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GEGENWIND/540: Mehr Engagement für die nachhaltige Entwicklung ländlicher Räume


Gegenwind Nr. 293 - Februar 2013
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern

Mehr Engagement für die nachhaltige Entwicklung ländlicher Räume
Defizite und Herausforderungen erkennen - Integrierte Regionalkonzepte weiterentwickeln und umsetzen

von Klaus Peters



Der oftgenannte Strukturwandel hat in den letzten Jahrzehnten in vielen Regionen zu gravierenden Veränderungen geführt. Die Politik hat diesen Strukturwandel einerseits vorbereitet und vorangetrieben, andererseits sind die verantwortlichen Entscheider von der Entwicklung, von den negativen Folgen und Nebeneffekten dieses Strukturwandels immer wieder überrascht worden. Die Ursachen dafür, dass Veränderungen nicht oder nur unzureichend erkannt und berücksichtigt worden sind, liegt an der Denkweise, ist also weitgehend systembedingt.


Die Grundprobleme der kapitalistischen Entwicklung sind der Vorrang der Profitmaximierung, die Abhängigkeit von Investoren, die unzureichende Bereitschaft konzeptionellen, systemischen Denkens und Handelns. Damit verbunden sind zunehmende Umweltbelastungen und eine zunehmende Ressourcenverknappung. Gleichzeitig ist es zu einer extrem ungleichen Verteilung des Reichtums gekommen. Die demokratischen Mitwirkungsmöglichkeiten sind trotz einiger weniger gerichtlich erkämpfter Verbesserungen (z.B. Aufhebung der 5-Prozent-Sperrklausel bei Kommunalwahlen) gering. Der technologische Fortschritt treibt die Entwicklung immer wieder an, wird gleichzeitig durch die gesellschaftliche Entwicklung, entsprechend den Kräfteverhältnissen und Interessen beeinflusst.

Die Regionen sind dem Strukturwandel auf vielfache Weise ausgesetzt. Die Politik hat durch das Raumordnungsgesetz zwar vorgegeben, dass sich die Lebensbedingungen in allen Teile des Landes gleichartig entwickeln sollen, die Wirklichkeit sieht aber anders aus und die Reaktionen der Politik sind entsprechend den Kräfteverhältnissen schwach bis phlegmatisch. Bei den Versuchen, Probleme zu lösen, werden neue Ungerechtigkeiten geschaffen, einseitig ausgerichtete Projekte gefördert, Neben- und Folgewirkungen ausgeblendet. Die Menschen werden weiter weitgehend im Unklaren gelassen, gleichzeitig versucht man, sie zu beruhigen, durch Versprechen abzulenken oder zu kaufen.


Nachhaltige Regionalentwicklung

Regionen in Randlage und im ländlichen Raum

Speziell für jüngere, aber auch für ältere Menschen sind die ländlichen Regionen, insbesondere Regionen in Randlage, wegen der Entfernungen zu den größeren Städten, wegen der vergleichsweise schlechten Infrastruktur sowie geringer Bildungs-, Arbeitsplatz- und Freizeitangebote nicht attraktiv genug.


Beispiel Landschaft Eiderstedt

Die Landschaft Eiderstedt, ehemals selbstständiger Kreis, ist heute der südliche Teil des Kreises Nordfriesland. Die Entfernungen zu den nächsten größeren Städten betragen von der Mitte Eiderstedts aus rund 100 km zur Landeshauptstadt Kiel, knapp 150 km nach Hamburg und rund 90 Kilometer nach Flensburg.

Arbeitsplätze sind vor allem im touristischen Bereich und im Handwerk, zudem im sozialen Bereich, in Bereich der Bildung, in der Verwaltung, in zunehmend geringerem Maß in der Landwirtschaft. Das Freizeitangebot beschränkt sich auf Sportvereine, Kino und wenige Diskotheken. Im Sommer erweitert sich das Angebot, dann ist es allerdings insbesondere für Touristen konzipiert.

Durch die Ausweisung des Nationalparks Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer und die Anerkennung dieses Gebietes als UNESCO Weltnaturerbe hat auch Eiderstedt eine zusätzliche, internationale Aufmerksamkeit erhalten. Die Auszeichnungen der Region sind von den Kommunalpolitikern allerdings nur halbherzig angenommen und nicht als Chance begriffen worden. Dies zeigt beispielhaft die geringe Zahl der Nationalparkpartnerschaften von Gemeinden oder die geringe Präsenz von Nationalpark-Rangern. Das in das UNESCO MAB-Programm(1) aufgenommene Biosphärenreservat Wattenmeer und Halligen ist mit seiner Kernzone bislang auf die Halligen begrenzt und hat deshalb nur eine sehr geringe zusätzliche Ausstrahlung.

