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DAS BLÄTTCHEN/1281: Ein Albtraum


Das Blättchen - Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft
16. Jahrgang | Nummer 8 | 15. April 2013

Ein Albtraum

von Wilfried Schreiber



Seit einigen Wochen habe ich regelmäßig einen Albtraum: Es ist der 22. September 2013; ich stehe in der Wahlkabine zur Bundestageswahl und kann mich nicht entscheiden. Als friedensbewegter Bürger liegt meine Sympathie bei den Linken. Aber wenn ich bei denen das Kreuz mache, weiß ich, dass ich damit keinen unmittelbaren Einfluss auf die Regierungsbildung ausüben kann. Ich überlasse damit dem Zufall, welche Koalition die Regierung bildet: Schwarz-Gelb, Rot-Grün oder Schwarz-Rot - die große Koalition. Die Linken haben von vornherein deutlich gemacht, dass sie mit keiner anderen Bundestagspartei koalieren können. Sie müssten die absolute Mehrheit erhalten. Diese Erwartung ist aber nicht sehr realistisch. Ich könnte mich mit den Linken also von vornherein nur für die Stärkung einer Oppositionspartei entscheiden. Das muss keine falsche Entscheidung sein.

Ich will aber Einfluss auf die Zusammensetzung der nächsten Bundesregierung ausüben. Mich erfüllt mit Sorge, dass im Herbst dieses Jahres eine Regierungskoalition zustande kommen könnte, die wieder deutsche Soldaten in Krisenländer schickt, um dort im Namen der Menschenrechte Menschen zu töten. Ich will eine Regierung, die das nicht tut. Ich will zumindest eine Koalition, bei der diese Option so gut wie ausgeschlossen ist. Außer bei den Linken bin ich mir aber bei keiner der im Bundestag vertretenen Parteien sicher, ob sie sich in dieser Frage konsequent ablehnend verhält. Dabei gibt es in dieser Hinsicht bei den anderen Bundestagsparteien durchaus Unterschiede. Was die Nichtentsendung von kämpfenden Soldaten betrifft, bin ich mit der Regierung Merkel seit etwa zwei Jahren durchaus zufrieden. Sie hat sich im Februar 2011 bei der Entscheidung im UN-Sicherheitsrat zur Einrichtung einer Flugverbotszone in Libyen der Stimme enthalten. Das war zwar halbherzig, aber Deutschland hat sich aus dem Krieg der NATO gegen das Gaddafi-Regime weitgehend herausgehalten, der mindestens 50.000 Libyer n das Leben gekostet hat. Zumindest gehörte Deutschland nicht zu den Bombenwerfern, die das UN-Mandat für die Flugverbotszone zu einem militärisch erzwungenen Regimewechsel missbraucht haben. Auch in der Syrienfrage verhält sich die schwarz-gelbe Regierung relativ zurückhaltend. Sie ist gegen die direkte militärische Einmischung in einen Bürgerkrieg, dem nach UNO-Angaben schon mehr als 70.000 Menschen zum Opfer gefallen sind und lehnt Waffenlieferungen an die Kriegsparteien ab.

Die militärische Zurückhaltung bei den Konflikten in Libyen und Syrien hat der Regierung Merkel bei einigen NATO-Verbündeten und den deutschen Bellizisten viel Ärger eingebracht. Bis heute wird diese Regierung von Medien und Politikern als pazifistisch denunziert - ein Vorwurf, der mir so unsympathisch gar nicht ist. Aber er ist natürlich sachlich falsch. Schwarz-Gelb führt seit 2009 den Krieg in Afghanistan fort, an dem Rot-Grün sich von Anfang an beteiligt hatte, und war erst dann bereit, über eine Rückführung der deutschen Truppen aus Afghanistan zu reden, nachdem auch die Amerikaner die Aussichtslosigkeit des Kampfes erkannt hatten. Da waren die ebenfalls an ISAF beteiligten Kanadier und Niederländer schon auf dem Heimweg. Außerdem ist nur von einem Abzug der Kampf-Truppen aus Afghanistan die Rede; über 3.000 Bundeswehrsoldaten werden wohl auch über das Jahr 2014 hinaus zur Ausbildungsunterstützung und "Sicherung" in Afghanistan verbleiben.

Ähnlich inkonsequent verhält sich die Merkel-Regierung zu anderen Konflikten. In Libyen waren zwar deutsche Soldaten nicht direkt an den Luftschlägen, wohl aber in den NATO-Stäben an der Zielplanung und Trefferauswertung beteiligt. Im Umfeld des syrischen Bürgerkriegs beteiligt sich die Bundeswehr an Aufklärungsaktionen und hat rund 300 Soldaten mit Patriot-Luftabwehrraketen an der türkischen Grenze zu Syrien stationiert. Im Falle der Verhängung einer Flugverbotszone über syrischem Territorium durch die NATO oder eine Koalition von Willigen, wäre auch Deutschland automatisch Kriegspartei. In Mali leistet die Bundesregierung logistische Hilfe für die französischen Kampftruppen und schickt Ausbilder für die malische Armee. Es ist erkennbar, dass sich die Regierung Merkel an internationalen Militäreinsätzen immer nur in einem solchen Maß beteiligt, dass die deutsche Bevölkerung nicht zu unruhig wird. Die Friedensbewegung hat also durchaus eine Wirkung.

