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GEGENWIND/417: Gegen den "Celler Trialog" 2010 in Salzau (bei Kiel) den Widerstand organisieren


Gegenwind Nr. 260 - Mai 2010
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern

KRIEG & FRIEDEN
Schulterschluss von Bundeswehr, Wirtschaft und Politik behindern:
Gegen den "Celler Trialog" 2010 in Salzau (bei Kiel) den Widerstand organisieren!


2007 initiierte der Aufsichtsratsvorsitzende der Commerzbank, Oberstleutnant d.R. Klaus Peter Müller, zusammen mit dem Kriegsministerium ein neues Gremium zur Militarisierung der deutschen Politik, den sogenannten Celler Trialog. Vom 1. bis 3. September findet der Trialog dieses Jahr in Kiel statt, da die Partnereinheit des Treffens, die 1. Panzerdivision in Hannover, sich als Leitdivision in Afghanistan im Kriegseinsatz befindet. Das schleswig-holsteinische Landeskulturzentrum Gut Salzau in der Nähe der Landeshauptstadt ist der Ort des Konferenztages.

Ziele des Celler Trialogs sind die Förderung von Reservisten in Industrie und Wirtschaft, die Intensivierung zivil-militärischer Zusammenarbeit, die Verankerung militaristischen Denkens, auch in Forschung und Lehre an den Hochschulen, und die Stärkung eines dauerhaften, praxisorientierten (= kriegsorientierten) Austauschs zwischen Politik, Wirtschaft und Bundeswehr. Die Gespräche finden hinter verschlossenen Türen statt und verlaufen deswegen nach Aussage der Veranstalter sehr offen. Hier wird das Kriegsgeschäft der Zukunft betrieben zum Nutzen derjenigen, die wissen, welche Probleme die Aufrechterhaltung ihrer jetzigen Weltwirtschaftsordnung in Zukunft bringen wird.

Das Motto des Celler Trialogs lautete dieses Jahr: "Handel und Wandel - Maritime Herausforderung und nationale Interessen." Damit wird ein Schwerpunkt gesetzt, der für den Kriegshafen Kiel, die Rüstungsindustrie an der Förde und die Verherrlichung militaristischer Traditionen steht.


Im "Celler Appell" von 2008 heißt es:

"Wir sind der Auffassung, dass die klare Definition der sicherheitspolitischen Interessen unseres Landes dazu beiträgt, das politische und wirtschaftliche Gewicht Deutschlands auf internationaler Ebene angemessen einbringen zu können.

Wir brauchen eine intensivere sicherheitspolitische Debatte in Deutschland, um die Bedeutung von Sicherheit für die Zukunft unseres Landes und das Verständnis für die Auslandseinsätze der Bundeswehr verbreitern zu können.

Weltweite Sicherheit und Stabilität tragen eine positive Rendite für die Wirtschaft - in Form niedrigerer Kosten und Risikoprämien, besserer Investitionsbedingungen, höherer Erträge, und auch in Form freierer Märkte, auf die unser Land ganz besonders angewiesen ist. Aber auch jeder einzelne Bürger profitiert vom wirtschaftlichen Erfolg als Grundlage für Wohlfahrt und sozialen Frieden in Deutschland. Sicherheit und Stabilität sind daher ein hohes Gut und ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Dieses Gut hat seinen Preis, und auch in Deutschland müssen Wirtschaft und Gesellschaft bereit sein, diesen Preis zu entrichten und einen unserer Wirtschaftskraft entsprechenden Beitrag zu leisten.

Wir brauchen einen engeren Schulterschluss zwischen Wirtschaft, Politik und Bundeswehr, um ein besseres Verhältnis für die Aufgabenstellung des jeweils anderen zu erreichen und die Suche nach innovativen Lösungen zu verstärken."