Durch die Einstufung der Region als benachteiligtes Gebiet werden EU-Fördermittel zur Verfügung gestellt. Regionale Entwicklungskonzepte sollen den sinnvollen Einsatz der Mittel vorbereiten. Die aus diesen Konzepten entwickelten Maßnahmen haben bislang allerdings nur sehr punktuell gewirkt. Von der Einleitung einer nachhaltigen Entwicklung der Region kann keine Rede sein. Dazu waren die Vorgaben zu unverbindlich, die Mittel zu gering und der Einsatz dieser Mittel nicht immer sinnvoll. Generell sind die Sozial- und Umweltverbände, aber auch die potenziell betroffenen Bürger, zu wenig an den Entscheidungsprozessen beteiligt. Die Prozesse müssen auch interessanter gemacht werden.


Vorschläge für die nachhaltige Entwicklung der Region
Eiderstedt:
  • Wesentliche Verbesserung der Bahninfrastruktur (Beschleunigung, Verbesserung der Anbindung an Kiel und Hamburg, mehr Komfort, Wiederaufbau von attraktiven Bahnhöfen, Umnutzung als Rasthäuser, Wiederherstellung einer direkten Anbindung an die Westküstenbahn bei Heide),
     
  • Einrichtung eines Kulturzentrums (Kunsthalle),
     
  • Etablierung einer überregionalen Bildungseinrichtung, ggf. als Außenstelle einer Universität,
     
  • Bau einer Mehrzweckhalle, in der auch Eislaufsport betrieben werden kann (Beispiel Brokdorf),
     
  • Verbindungen mit Partnergemeinden herstellen und entwickeln,
     
  • Projekte für "Gemeinschaftliches Wohnen" auf den Weg bringen,
     
  • Umstellung auf ökologischen Landbau,
     
  • Angebote der Hotels und Gaststätten insbesondere auf Produkte aus der Region und aus dem ökologischen Landbau ausrichten,
     
  • Fair-Trade- und Nationalparkpartnerschaften herstellen,
     
  • Entwicklung der Orte an Ortsgestaltungssatzungen bzw. -richtlinien ausrichten.

Fehlentwicklungen korrigieren, negative Einflüsse minimieren

Der massive und immer wieder in der Fläche und der Höhe expandierende Ausbau von Großwindenergieanlagen hat einigen wenigen kapitalkräftigen Bewohnern der Region genutzt, viele Teilhaber an Windenergieparks sind Anleger und Kapitalgesellschaften von außerhalb. Viele Bewohner der Region fühlen sich beeinträchtigt, haben beispielsweise durch Wertverluste auch erhebliche finanzielle Nachteile. Das Landschaftsbild ist großflächig gestört worden. Auf der Halbinsel Eiderstedt, potenzielles Landschaftsschutzgebiet mit großflächigem Vogelschutzgebieten, konnte ein flächendeckender Ausbau verhindert werden, doch einige Orte sind dennoch schwer betroffen, zumal vorhandene Anlagen durch höhere Anlagen ersetzt werden können (in der Umgebung von Husum und Tating). Der Bau von Biogasanlagen und der damit verbundene Ausbreitung von Maismonokulturen ist auf der Halbinsel Eiderstedt aufgrund der Bodenverhältnisse nicht ganz so stark vorangetrieben worden wie auf der Geest, dennoch haben diese Fläche sich negativ auf die Biodiversität und das Landschaftsbild ausgewirkt. Auch beim Bau von Photovoltaikanlagen blieb die Region bisher von den gröbsten Auswüchsen verschont. Einwohnerversammlungen, Bürgerinitiativen und das seit einigen Jahren für die Region aktive "Eiderstedter Forum" konnten das Schlimmste verhindern. Das Eiderstedter Forum und der "Förderverein für Kunst und Kultur Eiderstedt mit der Gruppe Kunstklima", ein Zusammenschluss von Künstler der Region, haben sich vorbildlich für die landschaftsverträgliche Entwicklung der Region und ihres Erscheinungsbildes eingesetzt.(2)

Spezielle Probleme verursacht der in St. Peter-Ording konzentrierte Tourismus, der für die wirtschaftliche Entwicklung der Region das wichtigste Standbein geworden ist. Einige vergleichsweise unproblematische Gesundheitseinrichtungen (REHA-Kliniken) sind zwischenzeitlich hinzugekommen. Ein dauerhaftes Ärgernis ist die Strandbeparkung von März bis Ende Oktober, eine mehrfach verlängerte Ausnahmegenehmigung gilt noch bis ca. 2020. Eine erneute Verlängerung ist zu befürchten. Ersatzparkplätze stehen bislang nicht in ausreichender Zahl zur Verfügung. Der Zweitwohnungsbau verteuert die Grundstücke und Immobilien. Einwohner müssen, wenn sie Eigentum erwerben wollen oder auch nur günstige. Mietwohnungen suchen, in die Nachbarorte abwandern. In den Wintermonaten stehen immer mehr Häuser und Wohnungen leer. Viele Straßen wirken wie ausgestorben. Die Bewohner bzw. Nutzer der Häuser und Wohnungen haben keinen Kontakt mit der einheimischen Bevölkerung und engagieren sich selbstverständlich auch nicht in der Gemeinde. In anderen Tourismusregionen des In- und Ausland bestehen ähnliche Probleme. In der Schweiz konnte deshalb ein Verbot des Baus von Zweitwohnungen durchgesetzt werden.

