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GEGENWIND/605: Buchtip - EU-Politik am Pranger


Gegenwind Nr. 312 - September 2014
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein

EU-Politik am Pranger

Von Reinhard Pohl



Die EU ist heute die größte Wirtschaftsmacht der Welt. Nicht nur die eigenen Mitgliedsländer wickeln ihren Handel schwerpunktmäßig innerhalb der EU ab, auch alle Nachbarn sind, freiwillig oder gezwungenermaßen, auf die EU fixiert. Das gilt auch für Israel und Palästina, womit die Autonomiegebiete gemeint sind.


Stéphane Hessel, als Resistance-Mitglied Veteran des antifaschistischen Kampfes, und Véronique de Keyser, Abgeordnete des Europaparlaments, haben dieses Buch zusammen geschrieben, um auf die Versäumnisse der EU-Politik in Bezug auf den Nahost-Konflikt hinzuweisen. Denn der mit Abstand größte und wichtigste Wirtschaftspartner von Israel und Palästina ist nicht nur für das verantwortlich, was er macht, sondern auch für das, was er unterlässt. Und in diesem Krieg tötet auch das Schweigen und Wegsehen.

So gibt es zum Beispiel einen doppelten Standard. Wenn in einem palästinensischen Gebiet eine eher rechte Gruppierung wie die Hamas die Wahlen gewinnt, werden unverzüglich Sanktionen in Gang gesetzt - nicht wegen Demokratiemängeln, sondern wegen eines "falschen" Ergebnisses von demokratischen Wahlen. Wenn dagegen in Israel nicht nur rechte, sondern ausgesprochen nationalistische und gewaltverherrlichende Parteien gewählt werden, die anschließend in die Regierung aufgenommen werden, passiert genau nichts.

Ebenso sieht es aus, wenn der bewaffnete Arm der Hamas Raketen abfeuert, um auf Raketen des bewaffneten Arms der israelischen Regierung zu antworten (oder umgekehrt). Auch hier wird ein palästinensisches Geschoss weitaus kritischer gesehen als hundert israelische.

Überhaupt nichts passiert von Seiten der EU bei den sogenannten "ungesetzlichen Tötungen": Israel erlaubt sich selbst, weltweit Gegner und Kritiker seiner Politik zu töten. Das geschieht teils durch Drohnen und Raketen, teils durch Anschläge durch eigene Agenten.

Sehr zurückhaltend ist die EU bei der Kritik an der Siedlungspolitik. In den besetzten Gebieten gibt es jüdische Siedlungen, oft im Kern von sendungsbewussten Fundamentalisten (Extremisten) gestartet, die dann aber oft staatlich finanziert, vor allem aber mit ungeheuren Kosten von der Armee gegen die einheimische Bevölkerung beschützt werden. Das ist nach dem Völkerrecht natürlich verboten, das aber gegen Israel nicht greifen kann, weil die USA im Weltsicherheitsrat ein Veto-Recht haben. Die EU hat aber die Möglichkeit, über das Assoziierungsabkommen einzugreifen, auf das Israel angewiesen ist. Hier passiert immer mal ein bisschen, so gibt es inzwischen (endlich!) eine Kennzeichnungspflicht für Lebensmittel, aber die Möglichkeiten werden von der EU nicht wirklich wahrgenommen.

Stéphane Hessel schreibt im Vorwort übrigens, dass für ihn die im Oslo-Abkommen bevorzugte Zwei-Staaten-Lösung nicht mehr umsetzbar ist, er ergreift Partei für einen Staat, in dem einfach die Menschenrechte gelten (ein Mensch = eine Stimme). Er ist leider während der Abfassung des Buches gestorben. Véronique de Kayser legt sich in diese Richtung nicht fest. Sie kritisiert aber deutlich, dass Palästina im Oslo-Abkommen ein eigener Staat versprochen wurde, die EU aber kaum etwas zur Unterstützung der palästinensischen Politikerinnen und Politiker getan hat, um ihnen bei der Umsetzung zu helfen.

Zum Schluss verweist sie auf das jetzt neu gewählte EU-Parlament und die neue Kommission, die es besser machen sollen.


Stéphane Hessel, Veronique de Keyser:
Palästina: Das Versagen Europas.

Rotpunktverlag, Zürich 2014, 205 Seiten, 19,90 Euro

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Quelle:
Gegenwind Nr. 312 - September 2014, Seite 8
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. September 2014