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CORREOS/058: Kolumbien - Narkodemokratie und Mafiastaat


Correos des las Américas - Nr. 156, 22. Dezember 2008

KOLUMBIEN
Narkodemokratie und Mafiastaat

Von Yumaira Sie Gil


"...Ich war ein Mann mit guten Sitten und der Staat rekrutierte mich, um gegen die Guerilla zu kämpfen"
Salvatore Mancuso, Chef der Paramilitärs (25.8.08) 

JournalistInnen, die Kolumbien als eine Demokratie feiern, die sich alter "Mängel" entledige, kennen wohl keine Grenze der Erbärmlichkeit. In dieser "Demokratie" lässt sich der Präsident in seinem Palast von gesuchten Mörder klammheimlich Material gegen unliebsame Richter zustecken. Und werden jeden Tag 1500 Menschen von ihrem Land vertrieben, das Multis und Grossgrundbesitzer "brauchen".


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1987 beginnt der Name des kolumbianischen Präsidenten Álvaro Uribe Vélez mit dem Buch "Los jinetes de la cocaína" bekannt zu werden, in dem man liest: "Ebenfalls aus [dem Department] Antioquia kommt Álvaro Uribe Vélez, dessen Vater, Alberto Uribe Sierra, ein bekannter Drogenhändler war ... Als Direktor der Zivilluftfahrtbehörde erteilt [Álvaro Uribe] vielen Drogenhandelpiloten die Flugbewilligung Programm 'Medellín ohne Slums' zu eigen, das von Pablo Escobar finanziert war".
(1)

1997 schuf Uribe als Gouverneur von Antioquia die "Sicherheitskooperativen Convivir". Dabei handelte es sich offiziell um Wachkomitees an der Bevölkerungsbasis, real aber um Todesschwadronen und paramilitärische Gruppen mit legalem Anstrich. Carlos Castaño, der ehemalige Chef der paramilitärischen AUC (Autodefensas Unidas de Colombia) schrieb in seinem Buch "Mi confesión" bezüglich Uribe: "Die soziale Basis der 'Autodefensas' betrachtet ihn als ihren Präsidentschaftskandidaten" und fügt an: "Im Grunde ist [er] der Mann, der unserer Philosophie am nächsten steht und seine Idee, die Convivir' zu schaffen, kommt dem Prinzip, das zu den 'Autodefensas' führte, am nächsten." 2001 berichtet Newsweek 2001 über einen vertraulichen Bericht der DIA [US-Militärgeheimdienst] von 1991, der Uribe unter den 100 grössten Drogenhändlern Kolumbiens auflistet(2). 2002 wird er mithilfe eines von den Paramilitärs betriebenen Wahlbetrugs Präsident. Am 25. September 2005 klagt die Staatsanwaltschaft Rafael García, den Ex-Informatikchef der Politpolizei DAS, an. García macht detaillierte Aussagen über die Art und Weise, wie der Wahlbetrug Kandidaten der Paramilitärs ins Parlament und Uribe zur Präsidentschaft verhalf. Die Koordination dieser Aktivitäten hatte Jorge Noguera inne, der nach dem Amtsantritt von Uribe zum Leiter des DAS ernannt wurde (und später zum Konsul in Mailand).

Uribe Vélez synthetisiert die Interessen der verschiedenen Machtkomponenten in Kolumbien optimal: Für die USA ist er ein Vertrauensmann, der als ihr Alliierter in Lateinamerika agiert; die grossen nationalen Unternehmerverbände brauchen ihn für die restlose Privatisierung der Wirtschaft; die Neureichen, also die Drogenhändler, brauchen ihn, um ihre Kapitalien legalisieren und sich für die Tausenden von Verbrechen, die sie zum Schutz des Staates begangen haben, Straffreiheit einhandeln zu können.

Als Erstes privatisierte Uribe die staatlichen Unternehmen der Telekom, der Stromwirtschaft, der Sozialversicherung und der Ölbranche. Er militarisierte dabei die Installationen, um gewerkschaftliche Proteste zu unterbinden und sperrte mehrere Gewerkschaftsführer unter der Anschuldigung des Terrorismus ein. Gleichzeitig führte er "Spezialzonen" unter militärischer Kontrolle und mit beschränkter Gültigkeit der Verfassung ein. Interessanterweise stimmten diese Zonen mit jenen Gebieten überein, in denen die Multis Infrastrukturprojekte vorantrieben und wo die Ölleitungen für den Export durchliefen.

