Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE

CORREOS/118: Guatemala - Internationale Kommission für Straffreiheit?


Correos des las Américas - Nr. 164, 9. Dezember 2010

GUATEMALA
Internationale Kommission für Straffreiheit?
Ein brisanter Politmord wirft ein ungutes Licht auf die «internationale Gemeinschaft», konkret auf die Ende 2006 mit einem Vertrag zwischen der UNO und der Regierung von Guatemala ins Leben gerufene «Internationale Kommission gegen die Straffreiheit in Guatemala», CICIG.

Von Dieter Drüssel


Die CICIG spielt die Rolle einer Art unabhängiger, aber weisungsberechtigter Staatsanwaltschaft in Fällen von Menschenrechtsverbrechen der Sicherheitskräfte; ihr Personal setzt sich aus StrafverfolgungsexpertInnen aus dem Ausland zusammen. Der CICIG sind einige wichtige Aufklärungserfolge zu verdanken (wie im Correos berichtet), doch im «Fall Parlacen», der Ermordung von drei Abgeordneten der damaligen salvadorianischen Regierungspartei ARENA im zentralamerikanischen Parlament (Parlacen) in Guatemala im Februar 2007, macht sie eine schlechte Falle.

Im Correos 147 (April 2007) berichteten wir über diese Morde. Ihre Umstände deuteten auf eine Abrechnung im Drogenhandelsmilieu und schnell wurde die Mordtäterschaft guatemaltekischer Polizeikräfte bekannt. Die gesamte Polizeiführung bis hinauf zum Sicherheitsminister Carlos Vielman musste in der Folge den Hut nehmen. Vor diesem Hintergrund wurde auch das Agieren mehrerer Todesschwadronen in den Sicherheitskräften wieder unübersehbar, von denen eine Víctor Rivera, dem «Berater» der Sicherheitskabinette mehrerer Regierungen erst in El Salvador, danach in Guatemala, unterstand. Rivera, in El Salvador als Zacarías und in Guatemala als Frank bekannt, war in den 1980er Jahren in die CIA-Drogenhandelsstruktur um den Militärflughafen Ilopango in El Salvador integriert worden und musste 1996 das Land Hals über Kopf verlassen: Er war Hauptverantwortlicher für die Bekämpfung der Entführungskriminalität gewesen, mit dem Manko allerdings, dass seine Beteiligung an den «untersuchten» Entführungen offensichtlich geworden war. Er wechselte nach Guatemala über, wo er ebenfalls als definitive Schattenautorität für Entführungsfälle drei verschiedenen Regierungen diente. Er war es, der die Untersuchungen im Fall Parlacen faktisch leitete. Zacarías war der einzige Spitzenfunktionär im Polizeiapparat, der die nach den Morden folgenden Säuberungen erst einmal unbeschadet überstand und jener These zum Durchbruch verhalf, die aktuell Gegenstand einer Gerichtsverhandlung ist.

Danach habe Roberto Silva, ein ehemaliger rechter Vize-Abgeordneter im salvadorianischen Parlament, die Morde aus Rache für die Aufhebung seiner parlamentarischen Immunität organisiert. Silva hatte in grossem Stil mit öffentlichen Aufträgen zugunsten eigener Bauunternehmen geschäftet, alles auf der Basis von Bestechungen, ausgeplünderten Kassen mehrerer Gemeinden und Geldwäscherei. Unhaltbar machte er sich mit seiner Protzerei: So fuhr er, mit offiziell bescheidenen Einkünften, etwa in neusten Luxuskarossen zur Parlamentssession. Silva flüchtete und wurde im Oktober 2007 in den USA verhaftet, offiziell wegen Visavergehen. Offenbar kooperiert er dort eng mit den Drogenbehörden. Sich von seinen rechten Freunden im Parlament verraten fühlend, habe er die Ermordung der drei ARENA-Parlamentarier angeordnet und dafür die Dienste von Manuel «Manolillo» Castillo, einem früheren guatemaltekischen Abgeordneten und späteren Bürgermeister im Departementshauptort Jutiapa, in Anspruch genommen. Manolillo wird oft mit kriminellem Schmuggel über die Grenze mit El Salvador, mit Drogenhandel und - während seiner Zeit als Parlamentarier - mit einem Auftragsmord in Verbindung gebracht. 2006 entzogen ihm die USA das Visum. Der Mann soll eine Drogenhändlerbande im Department Jutiapa für die Parlamentariermorde angeheuert haben, ebenso wie eine Reihe von Polizisten, darunter jene vier aus einer Kripo-Spezialabteilung, die erwiesenermassen die Abgeordneten gefangen genommen und später laut Anklage auch ermordet haben. Die vier wurden zwei Tage nach den Morden verhaftet und in den für Strassengangs (Maras) reservierten Knast El Boquerón gesperrt, wo sie zwei Tage später in ihren Zellen ermordet wurden. Die Staatsanwaltschaft hatte versucht, diese Morde einsitzenden Gangmitgliedern anzuhängen, kam damit aber wegen offensichtlicher Manipulation der Fakten vor Gericht nicht durch. (AugenzeugInnen berichteten, wie Kommandos ungehindert das Gefängnis betreten hatten.) Die Motivierungslegende für die Angeheuerten sei gewesen, die drei salvadorianischen Abgeordneten würden eine grosse Menge Geld und Drogen mit sich führen.Ausgehend von den vier mit technischen Hilfsmitteln eruierten Polizisten sei es danach gelungen, auf der Basis ihrer Telefonkontakte die Täterstruktur bis zu Manolillo und Silva aufzuschlüsseln. Zurzeit läuft ihr Prozess in Guatemala.