Militarisierung grenzenlos - nach innen und außen

Systematisch betreibt die Kriegs-Lobby die Militarisierung der innen-politischen Verhältnisse. Die seit dem 11. September 2001 gebetsmühlenartig herausgegebenen Terrorwarnungen sollen die Vorbehalte und Proteste gegen die gesetzlichen Änderungen zum Einsatz der Bundeswehr im Inneren im Keim ersticken. Dabei bleiben die Pläne keineswegs bei der Bekämpfung von Al-Qaida & Co. stehen, sondern sehen ausdrücklich den Einsatz gegen Streikbewegungen und Demonstrationen im Innern vor, wie 2007 beim G8-Gipfel in Heiligendamm zu sehen war. Dort wurden im Rahmen so genannter Amtshilfe zur Einschüchterung Tornado-Jets und Panzerfahrzeuge zur "Aufklärung" eingesetzt. Zur besseren Koordination der Bundeswehr mit zivilen Behörden werden flächendeckend sogenannte Verbindungskommandos aufgebaut, wodurch die Trennung des Militärischen und Zivilen aufgehoben wird.


Forschung für den Krieg

Die Zunahme von militärischen Interventionen bedeutet, dass neben explizit wehrtechnischer auch nichttechnische, sozialwissenschaftliche und medizinische Forschung wichtig geworden ist. Einer der - nach den vergebenen Geldmitteln - bedeutendsten Kooperationspartner der Bundeswehr war und ist das Anthropologische Institut in Kiel. Hier werden die wissenschaftlichen Grundlagen für die Belastbarkeit des "Soldatenmaterials" im Krieg abgezweigt. Kiel, bedeutender Standort maritimer Rüstungsproduktion, bietet sich auch wegen des Schifffahrtsmedizinischen Instituts der Marine als Tagungsort des Trialogs an. Die Kooperation von dessen wehrmedizinischem Forschungsbereich mit der Kieler Universität zeigt sich in gemeinsamen Veröffentlichungen und der Integration des Bundeswehrinstituts in das Institut für Experimentelle Medizin: als Sektion Maritime Medizin. Die wegen der vermehrten Kriegseinsätze der Bundeswehr gehäuft auftretenden posttraumatischen Belastungsstörungen werden in Kooperation mit dem Institut für Medizinische Psychologie der Universität untersucht. Auf einer ganz anderen Ebene arbeitet das Kieler Institut für Sicherheitspolitik (ISPK), das personell und organisatorisch eng mit dem Institut für Politische Wissenschaften verknüpft ist. Das ISPK versteht sich als Gegengewicht zur Friedens- und Konfliktforschung und fungiert als wissenschaftlicher Stichwortgeber für aktuelle "sicherheits"-politische Diskurse.


Jedes Mittel ist recht: Zum Einsatz von Uranmunition

"Abgereichertes Uran" oder "Depleted Uranium", auch DU genannt (radioaktives Schwermetall/ Halbwertszeit über 4 Milliarden Jahre / hohe Dichte / fällt bei der Brennstoffanreicherung für AKWs an / billigste Form der Entsorgung), wird in Geschosse und Bomben eingebaut, um die Durchschlags- und Zerstörungskraft sowie die Reichweite zu erhöhen. Beim Auftreffen auf das Ziel verbrennt diese Munition unter extremer Hitzebildung zu Uranoxidpartikeln, die meist als Staub Mensch und Umwelt verseuchen. Sie wirken bereits kurzfristig hochgiftig und führen zu heftigsten, oft tödlichen Reaktionen. Mittel- und langfristig kommt es zusätzlich aufgrund der Radioaktivität zu einem extremen Anstieg von Krebserkrankungen, Fehl- und Missbildungen bei Neugeborenen, Totgeburten sowie chromosomalen Veränderungen (Schädigung des Erbguts). Als Folge des DU-Einsatzes (offiziell verheimlicht oder verharmlost) gehen Epidemiologen z.B. im Irak von Hunderttausenden Getöteten und Erkrankten aus, zukünftig von bis zu 6 Millionen zusätzlichen Krebserkrankungen.


