Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE

CORREOS/065: Mexiko - So weit weg von Gott, so nah von den USA


Correos des las Américas - Nr. 157, 27. April 2009

(Tan lejos de Dios, tan cerca de los Estados Unidos)
So weit weg von Gott, so nah von den USA

Der immer offener zum Debakel werdende Drogenkrieg als Versuch der USA, das Dopebusiness nicht zu verlieren. Die Linke ist gefordert, gegen Mafia und Kapitalismus Alternativen zu erkämpfen. Erste Ansätze gibt es.

Direkte Solidarität mit Chiapas


(23.1.09) Neben der ökonomischen Krise steckt Mexiko auch in einer mindestens ebenso tiefen politischen Krise, die sich insbesondere auf dem Gebiet der öffentlichen Sicherheit manifestiert. Die Regierung Calderón hat einem der umsatzstärksten Wirtschaftszweige Mexikos, der organisierten Kriminalität im Allgemeinen und dem Drogenhandel im Speziellen, den Krieg erklärt. Die Bilanz dieses Krieges sieht nach zwei Jahren schrecklich aus: Im Kampf um die Neuverteilung der Marktanteile, in der Verfolgung angeblicher oder tatsächlicher Mafiaangehöriger sowie in deren Racheaktionen wurden 2008 über 5630 Personen exekutiert. Tendenz steigend, Brutalität zunehmend. Signifikante Teile der Polizei (50 % gemäss regierungsnahen Studien) sowie hohe Regierungsbeamte partizipieren ebenfalls am lukrativen Geschäft. Viele Institutionen des Staates sind völlig delegitimiert und ausgehöhlt. Die Regierung Calderón sucht ihr Heil in der Stärkung der Armee und übergab den Generälen im Dezember gar die Aufsicht über die Secretaria de Seguridad Pública, also das Polizeiministerium.

Hinter diesem sozialen Krieg und der Militarisierung weiter Teile Mexikos stehen die USA. Denn, so das Pentagon Mitte Januar 2009 in einem Strategiepapier, die grössten Gefahren weltweit seien der Kollaps der Staaten Mexiko und Pakistan. "Die Männer von Washington wollen nicht, dass ihnen das Geschäft aus den Händen gleitet, dies ist das Bestimmende, was hier in den letzten beiden Jahren geschah", meint der Politologe Luis Javier Garrido am 2. Januar 09 in der Jornada. Und weiter: "Was die Abteilungen wie die DEA der US-Regierung in Mexiko zu erreichen suchen ist nicht, den Drogenhandel zu beenden, schliesslich sind die politischen und ökonomischen Eliten der Vereinigten Staaten die wichtigsten Drogenkonsumenten der Welt. Sie wollen vielmehr diesen enormen Handel weiter kontrollieren, der ihnen aufgrund des Autonomierahmens der mexikanischen Kartellen aus den Händen gleitet. Sie versuchen, den Markt nach ihnen Interessen zu regulieren", und in Calderón hätten sie eine hörige Marionette gefunden.

Die These der Dominanz der USA über die mexikanische Politik ist nicht neu. "Tan lejos de Dios, tan cerca de los Estados Unidos" - ein altes mexikanisches Sprichwort, das den Einfluss des grossen Nachbarn beklagt. Aber mit der Ära Bush und dessen konservativen Äquivalent, den PAN-Regierungen ab 2000, hat sich eine unheilige Allianz neuer Qualität gebildet. Ähnlich dem Plan Colombia hat die PAN-Regierung ein "Initiative Mérida" genanntes Paket unterzeichnet, das Militärhilfe in der Höhe von 1.4 Milliarden US-Dollar leisten soll, natürlich meist Auftragsarbeiten für US-Firmen.

Die mexikanische Armee nimmt in der seit Beginn wegen angeblichem oder tatsächlichem Wahlbetrug schwach legitimierten Regierung Calderón immer mehr die Zügel in die Hand. Doch damit ist nicht nur der Rechtsstaat eine blosse Worthülse. Auch die Mafia gewinnt an Einfluss, direkt durch die Zusammenarbeit mit dem Militär oder indirekt, denn die miserabel bezahlten, aber gut ausgebildeten Soldaten desertieren zu Tausenden und wechseln die Fronten, mit Waffen, Know-how, Beziehungsnetzen. Auch werden strategische Transitrouten wie die Küste von Guerrero schon seit Jahren von Militär und Mafia gemeinsam bewirtschaftet. Auch Aussagen von gefangenen Drogenmafiamitgliedern stützen diese Aussage.

Warum hat der Drogenhandel eigentlich in den letzten Jahren so stark an Bedeutung gewonnen? Die im Neoliberalismus ausgezehrte Lebensgrundlage zwingt die Leute dazu, sich andere Wege des Überlebens zu suchen. Von den 25 Millionen MexikanerInnen, die von der Landwirtschaft leben, seien 20 Millionen überflüssig und müssten sich halt einfach ein neues Auskommen suchen, meinte der Landwirtschaftsminister der Regierung Fox. Also migrieren die Leute oder, so ein Bauer bei einem Besuch in Guerrero: "Der Kugelmais (el maiz de bola) hat einfach einen besseren Preis", und meint damit den Mohnanbau. Ähnlich argumentiert die "Königin des Pazifiks", Sandra Beltrán, eine legendäre Mafia-Figur, die kürzlich verhaftet wurde: Warum fühle sich eigentlich die Regierung gestört durch den Drogenhandel, im Gegensatz zur Regierung gebe dieser den Leuten wenigstens Arbeit.

Die Herausforderung durch diese Schattenwirtschaft ist auch für die sozialen AktivistInnen gross, einmal abgesehen davon, dass die Militarisierung immer auch auf sie zielt. Neben der Bedrohung durch die Militarisierung und Kriminalisierung des sozialen Protestes müssen die sozialen Bewegungen den Jungen und den Arbeitslosen ökonomische Alternativen zur Mafia anbieten können und der Mafia auch auf der Strasse die Stirn bieten. Keine leichte Aufgabe, aber es gibt Beispiele: Im Aufstand von Oaxaca 2006, während der Monate der Barrikaden, haben die BewohnerInnen von Oaxaca-Stadt der Kriminalität Einhalt geboten, Strasse für Strasse, Nacht für Nacht. In der äusserst armen Region Montaña von Guerrero haben die Gemeinden eine autonome Kommunenpolizei aufgebaut, die seit 15 Jahren existiert und erfolgreich die indigenen Vorstellungen von Recht durchzusetzen vermag. Dies sind erste Ansätze im Umgang der sozialen Bewegungen mit der Krise der Sicherheit, die zeigen, dass es neben dem Schrei nach der Todesstrafe (wie sie die Grüne Partei Mexikos propagiert) und der kollektiven Angstneurose vor der Unsicherheit auch Handlungsalternativen von unten gibt.


*


Quelle:
Correos de Centroamérica Nr. 157, 27. April 2009, S. 20
Herausgeber: Zentralamerika-Sekretariat, Zürich
Redaktion: Röntgenstrasse 4, 8005 Zürich, Schweiz
Tel.: 0041-(0)44/271 57 30
E-Mail: zas11@sunrise.ch

Correos erscheint viermal jährlich.
Abonnement: 45,-- CHF


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Mai 2009