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GEGENWIND/647: Erstes Windenergiesymposium in Schleswig-Holstein


Gegenwind Nr. 326 - November 2015
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein & Hamburg

WINDENERGIE Erstes Windenergiesymposium in Schleswig-Holstein

Von Klaus Peters


Am 26. September trafen sich rund 150 Interessierte im Kieler Wissenschaftszentrum, um über die Folgen des Gesetzes zur Förderung erneuerbarer Energien (EEG) und den massiven Ausbau von Windenergieanlagen zu diskutieren. Eingeladen hatte der Verein "Mensch und Natur Gegenwind e.V. in Schleswig-Holstein", ein Zusammenschluss verschiedener Bürgerinitiativen, unterstützt von Vernunftkraft e.V., Bundesinitiative für vernünftige Energiepolitik. Die neue erste Vorsitzende des Vereins Gegenwind SH, Dr. Susanne Kirchhoff, konnte einen erfolgreichen Verlauf der Veranstaltung. feststellen. jetzt kommt es darauf an, die Aktivitäten zu verstärken, um die neu gewonnenen oder bestätigten Erkenntnisse umzusetzen.


Der Verein Gegenwind SH ist seit einer ganzen Reihe von Jahren im Lande aktiv, allerdings, insbesondere auch wegen des geringen Interesses der Medien, von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt. Da immer mehr Menschen die Entwicklung, insbesondere des exzessiven und massiv geförderten Ausbaus von Windenergieanlagen kritisch sehen oder sogar durch deren negative Folgen betroffen sind, hat der Verein sich neu aufgestellt und geht nun zusammen mit dem bundesweit aktiven Verein Vernunftkraft in die Offensive. Immerhin hat die zuständige Behörde der Landesregierung, das Landesplanungsamt, die Aktivitäten des Vereins auch schon anerkannt, indem seine Vertreter zu den letzten Gesprächen über die Umsetzung des OVG-Urteils zur Ungültigkeit der Regionalpläne bzw. deren Teilfortschreibung zur Ausweisung von Windenergieeignungsflächen eingeladen hatte. Konkrete Erfolge haben. sich allerdings daraus noch nicht entwickelt. Die Landesregierung will und muss Konsequenzen aus dem Urteil ziehen, will aber gleichzeitig eine nicht näher definierte Anzahl von Ausnahmen zulassen.

Dem Verein Gegenwind geht es nicht nur um die Begrenzung des Ausbaus der Windenergieanlagen oder um die Verhinderung einzelner Anlagen. Es geht vielmehr darum, die Öffentlichkeit über die Fehlentwicklungen aufzuklären, die durch das EEG ausgelöst worden sind, um die Aufklärung über den tatsächlichen Ergebnisse der Nutzung erneuerbarer Energien, über Alternativen, über die Kosten und die Nutznießer. Zudem geht es um die Schäden in den Landschaften, um die Vernichtung größerer Zahlen von Fledermaus- und Vogelarten sowie ganz besonders um gesundheitliche Schäden. Vieles ist bisher aus Gründen des Gewinnstrebens und politischer Opportunität nicht beachtet oder auch nur aufgrund der rasanten Geschwindigkeit des Ausbaus zu spät erkannt worden. Ob und in welchem Umfang Schäden zukünftig verhindert oder gar wieder rückgängig gemacht werden können, hängt vor allem von der Einsicht der Politiker, von der politischen Gemengelage und schließlich von den politischen Machtverhältnissen ab.


Das Energiewendechaos und die Folgen

Für den Eröffnungsvortrag der Veranstaltung konnte der Vorstand des Vereins einen der profiliertesten Fachwissenschaftler mit politischem Background gewinnen, nämlich Prof. Dr. Fritz Vahrenholt. Der in Hamburg lebende ausgebildete Chemiker Vahrenholt war in den achtziger Jahren durch den Bestseller "Seveso ist überall" einer breiten Öffentlichkeit bekannt geworden. Durch dieses Buch und weitere Publikationen hatte er die Bildung strukturierter behördlicher Umweltüberwachung ausgelöst und das Umweltbewusstsein der Öffentlichkeit geschärft. Die Aktivitäten einer Behörde konnte er später auch als Umweltsenator in Hamburg maßgeblich beeinflussen. Nach seiner dortigen Tätigkeit war er u.a. im Vorstand eines Windenergieanlagenherstellers tätig. Zuletzt ist der durch die Publikation "Kalte Sonne. Warum die Klimakatastrophe nicht stattfindet" bekannt geworden, in der er sich zusammen mit einem Koautor kritisch mit den bisherigen Klimaprognosen und auch mit der daraus abgeleiteten Energiepolitik auseinandersetzt. Jetzt ist Fritz Vahrenholt als Vorstandsvorsitzender der Deutschen Wildtierstiftung tätig.

