Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE

GEGENWIND/587: Vom Konzept der "Schutzverantwortung" - Heute und vor 150 Jahren


Gegenwind Nr. 306 - März 2014
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern

Vom Konzept der "Schutzverantwortung":
Heute und vor 150 Jahren

von Günther Stamer (DKP)



Wenn das zeitliche Zusammenfallen der 50. Münchener Sicherheitskonferenz und dem 150. Jahrestages des Ausbruchs des deutsch-dänischen Krieges am 1. Februar auch purer Zufall ist, so lohnt es doch, beide Ereignisse vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte zu betrachten.


Die diesjährige Sicherheitskonferenz wurde von der Bundesregierung genutzt, um ihren neuen außen- und militärpolitischen Kurs vorzustellen; massiv unterstützt von Bundespräsident Joachim Gauck. Bundespräsident, Außenminister und Verteidigungsministerin erklärten in ihren Reden unisono, dass Deutschland künftig eine aktivere Rolle im internationalen Krisenmanagement einnehmen und bei Militäreinsätzen nicht abseits stehen werde. Unter die "Kultur der militärischen Zurückhaltung" (so ein Begriff des frühere Außenminister Guido Westerwelle) wird ein Schlussstrich gezogen. Gauck hatte in seiner Rede die deutsche Drückebergerei und falsch verstandenen Pazifismus angeprangert und fordert ein Ende der Zurückhaltung und, ein verstärktes internationales Engagement Deutschlands in der Welt. Deutschland stehe "für einen Sicherheitsbegriff der wertebasiert ist", sagte Gauck und erklärte diese Werte: "Im außenpolitischen Vokabular der Republik reimt sich Freihandel auf Frieden und Warenaustausch auf Wohlstand." Dass dieser Wohlstand u.a. wegen des Freihandels sehr ungleich verteilt ist, darauf ging der Bundespräsident nicht ein. Stattdessen bekräftigte er, dass es "Deutschlands wichtigstes außenpolitisches Interesse im 21. Jahrhundert" sei, "dieses Ordnungsgefüge, dieses System zu erhalten und zukunftsfähig zu machen." Auch mit dem Mittel des Krieges. Da darf nach Gauck dann auch das Völkerrecht nicht im Wege stehen: "Das Prinzip der staatlichen Souveränität und der Grundsatz der Nichteinmischung dürfen gewalttätige Regime nicht unantastbar machen. Hier setzt das 'Konzept der Schutzverantwortung' an", die eben auch Deutschland übernehmen müsse.

Gleicher Tag, 150 Jahre zuvor: "In Gottes Namen drauf" - so lautet die Order des Generalfeldmarschalls Friedrich von Wrangel. Am 1. Februar 1864 überschreiten preußische und österreichische Truppen die Eider. Es war der Beginn flur einen Krieg mit vielen blutigen Schlachten. Der Fluss war seit Jahrhunderten die dänische Südgrenze. Der Konflikt im Norden gipfelt in der Erstürmung der Düppeler Schanzen durch Soldaten der preußisch-österreichischen Allianz am 18. April 1864. Dänemark muss die Herzogtümer Schleswig und Holstein schließlich dem Gegner überlassen.

Dem Krieg vorangegangen war im November 1863, die sogenannte Novemberverfassung durch den dänischen König, die eine vollständige Eingliederung Schleswigs in den dänischen Staatsverbund vorsah und damit das "Londoner Protokoll" bricht. Mit diesem Protokoll war festgelegt worden, dass die dänische Krone nach dem Ersten Schleswig-Holsteinischen Krieg (1848-1851) zwar die Hoheit über das Herzogtum Schleswig sowie über die zum Deutschen Bund gehörenden Herzogtümer Holstein und Lauenburg behielt, aber im Gegenzug den Fortbestand von deren staatsrechtlicher Selbständigkeit innerhalb des dänischen Gesamtstaates festschrieb. Eine dauerhafte Lösung stellte dieser Kompromiss freilich nicht dar, zumal deutschnational gesinnte Kreise ab 1859 offen die Abspaltung Schleswigs und Holsteins von Dänemark forderten. Um den Gesamtstaat zu sichern, verfügte der dänische König mit der Novemberverfassung die staatsrechtliche Trennung Holsteins von Schleswig.

