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CORREOS/206: «Zentralamerikanischer Frühling»


Correos de las Américas - Nr. 183, 23. Dezember 2015

«Zentralamerikanischer Frühling»
Die «Bekämpfung» der Korruption als trojanisches Pferd

von Dieter Drüssel


Die Bewegungen in Guatemala und Honduras, die gegen enorme Korruptionsfälle der Regierungen auf die Strasse gingen, weisen inspirierende, aber auch negative Charakteristika auf (zu Guatemala s. Kopf oder Zahl im guatemaltekischen «Frühling»? in diesem Heft). Es reicht nicht, sich an einer «Zivilgesellschaft» zu erfreuen, den derzeitigen Ausgang der Sache in Guatemala etwas skeptisch zu bewerten und unverdrossen auf weitere Bravourstücke der «Zivilgesellschaft» im sogenannten «zentralamerikanischen Frühling» zu hoffen. Wir hörten aus Guatemala wiederholt von rassistischen Momenten in der hauptstädtischen, von einer Ladino-Mittelschicht geprägten, Mobilisierung gegen jene auf dem Land (indigen geprägt). Wo es über den Kampf gegen die Korruption hinaus gegen Megaprojekte wie die Minen, für eine Agrarreform u. ä. gegangen ist. Und es gibt auch den Aspekt des imperialen Managements dieses «Frühlings».

Tom Shannon ist einer der zentralen Politiker des US-State Departments unter den Clinton-/Obama-Administrationen in Sachen Lateinamerika. Er war in diesem Jahr beispielsweise der Sondergesandte Obamas für die Beziehungen mit Venezuela. Wenn er Grundsätzliches sagt, ist das kaum unüberlegtes Wischiwaschi. Letzten Juli erläuterte Shannon an einer Konferenz in der Madrider Casa de América die US-Politik zu Zentralamerika. Dazu schreibt die mit organisierende Nachrichtenagentur Efe: «Der Berater des US-State Departments, Thomas Shannon, hob Zentralamerika als 'eine der fünf Prioritäten' der US-Aussenpolitik hervor, zusammen mit Iran, Russland, China und dem sogenannten Islamischen Staat.»(1)

Wie bitte? Zentralamerika als eine der fünf globalen US-Prioritäten? Für dümmliche Schaumschlägereien ist der Stratege nicht bekannt. Er hat seine Gründe für diese Aussage, wie uns der Artikel weiter aufklärt: «Shannon erklärte, dass die derzeitige Herausforderung für diese Länder in Problemen der 'zweiten Generation' liegt, mit denen sie nach den bewaffneten Konflikten der 1980er Jahre konfrontiert sind. Er bezog sich auch auf die 'institutionelle und menschliche' Krise an den Grenzen der USA 2014, nachdem 'mehr als 60.000 Kinder' aus Guatemala, Honduras und El Salvador ohne Begleitung von Angehörigen angekommen waren

Wir erinnern uns: Die «Kinder» - meist Jugendliche - suchten, so vernahmen wir bald, in den USA Zuflucht vor der Gewalt der ehemaligen Strassenbanden, der Maras (s. Kasten unten). Ein falscher, aber dominierender Diskurs. Und Obama, ein Mann mit Herz, begann angesichts dieser Tragödie Verhandlungen über einen Asocio para la Prosperidad (APP, Partnerschaft für Prosperität) mit den Präsidenten der drei Herkunftsstaaten. Laut Plan soll Washington dafür $675 Mio. aufwenden, die drei Länder ein Mehrfaches. Der APP soll eine sozioökonomische Erweiterung der vor allem aufs Militärische ausgerichteten CARSI-Initiative darstellen (Central America Regional Security Initiative). Er soll die Politik verschiedener US-Behörden (State Department, USAID, Homeland Security u.a.) und der drei Regierungen in «Sicherheitsbelangen» mit der sogenannten «community based strategy» verknüpfen, wie Shannon an seiner Pressekonferenz in Honduras sagte(2). Die Mara-Gewalt in Unterklassenzonen sei mit Armut verbunden und bedürfe folglich integraler Lösungen. Es gehe, so Shannon darum, «unsere Zusammenarbeit bei den vier Achsen des APP zu perfektionieren, also bei Sicherheit, Prosperität, wirtschaftlicher und sozialer Unterstützung und bei der Gouvernabilität, speziell dem Kampf gegen Korruption» (id.).