In seinem Vortrag behandelte Vahrenholt Themen seines mit Koautor Sebastian Lüning veröffentlichten Buches "Die kalte Sonne". Nach dem Erscheinen des Buches hatte beispielsweise auch DER SPIEGEL ein ausführliches Interview mit dem Autor geführt. Die Politik hatte allerdings wenig Interesse gezeigt und keine Konsequenzen aus den bisherigen Fehlentwicklungen in der Energiepolitik gezogen. Erst 2014 sind dann geringfügige Änderungen am EEG vorgenommen worden. Vahrenholt verurteilt die Hektik und Planlosigkeit mit der die Energiepolitik vorangetrieben wird. Gleichzeitig weist er darauf hin, dass der Kohlendioxidanstieg auch von natürlichen Faktoren abhängig ist und die Erdtemperaturen immer wieder durch Schwankungen gekennzeichnet waren. Die unbestritten von den Menschen verursachte Erhöhung des Kohlendioxidanteils in der Atmosphäre ist jedoch durch ein verhältnismäßig kleines Land wie Deutschland nicht in den Griff zu bekommen. Die Menge Treibhausgase, die die BRD in 15 Jahren emittiert, wird in China bereits in 3 Monaten freigesetzt. Das geeignetste Mittel, um konkrete Ziele zu erreichen (Kohlendioxidgehalt und Temperaturen sind in den letzten Jahren etwa gleich geblieben) sind europa- und weltweit einzuführende Emissionszertifikate zu einem Preis, der dazu veranlasst, die Treibhausgasemissionen zu senken.

In seinem Vortrag ging Fritz Vahrenholt auch auf einige der schwerwiegendsten Auswüchse und Folgen des Windenergieanlagenbaus ein. Riesige Windenergieanlagen (Anlagen mit 100 Meter Nabenhöhe sind inzwischen Standard) werden sogar in naturschutzwürdigen Gebieten und in Wäldern gebaut. Das Bundesnaturschutzgesetz wird grob missachtet, insbesondere auch das Tötungsverbot von geschützten Arten. Rund 250.000 Fledermäuse sterben durch die Anlagen (durch den Druckabfall hinter den Flügeln), bei der Greifvogelart "Roter Milan" sind 1000 Tötungen zu beklagen. Im sogenannten "Helgolandpapier" sind von Wissenschaftlern ermittelte Mindestabstände von Windenergieanlagen zu Horsten von Großvögeln veröffentlicht worden. Diese Abstände liegen bei 3 bis 6 Kilometern. In den Abstandsregelungen der Länder werden diese Abstände aber grob missachtet.

Abschließend wies Vahrenholt nochmals auf die extremen sozialen Ungerechtigkeiten hin, die das EEG ausgelöst hat. So können Grundbesitzer auf Windenergieeignungsflächen jährlich bis zu 85.000 Euro Pacht für eine auf ihren Grundstücken errichtete Anlage fordern. Die Gesamtförderung der Betreiber von Anlagen Windenergie-, Photovoltaik- und Biogasanlagen liegt inzwischen bei über 20 Milliarden Euro jährlich.

Unverständnis zeigte Fritz Vahrenholt gegenüber dem BUND, der die Windenergieindustrie nahezu uneingeschränkt unterstützt. Einige sprechen sogar von Unterwanderung des BUND durch Vertreter der Windkraftindustrie. Ein paar Politiker hätten inzwischen allerdings schon begriffen, dass sie Wahlen verlieren könnten, wenn sie sich nicht auf die Forderungen der Anti-Windkraft-Initiativen eingehen würden.