Auf regionaler Ebene beteiligte sich Uribe an der Sabotage der venezolanischen Regierung von Comandante Hugo Chávez. Am 8. Mai 2004 wurden 130 kolumbianische Paramilitärs auf einer Finca nahe bei Caracas verhaftet. Einer von ihnen sagte aus, dass sie sich an einem Plan zum Sturz der Regierung beteiligen wollten. Mehrere der Verhafteten waren Offiziere und Unteroffiziere der kolumbianischen Armee gewesen, andere kamen vom DAS. Seither ist es zu vielen Vorfällen mit Beteiligung kolumbianischer Paramilitärs und Amtsstellen gekommen. Als Präsident fällt Uribe die Rolle zu, das paramilitärische Modell in andere Länder der Region zu exportieren.


Demobilisierung oder Legalisierung der Narkos?

Im April 2002 erklärte Salvatore Mancuso, der oberste Anführer der AUC, in den Medien, dass seine Paramilitärs 35 Prozent des frisch gewählten Parlaments kontrollierten(3). Zweieinhalb Monate nach dem Amtsantritt von Uribe als Präsident kündeten am 29. November 2002 80 Prozent der AUC-Paramilitärs eine Feuereinstellung an. Am 15. Juli 2003 beschlossen Regierung und Paramilitärs den Beginn von "Verhandlungen". Am 1. Juli 2004 suspendierte die Regierung die Haftbefehle gegen 19 paramilitärische Chefs, die sich zu Verhandlungen in der entmilitarisierten Zone von Santa Fe de Ralito eingefunden hatten. 15 von ihnen waren im Land als Drogenhändler bekannt und für 14 von ihnen ersuchten die USA die Auslieferung wegen Drogenhandels.

Die Zone von Ralito entwickelte sich zum Refugium für die grossen Drogenhändler: Mit ihrer Anerkennung als Parachefs (was sie ja auch waren) erlangten sie einen politischen Status, der sie vor der Strafverfolgung schützte. Später gaben mehrere von ihnen zu, aus dieser Zone heraus weiter den Drogenhandel und die Ausdehnung des Paramilitarismus betrieben zu haben. An einem von der US-Botschaft einberufenen Forum in Cartagena vom 18. und 19. September 2004 wurde festgehalten, dass sich der Paramilitarismus trotz der Gespräche mit der Regierung seit Beginn der Präsidentschaft Uribes im Land weiter ausgedehnt und gefestigt habe. Einige NGO-Berichte halten fest, dass vom 1. Dezember 2002 (Beginn der Feuereinstellung) bis zum September 2004 mehr als 1895 ZivilistInnen von Paramilitärs ermordet oder zum Verschwinden gebracht wurden(4).


Gesetz für Straffreiheit

Am 25. Juli verabschiedete die Regierung das "Gesetz für Gerechtigkeit und Frieden" (Ley de Justicia y Paz), das als Mittel zur Demobilisierung der Paramilitärs dargestellt wird, die ihre Verbrechen bekennen und ihre Opfer entschädigen sollen. Doch faktisch zementierte dieses Gesetz die Straffreiheit, indem es die Höchststrafen auch für Massaker und Völkermord auf acht Jahre festlegt, Haft, die am Wohnort verbüsst werden kann. Und zweitens sollten die Paras zwar einige Raubgüter zurückgeben, den grossen Rest aber, auch den aus dem Drogenhandel und dem Landraub an den BäuerInnen stammenden, legal behalten können. Weiter versprach Uribe den Parachefs, dass sie nicht an die USA ausgeliefert würden.

In "spontanen" Aussagen vor einem Staatsanwalt der justicia y paz gab der oberste Parabefehlshaber, Salvatore Mancuso, 2007 zu, mehrere Massaker (die UNO definiert Morde mit mehr als vier Opfern als Massaker) im Verbund mit den kolumbianischen Streitkräften, darunter auch einigen Generälen, geplant und ausgeführt zu haben. Er gab auch die Verantwortung für rund 3000 Morde und Hunderttausende von Vertreibungen zu. Liliana Soto von der Friedenskommission des Senates erklärte kürzlich in Brüssel: "Was das Gesetz für Gerechtigkeit und Frieden, also das Abkommen der kolumbianischen Regierung mit den Paramilitärs [...], wirklich brachte, war, die Bedingungen für drei Dinge zu schaffen: dass das den Campesinos geraubte Land legalisiert, die Verbrechen der Paramilitärs verziehen und ihnen der Zugang zur Macht für später ermöglicht würden"(5).


