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DAS BLÄTTCHEN/1434: Gefahr aus dem Weltall?


Das Blättchen - Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft
17. Jahrgang | Nummer 21 | 13. Oktober 2014

Gefahr aus dem Weltall?

von Dieter B. Herrmann



Im Jahre 1960 wurde ein großabgelegtes Projekt ins Leben gerufen, das unter dem Kurznamen SETI weltweit bekannt geworden ist: Search for Extraterrestrial Intelligence - die Suche nach außerirdischen Zivilisationen. Man hatte sich vorgenommen, unter Einsatz modernster Hilfsmittel - vor allem mit großen Radioteleskopen - nach Signalen zu suchen, die keinen natürlichen Ursprung haben können und folglich von intelligenten Wesen technisch erzeugt sein mussten. Vor allem extreme Schmalbandigkeit der Signale in ausgewählten Frequenzbereichen wurde als Kriterium dafür herangezogen. Zuletzt waren im Rahmen des Projekts META (Megachannel Extraterrestrial Assay) 8,4 Millionen Frequenzen abgesucht worden, alles ohne Erfolg. Derzeit läuft das bislang größte Suchprogramm mit dem Allan Telescope Array in Kalifornien, bei dem 350 Radioteleskope in 28 Millionen Kanälen rund 1.000 sonnenähnliche Sterne anpeilen.

Die Tatsache, dass insgesamt über 60 Programme in den vergangenen mehr als 50 Jahren nichts gefunden haben, wird sehr verschieden interpretiert. Eine Variante - die pessimistischste - lautet: Wir finden hochzivilisiertes Leben etwa deswegen nicht, weil es keines gibt, sondern weil es längst ausgelöscht ist. Es zähle offenbar zu den Gesetzmäßigkeiten der Natur, dass auch dem Phänomen Leben nur eine begrenzte Zeitspanne gegeben ist und es sich dann im Zuge seiner zivilisatorischen Entwicklung entweder selbst zerstört oder durch kosmische Einflüsse liquidiert wird. Auch wenn diese Interpretation nicht richtig sein muss, stimmt sie doch sehr nachdenklich. Bereits ein einziger Blick in eine beliebige Nachrichtensendung lässt heutzutage erkennen, dass die Menschheit längst jene Stufe der technischen Entwicklung erreicht hat, in der sie selbst ihren plötzlichen oder allmählichen Untergang herbeiführen kann oder vielleicht längst damit begonnen hat.

Nicht dass die Risiken etwa unbekannt wären. Woran es mangelt, ist der rationale Umgang mit ihnen. Ganze Serien von internationalen Klimakonferenzen, die dennoch keinen wirksamen Durchbruch gebracht haben, sind nur eines von vielen Beispielen. Die gerade zu Ende gegangene New Yorker Tagung zeichnete sich wiederum durch viele schöne Reden aus, während gleichzeitig bekannt wird, dass der CO2-Ausstoß 2013 weltweit erneut um 2,3 Prozent gestiegen ist. Aktuelle Profitinteressen stehen über allen Visionen für eine lebensfreundliche Zukunft des Planeten. Doch gerade in Zeiten, da ganz irdische und gesellschaftlich bedingte Ereignisse wie Kriege, Krisen oder risikobehaftete ungelöste Probleme Ängste bei den Menschen schüren, nimmt auch die irrationale Angst vor einem globalen Weltuntergang zu, dessen Auswirkungen die Menschheit als Ganzes betreffen könnte. Die Bereitschaft, solchen Szenarien geistig zu folgen, wächst.

Die Folge besteht meist in dem verstärkten Erscheinen von Katastrophenliteratur oder TV-Produktionen als Reaktion auf die entsprechende Nachfrage, und Historiker haben sogar die zweifellos berechtigte Frage gestellt, "bis zu welchem Grad (dies) Teil eines gesteigerten Interesses ist, das zugleich aus Politik, Religion und geschichtlichen Vorstellungen gespeist wird" (N. A. Rupke). Wenn das wohl auch nicht auf direktem Wege geschieht, so käme es jedenfalls den Protagonisten irdischer Konflikte gerade recht, um die von ihnen mit verantworteten Katastrophen zu relativieren und zu verharmlosen gegenüber jenen globalen, auf die wir keinen Einfluss haben.

Ausgerechnet das Weltall muss dann stets aufs Neue herhalten für angebliche Bedrohungen, denen die gesamte Menschheit anheimfallen könnte. Besonders die "kosmischen Bomben", mehr oder weniger große Objekte aus dem Sonnensystem, die unsere Erde in ihrer Geschichte zweifellos bereits getroffen haben, werden als Auslöser eines totalen Infernos heraufbeschworen. Geschickt aufbereitete Statistiken im Verein mit der Unfähigkeit vieler "Normalbürger", diese richtig zu lesen, sollen dann belegen, dass die Gefahren aus dem Weltall ebenso groß sind wie jene, denen wir im täglichen Leben ausgesetzt sind.