Im zweiten Referat der Veranstaltung setzte sich Dipl.-Ing. Gerhard Artinger, Bargteheide, mit den Grundlagen der Messung, den Prognosen und mit den Bewertungen von Schallimmissionen, insbesondere in Bezug auf Emissionen von Windenergieanlagen auseinander. Der Referent machte die Teilnehmer auf diverse grobe Fehler bei der Berechnung und Bewertung von Schall aufmerksam. Grundsätzlich würden die Wirkungen von niederfrequenten Schallemissionen (Infraschall) völlig unzureichend gemessen und bewertet. Diese unzureichenden Messungen und Bewertungen kommen insbesondere durch veraltete Regelwerke zustande, die grundsätzliche Fehler und Mängel enthalten, zudem werden die neueren technischen Entwicklungen nicht berücksichtigt.

Bei der Bewertung von Schallemissionen und -immissionen wird ohnehin nur von einem "Normmenschen" ausgegangen, Abweichungen vom normalen Schallempfinden bleiben völlig unberücksichtigt. Schall-Impulse werden wegen einer zu geringen Auflösung der Messergebnisse nicht oder nur unzureichend bewertet. Ferner wird die Schallemission einer Windenergieanlage unabhängig von ihrer Größe als Punktquelle betrachtet, obgleich die von den Flügeln abgedeckte Fläche durchaus 10.000 m² betragen kann. Veränderungen der Schallimmissionen durch abweichende Luftdrücke und Temperaturen werden bei den Berechnungen ebenfalls nicht berücksichtigt. Das Fazit: Normen und Richtlinien bilden die vorhandenen Erkenntnisse nicht ab. Es müsste ein Vorsorgeabstand von mindestens 10 H (2 km bei einer Anlagenhöhe von 200 Metern) zu Wohngebäuden eingehalten werden.


Gesundheit endlich angemessen schützen

Der dritte Referent, Dr. med. Thomas Stiller aus Göttingen, klärte die Teilnehmer sehr detailliert über die gesundheitlichen, einschließlich der psychischen Folgen des massiven Ausbaus von Großwindenergieanlagen auf. Grundlage seiner umfassenden Kenntnisse ist insbesondere die Situation in Niedersachsen, dem Land mit der größten Zahl von Anlagen und sogenannten Windparks. Mit den vielfältigen gesundheitlichen Problemen der Menschen sind Ärzte schließlich besonders konfrontiert. Viele Ärzte haben erkannt, dass sehr viel Hintergrundwissen erforderlich und politischer Druck notwendig ist, um die Probleme zu minimieren und den Menschen wirklich helfen zu können. Die Ärzte, die sich mit Belastungen durch Schall, mit Beeinträchtigungen durch Großwindenergieanlagen befassen, haben deshalb auch eine Vereinigung, die Ärzte für Immissionsschutz (AEFIS), gegründet. Die Grundlage für die Bewertung von Gesundheit sind, wie Dr. Stiller eingangs hervorhob, die relativ umfassende Gesundheitsdefinition der WHO und die Bestimmungen des Grundgesetzes, hier: Paragraph 2, Absatz 2. An die grundgesetzliche Bestimmung und die differenziertere Definition der WHO hätten sich eigentlich auch die Gesetzgeber und Entscheidungsträger zu halten. Dementsprechend müssten auch die nachfolgenden Gesetze und Regelwerke, wie das Bundes-Immissionsschutzgesetz, die TA-Lärm und die DIN 45680 formuliert und angewandt werden. Die Realität sieht jedoch anders aus, dies hatte bereits auch der Vorredner, Artinger, ausgeführt. Als grober Verstoß gegen die vorgenannten internationalen und gesetzlichen Vorgaben ist die Vernachlässigung von Infraschall, Schall-Frequenzen unter 16 Hertz, zu bewerten. Als Symptome bei Menschen, die Infraschallemissionen ausgesetzt sind, haben die Mediziner vielfältige und teilweise schwerwiegende gesundheitliche Beeinträchtigungen festgestellt: Schwindelgefühle, Gleichgewichtsstörungen, Thalamus. Oft werden die Ursachen dieser Störungen zunächst nicht erkannt, da die Wahrnehmungsschwelle unterhalb der Wirkungsschwelle liegt. Gleiches gilt etwa bei der Deposition durch Radioaktivität oder in einer stark mit Kohlendioxid angereicherten Atmosphäre.