Para-Geständnisse

Unter dem Druck der Opfer, des Auslandes, der Menschenrechtsorganisationen und des Umstandes, dass die auf ihren eigenen Fincas "inhaftierten" paramilitärischen Chefs von dort aus weiter ihr verbrecherisches Geschäft ausübten, sah sich die Regierung gezwungen, sie in verschiedene Gefängnisse des Landes zu verlegen. Die Paras fassten dies als Wortbruch der Regierung auf, was sie veranlasste, den Schweigepakt zu brechen und mit Geständnissen über ihre Beziehungen zu Partei- und Staatsführern aufzuwarten.

Am 23. Oktober 2008 veröffentlichte die Radiokette Caracol Teile der Geständnisse des Ex-Parachefs Francisco Villalba, der unter anderem einer der Autoren des Massakers an 19 Personen in der Gegend von El Aro war. Caracol berichtete: "Auf die Frage, ob staatliche Sicherheitskräfte beim Massaker von El Aro Hilfe geleistet haben, antwortete er: 'Ja, von der IV. Brigade. Ich sage das, weil es vor dem Massaker ein Treffen gab, es kam zu Truppenrückzügen von den Strassensperren, es gab eine Sitzung in der Caucana (Antioquia) drei Tage zuvor und ich weiss, dass von den Militärs dabei waren Manosalva, dann der, der danach General wurde, Ospina(6), auch ein Polizeikommandant war dabei, José Serrano(7). Daran teil nahmen auch der Major Parra Niño von der Polizei von Sincelejo und ein Patrullero mit dem Nachnamen Acuña. Weitere Militärs waren dabei, ein Leutnant, ich erinnere mich nicht an seinen Namen, er war von der Truppe der IV. Brigade, die in Punto Valdivia stationiert war, einer Konterguerilla. Auch Santiago Uribe war da und Álvaro Uribe, der damals Gouverneur war.'"

Auf die Frage, wer von den Autodefensas dabei war, antwortete der Zeuge: Salvatore Mancuso, Noventa, Negro Ricardo, Cobra und Carlos Castaño. Der Zeuge sagte weiter aus, dass er Álvaro Uribe nach dem Massaker wieder gesehen habe, der gekommen sei, um zu sagen, "das Massaker sei ein Erfolg gewesen".

Die Paras begannen, ihre Verbrechen zuzugeben und kalkulierten, dass zwischen 10.000 und 31.000 Leichen in Kollektivgräbern, Höhlen und Flüssen lägen. In seinen Aussagen vor der Staatsanwaltschaft verwickelte Salvatore Mancuso den aktuellen Verteidigungsminister Juan Manuel Santos in die Geschehnisse; bekräftigte, dass 40 Prozent des Kongresses mit seiner Hilfe gewählt wurden und gab an, politisch den Senator Mario Uribe Escobar unterstützt zu haben, den Cousin und wichtigsten politischen Alliierten von Álvaro Uribe und hauptsächlichen Berichterstatter und Koordinator des "Gesetzes für Gerechtigkeit und Frieden". Über den aktuellen Vizepräsidenten des Landes, Francisco Santos, sagte er, dass dieser in seiner Eigenschaft als Miteigentümer des wichtigsten Kommunikationsunternehmens des Landes versucht hatte, in Cundinamarca [Departement um die Hauptstadt Bogotá] eine paramilitärische Gruppe zu gründen und dass man ihm das Kommando über den Bogotá-Block der AUC offeriert habe. Zudem übergab Marcuso eine Liste von kolumbianischen und US-Unternehmen, die sich an der Finanzierung der Paraaktivitäten beteiligt hatten, darunter die Bananencompanies Chiquita Brands, Fresh Del Monte und Dole Food(8).