Gouvernabilität: Mit der sog. Kindermigration nahm Washington massiv Anlauf für die seit einigen Jahren propagierte Adaption des Modells CICIG (Internationale Kommission gegen Straffreiheit) in Guatemala.Also jener internationalen Strafverfolgungsbehörde, die, mit grossen Vollmachten ausgestattet, bestimmte Korruptionsfälle geahndet hat. In Guatemala und im Ausland erhält die CICIG viel Lob. Tatsächlich hat sie einige mächtige Leute aus der lokalen Elite ins Gefängnis gebracht oder in die Flucht getrieben, zuletzt den damals noch amtierenden Präsidenten Pérez Molina. Doch in einem Land, dessen Gewalt- und Herrschaftsstrukturen nicht nur auf eigenem Boden gewachsen, sondern international durchsetzt sind - man denke nur an die Morde an Protestierenden gegen transnationale Minenprojekte u. ä. - ist der CICIG diesbezüglich noch nie etwas aufgefallen. Besonders eklatant wurde dies bei ihrer aktiven Beihilfe (so ihre abgesetzte Spitzenermittlerin) zur Vertuschung internationaler Komponenten im aufsehenerregenden Mord an drei salvadorianischen Abgeordneten des zentralamerikanischen Parlaments 2007 (s. Correos 164, 9.12.10). Pérez Molina, der alte Kriegsverbrecher, hatte anfangs den Fehler gemacht, sich gegen die ihm von US-Vizepräsident Joe Biden «vorgeschlagene» Verlängerung des CICIG-Mandats auszusprechen(3). Die CICIG machte darauf die Korruptionspraxis in der Zollbehörde bekannt, was ihn und seine Entourage schliesslich stürzen liess.

In Honduras gingen die Menschen, die indignados, monatelang in Fackelzügen auf die Strasse, anfangs «nur» wegen eines $350-Millionen-Diebstahls aus der Sozialversicherung. Mit dabei die Volkswiderstandsfront FNRP und ihre Partei Libre. Forderung: Rücktritt des Präsidenten Juan Orlando Hernández (JOH) und Installation einer honduranischen «CICIG». JOH sperrt sich natürlich dagegen. Nicht so die US-Botschaft in Tegucigalpa, die zur Feier von Shannons Juli-Besuch ihr Gebäude mit Fackeln schmückte. Und Shannon machte an der erwähnten Pressekonferenz in Honduras aus seinem Herzen keine Mördergrube: «Diese Proteste sind keine Krise,sondern zeigen klar, dass das honduranische Volk seine Stimme zurückerlangen will ... Wir befinden uns in einem demokratisch sehr lebhaften Moment in den drei Ländern des Norddreiecks, vor allem in Honduras und Guatemala ... [Dies] zeigt nicht nur die Lebendigkeit der Demokratie, sondern auch, dass unterschiedliche Sektoren - viele Honduraner, vor allem aus der Mittelschicht - wahrnehmen, dass Bürger sein heisst,die Regierung zu fordern

Der dies sagt, ist der Gleiche, der in der unmittelbaren Nachputschzeit 2009 einen Deal zwischen den Putschisten und dem gestürzten Präsidenten Mel Zelaya betreffs dessen Rückkehr nach Honduras eingefädelt hatte. Der Deal zeitigte zwei Folgen: ein Abflauen der Strassenproteste und eine internationale «Aufwertung» der Putschisten, keine Rückkehr Mels. Achselzuckend verwies Shannon dann darauf, dass die Putschführung halt doch keine Rückkehr Zelayas wünsche. Shannon wurde letzten Juli nicht müde zu betonen, dass die Frage der CICIGs einzig von den betroffenen Ländern entschieden werden könne, wobei es «für El Salvador und Honduras intelligent wäre, eine Hilfe der internationalen Gemeinschaft zu suchen»(4). Nun, zwar verneint die Regierung von JOH bis heute die Notwendigkeit einer «CICIG», doch der US-Senat hatte schon im Juli für eben eine solche in seinem APP-Budget «nicht weniger als $2 Mio.»(5) vorgesehen.

Warum stellen sich die USA gegen Verbündete wie Pérez Molina und JOH? Unklar, aber wohl zu Recht wird betont, das Pérez Molina sehr zum Ärger Washingtons kaum viel Enthusiasmus für einen US-geleiteten Drogenkrieg gezeigt hatte. Im Fall von Honduras vermutet einer der wenigen in Sachen «CICIG» (selbst-) kritischen Kommentare des FNRP in einem Bulletin seiner Mitgliedsorganisation Los Necios von Ende Oktober, JOH polarisiere derart stark mit seiner krass neoliberalen Politik, dass die Linkspartei Libre die nächsten Wahlen gewinnen würde. JOH stehe deshalb unter US-Druck, von seinen Allmachtgelüsten abzurücken und bei Zusicherung eigener Straffreiheit eine «CICIG» und eine nicht-linke Alternative zum eigenen Machtapparat zu akzeptieren.

