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GEGENWIND/455: Lübeck - Der Geist der Wende-Bewegung, Transition Town


Gegenwind Nr. 268 - Januar 2011
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern

LÜBECK
The Spirit of Transition
Der Geist der Wende-Bewegung
Peak everything! (Der Ausbeutungsgipfel von fast allem ist erreicht!)

Von Swantje Streich


Nachklang der ersten deutschen Transition Town Konferenz in Hannover 19. bis 21. November: "Was ist denn jetzt der Unterschied zur bisher dagewesenen Umweltbewegung?" fragt sich vielleicht so mancher "alter Hase" aus der Umweltszene. Das werde ich im Folgenden erörtern und mich bemühen, die frohe Botschaft zu verbreiten.


Das bisherige Engagement von Umweltaktivisten, die mit aller Kraft gegen den Strom geschwommen sind und Pionierarbeit geleistet haben, kann jetzt münden in die Vernetzung aller Menschen, denen klar ist: "Es ist jetzt soweit". Nico Paech, Professor für Wirtschaft an der Uni Oldenburg, formulierte es so ähnlich: "Das Zeitfenster für Maßnahmen, die rechtzeitig eine Kehrtwende bei all den Katastrophen, die sich am Horizont abzeichnen, hätten herbeiführen können, ist zu. Sie stehen jetzt direkt vor der Tür."

Damit bekommt die Umweltbewegung ein anderes Gewicht. Wer sich vorher für den Schutz einzelner Blumenarten eingesetzt hat, weiß jetzt: es geht ums Überleben der Menschen.

Die TTBewegung hat es sich zur Aufgabe gemacht, der Öffentlichkeit dies klarzumachen verbunden mit der Aussage "Wir können trotzdem etwas tun!" Vielleicht gibt es bei vielen, denen das Thema schon immer am Herzen gelegen hat, und die mit ansehen mussten, wie das Unheil immer massiver wurde, ein leises Aufatmen, weil der Spuk mit den unklaren Konturen sich jetzt voll zeigt und es nun zu einer positiven Kehrtwende kommen kann. Und zwar aus einer Bewegung von unten.

Große Veränderungen sind unaufhaltbar. Falls das Schicksal uns zwingt, ohne die Versorgung durch monopolisierte Instanzen wie Stromkonzerne, Erdölkonzerne, Supermarktketten usw. auszukommen, werden wir einen harten Lernprozess durchmachen müssen, der mit großen Verlusten und auch Kämpfen einhergehen kann.

Dies ist die Zeit, in der sich zeigt, dass die einstmals als Körnerfresser verspotteten Ökos eher Helden als Witzfiguren sind. Ökodörfer und Biobauernhöfe können in einer Zeit akuter Krisen Inseln sein, auf denen es nicht ums nackte Überleben geht, sondern um eine schöne und nachhaltige Art zu leben. Wer außer vielleicht den alten Menschen, die in der Kriegs- und Nachkriegszeit erfahren haben, was Hungern und Frieren ist, ist sich dessen bewusst, was er/sie optimal zum Leben braucht? Das heißt nicht maximal (Überfluss) und nicht minimal (an der Grenze zum Leiden).

Hier setzen die Transitioner an und sagen: Dieses gefürchtete Wort "Verzicht" kann Glück bedeuten!

Stille statt Lärm, saubere Luft statt Abgase. Wie viele
burnoutgeplagte Menschen sehnen sich danach?

Gut, so extrem wie Helge Schneider ("Ich verreise nur noch in der Phantasie. Das ist billiger und das Essen ist besser!") müssen wir es nicht gleich halten. Es hat keinen Zweck, wenn einzelne durch Askese die Maßlosigkeit anderer auszugleichen suchen. Wer jedoch dem Sog des Mehr-verdienens und Mehr-ausgebens widersteht, seine Ansprüche an das Einkommen senkt, kann Lebensqualität gewinnen und sich und seiner Familie mehr Zeit widmen. Den Transitionern ist klar: Wer auf Einzelkämpfertum setzt und sich den Keller mit Konserven vollstopft, wird früher oder später bei denjenigen anklopfen und um Einlass bitten, die sich mit ihren verschiedenen Fähigkeiten, Kenntnissen und Geräten vernetzen und einander unterstützen.

TT begegnet so auf herzerfrischend unfaschistische und unsektenartige Weise den schlimmsten Zukunftsängsten - mit Freude. Gerd Wessling, Mitgründer von TTBielefeld und Konferenzmitorganisator: "Warum nicht mit Spaß heute schon Verhaltensweisen eintrainieren (und Strukturen aufbauen), die wir morgen brauchen werden?" Ein Unterschied zur herkömmlichen Umweltbewegung könnte dieses Wir-Gefühl sein. Das Bewusstsein: Wir sitzen in einem Boot, Statussymbole werden verwelken, was auf Dauer zählt, sind vor allem soziale Kompetenzen, die uns helfen, friedlich große Umbrüche zu meistern.

Bei TT fühlen sich Menschen aus den verschiedenen Ecken gleichwertig: Politische, "Esos", Gärtner, Handwerker, "Kopfmenschen". Denn klar ist: Wir brauchen vor allem Menschen, die sich trauen, der Wahrheit ins Gesicht zu sehen, sich ihr zu stellen mit Verstand, Herz und Händen, jeder mit seinen ganz besonderen und einmaligen Qualitäten. Bei TT herrschen Toleranz, Wertschätzung, Lust auf die Herausforderungen der Zukunft und ein gesundes Maß an Chaos, das man auch einfach "Lebendigkeit" nennen kann.

Und nicht zuletzt die Hoffnung, dass alles einmal gut wird.

Mir ist aufgefallen, dass sich in dem, was bei TT passiert, alte asiatische Weisheit wiederfindet: der unablässige Kreislauf des Durchwanderns der Stationen 1. Liebe, Einklang, Dankbarkeit, 2. Verlust, Schmerz und Trauer, 3. Angst, 4. konstruktive Wut, Aktion, darauf wieder das Münden in den Einklang. (Kurs Tiefenökologie nach Joanna Macy) Das ist Leben! Auch Spuren des Feng Shui waren in dem, was Teilnehmer auf der Konferenz formulierten, zu finden: der Wunsch, die eigenen Lebensgewohnheiten und das Lebensumfeld bis auf ausschließlich Erfreuliches und Notwendiges zu entschlacken.

Ein kleines Manko ist, dass der englische Begriff Transition Town ("Übergangsstadt") viele ältere oder aus Ostdeutschland stammende Leute abschreckt. Wer weiß eine deutsche Alternative? "Energiewende" ist eher technisch beschränkt, und das Schöne an TT ist ja gerade die Ganzheitlichkeit!
Kontakt: www.transitioninitiativen.de

Unter dieser Internetadresse findet sich auch die Schleswig-Holstein-Gruppe von Transition Town Deutschland. In Kiel gibt es schon etliche Aktive, in Lübeck zeichnet sich auch gerade die Gründung einer Gruppe ab. Interessierte aus Lübeck mögen sich bitte melden unter der Telefonnummer 04539 181686.


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Quelle:
Gegenwind Nr. 268 - Januar 2011, Seite 39-41
Herausgeber: Gesellschaft für politische Bildung e.V.
Schweffelstr. 6, 24118 Kiel
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Januar 2011