Para-Politik

Die Zeitschrift Semana publizierte die Kopie eines am 23. Juli 2003 von 60 Führern der politischen Parteien und Paramilitärchefs unterzeichneten Geheimdokuments. Das Dokument, der so genannte "Pakt zur Neugründung des Vaterlandes", reflektiert die Allianz der Classe Politique mit den Todesschwadronen für die Kontrolle des Landes. Geständnissen von Paras zufolge weisen mindestens die Hälfte der kolumbianischen Departemente eine paramilitärische Präsenz auf, die zum Teil mit den lokalen Verwaltungen liiert ist. Es wird klar, dass das Motiv der Paras nicht allein in der Guerillabekämpfung liegt. Denn sie handeln wie eine Mafia, die neben dem Drogenhandel weitere lukrative Bereiche kontrollieren will: den Benzinschmuggel, die illegale Einnahme von Staatsgeldern und Pfründe bei Privatkonzessionen des Service public. So wurden beispielsweise die Krankenkassen an die Paras konzessioniert. Die Steuerverwaltung der Grossstadt Barranquilla wurde an die Paras konzessioniert - die Liste sämtlicher SteuerzahlerInnen wurde an ein von den Paramilitärs und Drogenhändlern kontrolliertes Privatunternehmen ausgelagert(9). Das nennen wir in Kolumbien die Para-Politik.

So enthüllten die Paras nach und nach die Verwicklungen der Classe Politique und speziell des Uribismus mit dem Paramilitarismus und dem Drogenhandel. Am 1. Oktober 2008 verfügte die Staatsanwaltschaft über eine Liste von 506 StaatsvertreterInnen, die untersucht wurden, darunter 36 Kongressabgeordnete, eine ehemalige Staatsrätin, 13 Gouverneure, 60 BürgermeisterInnen, 11 Ex-Abgeordnete und 76 Ex-BürgermeisterInnen. Die beschuldigten ParlamentarierInnen verzichteten bezeichnenderweise auf ihr Amt; es war für sie günstiger, sich offen als Paras zu bezeichnen und so Straffreiheit zu erlangen, als sich vom Obersten Gericht aburteilen zu lassen. Sämtliche in die Untersuchung einbezogenen Abgeordneten gehören fünf Gruppen aus dem Uribelager an.

Die Enthüllungen der Paramilitärs betrafen immer höhere Chargen der Regierung. Dagegen setzte Uribe zum "Befreiungsschlag" an. Am 13. Mai 2008 brach er sein Wort und lieferte 14 ihrer Chefs an die USA aus, wo sie wegen Drogenhandel gesucht waren. Dieser Entscheid traf auf den Protest der MenschenrechtsaktivistInnen, für welche die Auslieferungen mit dem Ziel erfolgten, dem Land die Wahrheit vorzuenthalten. Liliana Solano von der Menschenrechtskommission des kolumbianischen Senats sagte dazu: "'Das Abkommen zwischen den USA und Präsident Álvaro Uribe stellt klar, dass die ausgelieferten Paramilitärs nur wegen Drogenhandels und Geldwäscherei belangt werden, aber nicht wegen der Massaker, der Morde und der Politik des Verschwindenlassens.' Solano warnte, dass dieses Abkommen zwischen den Paramilitärchefs, der Regierung Uribe und den USA die Straffreiheit noch weiter ausgedehnt hat, indem es klar macht, dass diejenigen, die weiterhin dem Staat mit der paramilitärischen Strategie dienen wollen, weitere Verbrechen begehen können mit der Sicherheit, dafür nie zu büssen."(10)


Die Wiederwahl des Capo

Am 1. Dezember 2004 verabschiedete der Kongress ein Gesetz, das die einmalige Wiederwahl des Präsidenten (ohne Unterbruch) ermöglichte. 2006 wurde Uribe wieder gewählt. Am 30. März 2008 teilte die Ex-Abgeordnete Yidis Medina der Zeitung "El Espectador" mit, von der Regierung Vergünstigungen im Tausch für ihre Ja-Stimme für die Wiederwahlreform erhalten zu haben. Das Oberste Gericht verfügte die Verhaftung der Ex-Parlamentarierin und wies nach, dass ihr die Regierung 250 Millionen Pesos (150.000 Dollar) für die Stimmabgabe bezahlt hatte. Im gleichen Kontext wurden zwei weitere Ex-Abgeordnete verhaftet. Sie beschuldigten den ehemaligen Justizminister und heutigen Botschafter in Italien, Satal Preda de la Vega, und den derzeitigen Sozialminister, Diego Palacio Betancourt, sowie weitere Regierungsfunktionäre, den parlamentarischen Stimmenkauf organisiert zu haben. Yidis Medina wurde wegen Bestechlichkeit, also für die Beteiligung am Delikt, das die Wiederwahl Uribes garantierte, zu 48 Monaten Gefängnis verurteilt. Alle Regierungsvertreter blieben straffrei und im Amt und der Hauptschuldige blieb Präsident. Der eindeutig deliktive Vorgang wurde nicht für nichtig erklärt. In diesem Zusammenhang äusserte Salvatore Mancuso am vergangenen 25. September: "Ja, wir hatten Einfluss auf die Präsidentschaftswahl."(11)


