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CORREOS/187: Angespannte Tage in El Salvador


Correos des las Américas - Nr. 177, 28. April 2014

Angespannte Tage in El Salvador
Die Destabilisierungsstrategie der Rechten nach den Wahlen geht weiter. Doch bisher ist sie am FMLN gescheitert.

von Dieter Drüssel



Als die früher regierende ARENA in der Stichwahl von Sonntag, dem 9. März 2014, die Präsidentschaft verfehlte - wenn auch nur sehr knapp, mit 6364 Stimmen hinter dem FMLN - drückte ihr wahres Wesen durch. Ihr Kandidat Normán Quijano rief in der Wahlnacht die Armee zum Putsch auf.

In den folgenden Tagen legte die Rechtspartei laufend neue Versionen eines angeblich vom Obersten Wahlgericht TSE auf Befehl des FMLN und der «chavistischen Diktatur» organisierten Wahlbetrugs vor, die einander im Tagesrhythmus ablösten - die neue Version ersetzte die letzte, wenn für diese wieder kein Hauch von Beweisen vorgelegt werden konnte. Anfänglich «belegten» Urnenakten von ARENA einen Wahlbetrug - nur dass diese Partei sich hütete, diese Akten je vorzulegen. (In der vorläufigen Auszählung am Wahltag zählten die je 3-6 VertreterInnen der beiden Parteien die Stimmen aus und hielten die Ergebnisse in einer von ihnen unterschriebenen Urnenakte fest, von der die beiden Parteien, das Oberste Wahlgericht TSE, seine (temporären) Departementsorgane, die Generalstaatsanwaltschaft und die Menschenrechtsprokuratur je eine Kopie erhielten.) Die zweite, sogenannte definitive Phase der Auszählung begann - ebenfalls fein säuberlich im Wahlgesetz geregelt - zwei Tage später in einem vom TSE angemieteten Luxushotel. Dabei wurden alle Akten im Besitz der vorher erwähnten Parteien und Amtsstellen, deren obligatorische Beteiligung an diesem Prozess das Wahlgesetz festhält, mit den vom TSE publizierten Resultaten abgeglichen. Dies diente dazu, allfällige Fehler (wie Falscheingaben bei der Übertragung der elektronisch übermittelten Resultate aus den Wahlzentren oder Unstimmigkeiten in den Akten wie Rechenfehler oder Differenzen zwischen den Resultatsangaben in Zahlen und in Worten) zu beheben. Fehler übrigens, die die beteiligten Parteien jederzeit auf der Homepage des TSE überprüfen konnten (was sie auch taten). Bei dieser 2. Phase kaprizierte sich ARENA nicht etwa darauf, ihre famosen «Beweisakten» zu präsentieren, sondern gleich darauf, ihre VertreterInnen aus Protest gegen den «Wahlbetrug» abzuziehen. (Seit ARENA das Wahlgericht nicht mehr kontrollieren und für ihre Wahlbetrüge einsetzen kann, ist es nicht mehr «professionell».) Unter Druck der Wahlbeobachtungsmission der OAS und der US-Botschaft kehrte ARENA am Mittwochmorgen in die Auszählung zurück. Die Wahlmissionen der OAS und der EU hatten vorgängig die professionelle Arbeit des TSE bestätigt. Nun liess sich ARENA eine neue Taktik einfallen: An den Tischen zu den sieben Departements mit einem ARENA-Sieg ging die Überprüfung flott voran, an den Tischen zu den sieben Departements mit FMLN-Mehrheit dagegen überhaupt nicht. Hier mussten die ARENA-Leute stundenlang aufs WC, Familienangelegenheiten regeln - was immer. Resultat: Die laufend vom TSE veröffentlichten Zwischenresultate wiesen einen beständigen Trend zugunsten von ARENA auf, deren Führung das in unablässigen Medienauftritten als Scheitern des «chavistischen FMLN-Wahlbetrugs» bejubelte. Ein Grossteil der Bevölkerung hing in diesen Stunden an Radio und Fernsehen, die den Siegestrend von ARENA betonten, ohne anzumerken, dass die «FMLN-Departements» noch fehlten ...


