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GEGENWIND/448: Was außer unserer Freiheit wird am Hindukusch verteidigt?


Gegenwind Nr. 267 - Dezember 2010
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern

LOKALES: Husum
Was außer unserer Freiheit wird am Hindukusch verteidigt?
Veranstaltung der Attac-Regionalgruppe Nordfriesland zur Information über und Mobilisierung gegen den Krieg in Afghanistan

Von Klaus Peters


Die im Mai des letzten Jahres gegründete Attac - Regionalgruppe Nordfriesland hatte sich nach ihrer Gründungsphase und einigen Aktivitäten im Zusammenhang mit der Finanzkrise, mit der Beteiligung an Aktionen zur Abwehr einer Kohlendioxidspeicherung entschlossen, Friedenspolitik zu einem neuen Schwerpunkt zu machen. Mit der ersten größeren durch die Rosa-Luxemburg-Stiftung unterstützten Veranstaltung zur Friedenspolitik wurde nun über Hintergründe des bereits seit 2001 andauernden Krieg in Afghanistan informiert, an dem die Bundeswehr mit inzwischen mehr als 5000 Soldaten, darunter auch ein Kontingent aus der Region, beteiligt ist. Rund 100 Interessierte waren am 29. Oktober in den Ratssaal des Husumer Rathauses gekommen, um sich durch den Politologen, Dr. Peter Strutynski, Leiter der AG Friedensforschung der Uni Kassel und Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag, fundiert informieren zu lassen.


Der Titel der Veranstaltung "Was außer unserer Freiheit wird am Hindukusch verteidigt?" war offensichtlich gewählt worden, um nicht nur Gegner des Krieges und des Militäreinsatzes der Bundeswehr, sondern auch Zweifler anzusprechen. Peter Strutynski versuchte in seinem Vortrag undurchsichtige und zweifelhafte Begründungen, Menschenrechtsverletzungen und Folgen des seit 10 Jahren andauernden Krieges, über den die Öffentlichkeit durch die Massenmedien unkritisch nur bei besonderen Ereignissen und oberflächlich berichtet wird, systematisch abzuhandeln.

Von Krieg wird offiziell, so Strutynski, erst seit dem katastrophalen Angriff auf die zwei Tanklaster bei Kundus gesprochen, bei dem 140 afghanische Bürger, darunter Frauen und Kinder, offensichtlich überwiegend Zivilisten, getötet worden sind. Zunächst hatte man den die militärische Intervention in Afghanistan der "International Security Assistence Force (ISAF)" als Stabilisierungseinsatz bezeichnet. Den entscheiden Befehl für den Einsatz in Kundus gab der deutsche Oberst Klein. In Deutschland führte dieses Massaker zwar zum Rücktritt bzw. der Verabschiedung eines Staatssekretärs, eines Generals und später noch eines Ministers, die Bundesanwaltschaft hat jedoch weder den verantwortlichen Offizier noch eine andere verantwortliche Person rechtlich belangt. Der eingesetzte Untersuchungsausschuss ist noch tätig.


Begründungen

Der Öffentlichkeit sind immer wieder neue, fragwürdige und unzutreffende, für einen Krieg nicht angemessene Begründungen genannt worden. Der formale Anlass für den Angriff auf Afghanistan war die Zerstörung der WTC-Türme am 11.09.2001 in New York. Die USA veranlassten zwei Entschließungen der UN, zusätzlich wurde der Verteidigungsfall für die NATO festgestellt. Die Entschließungen der UN enthielten allerdings kein Mandat für militärisches Eingreifen in Afghanistan! In der Vorbereitungsphase des Krieges und danach sind dann einige, für einen Krieg ebenso unzulässige Gründe nachgeschoben worden: Rückständigkeit, universelle Menschenrechte, Stellung der Frau. Im Verlauf des Krieges wurde verschiedentlich erklärt, dass die Hilfsorganisationen beschützt werden müssten. Die Verknüpfung von Hilfseinsätzen und militärischen Einsätze führte allerdings oft erst zur Gefährdung von Mitarbeitern und zu Opfern dieser Hilfsorganisationen.


