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DAS BLÄTTCHEN/1347: Wohin mit dem vielen Geld?


Das Blättchen - Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft
16. Jahrgang | Nummer 24 | 25. November 2013

Wohin mit dem vielen Geld?

von Heerke Hummel



Dieser Frage ging der Finanzexperte Martin Hüfner, langjähriger Chefvolkswirt bedeutender Banken, kürzlich im Gespräch mit Anja Kohl bei "Börse vor acht" im ARD-Fernsehen nach. Anlass war der Höhenflug des Deutschen Aktienindex' (DAX) über die Neuntausendpunktegrenze hinaus. Während die Europäische Zentralbank (EZB) Geld quasi zum Nulltarif an die Banken ausgebe und Sparer für ihre Einlagen Minimalzinsen erhalten, die mit der Inflationsrate nicht Schritt halten, verspreche Aktienbesitz lohnende Dividenden. Daher stiegen die Nachfrage nach ihnen und ihr Kurs. Das könne, so Hüfner, noch eine Weile so weitergehen, denn die Spareinlagen der deutschen Bevölkerung beliefen sich auf rund 600 Milliarden Euro. Hüfner machte deshalb einen "Anlagenotstand der Sparer" aus.

Inzwischen hat die EZB ihren Zinssatz weiter gesenkt - auf 0,25 Prozent! Kommentatoren bezeichnen das als Geldpolitik im Interesse der EU-Südländer. Damit werde die Notenbank, so Hüfner, aber wohl dem Ziel, Konjunktur und Wirtschaftswachstum in diesem Raum anzukurbeln, nur wenig gerecht werden, weil wieder, wie seit geraumer Zeit, das Geld weniger die Investitionen befördern als in den Aktienmarkt fließen werde.

Dies bedeutet: Eine neue spekulative Finanzblase wird aufgebaut. Wenn sie platzt, wird man wieder teure Rettungsschirme erfinden, deren Kosten der Steuerzahler trägt. Leistungslose Geldschöpfung zum Nulltarif durch die EZB - im Interesse des wirtschaftlichen Aufschwungs im Süden Europas: Zwar gut gemeint, aber schlecht getan! Doch was wäre - Erfolg versprechend - zu tun?

Man müsste diese durchaus naheliegende Geldpolitik der Europäischen Zentralbank durch eine entsprechende Wirtschaftspolitik ergänzen und das Geld nicht auf einen anonymen Finanzmarkt werfen, sondern "zusätzliche" Mittel gezielt für konkrete, ökonomisch sinnvolle Zwecke bereitstellen; etwa für Investitionen, die den Schwächeren helfen, konkurrenzfähig zu werden, oder für die Förderung von Bildung und Wissenschaft, für eine allmähliche Nivellierung der Einkommensunterschiede im Interesse einer stärkeren europäischen Binnennachfrage.

Zwar gibt es auch bei der EZB einen sogenannten Chefvolkswirt, doch von einer wirklichen Einheit von finanz- und wirtschaftspolitischem Denken in dieser Institution scheint man noch sehr, sehr weit entfernt zu sein. Man müsste sich nämlich zu allererst mit dem Gedanken anfreunden, dass der Umgang mit Geld niemandes Privatsache ist, sondern strengen Regeln zu unterliegen hat. Geld wird für die Inkarnation privaten Eigentums gehalten. Und auf dem fußen all unsere verfassungsrechtlichen Vorstellungen von dieser heutigen Gesellschaft.

Man müsste ferner Kurs darauf nehmen, die Europäische Zentralbank zu einer Behörde zu entwickeln, die etwa wie ein europäisches Ministerium für die ökonomischen Belange Europas im Sinne einer Einheit von Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik verantwortlich wäre. Denn Produktion und Verbrauch des in einer Gesellschaft erzeugten Reichtums werden durch das Finanzwesen über den Markt vermittelt. Dieser Markt darf aber nicht allein vom Wolfsgesetz der Konkurrenz reguliert werden, das nur den Stärksten eine Überlebenschance gibt. Eben in solchem Mangel liegt eine der wesentlichen Ursachen für die derzeitige Krise in der EU: Der "Exportweltmeister" Deutschland hat seine Verbündeten als Konkurrenten im Überlebenskampf an die Wand gespielt und ist dabei, sie zu erdrücken. Dies muss von Brüssel aus durch eine Behörde verhindert werden, die das Gesetz der Wölfe durch einen Regulator der Vernunft in die Schranken weist.

