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CORREOS/190: Liaisons dangereuses?


Correos de las Américas - Nr. 178, 22. August 2014

Liaisons dangereuses?

von Dieter Drüssel



Am 9. Juni 2014 hat das Wall Street Journal in lateinamerikanischen Zeitungen einen Artikel über die neuen Stars der sog. frontier economies publiziert (El capital mira a Nigeria, Argentina y Vietnam). Der Begriff frontier economies «bezeichnet generell Entwicklungsökonomien, die punkto Stabilität und Institutionalität unter den Schwellenländern liegen, aber grosse Gewinnchancen bedeuten», erläutert das WSJ. Der Artikel von Dan Berger beleuchtet den sog. Frontier Markets Sentiment Index, den das Consultingunternehmen Frontier Strategy Group extra für das Wall Street Journal geschaffen hat. «Der Index», so Berger, «widerspiegelt den Grad an Interesse der wichtigsten europäischen und US-Multis an als Grenzmärkte angesehenen Ländern.» FSG konsultiert dafür ihre rund 200 Kunden, darunter auch Novartis. Berger weiter: «Die Untersuchung liefert zwei Schlüsseldaten: zum aktuellen Gemütszustand bzgl. Grenzmärkten und zur Veränderung dieser Wahrnehmung im Lauf der Zeit. Das Unternehmensvertrauen errechnet sich als Prozentsatz der Unternehmen, die ein bestimmtes Land in ihre Beobachtungsliste aufnehmen. Wenn 50 der 200 Unternehmen Interesse an einem bestimmten Land zeigen, erhält dieses im Index 25 %.»

Am meisten Interesse wecken Länder Afrikas südlich des Sahels. Das WSJ findet es logisch, dass etwa Nigeria auf der Liste zu finden ist (man denke nur an das Öl), staunt dafür über die Präsenz von Äthiopien oder Tansania. Nun, man darf sich fragen, weshalb das Journal diesen neuen Index überhaupt erstellen lässt. Und so wenig es bei geostrategischen Investitionsentscheidungen um monokausale Prozesse geht, darf man doch ein wenig stutzig werden. Nigeria ... von diesem Land hört man in letzter Zeit doch eher in anderem Kontext. Da gibt es diese vor etwa 12 Jahren aus unbegreiflichen afrikanisch-islamischen Löchern hervorgekrochene und seit 5 Jahren für Schlagzeilen sorgende Boko Haram, deren Führer in Videobotschaften mit dreckigem Lachen zum angekündigten Sklavinnenverkauf geradezu zur internationalen «Intervention» aufruft, worauf die Präsidialfigur im Elysée flugs zu einem westafrikanischen Sicherheitsgipfel in Paris einlädt. Und welches Land führt die Liste der zweiten vom Journal beschriebenen Schlüsseldaten an, wer sonnt sich also besonders rasant wachsender Gunst der Multis? Ah, Pakistan. Auch nicht gerade ein Land der ruhigen Kugel, wie man vage aus den Nachrichten weiss. Andersrum: Hast du, liebe Leserin, lieber Leser, in den letzten Jahren im Zusammenhang mit Pakistan viel von wachsendem Investitionsinteresse gehört? Nein, dafür von Islamismus, unguten Horden, schrecklichem Morden? Gleich wie zu Nigeria? Und zu dort eigentlich auch kaum je von Investitionsstrategien?

Vielleicht haben wir hier ein Problem. Vielleicht gibt es eine Korrelation zwischen Profitkalkül und Terrorzuständen? Vielleicht gibt es Gemeinsamkeiten zwischen Nigeria und Pakistan einerseits und Honduras und Mexiko andererseits? Zu diesen beiden Ländern berichten wir in diesem Heft über die Einbettung des grauenhaften Drogenkriegs in transnationale Erschliessungspläne, in denen den Kartellen jene Funktion zukommt, die in Kolumbien die Paramilitärs ausüben: Angst, Terror, Hoffnung abwürgen, Gesellschaftlichkeit zerstören, den Multis die Bahn frei machen. Kartelle, Paras, al Kaidas - liasions dangereuses?

Hypothesen, was Nigeria und Pakistan betrifft. Aber etwas plausibler als das dumme Mediengeschwätz von «Experten» zu islami(sti)schen Untoten. Lass uns doch etwas mehr über Investitionsstrategien in globalen hot spots erfahren! Dann versuchen wir gerne, das mit Strategien für (noch?) ruhigere Regionen wie Argentinien oder Vietnam zu korrelieren.


John Kerry wäscht Paramilitärs weiss

«Die Umstände haben sich geändert». So zitiert das kolumbianische Blatt Semana (Los 'paras' ya no son terroristas para EE. UU., 16.7.14) die Begründung in einem vom Federal Register veröffentlichten Memo von Aussenminister John Kerry, warum er die kolumbianischen Paramilitärs von der Liste «terroristischer Organisationen» gestrichen hat. Diese seien seit Jahren demobilisiert, auch wenn einige in kriminellen Banden, im kolumbianischen Offizialjargon bacrim genannt, aktiv seien. In Banden, die, wie Semana eine State Department-Sprecherin zusammenfasste, weder «Struktur, politische Ziele noch die Kapazität für terroristische Handlungen» aufweisen. Im State Department achtet man auf Termine. Die «Entterrorisierung» der Paramilitärs kommt gerade recht auf den 15. August. Dann werden 200 Paramilitärs freigelassen, die zusammen, so Semana, «für 30.000 Opfer von Morden, Verschwindenlassen, Vertreibungen und sexueller Gewalt verantwortlich» sind. In Kolumbien nimmt der (para)militärische Terror zu. Er ist produktiv. Siehe dazu die gut recherchierte Dokumentation der niederländischen Organisation Pax über die langjährige Finanzierung der Paras im Departement Cesar durch die Minenmultis Drummond und Glencore (The Dark Side Of Coal, www.paxforpeace.nl/media/files/pax-dark-side-of- coal-final-version-web.pdf). Darin sagt etwa der nach einem Anschlag ins französische Exil geflüchtete Drummond-Gewerkschafter Rubén Morrón: «Bewaffnete Banden, die aus den Paramilitärs hervorgegangen sind, terrorisieren die Region weiter. Sie schüchtern all diejenigen ein, die Aufklärung, Gerechtigkeit, Wiedergutmachung und Landrückgabe verlangen.»

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Quelle:
Correos de las Américas, Nr. 178, 22. August 2014, S. 8
Herausgeber: Zentralamerika-Sekretariat, Zürich
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. September 2014