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DAS BLÄTTCHEN/936: Das Dilemma der Kritologen


Das Blättchen - Zweiwochenschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft
Nr. 1/2009 - 5. Januar 2009

Das Dilemma der Kritologen

Von Max Hagebök


Vorsicht, die folgenden Gedanken sind nur mißzuverstehen. Für die politischen Opfer der DDR werden sie beleidigend sein. Die politischen Täter sehen sich verleumdet. Die Humanisten könnten nachdenken.

Darf ich die Kritiker der DDR kritisieren? Mit dieser Frage lebe ich jetzt schon seit zwanzig Jahren. Ich, der dieses Land ehemalig geliebt und gehaßt hab. Mich daran gerieben habe, um das Gebilde DDR zu formen nach einer menschlichen Idee. Und dann aber geschlagen zu Boden sank, als die Mehrheiten der Bürger weiterzog in das gelobte Land. Auch dies hatte nur drei Buchstaben; aber es versprach den Suchenden ein Mehr an Freiheit und Konsum.

Das Ankommen dann war freilich wenig siegreich. Der Triumph verblieb den ewig Gestrigen, die scheinbar von der Muse der Weisheit geküßt jetzt die Klugen waren. Also versuchten sie, mit alten Methoden das neu entstandene Land zu regieren. Ihr Scheitern mußte sein. Dieses Scheitern steht für die beginnende neue Republik Deutschland. Langsam, aber stetig stieg die BRD vom Olymp des sozialen und politischen Musterschülers in die versetzungsgefährdete Klasse. Sicher geglaubte politische Freiheiten und soziale Standards verschwanden in der Globalisierungsmühle. Es gibt momentan keine Kraft, die dies aufhalten kann. Dies ist aber kein Problem von Mehrheiten, sondern von qualifizierten Mehrheiten. Denn nur wer versteht, was und warum es mit ihm passiert, der kann sich wehren. Doch dies ist nur dann machbar, wenn ich das Bestehende und das Vergangene kritisiere.

In dieser Kritik reinigt sich der Geist von der Ideologie und deren systemerhaltenden Inhalten. Doch in der Bundesrepublik sind die Gewächse der kritischen Vernunft verdurstet. In den Wissenschaften haben die Siegelbewahrer der reinen Lehre vom Markt vernichtend gewonnen. Und aus der politischen Sphäre finden sich die Übersetzer dieser Lehre zu einem Reigen ein, der verwirrt und verdummt.

Deutschland, deine Denker sind verschieden. Die Ideologen balgen sich um das Goldene Flies. Eine besondere Spezies von verballhornenden Denkern findet sich bei den DDR-Kritikern. Seit nun fast zwanzig Jahren geistert die Leiche der DDR lebendiger als jemals zu Lebzeiten durch die Gazetten, die Hörsäle und die politischen Diskussionen. Es gibt kein Genug für jene, die sich an diesem Staat glauben abarbeiten zu müssen.

Was verbindet diese Menschen?

Ihr erstrangiger Auftrag besteht darin, über die Leichenfledderei die Bundesrepublik zu legitimieren als die beste aller deutschen Republiken. Ich möchte mich in diese Betrachtung nicht kritisch einbringen. Doch ist es genau diese Art der kritischen Betrachtung der DDR, die den Geist beleidigt: Da wird schon vorgegeben, was der Wissenschaften Arbeit eigentlich sein sollte.

Mit dieser Kritik will ich streiten. Denn sie ist durchsichtig und absichtsvoll. Sie soll auch vertuschen, daß die Kritiker der DDR noch heute nicht mit dem Deutschland von 1933 bis 1945 klarkommen. Deshalb wird die Leiche DDR seziert, bis daraus zwei Körper zusammengesetzt werden können.

Da ist der Totalitarismusvergleich, in den die DDR hineingepreßt wird. Es wird der Staat zwischen Oder und Elbe stigmatisiert und zum Verbrecherstaat ernannt. Wissenschaftlich werden die vorhandenen diktatorischen und autoritären Seiten medienträchtig herausgearbeitet. Dabei bleiben die Kritiker dann aber stehen. Es schreckt ab und läßt den Empfänger erschauern.

Geflissentlich übersehen die Kritiker den grundsätzlichen Unterschied zwischen dem nationalsozialistischen Deutschland und der DDR. In dem Verhältnis von herrschender Ideologie und herrschender Politik unterschieden sich beide wie Feuer und Wasser. Der deutsche Faschismus war im Wesen von Ideologie und Politik in sich logisch. Die unmenschliche Ideologie legitimierte den politisch gewollten Massenmord.

Anders die DDR. Deren Gründungsakte als Verfassung vereinte politische Freiheiten und soziale Sicherheiten und manifestierte sich somit gleichberechtigt als demokratisch verfaßtes Gemeinwesen vergleichbar mit anderen Nachkriegsdemokratien.

Das Scheitern im politischen und rechtlichen Entwurf der DDR beruhte darauf, daß die handelnden politischen Akteure der SBZ und der DDR durch ihr Herrschaftsverständnis nie in der Lage waren, den demokratischen Inhalten der Verfassung gerecht zu werden. Zwischen den politischen Willensbekundungen für eine demokratische Republik und der politischen Durchsetzung einer Diktatur entstand der Widerspruch, der die DDR nach vierzig Jahren obsolet machte. Trotzdem wuchsen in diesem antagonistischen Widerspruch zwischen politischer Theorie und politischer Praxis Generationen heran, die sich zu den humanistischen und demokratischen Idealen der Verfassung bekannten und sie praktizieren wollten. Mehrere Generationen waren bereit, ihren eigenen Lebensentwurf mit dem staatlichen Werdegang der DDR zu verbinden.

Doch in dem Maße wie sie diese Ideale leben wollten, trafen sie auf autoritäre und diktatorische Strukturen. Die persönlichen Brüche waren vorprogrammiert.

Der Unterschied zu einer totalitären Diktatur besteht darin, daß es in der DDR immer wiederkehrende Kreisläufe der humanistischen und demokratischen Erneuerung von unten gab. Nur dies erklärt, warum die DDR implodierte. Im Gegensatz zum faschistischen Deutschland.

Die DDR konnte so lange überleben, weil sie sich humanistisch legitimierte. Dies durch ein bundesrepublikanisches Umfeld verstärkt, das über die Einbindung in die NATO, die Hallstein-Doktrin, seine Vergangenheitsverdrängung und dem Vorgehen gegen Andersdenkende politisch wenig attraktiv war. Für humanistisch Gesinnte gibt es in dieser Welt keinen Platz. Deshalb blieben viele Menschen in der DDR - bis an die persönliche Schmerzgrenze.

Die Kritik der DDR kann nur sinnvoll werden, wenn sie sich der Kritik der verfassungsrechtlichen Inhalte und der politischen Implikationen des jeweiligen Landes zuwendet. Deshalb ist der Vergleich zwischen DDR und BRD wissenschaftlich redlicher. Beide Länder gaben sich eine demokratische Verfaßtheit und als deren zentrale Kategorie die Menschenwürde. Die Politik verhielt sich konträr zu den postulierten verfassungsgemäßen Grundsätzen der beiden Staaten.

Sollte ein DDR-Kritiker das begreifen, würde die Kritik der DDR methodisch zu einer kritischen Reflexion der gegenwärtigen Bundesrepublik führen. Doch deren Ergebnisse werden nicht staatlich gefördert.


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Quelle:
Das Blättchen, Nr. 1, 12. Jg., 5. Januar 2009, S. 5-7
Herausgegeben vom Freundeskreis des Blättchens
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Januar 2009