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DAS BLÄTTCHEN/1179: Barbaren


Das Blättchen - Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft
15. Jahrgang | Nummer 6 | 19. März 2012

Barbaren

von Werner Richter


Ich schäme mich unserer Humanität. Nicht dieser an sich, aber der, die wir anderen vorspielen. Die, die wir den Chinesen vorstellten, auf dass sie in sich gingen. Die, über die auch der große Humanist F II aufklären ließ. Und siehe, die Chinesen zuckten die Achseln oder grinsten oder grinsten achselzuckend. Barbaren eben.

Mit welcher Traute werfen wir Putin "mangelnde Demokratie" an den Kopf, heimlich ihm doch dankend, an unserer Nato-Süd-Ost-Flanke die barbarischen Barbaren gestoppt zu haben. An der Südflanke, Jugoslawien, haben wir selbst aufgeräumt, im Kaukasus ist es uns so lieber, wer weiß, welche Ansprüche die Türken, nachdem sie unsere Kastanien aus dem Feuer geholt, geltend gemacht hätten. Besser, wir geben denen tatsächlich nur den kleinen Finger und passen auf. In Afghanistan machen wir mit, weil die Amis die saudische Al Kaida dort vernichten müssen, der sich so leicht der 11. September unterjubeln ließ; sie wollte es ja auch so. Und aus Freundschaft, die bekanntlich auch gilt, wenn der Freund jemanden erschlagen will, da macht man eben mit, aus Freundschaft, im Namen der Humanität natürlich. Also, die Demokratie am Hindukusch verteidigen, Schulen, Krankenhäuser, Straßen bauen war unser Sinn. Dass daraus nicht viel wurde, liegt nicht an uns, sondern an den afghanischen Barbaren, die es nicht zu schätzen wussten, als wir nach vielen Jahren den ersten Kilometer Straße einweihten. Zu viel mehr reichte es nicht, leider. Notgedrungen wurden neun Zehntel der Verfügungsmittel in Bestechung, militärische Jagdzüge, Vernichtung von "Talibandörfern" mit ziemlichen Kollateralschäden und Ausbau von Stützpunkten gesteckt. Die können wir leider nicht mehr verlassen, keine Schulen bauen. Schulen sind ja auch inzwischen verdammt unsicher. Wer hat Schuld? Na ja, wie gehabt.

Dabei haben solche Anlässe uns so effektiv geholfen, nicht unsere vitalen Interessen zu offenbaren: Sicherung unseres natürlichen Rechts auf Zugang zu den restlichen Weltrohstoffreserven, einschließlich der Transportwege, für europäische (sprich deutsche) Konzerne. Der Bundes-Horst hatte das nicht begriffen, er plauderte dies frisch, fromm, ahnungslos aus, der Heini. Im Irakkrieg klappte es mit diesem Trick auch - der böse, barbarische Despot musste aus humanitären Gründen weg, wegen hunderter Toter, deren Skalpe er sich an den Gürtel heftete. Mit Mann und Maus waren wir da nicht dabei, wäre rein wahltaktisch nicht sehr klug gewesen. Aber da die Amis uns sowieso nicht mit rangelassen hätten, finanzierten wir mit sauberen Händen die Amis. Hunderttausend Tote? Aber, das kann man doch nicht vergleichen, das wäre Äpfel mit Birnen...! Und der schöne Schein unserer Beweggründe blieb gewahrt, keiner sprach über die Gefahr, die Saddams Pläne, Ausstieg aus der Dollar-Verrechnung bei Erdöl und im Außenhandel, eigener regionaler Wirtschaftsverband im vorderasiatischen Raum ohne Einfluss der USA, auch für die EU-Interessen darstellten. Dito in Libyen: Welches Geschrei hätte angehoben, wenn wir Gaddafi zur Aufgabe seiner Projekte - zentralafrikanischer Wirtschafts- und Entwicklungsraum mit unabhängigen Banken, eigenem Währungssystem ohne Dollar und Euro, relativ billige Bewässerung großer Wüstenstriche aus riesigen unterirdischen Wasserreserven ohne teure US- oder Euro-Meerwasserentsalzungsanlagen - gedrängt und letztlich mit Invasion gedroht hätten? So konnte nach bewährtem Schema der Tyrann an den Pranger gestellt, die gierigen Stammesrivalen zu demokratischer Opposition umbenannt und bewaffnet werden, damit Gaddafi ja nicht auf die für uns katastrophale Idee gekommen wäre, sich mit der tatsächlich bis dahin zivilisiert auftretenden demokratischen Opposition an einen Tisch zu setzen. Ein kleiner netter, unbegründet bewaffneter Aufstand beendete das sich anbahnende Unheil, neue, eigene "Demokraten" übernahmen das Ruder. Die zehntausenden Toten, das Morden ist noch in vollem Gange, aber Gott sei Dank bleibt hier das Tuch des Schweigens wirksam, waren unseren Interessen schon angemessen. Und in Syrien läuft es genauso.

Überall in der Welt rufen wir Humanität und Demokratie und sichern uns die Wahrung unserer vitalen Interessen, ohne diese zu benennen. Das ist auch Barbarei, aber zivilisierte. Und genau darin unterscheidet sich beispielsweise Frau Merkel von Herrn Putin. Natürlich ist er ein Barbar in einem ganz bestimmten Sinne. Sie, also wir, aber auch - in einem anderen. Eigentlich ist Putin der ehrlichere, er verbrämt seine Ziele nicht, und manchmal warnt er seine Gegner, bevor seine Schergen zuschlagen: Wenn die Opposition sich gegen mich stellt, muss sie damit rechnen, einen Knüppel auf die Rübe zu kriegen! So könnte Mutti nicht auftreten, sie bedauert hinterher die jahrelang offiziell von ihren Behörden diskriminierten Opfer rechter Gewalt, erklärt die "Pannen" mit ungenügender Koordination sowie menschlichem Versagen und sowieso als Einzelfälle. Sie lässt den von Nazis gegründeten "Verfassungsschutz", dessen vornehmliche Aufgabe der Kampf gegen links immer noch ist, ungeschoren weiter konzentriert nach Opfern linker Gewalt suchen.

Ach, wäre doch Putin geistig etwas beweglicher, nicht so starr in seiner Denkschablone gefangen; er könnte westlichen Interviewern gelassen grinsend einige der gut versteckten Kellerleichen der humanitären Barbarei zeigen, so wie einst Sadr im Südirak Journalisten in Verlegenheit gebracht hatte. Nun ja, die Barbarei unterschiedlicher Art ginge auch dann unvermindert weiter. In Russland werden Gegner des Regimes von beliebigen subalternen Dienern einfach abgeknallt, in unseren zivilisierten Ländern nur die, gegen die ein demokratisch legitimierter Befehl gegeben wurde, bisher aber nur im Ausland. Bisher.

Kein Mensch käme bei uns auf die Idee, die Verantwortlichen für gesellschaftlich begangenen Mord zu richten, man wäre dann ja Terrorist. Spekulanten, die Hunger und Tod für Profit in Kauf nehmen, brauchen nicht unruhig werden. Gelegentliches moralisches Naserümpfen läßt sie ganz honorige Zeitgenossen oder Leistungsträger bleiben.
Ich füge mich hilflos in dieses Schema. Auch dafür schäme ich mich.


*


Quelle:
Das Blättchen Nr. 6/2012 vom 19. März 2012, Online-Ausgabe
Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft, 15. Jahrgang
Herausgeber: Wolfgang Sabath, Heinz Jakubowski
... und der Freundeskreis des Blättchens
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. März 2012