Das Kalkül

Resultat: Konsternation bei den Unseren, Stimmung für mehr action im ARENA-Lager. Seit Montag früh versuchte sich die Rechtspartei nämlich in Strassenmobilisierungen - etwa vor dem TSE-Hotel. So sollte unterstrichen werden, was Quijano noch in der Wahlnacht verkündet hatte: «Wir sind hier nicht in Venezuela, wir sind in El Salvador». Hier würde sich die Rechte anders als in Venezuela nicht um ihren Präsidentschaftssieg betrügen lassen, hier würde von dieser Stunde an bis zur Anerkennung seines Sieges «ein Kampf auf Leben und Tod» toben. Nun, die grösste Mobilisierung, eben an diesem Mittwoch, erreichte eine magere Beteiligung von ein paar tausend Leuten, viele von ihnen gegen Bezahlung oder aus dem Personalpool der ARENA-Gemeindeverwaltungen rekrutiert. Eine «originelle Note» verpasste dafür der ARENA-Bürgermeister des hauptstädtischen Grossvororts Ilopango seiner «Protestmobilisierung». Er liess die Strassenblockaden von Gemeindeangestellten und Mitgliedern der gefürchteten «Strassenbanden» durchführen, die das auch effizient taten. Einem Autofahrer, der seine Mutter in die Notfall bringen wollte, nahmen sie etwa den Wagenschlüssel ab. Die meisten Medien, seit Monaten übervoll mit wahlstimmungsmachenden grausigen Meldungen über den Terror der Strassenbanden, sahen darin nichts Mitteilenswertes.

Das ARENA-Kalkül war klar: die Nachprüfung bis in den nächsten Tag hinein verzögern oder gleich verunmöglichen, um stimmungsmässig das Bild vom eigentlichen ARENA-Sieg zu verankern, der nur in letzter Minute durch eine Order aus Caracas gekippt worden sei. Faits accomplis schaffen über Strassenunruhen, wenn das Militär nicht putscht. Die Armeeführung hatte sich geschlossen vom Putschaufruf distanziert, ein bemerkenswerter Vorgang. Die US-Botschaft hatte am Montag einen Aufruf zur Ruhe publiziert. Die US-Botschaft wusste um die Schwäche eines faktischen Aufrufs zum Krieg in einem Land, in dem die Leute auf jede Chance setzen, der Gewalt im Alltag zu entfliehen. Parlamentarische Pseudolegitimierungsmechanismen wie in Honduras oder Paraguay sind in El Salvador angesichts der FMLN-Stärke nicht gegeben. Die US-Botschaft dürfte auf eine raffiniertere Alternative setzen: Entweder würde sich die neue Regierung unter Wahlgewinner Salvador Sánchez Cerén angesichts des knappen Resultats, der permanenten Druckmanöver der Rechten und der Einflüsterungen «aufgeklärter» Geister auf einen Washington-hörigen Kurs verpflichten lassen oder aber ein «venezolanisches Szenario» würde mit voller Kraft umgesetzt werden.

Der FMLN hielt sich in diesen Tagen von jeder Strassenmobilisierung zurück, er wollte nicht in die Falle von «Gewalt und Gegengewalt» laufen. Einige Tage später allerdings kamen an die 200.000 Leute an ein friedliches Siegesfest, eine kleine Kraftdemonstration.