Eine Ermittlerin packt aus

Soweit die guatemaltekische Justizlegende. Doch in der Zwischenzeit war es zu einem Mord gekommen, den die CICIG untersuchte. Im April 2008 wurde Zacarías in seinem Wagen in Guatemala-Stadt erschossen. Am 7. August 2010 dann der Paukenschlag: Die vor kurzem zurückgetretene CICIG-Ermittlungsleiterin im Fall Zacarías, Giselle Rivera, erklärte in der guatemaltekischen Zeitung «Siglo XXI», der spanische CICIG-Leiter Carlos Castresana habe die Untersuchungen, die mit dem Mord an Zacarías ihren Anfang genommen und sich danach auf den Fall Parlacen und auf mehrere Morde an kriminellen Gefangenen in den Gefängnissen ausgeweitet haben, aus politischen Erwägungen heraus blockiert. Vom zehnköpfigen CICIG-Untersuchungsteam, dem auch eine Schweizerin angehört habe, arbeite niemand mehr für die CICIG, mehrere seiner Mitglieder hätten explizit wegen der Manipulation von Castresana gekündigt.

In einer Artikel- und Interviewserie in der salvadorianischen Zeitung «El Mundo» (14. - 16.11.10) konkretisiert Gisela Rivera, die wieder als Staatsanwältin in Costa Rica arbeitet, ihre Vorwürfe. Die Morde in den Gefängnissen sowie andere Todesschwadronaktionen der «sozialen Säuberung» seien von den damals amtierenden Spitzenleuten des Sicherheitsapparates - Minister Vielman, Zacarías, Polizeichef Erwin Sperisen, Kripochef Víctor Soto Diéguez und andere - geleitet worden. Einzig im Fall von sieben Morden im Gefängnis Pavón habe die CICIG Anklage gegen Vielman, Soto und Zacarías erhoben. Castresana habe die Ausweitung der Parlacen-Untersuchungen auf El Salvador verweigert, die unter anderem auch auf der Hand lagen, da einer der drei ermordeten Abgeordneten, William Pichinte, eine grosse Menge Bargeld (die Rede ist von fünf Millionen Dollars) cash mitgeführt hat; eine Tatsache, die eigenartigerweise vom damaligen salvadorianischen Polizeichef und nachmaligen Präsidentschaftskandidaten der ARENA, Rodrigo Ávila, bestätigt wird. Castresana habe alles getan, um die offizielle These von der Urheberschaft Silva/ Manolillo entgegen der Erkenntnisse der CICIG zu stützen. Aufgrund von Aussagen Beteiligter und anderem Beweismaterial sei die Verwicklung von Zacarías in die Parlacen-Morde erhärtet; dieser habe wie Vielman und Kripochef Soto vorgängig von der Anreise der Parlamentarier gewusst und mit letzterem zusammen die offiziellen Untersuchungen geleitet. Von allem Anfang an habe Zacarías den Verdacht auf Manolillo gerichtet. Laut Aussage eines Mittäters seien Soto und Zacarías in personam am Tatort (einer verlassenen Finca) aufgetaucht, um die Morde an den Abgeordneten anzuordnen. CICIG-Chef Castresana habe überdies auch den Zeugenschutz für aussagewillige Täter verweigert - dies vor dem Hintergrund, dass weit mehr involvierte Personen als die vier bekannt gewordenen Polizisten ermordet worden seien.


