. S. 20:
Ölbild aus der Ausstellung Erich Duggen, Amrum, 1934, im Kunsthaus. Freie Horizonte und historische Kulturlandschaften sind gerade auch in Nordfriesland durch exzessiven Ausbau von Windenergieanlagen erheblich beeinträchtigt oder gar zerstört worden.

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Quelle:
Gegenwind Nr. 332 - Mai 2016, Seite 17 - 20
Herausgeber: Gesellschaft für politische Bildung e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Mai 2016

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