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CORREOS/109: Drastische Verschlechterung der Lage in Honduras


Correos des las Américas - Nr. 163, 13. September 2010

Drastische Verschlechterung der Lage

Von Dieter Drüssel


Vielleicht ist es nicht gelogen, von einer «Normalisierung» in Honduras zu reden. Nämlich, wenn damit gemeint ist, dass das nationale und internationale Kapital mit dem Putsch zu einer militanten Ausbeutungsoffensive übergegangen ist und das Politmorden selbst gegenüber der offenen Putschphase zunimmt. Erfreulich aber, dass dieser Offensive auf Schritt und Tritt Widerstand erwächst.


(23.8.10) Die Situation in Honduras verschärft sich, selbst im Verhältnis zur ersten Phase der Putschdiktatur unter Micheletti (28. Juni 2009 bis 27. Januar 2010) und sowieso im Gegensatz zur Mainstreamdarstellung. Sofern da überhaupt noch etwas über das Land berichtet wird ... Mittlerweilen wird auch der gesellschaftspolitische Grund für den Putsch immer deutlicher: die brutale Zurichtung von Honduras für das transnationale Kapital und die nationale Oligarchie, was die Liquidierung der unter Präsident Mel Zelaya in Gang gesetzte Reformdynamik zur Bedingung hatte. Harte Sozialkämpfe und eine verschärfte selektive Repression beleuchten die Bruchlinien. Im Zentrum stehen einerseits die Kämpfe im Erziehungswesen und der BäuerInnen für das Recht auf Land. Parallel wird die Lage der Menschenrechte noch schlimmer als unter Micheletti.


Vom LehrerInnenkampf zum Generalstreik?

In seinem Artikel «Los maestros siguen en pie de lucha» vom 17. August geht Giorgio Trucchi, Korrespondent der Lateinamerikasektion Rel-Uita der internationalen Gewerkschaft IUL (Lebensmittel, Landwirtschaft, Hotellerie), auf einige Hintergründe des riesigen Arbeitskonfliktes ein:

«Zwei Wochen der Arbeitsniederlegung, der permanenten Mobilisierung auf den Strassen der Hauptstadt und der friedlichen Besetzung des INPREMA (Renteninstitut der LehrerInnen) haben an der unnachgiebigen Haltung der Regierung nichts verändert. Laut Edgardo Casaña, Präsident der LehrerInnengewerkschaft COPRUMH, ist während des Putsches ein Gutteil der INPREMA-Fonds verschwunden. 'Wir haben das Verschwinden der vom Lohn der Lehrerinnen und Lehrer abgezogenen Gelder denunziert.Auch die Regierungsbeiträge sind verschwunden. Während des Putsches haben sie diese Mittel eingezogen und umgeleitet, um beispielsweise die Repressionskräfte, den De-facto-Staatsapparat und die putschnahen Gruppen zu finanzieren.' Mehr als 4 Mrd. Lempiras ($220 Mio.) haben sich während des Regimes von Roberto Micheletti und in den letzten Monaten in Luft aufgelöst. 'Wir protestieren auch dagegen, dass der Kongress ein Erziehungsgesetz vorantreibt, das die Aufsicht des Staates über das Erziehungswesen eliminiert, indem es diese Funktion den Gemeinden überträgt. Dies ist absurd', sagte der Gewerkschafter, 'denn die Gemeinden erhalten nur 5 Prozent des Staatshaushaltes und haben keine Möglichkeit, die Verantwortung für das Erziehungssystem zu übernehmen'.»

Am Mittwoch, den 18. August, gab es landesweit gemeinsame Grossmobilisierungen der LehrerInnen und der Nationalen Volkswiderstandsfront FNPR. Als Antwort ist es zu brutalen Einsätzen der Repressionskräfte gekommen. Gezielt wurden dabei LehrerInnen, die zuvor von eingeschleusten Militärs als AktivistInnen identifiziert worden waren, verhaftet, misshandelt und teilweise beinahe umgebracht. Am letzten Freitag, den 20. August 2010, gaben die drei Gewerkschaftsföderationen und der FNRP die Bildung eines gemeinsamen Komitees für die Organisierung eines Generalstreikes bekannt. Dies ist bemerkenswert. Während die CUTH als weitaus grösster Dachverband links positioniert ist und sich von Anfang an in der Widerstandsfront engagiert hat, sind die anderen beiden Verbände, insbesondere die christdemokratische CHT, bisher eher mit Passivität oder gleich mit Putschsympathien aufgefallen.


