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DAS BLÄTTCHEN/1419: Argentinien oder die Angst vor Staatspleiten


Das Blättchen - Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft
17. Jahrgang | Nummer 18 | 1. September 2014

Argentinien oder die Angst vor Staatspleiten

von Ulrich Busch



Privatinsolvenzen, Unternehmenspleiten und Bankenzusammenbrüche - das kennt man und weiß damit umzugehen. Die Folgen für die Betroffenen sind schmerzhaft, aber überschaubar. Sie gehören gewissermaßen zum kapitalistischen Alltag. Anders verhält es sich mit Weltwirtschafts- und Finanzkrisen, Währungsreformen und Staatsbankrotten, die plötzlich und unerwartet über ein Land, eine Region oder die gesamte Weltwirtschaft hereinbrechen, große Zerstörungen und Verluste mit sich bringen und mit langanhaltenden Negativwirkungen verbunden sind. Davor haben die Menschen Angst wie vor einem Erdbeben oder einem Tsunami. Tatsächlich aber sind Staatspleiten gar nicht so selten wie zumeist angenommen wird. Und es handelt sich dabei auch nicht immer um den totalen Zusammenbruch eines Staates und das Versinken einer Ordnung in Chaos und Zerstörung wie 1557 in Spanien, 1918 in Russland, 1919 in Österreich-Ungarn oder 1945 im Deutschen Reich. In der Regel geht der Bankrott eines Staates heute glimpflicher ab, und bleibt er mehr oder weniger auf den Finanzsektor beschränkt. Gleichwohl sind die realwirtschaftlichen Folgen, die in der Regel die gesamte Bevölkerung treffen, nicht zu unterschätzen.

Von einem Staatsbankrott ist dann die Rede, wenn ein Staat hohe Schulden im In- oder/und im Ausland besitzt und diese nicht fristgerecht bedienen kann. Mit anderen Worten: Ein Staatsbankrott liegt vor, wenn ein Staat nicht mehr in der Lage ist, die Zinszahlungen und Tilgungen für aufgenommene Kredite pünktlich zu gewährleisten beziehungsweise wenn die Gläubiger ihm keine neuen Kredite mehr geben. In den zurückliegenden 200 Jahren kam dies 279 Mal vor. Seit 1990 kam es in 56 Staaten zu Staatspleiten, darunter 1998 in Russland, 2001 in Argentinien und 2008 in Island. Griechenland ist faktisch seit 2012 pleite. Mit einer Schuldsumme von 261 Milliarden US-Dollar war dies die bisher größte Pleite aller Zeiten. Andere Staaten entgingen in den zurückliegenden Jahrzehnten nur knapp der Insolvenz, so zum Beispiel Ungarn (2008), Rumänien (2009), Lettland (2009), die Ukraine (2009), Irland (2009) und viele afrikanische und lateinamerikanische Staaten.

Der eigentlich spektakuläre Fall einer Staatspleite in jüngster Zeit ist jedoch Argentinien. Bis zum Zweiten Weltkrieg zählte das Land noch zu den am weitesten entwickelten und wohlhabendsten Volkswirtschaften der Welt, um dann jedoch innerhalb weniger Jahrzehnte auf das Niveau eines mittelmäßigen Schwellenlandes herabzusinken. Parallel dazu vollzog sich ein massiver Schuldenaufbau im Ausland, vor allem in US-Dollar. Durch Misswirtschaft, Korruption, übermäßige Inflation und eine verantwortungslose Wirtschafts- und Finanzpolitik manövrierte sich das Land bis 2001 in die größte Krise seiner Geschichte, die schließlich in einem desaströsen Staatsbankrott endete. Zu den Folgen dieser Pleite gehörte, dass Argentinien es seitdem nicht mehr vermocht hat, neue Schuldtitel an den Weltfinanzmärkten zu platzieren. Der Grund dafür ist in der Tatsache zu suchen, dass das Land seine Gläubiger seit 2001 um 82.300 Millionen US-Dollar geprellt hat. Die Grundlage dafür war der damals vereinbarte Schuldenschnitt, welcher vorsah, dass die Gläubiger argentinischer Staatsanleihen auf rund 70 Prozent ihrer Ansprüche verzichteten. Aber nicht alle Gläubiger haben dieser Regelung zugestimmt. Einige hielten ihre Ansprüche in voller Höhe offen. Dies gilt insbesondere für zwei US-amerikanische Hedge-Fonds, die sich dem Schuldenschnitt verweigerten und auf Auszahlung der vollen Summe geklagt haben. Dies wird ihnen von Buenos Aires selbstredend verweigert.

Ein New Yorker Gericht urteilte inzwischen, dass für den Fall des Festhaltens der Regierung an dieser Weigerung auch die anderen Gläubiger nicht ordnungsgemäß bedient werden dürfen. Daraufhin unterblieb die jetzt fällige Zahlung in Höhe von 539 Millionen US-Dollar, was, nachdem auch die Gnadenfrist von 30 Tagen ausgelaufen war, offiziell die Feststellung eines partiellen Zahlungsausfalls, eines "Selected Defaults", ausgelöst hat. Dieser, von einigen Experten als bloß "technischer Natur" eingeschätzte Vorgang, bedeutet, folgt man der üblichen Definition, einen erneuten Staatsbankrott Argentiniens, den zweiten innerhalb von nur 13 Jahren. Da das Land derzeit noch Staatsanleihen in Höhe von rund 190 Milliarden US-Dollar ausstehen hat, es aber andererseits von den Kapitalmärkten so gut wie abgeschnitten ist, kann dies sehr bald schon zu einem Desaster werden. Betroffen davon wäre dann aber nicht nur Argentinien, sondern auch Europa. Über 28 Milliarden US-Dollar beläuft sich die Summe der Kredite, die europäische Banken Argentinien geliehen haben. Der größte Teil davon, 16,7 Milliarden US-Dollar, entfällt auf spanische Banken. Kommt es hier, wie befürchtet werden muss, zu einem Zahlungsausfall, so würde dies eine Kettenreaktion, von Argentinien über Spanien hinein in den Euroraum, nach sich ziehen. Deutsche Banken wären mit einem Kreditvolumen von nur gut einer Milliarde Euro vergleichsweise wenig direkt betroffen, das Ausmaß einer indirekten, über den Interbankenmarkt, herbeigeführten, Involvierung lässt sich jedoch nur sehr schwer abschätzen. Es ist gut möglich, dass die Staatspleite Argentiniens auch im Euroraum eine erneute Banken- und Finanzkrise auslöst. Aber selbst, wenn es gelingt, einen derartigen Dominoeffekt zu vermeiden, verkörpert Argentinien doch ein hervorragendes Beispiel dafür, wie man eine Finanzkrise nicht managen sollte und wie eine Umschuldung nicht organisiert werden darf, wenn man Folgepleiten vermeiden will. Ganz abgesehen von der unrühmlichen Rolle der beiden Hedge-Fonds, welche in diesem Fall eine ganze Volkswirtschaft gefährdet haben und auch nach Sichtbarwerden der Problematik ganz und gar nicht dazu beigetragen haben, die Lage zu stabilisieren. Auch das ist ein Lehrstück für andere Staaten und sollte dazu motivieren, in Europa die Regulierung der Finanzmärkte voranzutreiben und einige ihrer Akteure sehr viel skeptischer noch als bisher zu beurteilen.

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Quelle:
Das Blättchen Nr. 18/2014 vom 1. September 2014, Online-Ausgabe
Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft, 17. Jahrgang
Herausgeber: Wolfgang Sabath (†), Heinz Jakubowski
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. September 2014