Aschenbrödel Oberstes Gericht

Am 4. und 5. Oktober 2007 machte der Paramilitär Juan Orlando Moncada Zapata (alias Tasmania) vor der Staatsanwaltschaft Aussagen; einige Tage später bezichtigte die Casa de Nariño (Präsidentenpalast) das Oberste Gericht, dem Para Vergünstigungen für eine Aussage angeboten zu haben, die "Präsident Álvaro Uribe Vélez und andere Bürger als intellektuelle Autoren eines Anschlags 2003 auf das Leben eines anderen Paramilitärs, Alcides de Jesús Durango (alias René),"(12) beschuldigen soll. Tatsächlich hat Tasmania dies nie behauptet, aber Álvaro Uribe "antwortete" darauf öffentlich und beschuldigte den Gerichtsmagistraten Yván Velásquez (Hauptuntersucher der Parapolitik), gegen ihn ein Komplott zu schmieden. Einige Monate später tauchte ein Schreiben von Tasmania auf, in dem er bestätigte, dass ihn Velásquez vom Obersten Gericht kontaktiert habe, damit er Präsident Uribe eines Mordbefehles beschuldige. Doch im Juli bestritt Tasmania, das Schreiben verfasst zu haben. Er habe bloss ein leeres Blatt unterschrieben, das ihm ein Drogenhändler im Gefängnis mit dem Versprechen hingehalten habe, dass er damit seine Haftbedingungen verbessere und seine Mutter ein Haus bekomme. Laut Tasmania stecken hinter dieser ganzen Verschwörung gegen den Magistraten Velásquez und das Oberste Gericht Santiago und Mario Uribe, Bruder beziehungsweise Cousin des Präsidenten. Der Magistrat Velásquez zeigte Beschattungen durch das DAS an(13).

Später wies das Oberste Gericht einen Gesetzesvorschlag der Regierung ab, der dem Obersten Gericht die Untersuchung der Beziehungen von 60 Abgeordneten der Regierungsallianz mit den Paramilitärs entzogen hätte. Der Gerichtspräsident beschuldigte Uribe, "die Unabhängigkeit der kolumbianischen Gerichte" zu bedrohen, der Präsident seinerseits bezichtigte das Gericht, "Rechtsbeuger und Putschisten" zu sein(14).


Spät nachts im Präsidentenpalast...

Schliesslich hatte ein gewalttätiger, in einem Hochsicherheitsgefängnis inhaftierter Berufsverbrecher, der sich zum Drogencapo und danach zum Parachef gemausert hatte, Diego Fernando Murillo (alias Don Berna), seinen Auftritt. Er befahl seinen Leuten, Telefongespräche im Umkreis des Präsidenten und des Obersten Gerichts abzuhören und aufzunehmen. Im April 2008 hatte Präsident Uribe angefangen, Dekrete für die Auslieferung von Mafiachefs an die USA zu firmieren. Don Berna beschloss darauf, zugunsten von Uribe zu handeln, in der Hoffnung, so seine eigene Auslieferung verhindern oder mindestens verzögern zu können. Er schickte seinen Anwalt, Diego Álvarez, und seine rechte Hand, den Drogenhändler und Justizflüchtling Antonio López (alias JOB), an ein Treffen mit dem juristischen Sekretär der Präsidentschaft und mit César Mauricio Velásquez, dem Pressesekretär. Das Treffen fand am 23. April spät nachts im Präsidentenpalast statt, obwohl JOB von allen Sicherheitskräften gesucht war. An der Sitzung wurden Aufzeichnungen privater Gespräche der Mitglieder des Obersten Gerichts und ein Video übergeben, das sich später als Fälschung erweisen sollte. Das Material sollte die Mitglieder des Obersten Gerichts als Komplizen in einem angeblichen Komplott gegen Uribe darstellen. Der Präsident gab zu, dass er das Treffen autorisiert hatte und sagte, die Anwesenheit von JOB im Präsidentenpalast sei nicht klandestin erfolgt. Am 28. Juli wurde JOB in Medellín ermordet.


