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DAS BLÄTTCHEN/1769: Deutsche Bärenjagd


Das Blättchen - Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft
21. Jahrgang | Nummer 4 | 12. Februar 2018

Deutsche Bärenjagd

von Erhard Crome


Am 27. Januar 2018 erlebte Köln eine Demonstration von Kurden und ihren Freunden. Sie fanden den Krieg der Türkei mit deutschen Panzern im Norden Syriens unerträglich und forderten dessen Beendigung. Es nahmen mindestens 20.000 Menschen teil. Da es auch Fahnen mit dem Konterfei des Kurden-Führers Abdullah Öcalan gab, der in der Türkei im Gefängnis sitzt und in Deutschland sowie anderen westlichen Ländern auf Wunsch der Türkei auf der Terroristenliste steht, wurde die Demonstration mit Polizeigewalt vorzeitig abgebrochen. Das gilt als rechtsstaatlich, weil die Öcalan-Ächtung ja als rechtens angesehen wird.

Am selben Tag demonstrierten in Moskau 3000 Menschen, die als Anhänger des Oppositionspolitikers Alexej Nawalny gelten, gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin und dagegen, dass Nawalny nicht als Kandidat zu der Präsidentenwahl im März zugelassen ist. Das wurde durch die russische Polizei erschwert und schließlich unterbunden. Dies gilt deutschen Medien als nicht rechtsstaatlich, weil die Verurteilung Nawalnys ja fingiert sei.

Besonders interessant ist, wie die deutschen "Qualitätsmedien" mit beiden Ereignissen umgingen. Die Berichte über Moskau kamen vor denen über Köln und waren deutlich ausführlicher. Da waren 3000 Menschen in einer Stadt mit 11,5 Millionen Einwohnern auf die Straße gegangen, und das hatte mehr Gewicht als die 20.000 in einer Stadt mit einer Million Einwohner. Offenbar sollte nicht nur nicht über die deutsche Panzer-Komplizenschaft mit der Türkei geredet, sondern vielmehr einem ganz anderen Phänomen Priorität eingeräumt werden: In Deutschland wird wieder einmal zur Jagd geblasen - von deutschen Geopolitikern, um den russischen Bären zu erlegen.

Roderich Kiesewetter, Oberst a. D. der Bundeswehr und CDU-Bundestagsabgeordneter mit Schwerpunkt Außenpolitik, setzt in seinem Text in Wolfgang Ischingers Prachtband "die anhaltenden Spannungen mit Russland" einfach voraus, ohne nach den wirklichen Ursachen zu fragen. Er behauptet einen "Bedeutungszuwachs autoritär geführter Staaten". Als Folge finde "die Rückkehr der Geopolitik ihren stärksten Ausdruck im militärischen Agieren Russlands in der Ukraine und in Syrien".

Hier ist zunächst zu entgegnen: Die Osterweiterung der NATO war Geopolitik des Westens unter Führung der USA zum Zwecke der weiteren Zurückdrängung und Einhegung Russlands, die Osterweiterung der EU war Geopolitik des Westens unter maßgeblicher Beteiligung Deutschlands, die Anzettelung des Umsturzes auf dem Kiewer Maidan war Geopolitik des Westens gegen Russland, die Nahostkriege der USA und des Westens unter George W. Bush und Barack Obama waren Geopolitik. Russland hat in Sachen Ukraine und Syrien darauf reagiert.

Kiesewetter meint: "Russland betreibt dazu eine 'Perzeptionspolitik' auf Grundlage geschichtlicher Erfahrungen, sowjetideologischer Versatzstücke und abstrakter Einkreisungsängste." Allerdings sind die Stationierung von NATO-Truppen - vor allem auch der USA sowie unter aktiver Mitwirkung der Bundeswehr - in der Nähe der russischen Grenze und US-amerikanischer Raketenabwehrsysteme im Osten Europas keineswegs abstrakt, sondern sehr konkret und in der Tat auf Einkreisung gerichtet. Putins Außenpolitik ähnelt im Übrigen eher der des Zaren als der der sowjetischen Kommunisten, insofern sind "sowjetideologische Versatzstücke" nicht auszumachen, es sei denn, Kiesewetter nimmt es der Sowjetunion übel, die deutsche Wehrmacht geschlagen zu haben. Und die geschichtlichen Erfahrungen Russlands zu "Perzeptionspolitik" zu erklären, erscheint 75 Jahre nach der Kapitulation der 6. Armee in Stalingrad zumindest äußerst fragwürdig.