Nur in allerkleinsten Schritten und getrieben von der unerbittlichen Notwendigkeit ökonomischer Realitäten sind die Eliten in Wirtschaft und Politik Europas und der Welt bereit, den Umgang mit natürlichen und ökonomischen Ressourcen der Menschheit, vor allem aber mit dem Geld als Repräsentant von Reichtum dem privaten Entscheidungsraum zu entziehen und dem Nutzen für die Allgemeinheit unterzuordnen. Ein Minimalschritt in diese Richtung wurde im September dieses Jahres durch das Europäische Parlament mit der Verabschiedung der gesetzlichen Grundlagen zur Errichtung einer zentralen Bankenaufsicht getan. Von März 2014 an soll die EZB die Großbanken der Währungsunion beaufsichtigen und im Bedarfsfall auch die Aufsicht über kleinere Banken an sich ziehen. Bezeichnenderweise (und aus "gutem" Grund, wie oben gezeigt) wurde gerade die deutsche Finanzoligarchie zum Bremser einer im Prinzip vorwärts weisenden Entwicklung im Finanzsektor. Während Pläne der Europäischen Kommission vorsahen, alle rund 6.000 Banken in der Eurozone bereits ab 2013 unter die zentrale Aufsicht der EZB zu stellen, setzte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble eine Begrenzung auf große, systemrelevante Banken durch.

Auch der seit einiger Zeit gegen Null tendierende Zinssatz ist nicht Folge von wissenschaftlicher Einsicht in das Wesen unseres heutigen Geldes. Er ist lediglich das Ergebnis einer pragmatischen Reaktion der Zentralbanker auf die dramatische Situation von Europas Wirtschaft. Kredite ohne Zinsen werden zweifellos ein auch theoretisch zu begründendes Zukunftsmodell sein, weil Geld kein lebendes Wesen ist, das sich von selbst vermehren kann. Geld bezeichnet für die Allgemeinheit geleistete Arbeit, und als Zins ist es Zeichen für die Aneignung fremder Arbeit, also Ausbeutung anderer Menschen überall in der Welt. Die aktuelle Situation in den Südländern der EU ist so dramatisch, dass diese nicht einmal das "billige Geld" der EZB im möglichen Maße beanspruchen, weil ihr Risiko, es nicht zurückzahlen zu können, immer noch zu groß ist. Europäische Wirtschaftspolitik ist also gefragt! Bisher befördert die EZB mit ihrer einseitigen Geldpolitik vor allem nur die Spekulation und die Geldentwertung.

Und die Sparer? Haben sie eine Aussicht auf Sicherheit ihres Geldes? Wohl kaum! Wer meint, sein Geld sicher in die Zukunft retten zu können, gibt sich einer Illusion hin. In einem System weitestgehend freier privater Marktwirtschaft kann es keine Sicherheit geben. Wie viel Arbeit für die Gesellschaft (Wert) eine Währungseinheit repräsentiert, hängt da vom freien Spiel der Kräfte im Kampf aller gegen alle ab. Dazu gehören zuvorderst die Geldpolitik der Notenbank sowie die Lohn- und Einkommensentwicklung als Ergebnis des Kräftemessens zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern. Wer sparen will im Sinne von Aufbewahren, der sollte immer bedenken, wie groß die Lebensdauer des zu Sparenden ist. Geld ist heute ein sehr vergängliches Ding. Es ist ein Versprechen, weiter nichts. Ob dies gehalten wird, ist immer fraglich.

Und eine Gesellschaft, ein Volk als Ganzes, kann - von Reserven für Katastrophenfälle abgesehen - schon gar nicht für die Zukunft produzieren und aufbewahren, weil nichts von langer Dauer ist. So läuft also jede wirkliche Zukunftssicherung, die des Einzelnen wie die der Gemeinschaft, auf einen Generationenvertrag hinaus, auf das Vertrauen, dass die nächste Generation für die vorhergehende aufkommt. Eben darum wäre es sinnvoll, die EZB finanzierte mit dem Geld, das sie jetzt in die spekulativen Finanzmärkte pumpt, die Heranbildung einer leistungsfähigen europäischen Jugend, die akademisch-technologisch in die Lage versetzt wird, dereinst nicht nur sich selbst und ihre Kinder, sondern auch ihre Alten mit zu versorgen.

Die Aussicht auf so viel Vernunft in Brüssel und Frankfurt ist gering. Denn noch immer ist die Meinung tonangebend, die Notenbank müsse ein unabhängiges Instrument des Marktes sein und kein finanzpolitisches Organ des Staates. Der Staat soll nicht das Primat über die Wirtschaft haben, sondern Diener privater Wirtschaftsinteressen und diesen gegenüber damit praktisch Bittsteller bleiben.

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Quelle:
Das Blättchen Nr. 24/2013 vom 25. November 2013, Online-Ausgabe
Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft, 15. Jahrgang
Herausgeber: Wolfgang Sabath, Heinz Jakubowski
... und der Freundeskreis des Blättchens
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. November 2013