Die Rechnung von ARENA, ihre «Siegesphase» propagandistisch zu verlängern, war an diesem Mittwoch nach den Wahlen nicht aufgegangen. Das TSE hatte am Nachmittag verordnet, nur noch vorgesehene Pausen zu bewilligen, die ARENA-VertreterInnen konnten nun den Prozess nicht mehr um Stunden aufhalten. In der Nacht auf Donnerstag, rechtzeitig für die entscheidenden Morgennews, gab das Wahlgericht die Resultate der definitiven Auszählung bekannt: FMLN 1.495.815 Stimmen, ARENA 1.489.451, oder 50.11 zu 49.89 %. Die Prozentstellen entsprachen damit exakt der provisorischen Auszählung von der Wahlnacht selber. Noch versuchte die Rechte mit Einsprüchen bei der Verfassungskammer des Obersten Gerichts eine Trendwende zu erreichen. Die neue Betrugsversion bestand jetzt in einem von den Medien dauernd ausgestrahlten Video, in dem ein maskierter Mann (später als Mitglied des ARENA-Sicherheitsdienstes im Parlament identifiziert) angab, als Gefängniswärter Zeuge gewesen zu sein, wie die Gefängnisleitungen Strafgefangenen Ausgang für die Stimmabgabe zugunsten des FMLN gegeben hätten. (Strafgefangene sind ihrer politischen Rechte verlustig). ARENA sprach von über 10.000 solcher Fälle, bei einer Gesamtzahl von ca. 24.000 Strafgefangenen (und 6.000 Untersuchungshäftlingen) ... Inspiriert setzte Generalstaatsanwalt Martínez (ARENA) ein ganzes Team auf die «Untersuchung» dieser Angaben an. Der gleiche Mann kommt dafür trotz harten Beweisen für die enorme Korruption eines früheren Staatspräsidenten, für den er gearbeitet hat, nicht vom Fleck - wohl bis in zwei Monaten die Verjährungsfalle zuschnappt. Der Absurdität der ARENA-Behauptungen zum Trotz «berichten» die Medien auch in diesem Fall atemlos über Tage. Man stelle sich 10.000 Gefangene vor, die alle nach der bösen Tat freiwillig in die Knäste zurückkehren! Man übersehe, dass die ParteienvertreterInnen an den Wahltischen bei allen WählerInnen penibel genau prüften, ob sie überhaupt im WählerInnenregister eingetragen waren; dass Strafgefangene vom Obersten Gericht automatisch dem Wahlregister zur Streichung gemeldet werden und dass dieses Register nach wie vor in ARENA-Hand ist!


Juristisches Macondo

In diesen Tagen hatten fast alle lateinamerikanischen Regierungen Sánchez Cerén zu seiner Wahl gratuliert, es fehlten aber noch die «westlichen» Länder, vor allem die USA ... Erst als das TSE einige Tage später, nach der Ablehnung halluzinierend unbegründeter Einsprachen von ARENA, Salvador Sánchez Cerén und seinem Vize, …scar Ortiz, die Akkreditierungsurkunden überreichte, gratulierten US-Aussenminister John Kerry und in seinem Gefolge auch die restlichen NATO-Regierungen. Damit waren die Chancen auf einen für ARENA günstigen Entscheid der Verfassungskammer des Obersten Gerichts gesunken. Hier hatte die Rechte Anträge zur Annullierung der TSE-Auszählungen und für Neuwahlen gestellt. Diese Verfassungskammer hat bereits eine lange Spur von verfassungswidriger Machtanmassung, meist auf Kosten des FMLN, gelegt (s. dazu unsere letzten El Salvador-Posts auf zas-correos.blogspot.com). Sie hatte sich im Wahlvorfeld zur höchsten Instanz in Wahlangelegenheiten erklärt, so fern nämlich Verfassungsrechtliches tangiert sei - was bei ihr je nach Gusto der Fall ist. Im Wahlzusammenhang war vom Obersten Gericht bzw. dessen Verfassungskammer bis zum FMLN-Sieg 2009 nie die Rede gewesen, zu klar hatten Verfassung und Wahlgesetz das TSE als oberste Wahlinstanz definiert. Doch der linke Sieg 2009 machte ein Reingeneering des gesamten institutionellen Staatsrahmens «nötig», bei dem die klassische Gewaltentrennung durch eine übergeordnete Instanz, die sich selber zum Verfassungsgericht aufschwingende Kammer, gekippt wurde. Die Kammer hatte die Kompetenz usurpiert, die Verfassung via ihre «Interpretationen» umzuschreiben.