Die klinische Relevanz von Beeinträchtigungen durch Schall könne oft auch erst sehr spät, etwa nach 2 Jahren festgestellt werden. Die gesundheitlichen Folgen seien auch nicht sofort und selbst bei einem Ortswechsel nicht aufzuheben. Räume in Gebäuden könnten sogar, ohne dass die Patienten dies feststellen würden, als Resonanzverstärker wirken. Zu den vorgenannten Beeinträchtigungen treten vor allem auch Schlafstörungen auf. Auch optische Beeinträchtigungen, wie dauerhaftes Blinklicht können zu gesundheitlichen Störungen fuhren. Zu den direkt gesundheitlichen Beeinträchtigungen kommen die Beeinträchtigungen des Landschaftsbildes, Auseinandersetzungen in der dörflichen Gemeinschaft und Wertminderungen an den Gebäuden hinzu, die wiederum zu psychischen Beeinträchtigungen führen. Alles das führe auch dazu, dass die Dörfer noch schneller sterben, weil kein Zuzug mehr erfolgt. Als Mindestforderung nannte T. Stiller ebenfalls die Einhaltung einer 10H-Regelung.


Diskussion

Für die Moderation der Podiumsdiskussion hatten sich die Veranstalter einen für das ZDF tätigen Journalisten geholt, der auf der Husumer Windmesse noch den Energiewende- und Umweltminister des Landes Schleswig-Holstein, Dr. Robert Habeck, interviewt hatte. Zur Podiumsdiskussion hatte Habeck allerdings den zuständigen Abteilungsleiter seines Ministeriums geschickt. Neben den Referenten und der Vorsitzenden des Vereins nahm auch ein Vertreter des Landesverbandes Windenergie Schleswig-Holstein an der Diskussion teil.

In den Beiträgen der Diskussionsteilnehmer wurden nochmals die relevantesten Probleme und Forderungen angesprochen. Das Vorsorgeprinzip müsse konsequent umgesetzt, die rechtlichen Bestimmungen und Normen, die teilweise schon seit über 15 Jahren nicht geändert worden sind, müssten an die Entwicklung angepasst werden. Politisches Handeln sei dringend notwendig, um die erforderlichen Novellierungen rasch zu realisieren. Die Menschen hätten letztlich auch einen Anspruch auf einen nicht durch Industrieanlagen gestörten Horizont und auf einen über Jahrhunderte freien und ungestörten Blick in den Sternenhimmel. Extreme Störungen treten besonders bei Anlagen mit über 100 Meter Nabenhöhe auf, die alle mit Blinklichteinrichtungen ausgestattet sein müssen. Fritz Vahrenholt wies in seinem abschließenden Statement nochmals auf die gewaltigen jährlichen Subventionen in Höhe von jetzt jährlich über deutlich 20 Milliarden Euro hin, die an die Betreiber von bislang rund 25.000 Windenergieanlagen, in Schleswig-Holstein über 3.000, und an die Betreiber von Photovoltaik- sowie Agrogasanlagen über einen Zeitraum von 20 Jahren gezahlt werden. Diese hätten damit eine ungerechtfertigte Renditegarantie von bis zu 10 Prozent. Die beiden Vertreter der Betreiber und der zuständigen Landesbehörde, zeigten sich noch nicht besonders beeindruckt von den vorgetragenen Argumenten und verteidigten ihre Positionen. Das Ministerium hat allerdings zwischenzeitlich Gespräche angeboten.

Die Veranstaltung machte deutlich, dass das EEG trotz diverser Änderungen nicht nur enorme gesundheitliche und ökologische Probleme ausgelöst, sondern auch neue Ungerechtigkeiten geschaffen hat. Weder das Vorsorgeprinzip noch der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz sind angemessen berücksichtigt worden. Es stellen sich somit auch verfassungsrechtliche Fragen. Lange ebenfalls nicht beachtete Folgen, wie der massive Bau von Höchstspannungstrassen, die wiederum durch bereits technisch realisierbare Elektro- und Gasspeicher weitgehend ersetzt werden können, kommen hinzu. Und eine Senkung der Kohlendioxidemissionen ist noch nicht einmal erreicht worden. Notwendig sind umfassende Ressourcen- und Energiesparprogramme, deren Umsetzung durch ein konsequentes Emissionszertifikatesystem in den Industriestaaten begleitet werden sollte.

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Quelle:
Gegenwind Nr. 326 - November 2015, Seite 56-59
Herausgeber: Gesellschaft für politische Bildung e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. November 2015

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