Planelemente

Dieser Kampf der LehrerInnen steht zusammen mit den Landauseinandersetzungen im Bajo Aguán und anderswo (s.u.) an der Spitze der gesellschaftlichen Konfrontationen. Daneben gibt es weitere wichtige Kämpfe wie etwa jene der Gewerkschaft Sitraunah, der Angestellten an der zentralen Universität von Honduras. AktivistInnen befinden sich seit über drei Monaten im Hungerstreik gegen die Entlassung von 124 KollegInnen und die Abschaffung des Gesamtarbeitsvertrages, welche von der proputschistischen Rektorin Julieta Castellanos betrieben werden. Die Frau ist Mitglied der «überparteilichen Wahrheitskommission» von Putschwahlengewinner Pepe Lobo, welche die «guten Absichten» seiner Regierung verdeutlichen und damit die internationale «Normalisierung» legitimieren soll.

Gemeinsamer Hintergrund all dieser Kämpfe ist eine mit dem Putsch entfesselte Offensive von oben. Ein anfangs Juli 2010 in einer einzigen Nachtsitzung des Parlaments durchgewinkter Plan de Nación sieht etwa die schrittweise Privatisierung aller dezentralisierte Wassersysteme im Land bis ins Jahr 2022 vor. Dieser «Plan für die Nation» entspricht den Vorgaben der durch IWF und Weltbank repräsentierten internationalen «Gebergemeinschaft». Ein Gesetzesvorschlag für Public Private Partnerships (PPP) dient nach Analyse des FNRP der Privatisierung des Service public. Gleichzeitig soll ein Dekret die Arbeitsgesetzgebung mit ihren Sozialleistungen und Mindeststandards aushebeln, indem Stundenarbeits- und Halbtagesverträge eingeführt werden sollen. (Auch in El Salvador betreibt Staatspräsident Mauricio Funes die Durchsetzung von PPPs im Rahmen weiterer, vom IWF angepeilter Privatisierungen. Ein von der Maquilaindustrie «vorgeschlagenes» Arbeitsdekret à la hondureña ist vorerst am Widerstand linker Gewerkschaften und der Arbeitsministerin Vicky de Avilés vom FMLN gescheitert.). In Honduras sind laut offiziellen Angaben letztes Jahr 180.000, un ter Lobo (seit Februar 2010) weitere 50.000 Arbeitsplätze verloren gegangen.


Brutale Morde im Bajo Aguán

Am 18. August schrieb Giorgio Trucchi für Rel-Uita im Artikel «Brutal asesinato a miembros del MUCA»:

«Trotz der zwischen dem Movimiento Unificado Campesino del Aguán (MUCA) und der Regierung unterzeichneten Abkommen reist die Gewaltserie im Bajo Aguán nicht ab. Die mit Afrikanischer Ölpalme bebauten Ländereien sind erneut mit bäuerlichem Blut getränkt worden. Gestern Dienstag, 17. August 2010, wurden drei Mitglieder des MUCA im Alter von 40, 18 und 14 Jahren brutal ermordet. Victor Manuel Mata, Sergio Magdiel Amaya und Rodving Omar Villegas von der Comunidad San Esteban waren mit dem Wagen unterwegs in die Comunidad Paso Aguán, als sie von Unbekannten mit schwerkalibrigen Waffen durchsiebt wurden.»

«'Zwei unserer Compañeros starben sofort', wie Juan Chinchilla, Leitungsmitglied des MUCA und Mitglied im Exekutivkomitee der Nationalen Volkswiderstandsfront FNPR bewegt sagte, 'der Dritte im Spital. Es hat sich um Mitglieder des MUCA gehandelt, ihre Grundstücke waren im Abkommen mit der Regierung inbegriffen. Im ganzen Bajo Aguán leben wir in einem angespannten Klima. In den Tagen vor diesem neuen Anschlag haben wir Bewegungen von Truppen und Polizeieinheiten festgestellt.»

«Das MUCA berichtet von 10 ermordeten Mitgliedern als Folge der letztes Jahr von den Repressionskräften und dem Sicherheitspersonal des Grossgrundbesitzers und Ölpalmenproduzenten Miguel Facussé Barjum begonnenen brutalen Repression. 'Dieser neue Akt der Gewalt gegen unsere Organisation zeigt den fehlenden Willen von Miguel Facussé, den Konflikt im Bajo Aguán zu lösen', sagt Chinchilla. 'Wir wollen das mit der Regierung unterzeichnete Abkommen umsetzen, aber die Bedingungen dafür werden von Tag zu Tag schlechter.'» «Am Mai 2010 hatte das Nationale Agrarinstitut INA dem MUCA die ersten 3000 ha von den im Vertrag mit der Regierung vorgesehenen 11.000 ha Land übergeben. Mehr als 2500 Familien siedelten sich in sechs Fincas an. Mehrere Bauern wurden in den letzten Wochen verhaftet und mehr als 200 Anklagen gegen Mitglieder der Bauernorganisationen sind vor Gericht hängig. Am letzten 28. Juli wurde der Rechtsanwalt des Widerstandes und Verteidiger des MUCA im Department Colón, Mario Portillo, widerrechtlich verhaftet.»