Vor den Wahlen hatte es diese Kammer allen staatlichen Angestellten, vom Präsidenten über Parlamentsmitglieder zur Lehrerin und zum Ministerialangestellten verboten, sich in ihrer Freizeit in irgendeiner Form an der Wahlkampagne zu beteiligen. Es galt, populären Figuren wie einigen MinisterInnen oder der sich für Fraueninteressen einsetzenden First Lady, Vanda Pignato, eine Kampagnenteilnahme zu verbieten. Die Verfassung verbietet den Staatsangestellten, ihre Stellung für parteiische Zwecke zu missbrauchen. Laut der Kammer fällt darunter jegliche Kampagnenbeteiligung irgendwelcher Staatsangestellten, auch in ihrer Freizeit. Dahinter steckt die erzreaktionäre Vorstellung eines «übergeordneten Interessen» dienenden Staates, unbeeinflusst vom Parteienhader. Die Parteien sind demnach nichts weiter als Taxis, die ihre Passagiere in eine Stellung fahren, wo sie die auszuführende Politik schon festgeschrieben vorfinden. Es handelt sich um eine perverse Verdrehung von Vorstellungen wie Gemeinwohl in Begriffe, die von einer Elite der platonischen Republik der Weisen definiert werden. Dass in der Verfassung das Recht auf politische Betätigung festgehalten ist, weiss auch die Kammer. Für ParlamentarierInnen etwa, aber auch für alle Staatsangestellten, gelte dieses Recht jedoch, so die Kammerweisen, nur eingeschränkt, denn, argumentiert sie: «Niemand zwingt jemanden dazu, staatlicher Funktionär oder Angestellter zu werden». In diesem Land der tausend Möglichkeiten eine für «jedermann» inspirierende Sichtweise! Den Menschenrechtsprokurator, der zuvor die Kammer-Negierung der politischen Rechte aller BürgerInnen verurteilt hat, wies sie in ihrer Begründung an, sich nicht in ihre Belange einzumischen. Das trug ihr den Hinweis des Prokurators ein, von der Verfassung her für die Beachtung der Menschenrechte durch alle staatlichen Instanzen inkl. der Kammer verantwortlich zu sein.


FMLN warnt

Angesichts dieser Sachlage war unklar, ob die Kammer nicht doch einen juristischen Coup d'état durchziehen würde. Immerhin hatte sie etwa beschlossen, auf eine Beschwerde einzutreten, wonach Sánchez Cerén als für die Periode 2009-2014 gewählter Vizepräsident und sein Vize Ortiz als gewählter Gemeindebürgermeister gar nicht zur Wahl hätten antreten dürfen, ein offensichtlich absurder, durch nichts in der Verfassung oder im Wahlgesetz gedeckter Versuch, die Lage zu destabilisieren. Noch vor den Wahlen hatte sie nicht ausgeschlossen, bei einem allfälligen bejahenden Entscheid notfalls die Wahlen wiederholen zu lassen... FMLN-Führungsmitglied Lorena Peña sagte im Online-Fernsehauftritt bei der Prensa Gráfica vom 21. März 2014: «Der FMLN wird sich in keiner Weise für eine Legitimierung eines Justizputsches hergeben», er wird sich also an keiner «Neuauszählung», deren Modalitäten nirgends in Verfassung oder Gesetz auch nur erwähnt würden und die sich mutmasslich monatelang hinziehen würde, oder Neuwahl beteiligen. (Die Möglichkeit einer «Nachzählung» war nach Kriegsende 1992 zugunsten klar erweiterter Kontrollmöglichkeiten aller Beteiligten bei der Auszählung am Wahlabend abgeschafft worden. Nur so liess sich das traditionelle «Stopfen» der Urnen unterbinden.) Lorena Peña erklärte, ein Kuschen des Frente hiesse die beliebige Manipulierbarkeit aller rechtsstaatlichen Normen zu schlucken, für deren Erzielen so viele KämpferInnen des Frente gefallen seien. Diese Frente-Warnung verwies auf beunruhigende Perspektiven: Falls die Kammer sich zu einem juristischen Putsch hergäbe, würde der Frente sich jeglicher Beteiligung an den dadurch geschaffenen Staatsinstitutionen enthalten. Doch was würde das heissen angesichts der Tatsache, dass der FMLN die Hälfte aller Stimmen gemacht hatte und zweifellos die am besten strukturierte Massenorganisation im Land darstellte?