Preußen kommt das nicht ganz ungelegen: Otto von Bismarck, damals preußischer Ministerpräsident, nutzt die Empörung der Deutschen und gewinnt Österreich als Partner im Konflikt mit Dänemark. Anfang Dezember 1863 sprechen die beiden Großmächte gemeinsam eine "Bundesexekution" gegen Dänemark aus, was rechtlich bedeutet, dass der Deutsche Bund nun gegen Dänemark militärisch vorgehen darf, da es gegen die Regeln des Bundes verstößt. Preußen und Österreich nehmen die Schutzverantwortung für die Deutschen im nördlichen Grenzgebiet vor dem Zugriff Dänemarks war. Die deutsche Nationalbewegung sah darin die Gelegenheit, die Schleswig-Holstein-Frage ganz im nationaldeutschen Sinne, d.h. durch die vollständige Trennung der Herzogtümer von Dänemark, zu lösen. Die Problematik der dänischen Bevölkerung in Schleswig interessierte sie dabei herzlich wenig. Neben der Erweiterung des deutschen Binnenmarktes nach Norden hatte der Krieg für den Deutschen Bund und insbesondere für Preußen den Nebenzweck, "seine seit 1850 nach neuen Grundsätzen ausgebildete und 1860 reorganisierte und verstärkte Armee vor dem Feind zu versuchen. Sie hatte sich über alles Erwarten gut bewährt" (Friedrich Engels, MEW 21, S. 429).

Am 30. Oktober 1864 unterzeichnen Preußen, Österreich und Dänemark in Wien einen Friedensvertrag. Dänemark muss Schleswig, Holstein und Lauenburg an Preußen und Österreich abtreten; damit verliert Dänemark fast ein Drittel seiner Fläche. Im Vertrag von Gastein vom 14. August 1865 erhält Preußen die Herzogtümer Lauenburg und Schleswig, Holstein fällt an Österreich. Doch Preußen provoziert seinen einstigen Partner Österreich mehrfach und löst damit 1866 den "Deutschen Krieg" aus, der rasch zugunsten der Preußen entschieden wird. Österreich verzichtet daraufhin im August 1866 im "Prager Friedensvertrag" auf seine Rechte an den Herzogtümern und diese werden damit insgesamt preußische Provinz.

Nachdem in der Revolution 1848/49 ein bürgerlich-demokratische Einigung Deutschlands nicht zustande gekommen war, wurde der deutsche Binnenmarkt im Sinne der junkerlichen Großgrundbesitzer und der nationalen Bourgeoisie nun unter Führung Preußens "mit Blut und Eisen" zusammengeschmiedet. Nach dem deutsch-dänischen Krieg im Jahre 1864 und dem preußisch-österreichischen Krieg (1866) beschließt der deutsch-französische Krieg (1870/1871) diesen Einigungsprozess. So stehen in der deutschen Außenpolitik seit 150 Jahren die Werte Freihandel und Warenaustausch an oberster Stelle wenn es um den Frieden der Herrschenden geht.

*

Quelle:
Gegenwind Nr. 306 - März 2014, Seite 19-20
Herausgeber: Gesellschaft für politische Bildung e.V.
Schweffelstr. 6, 24118 Kiel
Redaktion: Tel.: 0431/56 58 99, Fax: 0431/570 98 82
E-Mail: redaktion@gegenwind.info
Internet: www.gegenwind.info
 
Der "Gegenwind" erscheint zwölfmal jährlich.
Einzelheft: 3,00 Euro, Jahres-Abo: 33,00 Euro.
Solidaritätsabonnement: 46,20 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 27. März 2014