Soweit Giorgio Trucchi. Der Konflikt im Bajo Aguán, der etwa 600 km nordöstlich von Tegucigalpa gelegenen Region, steht im Zeichen der Konfrontation zweier gegensätzlicher Visionen oder Pläne. Facussé, einer der entscheidenden Putschdrahtzieher, will fast ganz Honduras zur Anbauzone von Afrikanischen Ölpalmen machen (u.a. für die Agrospritgewinnung, s. Correos 162). Auf der anderen Seite haben in der gleichen Region die Kooperativen des MUCA, zuletzt mit Unterstützung der Regierung Zelaya, angefangen, ihren gesetzlichen Anspruch auf Land durchzusetzen und dabei eine Produktion zu entwickeln, die zumindest auch den Anbau von Grundnahrungsmitteln für hungrige Mäuler, nicht für leere Autotanks, beinhaltet. Seit dem Putsch stehen sie immer mehr im Visier der Repression. So berichteten verschiedene Nachrichtenagenturen am 19. Juli 2010, dass laut Polizeiangaben ungefähr 20 Bauern in ein Ölpalmengrundstück eingedrungen seien und auf das anwesende Sicherheitspersonal geschossen haben, welches in Notwehr drei der Campesinos erschiessen musste (und angeblich selber drei Verletzte aufwies).

Natürlich gibt es nicht nur Facussé. Am 27. Juli 2010 berichtete der Infodienst des Widerstandes, die «Red Morazánica de Información» (resistenciahonduras.net), 300 bis 400 Mitglieder des Sicherheitsapparates der Standard Fruit Company (Teil des US-Multis Dole) sowie mehrere Scharfschützen hätten sich in der Zone von Las Isletas, nahe des Bajo Aguán im Atlantikdepartement Colón, aufgestellt, um ungefähr 200 Familien der bäuerischen Kooperativunternehmung EACI daran zu hindern, ihr widerrechtlich von der Standard Fruit angeeignetes Land zurückzuholen. In diesem Fall kam es noch nicht zu Toten - aktuell soll gerade eine Vermittlungskommission der Regierung eingesetzt werden. Wie «fragil» aber die Landsituation insgesamt ist, zeigt eine kleine Passage in einem Communiqué der Widerstandsfront vom 13. August 2010. Bezugnehmend auf die brutalen Repressionsumstände vor einem Jahr in der Gegend der Städte Comayagua und Siguatepeque im Zentrum des Landes betont der Frente, dass sich an dieser Situation nichts geändert habe, «wie der Mord an der Bauernführerin María Teresa Flores nahe von Siguatepeque zeigt, der zwischen dem 7. und dem 11. August stattfand. Ihr Körper wurde fünf Tage nach ihrem Verschwinden mit Spuren von Folter und Schüssen gefunden».


Der Herr des Landes

Die "Red Morazánica de Información" zitierte am 15. August Berta Oliva, die Koordinatorin der Menschenrechtsorganisation COFADEH, mit diesen Worten: «Wir können nicht sagen, dass die Menschenrechtsverletzungen zurückgehen. Es muss klar sein, dass in sechs Monaten des Regimes von Porfirio Lobo die Menschenrechtsverletzungen jene der sieben Monate des Militärputsches um 45 Prozent übertreffen.» Die Menschenrechtsverletzungen sind, so Berta Oliva, nicht nur «systematisch und selektiv», sondern auch «lautlos».

Die gleiche Menschenrechtsverteidigerin erklärte letzten Freitag in Radio del Sur (www.laradiodelsur.com), einer Vernetzung von Radiosendern vor allem aus ALBA-Ländern, dass am Vortag in der Industriestadt San Pedro Sula mehr als hundert Leichen Unbekannter in einem Gemeinschaftsgrab beerdigt worden seien. Sie erklärt das als Ausdruck des Zusammenspiels von politischer Repression mit organisierter Kriminalität. Auch zu Facussé hat die Frau etwas zu sagen: «Im Bajo Aguán gibt es nur einen Herrn, der sich dank politischer Vetternwirtschaft und wirtschaftlicher Macht auch die Hälfte des Landes angeeignet hat. Er klagt an, räumt und eignet sich an. Ihm dient eine Armee, die zahlenmässig grösser ist als die Polizei. Diese Leute sind bewaffnet und haben die Lizenz zum Töten».


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Quelle:
Correos de Centroamérica Nr. 163, 13. September 2010, S. 26-27
Herausgeber: Zentralamerika-Sekretariat, Zürich
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Oktober 2010