Diese Warnung zusammen mit der Taktik der US-Botschaft, die Dinge nicht eskalieren zu lassen, kühlte offenbar den «Reformeifer» der Kammer. Sie liess sich bis am 26. März Zeit, um die ARENA-Rekurse abzulehnen, mit einer knappen 3:2-Mehrheit, wohlgemerkt. Ein einziger weiterer Magistrat mit einer anderen Meinung und dem Land wäre eine enorm konfliktreiche Zukunft sicher gewesen! Die Knappheit des Entscheids zeigt, wie begründet die von Peña und anderen Frente-Kadern vorgetragene Warnung vor einer unkontrollierbaren Destabilisierung der Lage gewesen waren.


Erpressungsmanöver

Für ARENA war nun die Luft raus. Wohl oder übel mussten sie und die als Stichwortgeber fungierenden Grossunternehmerverbände das zwar knappe, aber doch klar ausgewiesene Verdikt der WählerInnen akzeptieren. Man zeigte sich jetzt dialogbereit, hoffte auf eine vom FMLN angebotene gemeinsame Lösung der dringendsten Probleme (Wirtschaft, Sicherheit). Bis zum Parteikongress vom 12./13. April. ARENA-Chef Jorge Velado erklärte dort unbekümmert: «Der FMLN wird im Wissen regieren, dass er uns den Sieg gestohlen hat.» Die Message: Bei Gelegenheit wird diese Destabilisierungskarte mit medialer Schützenhilfe gezogen, ganz nach dem Vorbild der venezolanischen Rechtsopposition in Caracas.

Diese Strategie dürfte sich nahtlos in jene des State Departements einfügen: die neue Regierung weich klopfen, sonst destabilisieren. Derzeit versucht Washington, und dies im Verbund mit dem noch bis 1. Juni regierenden Präsidenten Mauricio Funes, eine Reihe von Konterreformen zu dem letztes Jahr verabschiedeten Gesetz über Public Private Partnerships (PPP) durchzubringen.

Es war dem FMLN gelungen, wichtige Bereiche wie die Wasserversorgung oder das Gesundheitswesen vor jeglicher PPP zu schützen (Meist sind PPP eine Spielart der Privatisierung: der Staat finanziert im infrastrukturellen Bereich, der Multi sahnt ab). Washington knüpft diese Konterreformen an die Vergabe von bescheidenen $ 270 Mio. für vier Jahre in Sachen marktkonforme «Entwicklung» der östlichen Küstenregion. Von Funes bis zum Grossunternehmerverband und den Medien tun alle so, als hänge das Schicksal der Nation an diesen Dollars. Während die Wasserfrage für den FMLN nicht zur Verhandlung steht, dürfte er bei anderen Punkten «Entgegenkommen» zeigen. Vielleicht besonders dramatisch ist das Insistieren der US-Botschaft auf der Wiederzulassung des «diskriminierten» Saatgutmonsters Monsanto zu den Ausschreibungen des Landwirtschaftsministeriums, das die im Land verwendeten Samen in den letzten Jahren gentechfrei von Kooperativen entwickeln liess und damit den Selbstversorgungsgrad mit Grundnahrungsmitteln massiv erhöhen und deren Preise für die KonsumentInnen nach unten stabilisieren konnte. Washington weiss natürlich, dass es eine besondere Trumpfkarte in der Hand hält: Schätzungsweise 2.5 Millionen SalvadorianerInnen leben in den USA, viele ohne legalen Status. Es wäre für die Administration Obama ein Leichtes, die Polizeirazzien gegen MigrantInnen in Gebieten mit vielen SalvadorianerInnen zu verstärken und die jetzt schon hohe Zahl von Deportationen nach El Salvador (erstes Quartal 2014: 8000; Prensa Gráfica, 11.4.14) zu vervielfachen. Das würde zwangsläufig ein auch ökonomisches Chaos bewirken.