So haben die beiden US-amerikanischen Wissenschaftler Clark Chapman und David Morrison bereits 1994 eine Studie vorgelegt, in der sie die durchschnittliche Wahrscheinlichkeit für den Einschlag eines Asteroiden als individuelle Todesursache berechneten. Sie unterteilten die in Frage kommenden Objekte in drei Gruppen unterschiedlicher Größe mit entsprechenden Auswirkungen: Körper mit 600 Metern Durchmesser (A), solche mit 1.500 Metern Durchmesser (B) und noch größere mit 5.000 Metern Durchmesser (C). Die mittleren zeitlichen Abstände, mit denen solche Körper auftreffen (Impaktintervalle), lassen sich zwar nicht exakt angeben, doch relativ zutreffend abschätzen. Dafür zieht man Statistiken von Impaktkratern auf der Erde und dem Mond heran, deren Alter man kennt und benutzt außerdem Simulationen der Bahnentwicklung für ganze Klassen von Kleinkörpern über lange Zeiträume. Für Körper der Gruppe A beträgt das Impaktintervall rund 70.000 Jahre, für jene der Gruppe B etwa 200.000 Jahre und für die Vertreter der Gruppe C zirka 10 Millionen Jahre.

Legt man nun eine mittlere Lebenserwartung des Menschen und eine globale Zahl für die Erdbevölkerung zugrunde, so ergibt sich für die beiden Autoren folgende Konsequenz: Ein Objekt A löst eine weltweite Klimaveränderung aus, an der schließlich 1,5 Milliarden Menschen sterben. Daraus berechnen sie einen Durchschnittswert von 20.000 Toten pro Jahr (20.000 mal 70.000 = 1, 4 Milliarden). Nun vergleichen sie die individuellen Todesfall-Wahrscheinlichkeiten für USA-Bürger aufgrund anderer alltäglicher Risiken mit jenen Werten. Das Ergebnis ist verständlicherweise auf den ersten Blick verblüffend: Die Wahrscheinlichkeit, im Laufe des Lebens bei einem Verkehrsunfall ums Leben zu kommen beträgt 1/100, durch Feuer 1/800, durch einen Schusswaffenunfall 1/2.500. Letzterer Wert ist fast ebenso groß wie die Wahrscheinlichkeit, durch einen kosmischen Körper der Gruppe A (1/3.000) zu sterben. Selbst die Wahrscheinlichkeit, durch Kollision der Erde mit einem Körper der Gruppe B ums Leben zu kommen, ergibt sich als genau so hoch wie jene, bei einem Flugzeugunglück sein Leben zu verlieren.

Durch diesen Taschenspielertrick wird also eine vergleichsweise hohe Gefährdung der "kosmischen Bomben" vorgetäuscht, die so in Wirklichkeit überhaupt nicht besteht. Für Verkehrsunfälle und Flugzeugunglücke verfügen wir bekanntlich über jährliche Statistiken und wissen genau, wie viele Menschen etwa im vergangenen Jahr Opfer solcher Tragödien geworden sind. Bei den kosmischen Körpern verhält es sich ganz anders. Selbst wenn sie mit schöner Regelmäßigkeit, etwa Gruppe B aller 200.000 Jahre - einträfen (was nicht der Fall ist), kommen zwar sehr viele Menschen auf einmal um, aber in der Zwischenzeit überhaupt niemand. Erst nach 200.000 Jahren hätten sich in diesem Fall die Zahlen der Todesfälle einander angeglichen. Wer gern über Statistiken spottet, hat hier ein gefundenes Fressen.

Das Einzige, was in diesem Fall für berechtigte Verunsicherung sorgen kann, ist die Tatsache, dass wir eben nicht wissen, wann der nächste Körper einschlagen wird. Die häufigen Vorbeiflüge kosmischer Kleinkörper in sehr geringem Erdabstand in den letzten Jahren zeigen, dass eine ständige Gefahr besteht. Gerade aus diesem Grund werden solche Körper sorgfältig beobachtet. Erkennt man nämlich ein solches Geschoss rechtzeitig, lassen sich heute dank der Raumfahrt bereits Abwehrmaßnahmen verwirklichen, die unter anderem zu einer veränderten Bahn des Objektes führen und so die Kollision verhindern. Da die Menschheit als Ganzes bedroht wäre, besteht auch kaum die Befürchtung, dass Politiker aus wirtschaftlichen Machtinteressen eine solche Abwehrmaßnahme verhindern würden. Dann gibt es nämlich keinen Feind außer dem in Richtung Erde rasenden Objekt. Und das hat überhaupt keine politischen oder ökonomischen Interessen, sondern folgt einzig den Naturgesetzen.

Wie erfreulich wäre es doch, wenn wir mit ähnlicher Konsequenz und Einigkeit die irdischen Bomben bekämpfen würden, bis es keine mehr gibt. Stattdessen müssen wir immer noch zusehen, wie sie erdacht, gebaut, verkauft und angewendet werden und viel mehr unschuldige Menschen das Leben kosten als alle Verkehrsunfälle und Flugzeugabstürze der Welt zusammen genommen. Die "kosmischen Bomben" können wir ausklammern, denn sie haben in geschichtlicher Zeit noch niemanden getötet.

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Quelle:
Das Blättchen Nr. 21/2014 vom 13. Oktober 2014, Online-Ausgabe
Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft, 17. Jahrgang
Herausgeber: Wolfgang Sabath (†), Heinz Jakubowski
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Oktober 2014