Die Kommunalpolitiker, der einflussreiche Bauernverband und leider auch der Heimatbund sind allerdings schwer oder gar nicht von notwendigen Korrekturen der Entwicklung zu überzeugen. Immerhin durfte kürzlich ein Künstler der Region, Dieter Staaken, dem Heimatbund eine künstlerisch gestaltete Ortstafel vorstellen, die an den Ortseingängen aufzustellen wäre, um die Orte der Region, deren Zusammengehörigkeit und Zugehörigkeit zur Landschaft zu kennzeichnen.


Literaturhinweise:

Integrierte Entwicklungsstrategie für Lokale Aktionsgruppen AktivRegion "Südliches Nordfriesland" 2008, überarbeitet 2012

HafenCity Universität Hamburg: Projektbericht Zukunft auf dem Lande, Handlungsempfehlungen für ein Regionales Kooperationsprojekt, P3 - Projekt, Sommersemester 2010/2011, Betreuer: Prof. Dr.-Ing. Thomas Krüger


Anmerkungen

(1) MAB: Programm Der Mensch und die Biosphäre

(2) Im Spätsommer 2012 sind durch den neu gegründeten Verein "Eiderstedter Kultursaison" zahlreiche Fahrradtouren zu den Kulturgütern und den Ateliers in der Region angeboten worden. Dazu hatte der Verein einen "Kulturreiseführer Eiderstedt" herausgegeben. Vom Eiderstedter Forum werden in unregelmäßigen Abständen Vortrags- und Diskussionsveranstaltungen, aber auch orts- und landeskundliche Touren angeboten.


Kästen:

Bedeutende Persönlichkeiten der Region Eiderstedt:

Theodor Mommsen (1817 bis 1903), geb. in Garding, war deutscher Historiker, für seine Römische Geschichte wurde er 1902 mit dem Nobelpreis für Literatur geehrt.

Johann Friedrich August von Esmarch (1823 bis 1908), geb. in Tönning, war Arzt und Begründer des zivilen Samariterwesens in Deutschland.

Ferdinand Tönnies, (1855 bis 1936), geb. in Oldenswort, gilt durch die Veröffentlichung seines 1887 erschienenen Werkes "Gemeinschaft und Gesellschaft" als Begründer der deutschen Soziologie.


AktivRegion

Das auf der Basis der Förderung des Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER) von der vorherigen Landesregierung konzipierte "Zukunftsprogramm Ländlicher Raum (ZPLR)" mit seinen 21 AktivRegionen umfasst den Zeitraum 2007 bis 2013. Eiderstedt ist Teil der AktivRegion Südliches Nordfriesland mit Husum, Nordstrand, Friedrichstadt und dem weiteren Umland Friedrichstadts (Amt Treene-Nordsee). Die vorliegende Entwicklungsstrategie basiert auf den Handlungsfeldern:

- Nordseetourismus
- Lebensweite Dörfer und Städte
- Regionale Wirtschaftsstruktur.

Vorsitzender des aus 12 Personen bestehenden Vorstands des Vereins LAG AktivRegion Südliches Nordfriesland ist der leitende Verwaltungsbeamte des Amtes Treene, zum geschäftsführenden Vorstand gehören ein Vertreter der Landwirtschaft und der Leitende Verwaltungsbeamte des Amtes Eiderstedt. Der Vorstand ist zusammen mit einer Regionalberaterin für die Umsetzung der einzelnen Projekte zuständig.

Für die zukünftige Förderperiode (2014 bis 2020) kommt es insbesondere darauf an, mehr Fördermittel bereit zu stellen, die Partizipation der Bevölkerung zu verbessern, mehr Transparenz zu schaffen, die langjährig aktiven Initiativen, Sozialverbände und Kulturschaffende stärker einzubeziehen und überregionale Herausforderungen zu berücksichtigen (z.B. Mobilität). Die Verschärfung der Konflikte zwischen Naturschutz, Landschaftsschutz und Tourismus einerseits sowie der Erzeugung und des Transports erneuerbarer Energien andererseits, stellt eine zusätzliche schwerwiegende Belastung der Entwicklung der ländlichen Räume dar.
www.aktivregion-snf.de

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Quelle:
Gegenwind Nr. 293 - Februar 2013, Seite 35-37
Herausgeber: Gesellschaft für politische Bildung e.V.
Schweffelstr. 6, 24118 Kiel
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. März 2013