Als Ausgleich für die relative Zurückhaltung beim Einsatz von Kampftruppen hat die Bundesregierung eine Lösung gefunden, die in den deutschen Medien gegenwärtig auch als "Merkel-Doktrin" diskutiert wird. Demnach will Deutschland nur noch "im Notfall" Soldaten in Krisengebiete schicken. Stattdessen sollen die "Partnerländer" in den Konfliktregionen durch Rüstungsexporte "ertüchtigt" werden, um selbst für Frieden und Sicherheit sorgen zu können. Das hat den Vorzug, deutsche Soldaten zu schonen und gleichzeitig der deutschen Rüstungsindustrie lukrative Aufträge sichern zu können. Allerdings gilt nach dem deutschen Kriegswaffenkontrollgesetz seit 1961 ein Exportverbot für deutsche Militärtechnik in Krisengebiete. Damit soll verhindert werden, dass deutsche Waffen in falsche Hände geraten und Spannungen in diesen Gebieten angeheizt werden. Trotz dieses Gesetzes verlagerte sich jedoch der Schwerpunkt deutscher Waffenlieferungen in den vergangenen Jahren gerade in die potenziellen und realen Spannungsgebiete in Nahost, Südostasien und Nordafrika. Zu den Großimporteuren für deutsche Waffen gehören inzwischen die autoritären Regimes in Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE). Auch Israel, Ägypten und Algerien gehören zu den Empfängerländern für deutsche Waffen in der Krisenregion.

Ob nun die Bundesrepublik an dritter oder inzwischen wieder an fünfter Stelle in der Welt steht, ist eigentlich sekundär: Deutschland gehört schon lange zu den größten Waffenexporteuren weltweit. Und daran sind die sozialdemokratische und auch die grüne Partei nicht schuldlos. Jedes Jahr werden in Deutschland etwa 16.000 Exportanträge für Rüstungsgüter gestellt. Davon werden weniger als 100 Anträge abgelehnt - etwa 0,005 Prozent. Unter Rot-Grün wurden laut Rüstungsexportbericht für 2003 Einzelgenehmigungen für Ausfuhren in sogenannte Drittländer - also in Länder außerhalb der NATO und der EU - im Wert von 1,6 Milliarden Euro erteilt. Die große Koalition, also Schwarz-Rot, stellte dann 2008 mit Drittländergenehmigungen im Wert von 3,1 Milliarden Euro einen Rekord auf. Insgesamt haben sich die Ausfuhrgenehmigungen in Drittländer in den letzten 10 Jahren wertmäßig verdreifacht. In dieser Frage gibt es also bei den vier potenziellen Regierungsparteien keinen wesentlichen Unterschied.

Kritischer hingegen sind die unterschiedlichen Akzente dieser Parteien bei der bisherigen Diskussion um die Entsendung von deutschen Kampftruppen in Krisenländer zu bewerten. Hier darf nicht übersehen werden, dass es ausgerechnet die rot-grüne Bundesregierung unter Gerhard Schröder war, die Deutschland nach dem zweiten Weltkrieg erstmals wieder in einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg geführt hat. Bis dahin galt für deutsche Politik der Grundsatz: "Nie wieder Faschismus und nie wieder Krieg." Die rot-grüne Bundesregierung - genauer gesagt - der grüne Außenminister Joschka Fischer, verdrehte diesen Grundsatz durch die Instrumentalisierung von Auschwitz zu der Parole "nie wieder Faschismus und deshalb Krieg". Das war die Rechtfertigung für die Teilnahme der Bundeswehr an den nichtmandatierten Luftschlägen der NATO 1999 gegen Belgrad, die zu der völkerrechtlich fragwürdigen Abtrennung des Kosovo von Serbien führten. Trotz der gegenwärtigen Kritik aus den Reihen von SPD und Bündnisgrünen an der Außen- und Sicherheitspolitik der Regierung Merkel habe ich daher Zweifel daran, ob diese Parteien - hätten sie denn in den letzen Jahren reale Regierungsmacht ausgeübt - einen aktiven Truppeneinsatz in Libyen, Syrien und auch Mali ebenso verweigert hätten. Dies und der moralische Rigorismus, mit dem sich vor allem die Grünen für die sogenannte "Schutzverantwortung" engagiert haben, begründen meine friedenspolitischen Befürchtungen vor einer Bundesregierung, an der SPD oder Bündnisgrüne beteiligt sein könnten.

Mein Traum dreht sich also um die Frage, was passiert mit deutschen Soldaten, wenn Rot-Grün gewinnt und Schwarz-Gelb verliert. Oder die FDP sogar ganz aus dem Bundestag fliegt und eine große Koalition von CDU/CSU und SPD wieder die Regierungsgeschäfte übernimmt. Erschrocken und schweißüberströmt wache ich auf: Ich habe die FDP gewählt. Es ist ein Albtraum. Samuel hilf!

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Quelle:
Das Blättchen Nr. 8/2013 vom 15. April 2013, Online-Ausgabe
Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft, 15. Jahrgang
Herausgeber: Wolfgang Sabath, Heinz Jakubowski
... und der Freundeskreis des Blättchens
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. April 2013