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DAS BLÄTTCHEN/1313: Russland setzt auf die G-20 - Teil 2


Das Blättchen - Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft
16. Jahrgang | Nummer 16 | 5. August 2013

Russland setzt auf die G-20

von Alexander Rahr



Wie wird sich die neue Weltordnung gestalten - nach dem westlichen globalistischen Konzept oder nach einem multipolaren Konzept Russlands und der BRICS Staaten?

Russland steht auf dem Standpunkt - und hier unterscheidet es sich vom Westen - dass die Konfrontationslinien der Weltpolitik des 21. Jahrhunderts nicht mehr nach dem Schema freiheitliche versus totalitäre Gesellschaftsordnungen verlaufen werden wie im 20. Jahrhundert. Die größte Sorge betrifft dabei die Versorgungslage auf unserem Planeten. In den kommenden 40 Jahren steht die Weltbevölkerung vor einer nie da gewesenen demografischen Explosion - von sechs auf neun Milliarden Erdbewohner. Noch wird die Weltpolitik von Staaten dominiert, die über Atomwaffen verfügen. Doch die Vermutung liegt nahe, dass andere Kriterien die Machtkonstellation der Welt des 21. Jahrhundert bestimmen werden.

Angesichts der immer spürbareren Rohstoffkrisen könnte die Weltwirtschaft durchaus stärker von Ländern kontrolliert werden, die die notwendigen Bodenschätze besitzen. Allein die Möglichkeit des Preisdiktats und der Kontrolle über die globalen Transportrouten wird diesen Ländern ungeheure Macht verleihen.

Inwieweit diese Themen heute schon Konflikte bergen, zeigt sich derzeit im Energieverhältnis EU - Russland. Die EU tut alles, um russische Energieflüsse nach Europa zu diversifizieren oder gar zu schwächen. Die EU hat Angst vor einer Energiesupermacht Russland. Russland tut seinerseits alles, um Abhängigkeiten der Energieversorgung aufrechtzuerhalten. Russland zeigt dabei allerdings keine Anzeichen, moderne soft power zu entwickeln - das notwendige Instrument, um in der heutigen Welt erfolgreich Einfluss zu nehmen. Eine Energieallianz EU - Russland wäre der gelungene kooperative Ansatz, der überdies zur Vereinigung Kontinentaleuropas führen könnte.

Die globale Erderwärmung könnte zu Kriegen um Nahrungsmittel, landwirtschaftliche Nutzflächen, Trinkwasser und Rohstoffe führen. In Russland fragen sich Analytiker, ob sich Moskau angesichts der Gefahr von weltweiten Umverteilungskämpfen nicht auf die militärische Verteidigung seines rohstoffreichen sibirischen Areals konzentrieren müsste. Fast 79 Prozent des russischen Handelsvolumens mit der Außenwelt sind Rohstoffe und Energieträger. Deshalb hört der Kreml genau hin, wenn in westlichen Think Tanks Ideen entworfen werden, alle strategisch wichtigen Rohstoffreservoire der Welt einer internationalen Kontrolle zu unterstellen. Würden dann Staatsgrenzen, wie heute schon bei Menschenrechtsverletzungen, keine Rolle mehr spielen? Im Westen wird darüber diskutiert, ob Staaten, die mit Bodenschätzen und Rohstoffen gesegnet sind, diese als ihr souveränes Monopol betrachten dürften, wenn woanders die Weltbevölkerung hungert und friert. Ist es heute so utopisch, sich einen UN-sanktionierten Krieg gegen einen Staat vorzustellen, der durch massive Umweltverschmutzung gegen den internationalen Klimaschutz verstößt?

Wir wissen nicht, welche politischen Systeme für diese Art von Bedrohungen von morgen die richtigen Antworten finden, welche politischen Zukunftsmodelle in der Lage sein werden, ihre wachsenden Bevölkerungen zu ernähren und zufriedenzustellen. Wir wissen nicht, ob den westlichen Demokratien morgen nicht ihre wirtschaftlichen Ressourcen ausgehen könnten. Wir wissen auch nicht, ob die staatskapitalistischen Modelle die Zukunft besser gestalten können als die heutigen sozial-marktwirtschaftlichen, liberalen Demokratiesysteme. Für unsere Politik wäre es daher empfehlenswert, eine strategische Debatte über diese Fragen mit der BRICS-Gruppe (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika) zu führen, anstatt diese zu ignorieren - im Sinne der Entwicklung der künftigen Weltordnung und Weltregierung.