Am 6. Februar 2018 wurde aus Brüssel gemeldet, die EU mache den sechs Staaten auf dem westlichen Balkan, die noch nicht Mitglied der EU sind, das erneute Angebot einer Beitrittsperspektive. Serbien und Montenegro könnten dies bis 2025 erreichen. Zwar seien sie eigentlich nicht beitrittsfähig, und Mazedonien, Bosnien-Herzegowina, Albanien oder gar der Kosovo seien dies noch weniger. Aber man könne sich ja "extrem ehrgeizige" Ziele setzen. Auch habe man Erfahrung mit Rumänien und Bulgarien, die zu früh aufgenommen wurden und im Grunde heute noch nicht EU-kompatibel seien. Doch es gehe, wie die einschlägigen Medien zu kommentieren wussten, um Geopolitik und zwar gegen russischen Einfluss auf dem Balkan.

Das entspricht ganz der Perspektive der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). In ihrem Papier "Außenpolitische Herausforderungen für die nächste Bundesregierung", das im Sommer 2017 veröffentlicht wurde, schreiben die Herausgeber Christian Mölling und Daniela Schwarzer: "Von Russland gehen weiterhin maßgebliche Destabilisierungsrisiken aus, nicht nur in der Ukraine und Syrien, sondern auch durch Intervention in westlichen Demokratien." Der Nachweis dafür steht bekanntlich nach wie vor aus. In den USA streiten sie weiter, ohne dass es in der Substanz etwas gibt, das in Sachen Trump und Russland nicht schon im Sommer 2016 bekannt gewesen wäre. In dem DGAP-Papier schreibt Sarah Wohlfeld zum Westlichen Balkan, nur die EU-Beitrittsperspektive könne die Region einen. Der "Einfluss anderer internationaler Akteure" müsse zurückgedrängt werden. "Seit der Annexion der Krim versucht Russland, seinen Einfluss im Westlichen Balkan auszuweiten." Auch die Türkei und China werden dort als geopolitische Konkurrenten identifiziert. Die EU sei im Westbalkan jedoch "noch [...] der einflussreichste Akteur". Diese Gelegenheit müsse nun beim Schopfe gepackt werden. "Die deutsche Rolle ist hierbei zentral". Das heißt, es geht um deutsche Geopolitik. Und man will diesmal schneller sein als die anderen.

Stefan Meister, bei der DGAP für das Feindbild Russland zuständig, merkt an, dass "die Bundesregierung beim Erlass von Sanktionen gegenüber Russland innerhalb der EU eine Schlüsselrolle [...] eingenommen" hat. Aber nun "ist die Politik des Wandels durch Annäherung gegenüber dem System Putin gescheitert". Eine solche Aussage ist doppelt interessant. Die "Sanktionen" waren ganz gewiss keine Annäherung, sondern das Gegenteil. Zugleich räumt Meister ein, dass man den Wandel, das heißt den Regime-Change auch in Moskau wollte, offenbar - Stichwort Nawalny - nach Kiewer Vorbild. Das war und ist also keine Moskauer Paranoia, sondern eine offenbar zutreffende Einschätzung westlicher Intentionen. Meister folgert: "Deshalb kann das mittelfristige Ziel deutscher Russlandpolitik im Moment nur friedliche Koexistenz sein."

Das wäre doch mal eine prima Idee: friedliche Koexistenz - das heißt keine Einmischung in die inneren Angelegenheiten, keine Druck- und Drohpolitik von Seiten der NATO und der EU, keine deutsche Geopolitik, dafür Friedenspolitik, wie in der UNO-Charta postuliert. Solch ein Ansatz taugte gar nicht nur "im Moment", sondern für alle Zeiten.

Von Bismarck ist das Wort überliefert: "Russland ist nie so stark oder so schwach, wie es scheint." Deutschland dagegen wähnte sich - nach den Abtreten Bismarcks - immer gern stärker, als es realiter war, ob nun als Aspirant auf Weltmacht in zwei Weltkriegen, als Juniorpartner der USA oder nun als Hegemon der EU.

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Quelle:
Das Blättchen Nr. 4/2018 vom 12. Februar 2018, Online-Ausgabe
Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft, 21. Jahrgang
Herausgeber: Wolfgang Sabath (†)
... und der Freundeskreis des Blättchens
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Februar 2018

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