Einen wichtigen Schritt weiter

Angesichts dieses Sachverhaltes und des knappen Wahlausgangs muss der FMLN nun klug agieren. Er muss die Reformen im Sozialen vertiefen, die Wirtschaftspolitik über den Agrarbereich hinaus verändern und gleichzeitig versuchen, durch Konzilianz Washington die Kapitalgruppen und ihre Rechtsparteien von einer für die Leute katastrophalen Totalblockade seiner Regierung, von reaktionärer Strassengewalt bis zur forcierten Dekapitalisierung, abzuhalten. Eine sehr schwierige Aufgabe, gewiss, doch hat es der Frente bisher trotz manchmal herber Rückschläge verstanden, eine gesellschaftliche Dynamik in Richtung Emanzipation zu stärken. Ausdruck davon ist, dass jetzt die Hälfte der Bevölkerung den Frente und seinen Kandidaten, einen jahrelang verteufelten Ex-Comandante der Guerilla, unterstützt. Im Wesentlichen ist der FMLN dieses Mal allein angetreten, nicht wie beim Wahlsieg 2009, als die Allianz mit der Gruppe um den dann gewählten Staatspräsidenten Funes eine signifikante Öffnung zu politisch unklar definierten Bevölkerungsschichten bedeutete. In einem Land, in dem offenbar, das ist die Kehrseite, immer noch viele Leute denken, die früheren «terroristas» würden letztlich doch alle Bibeln verbrennen, ist das viel, sehr viel. Zwischen dieser Hälfte der Leute und jener der Rechten gibt es einen markanten Unterschied: ARENA hatte ihr Resultat mit Stimmenkauf und Medienpsychotisierung massiv verbessert. Keine Tagesschau ohne 5-minütigen Beginn über den «verzweifelten Kampf der Demokraten für Freiheit und Essen» in Venezuela, keine Ausgabe der grossen Tagespresse ohne mehrere ihrer ersten Seiten zum gleichen Thema. Bei aller unerträglichen Medienhetze hierzulande, dieser während Wochen aufgebaute und auf den Wahltermin in extremis gesteigerte kalkulierte Angriff auf die Stimmungslage der Leute wies eine hier weitgehend unbekannte Dimension der psychischen Brutalität auf. In den letzten Tagen vor der Wahl war ein Stimmungsumschwung spürbar. Zufallsgespräche auf der Strasse wiesen mehrmals das Muster auf, dass die Leute meinten, die aktuelle FMLN-/Funesregierung sei die erste, die etwas für sie gemacht habe, doch ... «ich habe Angst vor dem, was in Venezuela passiert.» Eindrücklich auch eine Autofahrt nicht allzu spät am Abend vom Nobelquartier Escalón in ein «normales» Quartier. Ich bemerkte nebenbei zum mitfahrenden Compañero, wie relativ verlassen die sonst stärker befahrenen Strassen waren, worauf er nachdenklich kommentierte: «Ja, es ist ihnen gelungen, Angst zu erzeugen. Die Leute gehen nicht aus.»