Russland ist federführend beim Aufbau mehrerer neuer multilateraler Organisationen, die in ihrer Einheit - von der sie heute noch weit entfernt sind - durchaus ein Gegengewicht zu den westlichen Institutionen bilden können. Die stärkste Organisation ist die Schanghai Organisation für Zusammenarbeit, die nach dem Abzug der NATO aus Afghanistan eine stabilisierende Rolle an der Grenze Eurasiens zum Großen Mittleren Osten spielen wird. Auf dem postsowjetischen Territorium entwickelt sich die Eurasische Union zu einer wirtschaftlichen Organisation. Die Organisation des Vertrages der kollektiven Sicherheit ist vor allem für Zentralasien ein militärischer Faktor. Darüber hinaus hat Russland die Gründung einer Gas-OPEC mit initiiert - bislang zwar ein zahnloser Tiger, aber durchaus mit Entwicklungspotenzial im Falle energiepolitischer Konflikte in der Zukunft.

Für die Unterstützung seiner Idee einer multipolaren Weltordnung braucht Russland China. Und umgekehrt. Nur gemeinsam können sie die Wandlung der G-8 in eine G-20 vollenden und den seit 70 Jahren währenden Washingtoner Konsens des liberalen Welthandels verändern, diesen neu ordnen und die WTO reformieren. Russland und China sind allein für diese Aufgabe allerdings zu schwach. Aber die Stärkung des Forums der BRICS-Staaten, deren addiertes Bruttoinlandsprodukt bald 40 Prozent der Weltwirtschaft ausmacht, könnte der Agenda zusätzliches Gewicht verleihen.

Wie eine einheitliche Wirtschafts- und Sicherheitsordnung in Asien aussehen könnte, ist heute unklar. Ihre Konturen hängen vom Wachstum Chinas ab. Aber Asien wird sich nicht nach der G-8-, sondern nach der G-20-Gruppe orientieren.

In den nächsten Jahren wird die Frage, ob Russland die ehemaligen Sowjetrepubliken wieder an sich binden kann oder nicht angesichts der neuen Sicherheitsgefahren in der Welt zweitrangig erscheinen - nicht zuletzt, weil es ein russisches Imperium im früheren Sinne nicht mehr geben kann. Ob Russland demokratisch oder zentralistisch regiert wird, den Ideen der Marktwirtschaft oder des Staatskapitalismus folgt, ist angesichts der zu meisternden Gefahren in der Welt von morgen nicht mehr relevant, denn die künftigen Konfliktlinien verlaufen nicht mehr in Ost-West-Richtung, sondern zwischen Nord und Süd. Doch angesichts der Rückkehr Russlands zur autoritären Herrschaft unter Putin hat der Westen sein - nie besonders ausgeprägtes - Interesse an einem gemeinsamen Haus Europa mit Russland aufgegeben. Die für Russland negativen Entwicklungen in Europa treiben das Land deshalb immer weiter nach Asien, in andere Bündnisse, die Verfechter der Idee einer multipolaren Weltordnung sind. In konservativen Teilen der russischen Bevölkerung scheint diese Orientierung auf Widerhall zu stoßen.

Vorläufiges Fazit: Niemand im globalen Staatengefüge wird freiwillig auf Macht und Einfluss verzichten, und der Westen ist überzeugt von der Zukunftsperspektive seiner "universellen" Werte. Außerdem ist der Westen noch immer vereint, verfügt über das stärkste Militärpotenzial und wird seine Rivalen wie Russland, China, Indien und andere auch künftig gegeneinander auszuspielen suchen. Aber wie lange noch werden die Voraussetzungen dafür wirken?

Der erste Teil dieses Beitrages erschien in Ausgabe 15/2013.

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Quelle:
Das Blättchen Nr. 16/2013 vom 5. August 2013, Online-Ausgabe
Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft, 15. Jahrgang
Herausgeber: Wolfgang Sabath, Heinz Jakubowski
... und der Freundeskreis des Blättchens
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. August 2013