Zweifache Intervention

Neben der von der Nato, jetzt unter dem Befehl des US-Generals Patraeus geführten ISAF sind von Kriegsbeginn an Truppen im Rahmen der sogenannten "Operation Enduring Freedom (OEF)" in Afghanistan tätig. Die Kommandostrukturen sind dabei prinzipiell nicht zu unterscheiden. Ein Mandat für Besatzungen ist keinesfalls gegeben. Inzwischen ist der Krieg auf Teile Pakistans ausgeweitet worden. Unter der Verantwortung des amtierenden amerikanischen Präsidenten werden verstärkt unbemannte Flugobjekte, sogenannte Drohnen, eingesetzt.


Ergebnisse

Die Ergebnisse von 9 Jahren Krieg sind niederschmetternd. Der Krieg hat wie jeder Krieg Tod und Zerstörung gebracht. Der Analphabetismus ist nach wie vor in hohem Maß vorhanden, viele Menschen hungern, die Arbeitslosigkeit, insbesondere unter Jugendlichen, sind extrem hoch, Bemühungen um Frauenbefreiung sind im Wesentlichen nur in der Hauptstadt Kabul erkennbar.


Hintergründe

Insgesamt fünf tatsächliche Gründe sind für diesen Krieg, wie Peter Strutynski ausführte, für die verantwortlichen Befürworter wesentlich: Das Land Afghanistan verfügt durchaus über interessante Rohstoffvorkommen, insbesondere über Lithium.

Die zentrale Lage ist von besonderer strategischer Bedeutung, etwa für eine bereits vor 2001 geplante Ölpipeline von Kasachstan nach Pakistan. Der amtierende afghanische Präsident Karzai war Mitarbeiter der planenden US-Firma UNICAL.
Afghanistan hat insbesondere für die USA auch eine besondere militärstrategische Bedeutung (in-Schach-halten von Russland und China).
Ein Krieg entwickelt eine Eigendynamik: Fehlschläge werden nicht eingestanden, sollen kompensiert werden, Rüstungsindustrie ist an weiterem Absatz interessiert.
Militärbündnisse werden vom Erfolg in Afghanistan abhängig gemacht.

Ausblick

Die Einstellung von Kampfhandlungen und der bedingungslose Abzug sind nach Auffassung von Strutynski und der Friedensbewegung insgesamt alternativlos. Selbst in den USA ist die Mehrheit der Bevölkerung gegen den Krieg. Das Land muss die volle Souveränität zurückerhalten, Wiederaufbau und Reparationen müssen umgehend geregelt werden.

In der Diskussion wurde vor allem die mediale, einseitige Berichterstattung vehement kritisiert. Verschwörungstheorien könnten zur Verstärkung von apathischem Verhalten beitragen.


Die Regionalgruppe Nordfriesland trifft sich an jedem ersten Mittwoch im Monat um 19 Uhr im Speicher, Husum, Kontakt: u.mep@web.de, martin.maier-walker@t-online.de


Zu den Kosten des Einsatzes der Bundeswehr für ISAF

Für 12 Monate 487 Mio. Euro, 3000 Soldaten, Personalkosten: nur Auslandsverwendungszulage von 92,03 Euro täglich, Einzelplan 14 enthält keine genaue Aufschlüsselung.
Der Stern v. 12.10.2007

2010 sind etwa 1,1 Mrd. Euro bewilligt worden, entspricht der zivilen Aufbauhilfe von 2001 bis 2010, Personalkosten (abgesehen von der Auslandszulage) der inzwischen 5350 Soldatinnen und Soldaten, Beschaffung und Wartung werden nicht berücksichtigt, Kosten, die im Rahmen von OEF entstehen, werden nicht beziffert.
Aus: Kleine Anfrage von Abgeordneten der Linkspartei, Drucksache 17/1713 vom 12.05.2010


Angaben zu den Opfern

- Zivilisten im Jahr 2009: 2412, 14 % mehr als im Vorjahr;
- 450 ausländische Soldaten (2008: 264);
- bisher insgesamt 36 Bundeswehrangehörige
Es ist davon auszugehen, dass die Zahl der Schwerverletzten und die Zahl derjenigen mit dauerhaft schweren körperlichen Schäden deutlich höher liegen.
Nach: Spiegel-Online, 13.01.2010


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Quelle:
Gegenwind Nr. 267 - Dezember 2010, Seite 50-51
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Dezember 2010