Vor diesem Hintergrund ist die Stimmenhälfte des Frente zu sehen: Sie steht nicht für Manipulationserfolge, sondern für Bewusstsein.

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Wahlbeoachtung

Das ZAS hatte für die beiden Wahltermine vom 2. Februar und 9. März auf Ersuchen des FMLN eine Wahlbeoachtungsdelegation organisiert. Mit dabei waren VertreterInnen von Gewerkschaften, NGOs, Solidaritätsorganisationen wie der Städtepartnerschaft Biel-San Marcos oder der Genfer Association Nicaragua-El Salvador, Studierende, Sozialkampferprobte ÄrztInnen, Leute mit Erfahrung in Stadtregierungen und Kantonalparlamenten, alte Hasen mit viel Lateinamerika-Erfahrung und Engagierte im erstmaligen Einsatz drüben. Die meisten kamen wir aus der Schweiz, einige aus Deutschland, wieder andere aus Spanien.

Eine unserer Gruppen war schon am Tag vor der Februar-Runde zusammen mit BeobachterInnen aus anderen Ländern bis spät in die Nacht im Einsatz: Die von ARENA kontrollierte Staatsanwaltschaft hatte unter Medienapplaus eine ganze Gruppe von mit dem FMLN sympathisierenden SalvadorianerInnen aus Belice wegen «Verdachts auf Wahlbetrug» (es seien vielleicht AusländerInnen, trotz regulären salvadorianischen Ausweisen und bekräftigenden Statements des Aussenministeriums) verhaften lassen - die internationale Beobachtung verhalf schliesslich mit zu ihrer Freilassung. Das Ganze war pure Vorwahleinschüchterung. Wir beobachteten die Wahlen in einem Dorf (Comasagua), in der Peripherie von San Salvador und schwerpunktmässig im national grössten Wahlzentrum, der Feria, in der Hauptstadt. Internationale Wahlbeobachtungspräsenz half mit, und das ist das Wichtigste, das Vertrauen der Leute zu stärken und Gelüste auf allzu offensichtliche Betrugsmanöver, von denen wir einige Elemente sahen, zu dämpfen. Mehrmals konnten wir z. B. Vertretungen der Wahlbehörde vor Ort auf Probleme hinweisen und sie zum Eingreifen veranlassen. Ebenso konnten wir in der Feria am 9. März durchsetzen, dass wir das Einscannen und Übermitteln der Wahlakten beobachten konnten, ein von der Öffentlichkeit ansonsten hermetisch abgeschirmter Vorgang, bei dem die Sorge aufkam, es könnten Akten «ersetzt» werden.

Wir waren uns bewusst, dass die angespanntesten Momente möglicherweise nach den Wahlen rund um die Auszählung kommen würden. Deshalb hatten wir organisiert, dass das Gros unserer Delegationen auch noch Tage nach dem Wahltermin präsent und nicht schon wieder ausser Landes sein würde. So war es denn auch nach dem 9. März: Während Tagen waren wir bis spät nachts im TSE-Hotel «auf Pikett» und konnten dabei, dank unserer privilegierten Information, eine vernünftige Funktion wahrnehmen: Wir gaben immer wieder Presseinterviews und einmal eine von mehreren TV-Kanälen live und in Reprisen übertragene Pressekonferenz, in der wir die laufende Desinformation sachlich zurückweisen, die professionelle Arbeitsweise des TSE erläutern und das verantwortungsbewusste, sich nicht auf Provokationen einlassende Handeln des FMLN anerkennen konnten. Wir trugen damit unser Sandkörnchen zur Deeskalation der Lage bei.

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Quelle:
Correos de Centroamérica Nr. 177, 28. April 2014, S. 16-19
Herausgeber: Zentralamerika-Sekretariat, Zürich
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Juni 2014