Wenn der Täter vom Opfer eine Entschuldigung verlangt...

Zum Schluss des Verfassens dieses Artikels begreife ich, warum der literarische Stil von García Márquez magischer Realismus genannt wird. Ich sehe die Nachrichten und erfahre, dass die Menschenrechtsorganisationen den Staat darum bitten, den Parachef Ever Veloza (alias H.H.) nicht auszuliefern. Dieser Mann hatte zugegeben, dass die von ihm kommandierte Gruppe in nur zwei Departementen mehr als 3000 Menschen umgebracht habe. In Kürze würde er die Namen hochrangiger Militärs, Politiker und wichtiger Unternehmen nennen, die ihn dabei unterstützt haben. Die Regierung hat seine Auslieferung an die USA bewilligt und die Angehörigen der Opfer bitten um die Annullierung dieses Entscheides. Denn wenn sie schon ihre Angehörigen nicht mehr zurück bekämen, wollten sie zumindest wissen, wer den Befehl für ihre Ermordung erteilt habe.

"Neue", von Drogenhändlern befehligte paramilitärische Gruppen sind seit Ende 2006 im ganzen Land aufgetaucht. Sie nennen sich Águilas Negras (Schwarze Adler) und haben schon wie ihre Vorgänger zahlreiche soziale AktivistInnen umgebracht. Vor einigen Wochen bedrohten sie kolumbianische Exilierte in Europa.

Währenddessen prangern NGOs an, dass seit dem Amtsantritt von Präsident Uribe und dem Beginn seiner Politik der "demokratischen Sicherheit" die Menschenrechtsverletzungen weitergehen und sich die willkürlichen und massenhaften Verhaftungen von sozialen AktivistInnen multipliziert haben (mehr als 100.000 in den ersten beiden Regierungsjahren). In jedem Regierungsjahr von Uribe kam es zu mindestens 3145 Politmorden, der Tod von KombattantInnen nicht einberechnet(15). 2008 sind 49 GewerkschafterInnen ermordet worden und CODHES (Consejería para los Desplazados, eine Organisation zur Verteidigung der Vertriebenen) zufolge vertreiben die "neuen Paras" jeden Tag 1506 KolumbianerInnen von ihrem Land.

Trotz all dieser Gewalt verliert die Bevölkerung nicht die Hoffnung. Seit dem 11. Oktober marschieren 40.000 Indígenas durch das Land. Sie widersetzen sich so dem drohenden Freihandelsvertrag mit den USA. Sie prangern an, dass seit dem Amtsantritt von Uribe 1256 Indigene ermordet wurden und erinnern an die Hunderttausenden von aus politischen Gründen Ermordeten. Im Land gibt es 30.000 vom Militär und den Paras ermordete "Verschwundene" und 5 Millionen interne Vertriebene. Bis heute bestand die einzige Antwort von ÁLVARO Uribe Vélez an die Indígenas in der Aufforderung, ihn um Verzeihung zu bitten.


Yumaira Sie Gil ist Journalistin und kolumbianische Exilierte


Anmerkungen:
(1) Castillo Fabio. "Los jinetes de la cocaína", Bogotá, 1987
(2) Newsweek, New York, Februar 2001
(3) Diario El Tiempo, Bogotá, 18.4.02
(4) Centro de investigación y educación popular, CINEP, Boletín Noche y Niebla, Bogotá, Dezember 2004
(5) Servicio informativo dial, 2.10.08
(6) Bis vor kurzem Oberbefehlshaber der Streitkräfte
(7) Ehemaliger Polizeigeneral und mit dem Titel des "besten Polizisten auf der Welt" ausgezeichnet.
(8) La Jornada, Mexiko, 18.5.07
(9) verdadabierta.com, 1.10.08: "paramilitarismo y política"
(10) Fussnote 5
(11) Radio Caracol, 27.9.08
(12) Auszug aus dem Schreiben Uribes
(13) El Espectador, 9.8. 08
(14) idem.
(15) Boletín Coordinatión Colombia-Europa-EEUU, Brüssel, August 2008


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Quelle:
Correos de Centroamérica Nr. 156, 22. Dezember 2008, S. 29-32
Herausgeber: Zentralamerika-Sekretariat, Zürich
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Februar 2009