Krieg als Ballerspiel

Um die Kriegsfähigkeit der Bundeswehr sicherzustellen, nehmen die Rekrutierungsversuche der Bundeswehr an Schulen, auf Jobmessen und in Arbeitsämtern zu. Jugendoffiziere besuchen einzelne Klassen oder Jahrgänge, um den "Beruf Soldat" schmackhaft zu machen. Es werden gezielt Jugendliche mit schlechten Zukunftsaussichten angeworben, die mit der Möglichkeit einer Ausbildung und eines guten finanziellen Verdienstes geködert werden. Besser gebildete Jugendliche werden mit einem kostenlosen Studium und guten Karrierechancen angelockt. Die Bundeswehr erstellt Lehrmaterialien, die kostenlos an Lehrkräfte weitergegeben werden, um so Einfluss auf Unterrichtsinhalte zu nehmen. In letzter Zeit wurden mehrere Vorfälle wie z.B. in Eutin und Todendorf bekannt, bei denen die Bundeswehr Schulklassen bei Truppenbesuchen zum Benutzen von Schießsimulatoren animierte.


Militärische Flüchtlingsabwehr

Flüchtlinge, nicht Fluchtursachen, werden zum Sicherheitsrisiko erklärt und militärisch bekämpft. Deutschland ist federführend bei der Militarisierung der Grenzen und bei der Ausstattung der zwischenstaatlichen "Grenzschutzagentur Frontex", die nicht nur im Mittelmeer, sondern auch an den Landgrenzen im Osten und Süden Europas und auf Flughäfen Flüchtlinge abfängt und sie am Zugang zu Asylverfahren hindert. Die Wirtschaft vieler Länder des globalen Südens vermag ihrer Bevölkerung trotz enormer Bodenschätze und landwirtschaftlicher Ressourcen keine ausreichende Lebensgrundlage zu bieten. Neben dem kolonialen Erbe, ethnischen und religiösen Konflikten und der Klimaveränderung ist hierfür die Zerstörung binnenwirtschaftlicher Strukturen zugunsten weltmarktorientierter, häufig von Monopolen kontrollierter Produktion verantwortlich. Insbesondere die Länder Afrikas werden durch bilaterale Verträge mit Ländern des reichen Nordens zu Lieferanten von Rohstoffen und Lebensmitteln degradiert. Als Folge vegetieren Millionen ums Überleben ringende Menschen als Flüchtlinge in den angrenzenden Ländern der jeweiligen Herkunftsregion unter katastrophalen Bedingungen ohne jede Zukunftsperspektive. Tausende von Menschen werden beim Versuch, Europa zu erreichen, in den Tod getrieben.


Im Vergleich zum Vorjahr ist 2009 der Rüstungsetat um 1,7 Milliarden Euro auf 31,2 Milliarden gestiegen. Damit ist das Militärministerium das Ressort mit der zweitgrößten Zuweisung von Bundesmitteln. Diese Politik geht nicht nur mit einer Verschärfung des Sozialabbaus, sondern auch mit einem innenpolitischen Demokratieabbau einher.



Krise und Krieg

Zur Aufrechterhaltung der kapitalistischen Weitwirtschaftsordnung ist jedes Mittel recht: Es werden ethnische Konflikte bis hin zum Bürgerkrieg angeheizt, um "humanitäre Interventionen" zu rechtfertigen (Ex-Jugoslawien), Piraten gejagt, denen vorher die Lebensgrundlage entzogen wurde (Somalia), "Terroristen" getötet, die wenige Jahre vorher noch als Freiheitskämpfer finanziert wurden (Afghanistan) oder rohstoffproduzierende Länder überfallen, indem ihnen die Produktion von Massenvernichtungswaffen angedichtet wird (Irak). Dabei waren und sind es gerade die Aggressoren USA und Großbritannien, die in beiden Irakkriegen und Afghanistan die Massenvernichtungswaffe Uranmunition eingesetzt haben und immer noch benutzen - mit verheerenden Folgen. Sie werden dabei gedeckt und unterstützt von den übrigen "willigen Besatzern".