Rebellion im Polizeihauptquartier

Generell zeichnet die Staatsanwältin ein Bild von mehreren Todesschwadronen, geleitet u.a. von Zacarías, Soto und Sperisen, die in eine Reihe schwerer Verbrechen verwickelt gewesen seien. Interessant auch die von «El Mundo» verbreitete Nachricht, die sich zumindest teilweise auf Aussagen des salvadorianischen Ex-Polizeichefs Ávila abstützt, wonach die vier danach ermordeten Polizisten sich ihrer Verhaftung zu erwehren suchten. Dabei sei es zu einer eigentlichen Massenrebellion im Polizeihauptquartier gekommen, die nach Aussen nur mit Mühe habe verschleiert werden können. Laut Ávila habe ihm Minister Vielman dabei vorgeschlagen, eine Gruppe salvadorianischer Elitepolizisten zur Ermordung der vier Kollegen zu entsenden, was er, Ávila, abgelehnt habe. Umgekehrt sollen die vier «rebellierenden» Polizisten vorgeschlagen haben, dass sie die Bosse des Kartells von Jutiapa zu einem Treffen einberufen, sie umbringen und als im Kampf gefallene Mörder der Abgeordneten ausgeben. «So oder so», zitiert «El Mundo» am 16.11.10 offenbar Ávila, «habe Luis Herrera», Chef der «untersuchenden» Spezialabteilung und danach im Gefängnis ermordet, dem Vizepolizeichef Figueroa gesagt, «will die guatemaltekische Regierung mit ihnen aufräumen. Die Gringos haben das verlangt. Wir würden dem Land einen Dienst erweisen». Figueroa habe die vier aber in eine Falle locken können. Ein aufschlussreiches, offenbar von einem anwesenden Polizisten mit Handy aufgenommenes Video ist unter «Youtube» und «Caso parlacen, policías capturados» zu googeln. Darin «schwört» der eben verhaftete Herrera ausser sich vor Zorn Zacarías, sie würden auspacken und «ich werde alle mitnehmen». Bestimmt keine Lebenspolice.


CICIG - der Lack blättert ab

Wie gesagt, derzeit läuft der Parlacen-Prozess und aus dem bisherigen Verlauf ist an einem Schuldspruch im Sinne der Anklage nicht zu zweifeln. Die CICIG unter ihrem neuen Chef, dem ehemaligen costaricanischen Generalstaatsanwalt Francisco Dall'Anese (Castresana war im Juni zurückgetreten), trägt dazu nicht unwesentlich bei. Mit der Aufhebung der Immunität von Giselle Rivera und einer Anzeige gegen sie wegen Unlauterkeit und einer Doppelrolle als Untersucherin und Zeugin der Verteidigung von Manolillo. Ihr wird vorgeworfen, etwa Ex-Vizepolizeichef Figueroa gegenüber (der offenbar nach Österreich geflüchtet ist), Untersuchungsgeheimnisse ausgeplaudert zu haben. Rivera wollte tatsächlich am Prozess Auskunft über die Ergebnisse ihres CICIG-Teams geben. Dazu kommt es jetzt nicht. Ein guatemaltekisches Gericht liess sie am 12. November 2010 über Interpol zur Verhaftung ausschreiben. Das Gericht im Parlacen-Fall befand wenige Tage darauf, dass eine Einvernahme per Videokonferenz nicht statthaft sei, da der Antrag zu spät eingereicht worden sei ...

Sollten die Anschuldigungen der Staatsanwältin Rivera zutreffen, wäre klar: Die CICIG der «internationalen Gemeinschaft» so hörig wie die guatemaltekische Justiz den nationalen Machthabern. Die CICIG ist natürlich kein Instrument der guatemaltekischen Eliten und wird von diesen entsprechend angefeindet. Dass Vielman, Sperisen und Konsorten wegen Morden an Gefangenen im Knast Pavón auf der Flucht im Ausland sind (Vielman in Spanien, Sperisen in Genf), ist auch der CICIG zu verdanken. Die vom UNO-Generalsekretär, also von Washington eingesetzte CICIG-Leitung hat aber beispielsweise verhindert, dass die offensichtliche «salvadorianische Connection» im Fall Parlacen untersucht wird. Wichtiger wohl noch die Rolle des «Schattenberaters» Víctor Rivera mit seiner evidenten CIA-Connection. Es scheint, dass die CICIG-ErmittlerInnen auf ein geheimdienstlich strukturiertes Netzwerk der brutalen Gewalt stiessen, das dem für die laufende Ausweitung des US-«Drogenkrieges» auf Zentralamerika dienlichen Konstrukt der «ausgeflippten» Drogenkartelle und Maras diametral widerspricht. Besser, sich auf ein paar abgewirtschaftete Figuren aus Politik und Mafia einzuschiessen.


P.S.

Am 23. November 2010 liess die spanische Justiz den zwischenzeitlich verhafteten Ex-Innenminister Vielman wieder laufen. Grund: Die guatemaltekischen Behörden hatten eine erste Frist für die Einreichung eines detaillierten Auslieferungsbegehrens ungenutzt verstreichen lassen. Das guatemaltekische Verfassungsgericht hatte, gestützt auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, das Verfahren gegen Vielman ausgesetzt. CICIG-Chef D'Anese protestierte dagegen.


*


Quelle:
Correos de Centroamérica Nr. 164, 9. Dezember 2010, S. 30-31
Herausgeber: Zentralamerika-Sekretariat, Zürich
Redaktion: Postfach, 8031 Zürich, Schweiz
Tel.: 0041-(0)44/271 57 30
E-Mail: zas11@sunrise.ch

Correos erscheint viermal jährlich.
Abonnement: 45,-- CHF


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Februar 2011