Und in El Salvador? Neben der US-Botschaft macht hier die Rechte seit Monaten medialen Druck für eine «CICIG. Die gleiche Rechte, die noch jeden Schritt der FMLN-Regierung zur Bekämpfung der endemischen Korruption der traditionellen Eliten mit allen Mitteln, speziell auch einer weitgehend kontrollierten Justiz, bekämpft. Welches grosses «Frühlings»-Erwachen kam Shannon hier zu unterstützen? Keines. Die paar wenigen Strassenmobilisierungen waren trotz Medienhype ein totaler Reinfall. Der Versuch der Rechten, Korruption als Erfindung des FMLN darzustellen und gleichzeitig noch jedes korrupte Schwein freizukriegen, scheint ungeeignet für ein Klima der Mobilisierungen gegen den FMLN. Der nach unten ausstrahlt und orientiert. Tough luck, Shannon! Hier bedarf es offenbar noch handfesterer Hilfe from our friends. Zur gedeihlichen Bewältigung der Probleme der zweiten Generation.

«Nichts im Land hat sich wirklich geändert, ausser dass ich hier statt in der Präsidentschaft bin», sagte der gefangene Pérez Molina, der alte Kriegsverbrecher, der Politwissenschaftlerin Anita Isaacs(6). Ein Echo auf die Bemerkung der salvadorianischen Parlamentspräsidentin Lorena Peña: «Was hat ihnen die CICIG in Guatemala genützt? Sie hat den Drogenhandel nicht gestoppt, nicht den inneren Krieg, nicht die Korruption»(7).


Kasten:

«Unbegleitete Kinder». Meist liessen die Schlepper oder Angehörigen die Kids nach der US-Grenze die letzte Meile zur nächsten Behörde alleine gehen, um dort das Verfahren für eine Aufenthaltsgenehmigung auszulösen. (Die nächste Station, die menschenunwürdigen Kinderlager, waren kein Medienthema.) Beim Anschwellen 2013/14 der Migrationswelle der Kids spielte Obamas Minimigrationsreform eine Rolle. Befragungen des salvadorianischen Aussenministeriums aller deportierter oder in den US-Lagern festgehaltener Minderjährigen ergeben: Entscheidend als Motiv war die Hoffnung auf Familienzusammenführung. Die meisten Kids wollten in die USA zu ihren Eltern. Hauptauswanderungsgrund für die Erwachsenen: die Armut, lange vor Familie und Gewalt. Dass die Verhöre der Kids in den USA andere Zahlen ergeben, hat einen simplen Grund: Nur mit der Mara-Begründung gibt es Aussicht auf ein Aufenthaltsrecht. Doch daraus destillierte der transnationale Diskurs die überzeichnete Karikatur einer real gravierenden Mara-Bedrohungslage. Ähnliches läuft jetzt zum Thema «innere Vertriebene» in El Salvador. Der UNO-Flüchtlingsapparat UNHCR spricht von 288'900 intern von Maras und Kartellen Vertriebenen in diesem Land mit etwas mehr als 6 Mio. EinwohnerInnen. Die Zahlen hat er vom Norwegian Refugee Council, der wiederum hat sie von einer Umfrage der Jesuiten-Uni UCA Ende letzten Jahres. Selbst UCA-nahe Personen bezeichnen im persönlichen Gespräch die UCA-Hochrechnung als statistischen «Quatsch». Vermutlich fallen tausende, nicht hunderttausende Menschen unter die erwähnte Kategorie. Schlimm genug. Aber diese Zahlen fokussieren eine bestimmte Sicht auf «Sicherheit» mit Betonung der Notwendigkeit der «internationalen humanitären Aktion». Und erleichtern dem UNHCR und manchen NGOs die Suche nach Projektgeldern. Integration in den Diskurs vom failed state.


Anmerkungen:

(1) El País, 22.7.15: El consejero des Departamento de Estado de EEUU cree que «Centroamérica es una prioridad».

(2) La Tribuna, 8.7.15: Thomas Shannon: Marchas son gran oportunidad para que el gobierno responda al pueblo.

(3) La Prensa Gráfica, 11.7.15: Honduras recibe fondos para la lucha contra la impunidad.

(4) La Prensa Gráfica, 8.7.15: EUA alienta una comisión contra la impunidad.

(5) S. Fussnote 3.

(6) New York Times, 5.11.15: A Wrong Turn for Guantemalan Democracy.

(7) El Faro, 16.7.15: El Salvador y Honduras responden a EUA que no necesitan una CICIG.

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Quelle:
Correos de las Américas, Nr. 183, 23. Dezember 2015, S. 17-18
Herausgeber: Zentralamerika-Sekretariat, Zürich
Redaktion: Postfach, 8031 Zürich, Schweiz
Tel.: 0041-(0)44/271 57 30
E-Mail: zas11@sunrise.ch
 
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Abonnement: 45,-- CHF


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Februar 2016

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