Mit der Zuspitzung der Krise wächst die Gefahr, dass Spannungen zwischen den imperialistischen Mächten zur Konfrontation untereinander führen. Der Preis für die "Verteidigung" der bestehenden Eigentums- und Machtverhältnisse wird überwiegend in anderen Teilen der Welt bezahlt.

Die sogenannte Bankenkrise ist noch lange nicht beendet, die Schulden der Finanzinstitute sind nur von den Nationalstaaten übernommen worden und sollen durch Einsparungen bei der kommunalen Infrastruktur, Zerstörung des sozialen Netzes, Steuererhöhung und Inflation auf die Bevölkerung abgewälzt werden. Die Krise hatte ihren Ursprung in der Überproduktion. Die inneren Gesetzmäßigkeiten der profitgelenkten Ökonomie entlarven Stück für Stück das Konzept des freien Welthandels als Farce und das Gerede von gemeinsamen europäischen, transnationalen oder sonstigen Interessen als Propaganda. Die nach wie vor weitgehend nationale Organisation der Ökonomien treibt die Staaten und ihre Bündnisse immer tiefer in gegenseitige Konkurrenz. Die gesamte innerstaatliche Verfasstheit, Sozialstaat und Lohnstruktur werden auf die Realisierung möglichst hoher Profite auf dem (Welt-)Markt ausgerichtet. Zu ihrem Schutz greift der nationale politische Apparat auf Maßnahmen zur Absicherung der heimischen Wirtschaft zurück, die zwangsläufig zu Gegenmaßnahmen anderer Staaten führen. Wenn die zahlreichen Instrumente zur Abwälzung krisenhafter Erscheinungen auf andere Regionen der Welt (durch Diplomatie, Protektionismus, Internationalen Währungsfond usw.) nicht mehr greifen, schlägt die Stunde des Militärs.


Schulterschluss von Bundeswehr, Wirtschaft und Politik beenden

Als antimilitaristisches Bündnis gegen den Celler Trialog haben wir uns gegründet, um den Protagonisten der beschriebenen Entwicklung so weit wie möglich in ihr Handwerk zu pfuschen und wirksame Proteste gegen das alljährliche Treffen zu organisieren. Wir wollen die zivil-militärische Zusammenarbeit sabotieren. Wir fordern alle Menschen auf, sich der Militarisierung des Lebens zu verweigern und sich unter einer internationalistischen Perspektive an den Protesten zu beteiligen. Wir betrachten weltweite Ausbeutungsverhältnisse, die Armut und das Elend von Millionen von Menschen als unser eigenes Problem und nicht als das Glück, in den noch reichen, kleinen Inseln des globalisierten Kapitalismus geboren zu sein. Wir möchten als Bündnis unseren Teil dazu beitragen, über alle Grenzen hinweg den Weg für eine gemeinsame, solidarische und den Reichtum dieses Planeten teilende Weltgesellschaft freizumachen. Jeder und Jede nach ihren Möglichkeiten, im Respekt für die Unterschiedlichkeit der Bedingungen und der Wege, die wir beschreiten.

Die Türen unserer Treffen stehen euch jederzeit offen!

Durch Gegenmacht von unten dem Kapitalismus und Militarismus den Boden entziehen!

Kieler antimilitärisches Bündnis gegen den Celler Trialog

Kontakt:
Kieler antimilitärisches Bündnis gegen den Celler Trialog,
c/o Initiativenzentrum, Schweffelstraße 6, 24118 Kiel,
Mail: kein-trialog@so36.net
PGP: http://kein-trialog.so36.net/pgp/kein-trialog.asc

Informiert Euch:
http://kein-trialog.so36.net
Dort findet Ihr auch die Termine unserer Treffen.


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Quelle:
Gegenwind Nr. 260 - Mai 2010, Seite 45-47
Herausgeber: Gesellschaft für politische Bildung e.V.
Schweffelstr. 6, 24118 Kiel
Redaktion: Tel.: 0431/56 58 99, Fax: 0431/570 98 82
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Juni 2010